Die Seekuh schweigt

3,00 Stern(e) 3 Bewertungen

El Gazzo

Mitglied
die Seekuh schweigt

Süßholz lispelnd kriecht Unbehagen in mein Genick, einer Assel gleich, die sich hinter beschädigten Fließen herumquält. Und ihr Krabbeln lässt mich Halt machen, um Halt zu finden, zwischen bedrohlichen Wellen. Niemals darf ich mich verlieren, auf unsicheres Terrain begeben, von nassen Winden treiben lassen. Eine Assel dagegen kann sich nicht verirren, findet sich überall zurecht. Ich fände nicht mehr zurück in mein Muschelkörbchen, würde meine geliebten Glaskugeln nicht wieder erkennen, die sich rechtzeitig und dauerhaft an meine Kinderaugen geheftet hatten, wo mich blubbernde Luftblasen Lieder singen ließen - im zeitlosen Meer der Unduldsamkeit. Ewige Furcht mich zu verlieren im Rhythmus von Gezeiten. Und was die Angst mir deutet, das trifft auch ein.

Ich bin ein Sammler, der seine Chancen am liebsten in Gruppen einsaugt. Ohne festen Korallenboden und ohne tödlichem Netz. Bin zu schwach, das Leben aufrecht durchzustehen und zu plump in meinen Absichten, die Welt sich mir anpassen zu lassen. Der Glaube daran ist nicht mehr wert als die Hoffnung, weil beides dasselbe zu sein scheint: Beides beschämende Notgroschen für eine von Kiemen durchsetzte Schuppengesellschaft, die Unterwasser-Kultur nur aus dem Wörterbuch kennt.

Aber ich kann mich an grün schimmernden Pflanzen nicht satt sehen, nicht satt essen. Tausendfache Schönheiten. Das macht nachdenklich. Alles auf Fortpflanzung ausgerichtet, ohne zu ahnen, in welche Verantwortung wir unsere Nachkommen stoßen. Die Langsamkeit ist mein Geheimnis und bedächtig sind selbst meine schnellsten Entschlüsse. Solange meine Gegner nicht erkennen, dass ich zwar Furcht erregend, aber ungefährlich bin, Tonnen schwer, aber leicht auszumachen, solange mir die dicke Haut nicht davon schwimmt, werde ich überleben, Weltenbummler bleiben. Es soll noch viel Neues geben - landeinwärts. Sollten wir irgendjemandem ein Trost für dessen unerträgliche Gelassenheit sein?

Poseidon möge mir verzeihen, denn eigentlich hätte ich - unserem Ehrencodex gemäß - über dies alles schweigen müssen.
 

Andrea

Mitglied
Ich habe den Text jetzt sicherlich vier Mal gelesen, und ich finde ihn jedes Mal wunderschön. Es ist kein leichter, mal eben zur Unterhaltung zu überfliegender Text, sondern verwebt kunstvoll mit anspruchsvoller Sprache verschiedene Bilder miteinander. Wenn man sich darauf einlässt, ist er toll zu lesen.

Ein paar Kleinigkeiten sind mir dennoch aufgefallen; vielleicht findest du sie ja hilfreich:

[red]D[/red]ie Seekuh schweigt

Süßholz lispelnd kriecht Unbehagen in mein Genick, einer Assel gleich, die sich hinter beschädigten Fließen (Fliesen? Also die Kacheln z.B. im Bad?) herumquält. [blue][strike]Und[/strike][/blue] [blue]I[/blue]hr Krabbeln lässt mich Halt machen, um Halt zu finden, zwischen bedrohlichen Wellen. Niemals darf ich mich verlieren, auf unsicheres Terrain begeben, von nassen Winden treiben lassen. Eine Assel dagegen kann sich nicht verirren, findet sich überall zurecht. Ich fände nicht mehr zurück in mein Muschelkörbchen, würde meine geliebten Glaskugeln nicht wieder erkennen, die sich rechtzeitig und dauerhaft an meine Kinderaugen [blue]hefteten[/blue], wo mich blubbernde Luftblasen Lieder singen ließen - im zeitlosen Meer der Unduldsamkeit. Ewige Furcht mich zu verlieren im Rhythmus von Gezeiten. Und was die Angst mir deutet, das trifft auch ein.

Ich bin ein[blue]e[/blue] Sammler[blue]in[/blue], [blue]die ihre[/blue] Chancen am liebsten in Gruppen einsaugt. Ohne festen Korallenboden und ohne tödliche[red]s[/red] Netz. Bin zu schwach, das Leben aufrecht durchzustehen und zu plump in meinen Absichten, die Welt sich mir anpassen zu lassen. Der Glaube daran ist nicht mehr wert als die Hoffnung, weil beides dasselbe zu sein scheint: Beides beschämende Notgroschen für eine von Kiemen durchsetzte Schuppengesellschaft, die Unterwasser-Kultur nur aus dem Wörterbuch kennt (Das Wörterbuch finde ich irgendwie unpassend; womöglich findest du ein nautischere Entsprechung?).

