Die Gelbe Gefahr

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Castellanos

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Die gelbe Gefahr
Mein Großvater war ein baumlanger dünner Mensch mit einem Kaiser-Wilhelm-Bart. Nachts trug er eine Bartbinde. Auch noch mit 85 Jahren zwirbelte er jeden Abend seinen weißen Schnurrbart mit Bartwachs und bog die langen Spitzen, bis sie im Bogen nach oben standen. Dann bekleidete er sich mit seinem Stresemann, nahm den Stock mit der Silberkrücke und ging zum Stammtisch, wo er sich mit seinen gleichaltrigen Schulkameraden traf, die mithilfe von Korn und Bier und einer Zigarre den Dienst bei der Kaiserlichen Marine und die Erlebnisse während des Boxeraufstandes besprachen. Dann ging er wieder heim.
Nachdem er das quietschende Gartentor geöffnet hatte (wovon meine Mutter immer wach wurde), dauerte es eine Weile, bis er die Haustür aufschloss. Während dieser Zeit ärgerte sich meine Mutter, weil er dann immer auf den Rasen pinkelte. Am nächsten Morgen war da wieder eine neue kreisrunde gelbe Stelle, wo das Gras eingegangen war.
Eines Abends ging mein Großvater nicht zum Stammtisch, er blieb zu Hause und starb. Die nächsten Wochen stand meine Mutter abends immer vor den gelben Stellen und weinte. Eines Tages waren die Flecken wieder grün. Da musste ich den Rasen umgraben und Johannisbeeren pflanzen.
 



 
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