Die Zauberer - Der alte Brunnen

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Harald G.

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Manolds Gedanken wollten ihn necken, trieben fiesen Schabernack mit seinen Gefühlen. Wohl wissend, daß die hochgewachsenen Wesen, die sich Grauelfen nannten, nicht selber Hand angelegt hatten an seine Freunde, nicht einmal gewollt hatten, daß den Leuten der Gemeinschaft, die seine Heimat darstellte, etwas widerfuhr. Trotzdem hegte er tiefen Groll gegen die drei Blassen, die sich seit dem verlorenen Befreiungskampf im Dorf aufhielten.
Denn sie hatten sehr wohl Schuld auf sich geladen, als sie der wilden Meute aus Orks und Dunkelalben auftrugen, die Zauberer der Gemeinschaft zu entführen. Die Brutalität der einfachen Orks war weithin bekannt, nicht weniger die Härte und Durchtriebenheit der Alben aus dem dunklen Moor. Durch einen hinterhältigen Trick war das Meldesystem der Zauberer gestört worden, so daß die Bande, erst Mal ins Dorf gelangt, mit ihren Schwertern und Äxten leichtes Spiel gegen die unbewaffneten Bewohner gehabt hatte.
Nun lagen zwei seiner Freunde, drei Frauen und ein Zauberer in der kühlen Höhle aufgebahrt. Noch waren die Aufräumarbeiten im Dorf nicht so weit fortgeschritten, daß sie die Muße für eine Beisetzung gefunden hätten.
Manold schlenderte missmutig über den früher gerne zum Ausruhen benutzten Platz am Gemeinschaftshaus. Selbst die vier uralten immergrünen Weiden, deren im Bogen herabhängenden Äste gerne als Unterschlupf bei Regen genutzt worden waren, schienen an Kraft verloren zu haben. Die Blätter sahen ein wenig gelber aus, die Äste hingen ein Stückchen tiefer. Der Überfall hatte das Dorf hart getroffen, hatte das Gefühl der Sicherheit, daß stets aufkam, sobald man sich zwischen den Hütten aufgehalten hatte, wenn nicht zerstört, so doch stark beeinträchtigt.
Manold selber spürte es, wenn er durch eine Bewegung in den Augenwinkeln aufgeschreckt in den Himmel oder zu den nahen Bergen starrte.
Sein Meister Hongard hatte ihm aufgetragen, für die Erneuerung des Warnsystems aus magischen Kristallen, im Keller der Trankhütte einige Zutaten zu besorgen.
Dieser einfache Auftrag war insofern schon interessant, weil Manold bisher wenig mit der Kunst der Trankbereitung zu tun gehabt hatte. Diese mysteriöse Kunst würde er erst später lernen, wenn er innere Ruhe und Kraft gewonnen hätte, tat sein Meister immer rätselhaft, wenn er darauf zu sprechen kam.
Deshalb erwies sich diese Aufgabe als willkommene Abwechslung nach den Ereignissen der letzten Tage. Mit klopfendem Herzen betrat er die noch nicht wieder ganz hergestellte Hütte, das Dach war noch nicht ersetzt, und gelangte in einen geräumigen Vorraum. An der Wand links stand eine Sitzgruppe aus drei Bastsesseln und einem flachen Tisch. Geradeaus und rechts befanden sich Durchgänge zu weiteren Räumen, die normalerweise durch Türen versperrt waren. Die zur rechten Hand war nur angelehnt und den Worten Hongards zufolge befand sich der Zugang zum Kellerraum genau dort. Ohne zu zögern betrat er den nächsten Raum und fand sich plötzlich inmitten einer Zeremonie wieder.
Zwei Frauen waren mit verschiedenen zerstampften Kräutern und einem auf offener Flamme köchelnden Sud beschäftigt.
„Ich...“ begann er zaghaft, um sofort zu verstummen. Sie hatten sein Eintreten, wie es schien, nicht bemerkt, zu sehr konzentrierten sie sich auf den Trank. Als die dunkelhaarige, ältere Frau ihren Zauberstab über der Brühe schwenkte, färbte die sich augenblicklich blutrot.