Aber ich kann mich an grün schimmernden Pflanzen nicht satt sehen, nicht satt essen. Tausendfache Schönheiten. Das macht nachdenklich. Alles auf Fortpflanzung ausgerichtet, ohne zu ahnen, in welche Verantwortung wir unsere Nachkommen stoßen. Die Langsamkeit ist mein Geheimnis und bedächtig sind selbst meine schnellsten Entschlüsse. Solange meine Gegner nicht erkennen, dass ich zwar Furcht erregend, aber ungefährlich bin, Tonnen schwer, aber leicht auszumachen, solange mir die dicke Haut nicht davon schwimmt, werde ich überleben, Weltenbummler bleiben. Es soll noch viel Neues geben - landeinwärts. Sollten wir irgendjemandem ein Trost für dessen unerträgliche Gelassenheit sein?

Poseidon möge mir verzeihen, denn eigentlich hätte ich - unserem Ehren[blue]k[/blue]odex gemäß - über dies alles schweigen müssen.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also

ich verstehe die geschichte so, dass sich ein tonnenschwerer weltenbummler im aquarium befindet und gar nicht weiß, dass er eingesperrt ist, aber anderen geschöpfen helfen möchte. kurios!
lg
 
F

Franziska Franke

Gast
Hallo Gazzo.
Nachdem ich einiger deiner Texte gelesen habe, ich mir aufgefallen, dass die Schlusszeile immer lautet „nachdem ich klar geworden war, dass…“
Ist dies deine Signatur oder gehört der Spruch jeweils zum Text, sozusagen als running gag? Falls ja, dann gefällt mir dies am besten bei der Seekuh. Es ist ein herrlich absurder Gedanke, dass ein Wesen, das sich so gut wie nicht bewegt, sondern nur treiben lässt, diesen Kommentar macht.
Viele Grüße Franziska Franke

P.S. der Spruch hat mich zu einem Limerick inspiriert
 
K

KaGeb

Gast
Toll! Anbei mal ein paar Vorschläge meinerseits (obwohl ich nicht sicher bin, ob der Text das braucht)

LG, KaGeb

P.S.: Wäre vielleicht "Kurzprosa" besser gewesen?


Süßholz lispelnd kriecht Unbehagen in mein Genick, einer Assel gleich, die sich hinter beschädigten Fließen herumquält.
Wieso "herumquält"? Es ist doch ihr Leben. Der ist egal, wo das stattfindet. Vielleicht: die hinter beschädigten Fliesen lebt.

Und ihr Krabbeln lässt mich Halt machen, um Halt zu finden, [strike]zwischen[/strike] (in) bedrohlichen Wellen. Niemals darf ich mich verlieren, auf unsicheres Terrain begeben, von nassen Winden treiben lassen. Eine Assel dagegen kann sich nicht verirren, findet sich überall zurecht. Ich fände nicht mehr zurück in mein Muschelkörbchen, würde meine geliebten Glaskugeln nicht wieder erkennen, die sich rechtzeitig und dauerhaft an meine Kinderaugen geheftet hatten (haben), wo mich blubbernde Luftblasen Lieder singen ließen - im zeitlosen Meer der Unduldsamkeit (erwünschter Duldsamkeit). Ewige Furcht(Komma) mich zu verlieren (Komma) im Rhythmus von Gezeiten. Und was die Angst mir deutet, das trifft auch ein.

Ich bin ein Sammler, der seine Chancen am liebsten in Gruppen einsaugt. Ohne festen Korallenboden und ohne tödlichem (tödliches) Netz. Bin zu schwach, das Leben aufrecht durchzustehen und zu plump in meinen Absichten, die Welt sich mir anpassen zu lassen. Der Glaube daran ist nicht mehr wert als die Hoffnung, weil beides dasselbe zu sein scheint: [strike]Beides[/strike] [blue]B[/blue]beschämende Notgroschen für eine von Kiemen durchsetzte Schuppengesellschaft, die Unterwasser-Kultur nur aus dem Wörterbuch kennt.

Aber ich kann mich an grün schimmernden Pflanzen nicht satt sehen, nicht satt essen. Tausendfache Schönheiten. Das macht nachdenklich. Alles auf Fortpflanzung ausgerichtet, ohne zu ahnen, in welche Verantwortung wir unsere Nachkommen stoßen. Die Langsamkeit ist mein Geheimnis und bedächtig sind selbst meine schnellsten Entschlüsse. Solange meine Gegner nicht erkennen, dass ich zwar Furcht erregend, aber ungefährlich bin, Tonnen schwer, aber leicht auszumachen, solange mir die dicke Haut nicht davon schwimmt, werde ich überleben, Weltenbummler bleiben. Es soll noch viel Neues geben - landeinwärts. Sollten wir irgendjemandem ein Trost für dessen unerträgliche Gelassenheit sein?

Poseidon möge mir verzeihen, denn eigentlich hätte ich - unserem Ehrencodex gemäß - über dies alles schweigen müssen.
 



 
Oben Unten