Die Freundin

Inge Anna

Mitglied
Die Freundin

Wir kannten uns von Kindheit an:
Sie hieß Ermina Quast;
ihr Vater war Gewerkschaftsmann,
der meine saß im Knast.

Erminas Mutter blickte mich
meist voller Mißgunst an
und meine Mutter grämte sich,
was hatte ich getan?

Die Schule sah ich nie als Zwang;
ich lernte mühelos.
Ermina schwänzte tagelang,
was wenige verdroß.

Die Lehrerschaft hofierte ihr,
belächelte die Lücken.
Dem Alten, der ein hohes Tier,
kraulte man den Rücken.

Doch uns're Freundschaft schien ein Band
von steter Festigkeit;
wir schufen uns ein eig'nes Land,
fern ab vom Strom der Zeit.

Ein Paradies der Harmonie,
dessen Glanz wir pflegten,
gleich einer zarten Melodie,
deren Klang wir hegten.

Der Freundin stille Heiterkeit
war wie ein warmes Licht.
Die Mächte tiefster Dunkelheit,
ahnten wir damals nicht.

Und es kam jener Junitag,
der unsern Bund zerbrach;
bitterer Fügung Hagelschlag
machte uns hilflos, schwach.

Ein falscher Ton begehrte Raum
und nistete sich ein;
wundes Herz, zertret'ner Traum,
die Seele kalt wie Stein.


Ermina steuerte ihr Ziel
auf üble Weise an;
mein Schmerz begleitete das Spiel
und manche Träne rann.

In Hohn getaucht war jedes Wort,
sie holte mächtig aus;
nahm, was ich liebte, mit sich fort,
bespie mein Elternhaus.

Nein, ich wollte nicht versinken,
in einem Meer von Pein,
nicht in Selbstmitleid ertrinken,
auch kein Verlierer sein.

Doch sie behielt die Oberhand,
wir trennten uns in Haß;
was einst auf festen Füßen stand,
zerbarst wie dünnes Glas.

Ich sah Ermina vor drei Jahren,
erkannte sie im Stadtgewühl;
sie wirkte rastlos und zerfahren
und mich beschlich ein Angstgefühl.

Sie hastete an mir vorbei,
als sei sie auf der Flucht.
Ahnte ich den Hilfeschrei,
der einen Ausweg sucht?

Ich überlegte und entschied,
den schweren Schritt zu wagen;
auch wenn sie meine Nähe mied,
wollte ich dies ertragen.

Doch es verlor sich ihre Spur,
ich trat den Heimweg an;
erlag ich einer Täuschung nur,
geriet ich aus der Bahn?

Und plötzlich war sie neben mir,
ich nahm sie bei der Hand;
wie früher ging ich neben ihr,
als Freundschaft uns verband.


Willenlos ließ sie sich führen,
stumm traten wir ins Haus.
War noch ein Hauch von Glück zu spüren
oder war alles aus?

Erminas Blick, mir wurde kalt,
noch immer schwiegen wir.
Da saß sie, lebensmatt und alt,
doch etwas rang in ihr.

Dann sprach Ermina und mir war,
als drehte sich der Raum;
es lauerten Not und Gefahr,
Wirklichkeit - kein Traum.

Ihr Ehemann sei das Verderben,
in schrecklicher Gestalt;
ihr blieb ein Berg von Schutt und Scherben,
im Schatten von Gewalt.

Dem kleinen Sohn bot dies Zuhaus'
an Bitternis zuviel;
und eines Abends blieb er aus:
man fand ihn und sein Ziel.

Um einer Hölle zu entflieh'n,
warf er sich vor den Zug.
Ermina hielt den Brief mir hin,
den stets sie bei sich trug.

Ich las den Inhalt und sie schlug
die Hände vors Gesicht.
Zum nahen Brunnen trieb's den Krug,
jedoch sie weinte nicht.

Ronalds kurze Abschiedszeilen
weckten Erinnerung;
mit seinem Vater wollt' ich teilen
mein Leben, als ich jung.

Ermina riß das Rad herum,
doch das, was sie gewann,
zerfiel auf morschem Podium;
ein Teufelstanz begann.


Trieb dieses kleine Stück Papier
jetzt alles über Bord?
war nur noch Bitterkeit in ihr
und jede Kraft verdorrt?

Sie strich mir übers Haar und ging;
fast tonlos sagte sie:
"Verzeih' dem müden Schmetterling,
er fand die Rosen nie."

Ermina setzte aller Qual
jäh und hart ein Ende.
Leis' singt der Wind: Es war einmal.
Am Grab falt' ich die Hände.

Zwei Schmetterlinge zieh'n vorbei;
ich weine in den Wind:
Liebe Ermina, du bist frei,
vereint mit deinem Kind.
 

La Noche

Mitglied
Hallo Inge Anna,
Sehr tiefgründig und rührend geschrieben, es geht mir wirklich nahe.
Obwohl das Versmaß manchmal nicht ganz aufgeht, würde ich nichts dran ändern, es sollte so stehen bleiben.
Eine sehr traurige Geschichte...weiß nicht so wirklich was ich dazu sagen soll...die Umsetzung ist dir aber wiklich sehr gut gelungen.

LG,
La Noche
 

wolfsfrau

Mitglied
Hi Inge-Anna

Dein Gedicht hat mich richtig berührt. Der Schmerz , die Trauer , die Hoffnungslosigkeit richtig spürbar.

Viele liebe Grüße
die Wolfsfrau
 



 
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