Manold wäre gerne länger verweilt, um den Vorgang zu beobachten und zu lernen. Doch die eindringlichen Worte seines Meistern zeigten ihre Wirkung. Mit einem wehmütigen Blick auf die zweite Frau, in deren über die Schulter fallenden hellen Haaren ein blaues Band eingebunden war, verließ er die Küche. Die junge Meisteranwärterin und ihre Lehrerin schienen auch jetzt keine Notiz von ihm zu nehmen.
Die einzige andere Tür führte direkt zu den Treppen in den Keller. Unzählige dunkle Öffnungen führten vom Hauptgang, einem zwei Meter durchmessenden fast runden Tunnel, zu den Räumen und Grotten des Lagers.
Es roch muffig hier unten und es war bedeutend kühler zwischen den lehmigen Wänden. Er zog seinen Umhang fester um sich und suchte nach dem Eingang mit dem roten Kreis.
Als er so an den Öffnungen der verschiedenen Lagerräume entlang lief, glaubte er plötzlich, ein leises Wimmern zu hören. Er blieb stehen und lauschte, drehte seinen Kopf hastig in verschiedene Richtungen, um zu erkennen, woher das Klagen kam.
Ja, von dort, wo der Gang einen leichten Knick machte. Manold rannte los, blieb wieder stehen. Lauschte. Und weiter.
Kurz nachdem er an einer besonders großen Öffnung vorbeigerannt war, hatte er den Eindruck, daß die Stimme nicht mehr von vorne kam.
Das leise Wimmern klang jetzt mehr wie ein Hilferuf, viel drängender als vorher.
Er rannte zurück, erfüllt von panischer Angst. Was, wenn sie sich in großer Gefahr befand und er es nicht schaffte? Er zweifelte nicht mehr daran, dass es ein Mädchen war, die hier irgendwo stecken musste.
Wieder lief er an der großen Öffnung vorbei, und bemerkte entsetzt dass die Rufe sich in panische Schreie verwandelt hatten. Er würde zu spät kommen, wenn er sie nicht bald fand!
Sein Blut kochte vor Angst, als er beinahe erneut an der Grotte vorbeigerannt wäre. Mit einem halsbrecherischen Manöver bremste er seinen Lauf ab und sprang in den großen Raum. Staub wirbelte auf, als er schwer auf den Boden krachte. Hustend rappelte er sich auf und stand in totaller Finsternis.
Hastig nestelte er seinen Stab aus dem Innern seines Umhangs und rief:
„Erhelle dich, Grotte.“
Die an den Wänden montierten Kristalle erglühten in schwach grünem Licht und offenbarten das Innere der Grotte.
Neben den Fackeln an den Wänden hingen verschiedene alte Kriegsuntensilien, wie Schwerter, Äxte Schilde und Teile von Rüstungen. Doch das beeindruckenste war der Brunnen in der Mitte!
Bis auf Hüfthöhe bestand er lediglich aus Mauerwerk, doch darauf war eine Art Krone aus dunklem Vulkangestein gesetzt. Vier Bögen vereinigten sich über der Mitte der Öffnung in einer goldenen Kugel.
Manold trat an den Rand des Brunnens und blickte in das dunkle Loch. Die flehende Stimme der Frau kam von unten!
Was sollte er tun? War sie hinuntergefallen, als sie sich zu weit über die Öffnung gebeugt hatte? Fieberhaft dachte er nach. Kannte er einen Trick, mit dem er ihr helfen konnte? Einen Schwebezauber?
Die Aufregung und die Angst um die Frau hatte seine Gedanken in trägen Schlamm gebettet. „Los, Manold. Konzentriere dich!“, mahnte er sich selber.
Doch dann kamen ihm Zweifel. Der Brunnen wirkte sehr tief, die Stimme ziemlich schwach. Wer da hinunterfiel...
Und warum sollte die Gemeinschaft einen einfachen Brunnen im Keller aufbauen und sogar mit einer Krone versehen?
Er fühlte sich so hilflos, wie noch nie. Von unten herauf klangen die flehentlichen Rufe, lockten ihn zu schneller Hilfe. Doch was sollte er tun?
