Die Betrogene

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Claus Thor

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Die Betrogene

Von Claus Thor


Kevin ist ein toller Mann, denkt Sybille. Obwohl sie ihren Kollegen erst seit kurzen kennt. Sie spürt, dass auch Kevin sich zu ihr hingezogen fühlt.
„Ist es nicht erstaunlich, wie viel an Interessen wir gemeinsam haben“, sagt sie ihm einmal. Er lächelt sie nur an. Leider hat die ganze Sache einen Haken: Sie hat ihren Freund David, mit dem sie fünf Jahre liiert ist. Und Kevin ist verheiratet.
Aber was macht das schon, denkt Sybille, wenn nach ganzen zehn Jahren, diese Verbindung keine Kraft mehr hat, um zu bestehen. Schließlich dauerte es bei ihr nur die Hälfte der Zeit.
Woher sie das weiß? Na, wie Frauen, das so rausbekommen: durch Beharrlichkeit. Sybille nutzt ihre Fähigkeit ein Ziel ausdauernd und beständig zu verfolgen, hartnäckig daran festhalten.
So chatteten sie oft mit Kevin bis in die Nacht hinein; eine der ergiebigsten Quellen.
„Oh, deine Frau fragt dich, mit wem du die ganze Zeit chattest? Sie ist doch nicht etwa eifersüchtig …„
„David? Der ist noch mit seinen Kumpels unterwegs …„
Feierabends fuhr man noch etwas trinken. Natürlich nicht zu zweit, sondern mit zwei, drei anderen Kollegen zusammen. Und so fügte sich das Bild langsam zusammen, das sie von Kevin gewann.
Es ist Sommer und die Laune bestens. Jetzt ist die Zeit zum Handeln gekommen, denkt Sybille und lädt Kevin zu einem Picknick ein. Wird Kevin sich von seiner Frau trennen, fragt sie sich. Sie möchte Kevin nicht zu sehr drängen, sie weiß, dass Kevin seinen eigenen Trennungsweg finden muss.
Eine Decke wird ausgebreitet, an einer ruhigen und menschenleeren Waldlichtung; hier zog sich Sybille oft mit einem Buch zurück, um zu entspannen; es erschien ihr ideal.
Kevin ist erstaunt. Es wirkt alles sehr durchdacht. Aber er fühlt sich nicht als Opfer.
Sybille lächelt. Kevin greift in die Tasche seiner Jacke. Lächelt ebenfalls, und zaubert ein silbernes Kettchen hervor, mit einer Erdbeere als Anhänger.
„Oh, wie schön“, sagte sie. Betrachtet den Schmuck. Die Sonne spielt mit Licht und Schatten auf ihrem Gesicht.
Kevin schaut ihr zu. Hypnotisiert. Er hat das Gefühl, der Welt entrückt zu sein. Er hört wie Zikaden zirpen. Baumblätter wispern. Bienen summen. Es ist ein herrlicher Frühsommer. Es ist menschenleer.
Sybille legt die Kette beiseite und lässt ihre Hand unter ihrem Kleid verschwinden. Als sie wieder auftaucht, hat sie einen Slip dabei.
„Was tust du?“
„Ich verführe dich.“ Sie lässt den Slip fallen. „Die verbotenen Früchte sollen doch am besten sein.“
Irgendwie tauch etwas Triumphales im Gesicht von Kevin auf. Sybille bemerkt davon nichts. Dann lärmt mit einem Mal Wagners Walküre in die Natur hinaus. Laut. Erbarmungslos. Stimmungszerstörend.
Kevin nestelt sein Handy hervor. Er flucht. Es entfällt seinen ungeschickten Finger und landet in Sybilles Blickfeld.
„Meine Frau“, sagte er.
Sybille sieht einen Namen auf dem Display und sagt: „Gillie? Seit wann heißt deine Frau denn so?“
„Ja … ähm …„
Der Name einer Kollegin, denkt Sybille, schnappt nach dem Handy. Im Nu findet sie die Namensliste.
„Ach“, sagt sie nur. Noch mehr bekannte Namen. „Du betrügst deine Frau mit all den Kolleginnen hier?“
Erbringt einen dazu Ihn zu verführen, denkt sie, das ist seine Masche. Fast hätte ich seine Frau mit ihm betrogen, jetzt bin ich die Betrogene.
Das ist bitter. Sybille schmeißt ihm das Handy hin. Kevins Worte erreichen sie nicht mehr. Sie steht auf und geht.
 



 
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