Die Nacht

madonna

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Die Nacht
Weit aufgerissene Augen starrten sie an aus dem Spiegel. Sie konnte es nicht fassen.... Wohin war die Sanftmut ihres Antlitzes, die es früher ...gestern noch so schön aussehen liess? Der Kerzenschein, einzige Lichtquelle in dem Raum, zeichnete tiefe Schatten wie Narben auf ihr blasses Gesicht...sie erkannte sich nicht. Trotz des flackernden Lichtes war nicht hinwegzusehen über die Gesichtstarre, die ihre Züge verzerrte. Sie war unfähig sich zu rühren. Blankes Entsetzen lähmte sie... Von irgendwoher erklang sich immerwiederholend, neu ansetzend eine Melodie. Ganz langsam, schwerfällig als litte sie unter Gicht, bewegte sich die Frau. Von ihrem Schoß nahm sie behutsam ein Neugeborenes in ihre Arme, wiegte es und summte dabei leise vor sich hin . Ganz still lag das Kind an ihrer Brust. Die Frau erhob sich, hüllte das Kind in einen warmen Schal und verließ die dunkle Kammer. Als sie Tür hinter sich schloß fiel ein Hut vom Haken... Vor dem Haus zitterte sie vor Kälte. Ein schmaler Holzweg führte durch ein dunkles Wäldchen zum Strand hinunter . Sehr langsam aber zielsicher schlug die Frau diesen Weg ein. Der Herbststurm zerrte an ihren Kleidern und ihre dunklen sich schlängelnden Locken wehten ihr vor das Gesicht. Die Frau hörte weder das Gewisper der Nacht noch die Eulenrufe. Sie folgte dem vom Mondlicht beglänzten Weg bis zu einem kleinen Tempel, der am Ende des Wäldchens, fast am Stand stand. Hier hielt sie inne. Sie drückte ihr Kind noch einmal an ihr Herz, dann legte sie es nieder und läutete an der Tempelpforte. Sie wartete nicht bis jemand öffnete, sondern wandte sich ab und ging hinunter zum Meer... der Sturm peitschte das Wasser und in der Luft war der Geschmack von Salzwasser. Am Horizont war ein Himmelsriß zu sehen...ansonsten war stockfinstere Nacht ..der Mond war untergegangen.
Die Sonne schien in das Zimmer, in dem die junge Frau auf dem Diwan schlief. Sie erwachte als die Sonnenstrahlen ihr Gesicht streiften. Sie blinzelte, wollte die Augen nicht öffnen. Einen Moment später wurde sie jedoch schlagartig wach, als sie einen rücksichtslosen Stoss gegen die Bauchdecke spürte. Sie legte ihre Hand auf ihren Leib gegen das rumpelte Etwas. "Hallo, Kleines" sagte sie " es ist noch nicht so weit", und lächelte. Draußen vor dem Fenster blühte der Hibiskus und die Kirschbäume verloren bereits ihre Blüten. "sieht aus wie ein Schneegestöber" dachte die junge Frau. Noch immer ertönte von irgendwo das Krächzen einer in einer Endlosschleife sich drehenden Schallplatte.


(Übernommen aus der 'Alten Leselupe'.
Kommentare und Aufrufzähler beginnen wieder mit NULL.)
 



 
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