Der Schrei, der plötzlich einer Stichflamme gleich aus dem Brunnenschacht schoss, nahm ihm jede Wahl.
Das Jammern hörte abrupt auf.
Er musste da runter!
Seinen Fähigkeiten trauend sprang er auf den Rand des Brunnens, nahm seinen Stab fest in die Hand und stieß sich ab.
Ohne nachzudenken rief er:
„Falkenflug und Federkleid, es geschieht mir kein Leid.“

Manold fiel lange. Er regte sich nicht, um nicht durch eine unvorsichtige Bewegung an die Wände zu gelangen.
Und dann spürte er die Kraft. Wie ein nachgebendes Seil hielt ihn etwas fest, verlangsamte seinen Fall.
Und genau in dem Moment, als seine Füße sanft den Boden berührten, erlosch das Gefühl, von oben festgehalten zu werden.
Manold benötigte einen Moment, um sich zu sammeln, denn das Gefühl des Fallens hatte er noch nicht ganz abgeschüttelt. Hier unten war es stockdunkel, und der Versuch, mit einem Befehl vorhandene Kristalle zum Glühen zu bringen, verlief erfolglos.
Also musste er mit dem Licht, das sein eigener Stein hervorbrachte, auskommen. Er fingerte ihn aus einer Tasche seiner Kluft und sprach die Formel: “Erhelle meinen Weg!“
Das Glimmen des weißen Kristalls in seiner Hand erhellte gerade die nächsten zwei Meter, doch es reichte, um erkennen zu können, daß der Gang in zwei Richtungen verlief, die von oben betrachtet einem breiten V ähnelten.
Nichts wies ihn darauf hin, welcher der Richtige war. Kein Jammern mehr, kein einziges Geräusch.
Er schloss die Augen und konzentrierte sich, versuchte zu fühlen, wo die Rufe hergekommen waren, die er oben gehört hatte. Der Eindruck war nur schwach, doch er führte ihn in den rechten Gang. Rasch schritt er aus, er hatte bereits zu viel Zeit vergeudet. Nach nur wenigen Schritten spürte er, wie der Boden langsam anstieg. Es wurde immer anstrengender und kurz darauf kam er nicht mehr weiter. Der Boden hatte sich in eine Wand verwandelt, Der Gang in einen Schacht, der senkrecht nach oben führte.
Manold war verwundert. Wozu sollte eine solche Konstruktion gut sein? Und vor allem: wie kam er da hoch?
Er spürte, daß nur wenige Meter über ihm ein weiterer Raum existierte. Und da war eine Person. Hastig sah er sich um, schätze den Raum ab. Konnte er es wagen? Würde die Kraft seines Schwebezaubers ausreichen?
Bevor er kurz vor dem Ziel aufgeben würde, nahm er Anlauf und rannte auf den Schacht zu. Es war wie vor ein paar Tagen, als er geholfen hatte, seinen Meister zu befreien. Er wusste, was er tat, sprang im richtigen Moment ab, sprach den Zauber, der ihm Leichtigkeit verlieh und dann schwebte er schon in einer flachen Kammer.
Das Licht seines Kristalls schälte eine seltsame Szene aus dem Dunkel.
Manold vergaß, daß er immer noch über dem Abgrund schwebte. Er starrte mit offenem Mund auf die vergangene Schönheit, die leblos auf einem Strohlager ruhte. Weiße Haut spannte sich über ein anmutiges edles Gesicht. Wenige Fetzen eines ehemals bezaubernden Kleides bedeckte die Blöße der schlanken Frau.
Erst als seine Konzentration den Zauber kaum mehr aufrechthielt und er bereits zu sinken begonnen hatte, riss er sich zusammen und sprang auf den sicheren Boden.
Dabei strauchelte er und geriet mit dem Fuß an das Lager.
Ein kaum merklicher Ruck ging durch den Raum und ein sehr unangenehmes Knistern, daß ihn schütteln ließ, erfüllte die Kammer.
