Die Eckpinte - Püttmann... Folge 24

Die Eckpinte

Wenn Se wieder ma auf Ibiza oder ner anderen Insel weilen tun, dann achten Se doch ma auf die Straßenecken. An so Punkten iss meist ne kleine Kneipe oder en großet Cafe installiert.
„Berta“, fragte ich mein Ehegemahlin, „kannze mir ma sagen, warum ausgerechnet da anne Ecken die Leute von morgens bis abends rumsitzen? Die glotzen nich nur jeder stinkenden Rostlaube nach, nee, auch jedem, der da vorbeigehn tut.“

Berta erklärte mir dat: „Willi, die vertragen die frische Meeresluft nich. Die haben Entzugserscheinungen, wenn se den Abgasmief nich inhalieren können. Dat sind doch meist Großstadtmenschen, die hier Urlaub machen.
Die trinken statt "Cafe con leche" lieber "Cafe con plomo".
Sogar essen tun se bei dem Straßenmief! Allet läuft da direkt an ihrem Tellerrand vorbei, und Hund und Katz streifen bettelnd unter’m Tisch herum. Dat stört die überhaupt nich.“
„Ja, Berta, dat iss wirklich sehr merkwürdig. Da muss mehr hinter stecken! Da sitzen ja keine Penner, dat sind Touristen, Residenten und Insulaner!“
„Willi, vielleicht sind dat ganz einsame Menschen, die draußen auf’m Land wohnen. Die wollen einfach wieder ma unter die Leute, sonst gehen die ein. Vielleicht woll’n se auch nur ma wieder son bissken beachtet werden oder lauern auf Bekannte, mit denen se quatschen können.“

Ich suchte nach weiteren Erklärungen: „Berta, da sitzen Typen, die ziehn sich an son Kaffee con Blei den ganzen Tag hoch. Da kommt aber kein Kellner und verscheucht die! Dat sind bestimmt Lockvögel! Denn sitzen vor dem Cafe schon ma son paar Leute, denkse automatisch: ‚Aha, bei denen iss allet frischer als nebenan, weil der Laden brummen tut.
Bestellze hier n Bier, dann krisse keinen Nachtwächter! Der Kuchen iss auch nich von vorgestern, vermatscht und eingefallen, und Fleisch und Fisch dürften hier wahrscheinlich auch frisch sein.“
Berta wunderte sich: „Willi, wat hasse nur für ne Fantasie, Du ziehst Dich ja richtig hoch an dem Thema! Vielleicht bisse sogar neidisch auf die Typen. Von mir aus kannze dat gerne ma ausloten, wat daran so reizvoll sein könnte. Bestellze Dir schön n Köppchen Kaffee mit Blei und kucks ma, wat da abgeht.“

Zwei Tage später saß ich wirklich in Sta. Eule anne Straßenecke in som „Cafe Wichtig“. Berta hatte en Friseurtermin und ich endlich ma ne Stunde Freigang.

Allein dat Gefühl, einma in drei Wochen ne Stunde genießen zu dürfen, in der ich nich an Berta kleben musste, erfüllte mich mit tollen Freiheitsgefühlen. Druck fiel von mir, und ich wünschte sehnlichst, an der belebtesten Ecke der Stadt Platz zu nehmen.
Ich, der noch vor zwei Tagen mit Berta über diese Gäste lästerte, saß hier nun ebenfalls glücklich und zufrieden rum! Von dieser Ecke gingen wirklich geheimnisvolle Kräfte aus.

Um mich herum saßen nur Männer. Ihre Frauen hockten entweder auch beim Friseur, oder kauften wat zum Picheln ein.

Ich bestellte en Café Cortado, nebst nem kleinen Carlos Primero und zündete mir ne Zigarre an.
Auf einmal durchrieselte mich en ganz tollet Hochgefühl. Ich wünschte mir, dat Berta sollte bloß noch fünf Stunden wegbleiben!
Wie genüsslich ich den Kaffee schlürfte, von wegen Bleigeschmack! Nee, der schmeckte, besonders mit dem Brandy, nach süßer Lebenslust. Der würzige Zigarrenrauch entspannte mich, ich war wie verwandelt und bereit, dat Spektakel um mich herum gierig aufzusaugen.
Dat war hier der Puls vonne Insel.
An mir rauschte jetz allet vorbei. Männchen und Weibchen, dicke Autos, lärmende Mofas, stinkende Lkws und hupende Busse.
Die Polícia Local kam mit dem Abschleppwagen vor dat Café gefahren und lud son aufgemotzten Geländewagen im Halteverbot auf. Der Vorgang regte meine Schadenfreude an und ich bestellte mir noch en Brandy. Der wurde wieder mit großer Manier in som dicken Glasbottich erwärmt. Manche Touristen blieben stehen und schauten interessiert dem Serviervorgang zu.
Ach, da kommt ja der Wolfgang, unser Nachbar von Apardheidsblock vier. Der iss Reisebüronkel und versucht hier seit Jahren den Wintertourismus wachzuküssen. Leider vergeblich.
„Hallo, Willi, Du lässt Dir dat aber gut gehn!“
„Wolfgang, Glück auf!“ „Bisse schon lange aufe Insel? Komm, hau Dich hin, trink einen mit! Erzähl ma, wat gibt et Neuet inne Wohnanlage?“
Ja, Junge, da hasse wieder allet vom Edificioklatsch und -tratsch erfahren. Wer wieder mit wem Theater hatte, wer ma son Auge auf ne fremde Perle geworfen hatte. Natürlich ging et auch wieder um die gestiegenen Gärtnerkosten, den ständig lügenden Hausverwalter und den untätigen Präsidenten.

"Willi. kuck ma, da hinten trabt meine Frau an, ich muss ab. Tschüss, Willi, und viele Grüße an Berta!“
Langsam ging mir en Licht auf, wie wichtig son zentralet Eckcafé im Ort iss. Man trifft Hinz und Kunz und kommt durch Gespräche zu wichtigen Erkenntnissen!

Ach, den kenn ich ja auch, unser Immobiliengeier hat wieder en neuet Opfer anne Angel. „Tach, Herr Püttmann", konnte der Blödmann aber nich sagen. Hauptsache, mein Geld hatte der Kerl im Sack!
Da hörte ich den Geier denselben Überredungsbrei quaken, den er bei uns auch gesülzt hatte: „Letztes Objekt, schon viele Interessenten, Schnäppchen, jetzt sofort zugreifen.“ Na, denk ich, greif ma zu, hoffentlich bescheißt er dich nich! Salud!

Nee, Typen konnte ich hier kucken! Männlich, weiße Socken bis über die Knie, dicken Bierbauch, Shorts und Pläte. Weiblich, supervollschlank, also ungefähr 100 Kilo Lebendgewicht, Zigarette im Hals und Leggins am Hintern.
Da kommt ja schon wieder jemand zu mir. Wat will denn der Kerl?
Da macht son ganz schwatten Afrikaner seinen langen Mantel auf, wie son Exhibitsi. Da war innen mit Uhren, Sonnenbrillen und Armreifen bestückt wie son überfüllter Weihnachtsbaum.
Ich sachte: „Junge, kuck ma, ich trag ne Uhr am Arm und hab ne Sonnenbrille auf’m Kopp, also viel gracias und mach ne Schleife.“
En anderer Typ wollte mir Lotterielose andrehen. Langweilig wurde dat hier nich!
Da hasse ja kaum Zeit für'n Blick auf son paar seltene Schönheiten!
Plötzlich spricht mich ne Mutter mit ihren zwei Blagen an, ich möchte doch ma uno momento auf den Kinderwagen aufpassen. Ich peile in den Wagen, da lag da überhaupt kein Kind drin! Wat nu? Hoffentlich war da kein Sprengstoff oder Rauschgift versteckt, dann hatte ich aber verdammt schlechte Karten.
Gott sei Dank war die Frau nach fünf Minuten wieder zurück. Sie schenkte mir en Lolly und zog weiter. Mir war jetz klar: In som Cafe hasse also auch gewisse soziale Aufgaben zu übernehmen!

Ach, wer iss dat denn, die Tante hasse doch schon ma gesehn! Mensch Willi, iss dat nich die ..., verdammt, ich komm gleich drauf. Jau, dat iss die Verona Feldstrauch. Ne richtig heiße Diva ausse deutschen Glotze!
Heute war se im Schlichtkleid unterwegs, mit sonne dunklen Sonnenbrille und war ungeschminkt. Die sah trotzdem noch gut aus!
Kommt die an meinen Tisch: „Perdon, libre?“
„Si, claro, Frau Feldstrauch, bitte sehr.“
„Schön, dass Sie mich erkannt haben“, hauchte sie lächelnd.
Sie fingerte sich ne Zigarette. Ich gab ihr Feuer und stellte mich vor. Et entwickelte sich son ganz lockeret Gespräch. Die Frau wollte sich nach anstrengenden Dreharbeiten hier anne Ecke nur ma son bissken entspannen. Sie schlürfte einen Coco loco und zog sich genüsslich den Zigarettenrauch inne Lungenflügel rein.
Mittlerweile erkannten einige Touristen die Diva und baten um Autogramme. Im gleichen Zuge hielten die mir auch ihre Blöcke unter die Nase.
Ich schrieb nette Texte hinein. Zum Beispiel: „Liebe Grüße aus dem ‚Café Wichtig’ von Deinem Williken Püttmann, für Brigitte.“

Reporter von „Ibiza Heute“ kamen plötzlich angedüst und schossen ihre Linsen auf uns heiß.
Ich sachte zu den umstehenden Leuten: „Jetz iss aber Feierabend, wir wollen hier Ruhe haben, bitte haben Se doch Verständnis.“
„Danke, Wilhelm“, säuselte Verona. „So ist das immer, das ist doch kein Privatleben mehr!“ Wir plauderten noch en wenig, dann fuhr en dicken BMW vor. Verona verabschiedete sich mit Handschlag, äugte tief in meine Pupillen und verschwand.

Meine frisch ondulierte Berta sah von weitem die Menschentraube und fragte, wat et denn hier zu gaffen gäb, ihr Mann sei doch keine Schaufensterpuppe.
„Haut ab!“, schrie sie.
Einen Tach später erschien dann prompt im Magazin „Ibiza Heute“ en Riesenbild von Verona Feldstrauch mit einem Bericht über den Aufenthalt von zwei ganz großen „Stars“ in Sta. Eularia. Neben dem berühmten Fernsehstar lachte richtig fotogen Williken Püttmann aus Herne-Baukau inne Kamera rein.

Also, liebe Leser, wenn Se ma ne wichtige Nummer werden wollen, ohne wat dafür zu tun, dann setzen Se sich ma für’n paar Stunden an sonne dieselverstänkerte Eckpinte.
 



 
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