Als er die Tote genauer betrachten wollte, erschrak er heftig. Ihre Haut war mit einem Mal brüchig, sah aus wie uraltes Pergament. Was war hier los? Herrschte ein unbekannter Zauber an diesem Ort?
Er ahnte, daß es mit seinem Fehltritt zu tun hatte, und schalt sich deshalb einen Tölpel.
Mit Wehmut und Grauen betrachtete er das nun sehr alt wirkende Gesicht. Wer war sie? Was hatte sie hier unten verloren gehabt? Die Fragen hemmten sein Denken.
Und dann, ganz langsam, öffnete sie die Augen. Ihre Lider hoben sich und glasklare, starre Augen blickten ihn angstvoll an.
Manold sprang vor Schreck an die Decke und schrie auf. Der Schmerz peitschte bis in seine Beine. Er taumelte mit zusammengekniffenen Zähnen zum Rand des Schachtes. Bevor er es verhindern konnte, fiel er in die Tiefe.
Komischerweise hatte er nicht des Gefühl zu fallen. Etwas hielt die Zeit an und eine sanfte Stimme sprach zu ihm:
„Edler Krieger, so viele vor Dir sind schon zu spät zu meiner Hilfe geeilt. Konnten sie doch nicht verhindern, was niemals hätte geschehen dürfen.“ Wehmut gesellte sich zum Klang der Worte.
„Dem einen, dem ich verfallen war, gönnte einst ein wilder Herrscher nicht die Freude. Immer wieder schickte er ihn in immer sinnlosere Schlachten zum Wohle des Reiches Hamaansuun. Mein Herz wurde schwerer und trauriger, und eben jener Herrscher hoffte, daß ich der Einsamkeit erlag und sein Sprößling in meiner Gunst dadurch stieg.“
Manold war von der Geschichte verzaubert, ein Lächeln mischte sich in seine ansonsten entsetzten Züge.
„Anfangs, so gebe ich zu, gelang es ihm, mir einen Teil meiner Trauer zu nehmen, indem er mich zum Lachen brachte. Dann gelang es ihm, mir einen Teil meiner Sehnsucht zu nehmen, indem er nett zu mir war.“
„Doch seine ganzen Mühen zerstoben, als er nur ein einziges Mal unvorsichtigerweise den Namen meines Helden aussprach.“
Die ruhige Stimme der Erzählerin wurde leiser, entfernte sich. Die Welt schnappte zurück und Manold fiel.
Er kam wieder zu Bewusstsein als ihn zwei starke Hände ergriffen und halfen, ihn aus dem Brunnen zu ziehen.
Er sah überall besorgte Gesichter, sogar die der verhassten Grauelfen, doch nirgends das seines Meisters Hongard.
„Alles klar bei Dir?“ fragte Gunnert, der Zepterschmied, als er sich über ihn beugte.
Manold wusste es nicht, doch er spürte keine Schmerzen. Nur sein Kopf pochte. Er sah in das breite Gesicht und nickte. „Was suchst Du auch dieses alte Loch auf. Es hat schon einige Unvorsichtige verschlungen. Kannst froh sein, daß dich die Anwärterin vermisst hat!“
Die junge Frau hatte ihn vermisst? Seine Überraschung musste komisch anzusehen sein, denn auf einmal lachten Alle auf. Es war ihm peinlich und er ließ sich von Gunnert aufhelfen, um so schnell es geht die Katakomben zu verlassen.
Oben hastete er durch die Tür zur Küche und rannte beinahe seine Retterin über den Haufen.
„Oh, hallo junger Schole. Wie ich sehe, seid Ihr wohl-auf?“ Ihr Gesicht war so nah, der Duft ihres Haares verwirrte ihn. Plötzlich sah er die Frau, die Prinzessin vor sich. Die einsam auf dem Strohlager ...
Er stotterte irgendetwas von Übelkeit und rannte ins Freie. Er wusste, daß sie das nicht verdient hatte. Doch im Moment fühlte er sich nur noch hilflos. Er musste zu sich kommen, darüber nachdenken, was er gesehen hatte.
Vielleicht konnte er der Anwärterin, deren Namen er nicht einmal kannte, später alles erklären.
Die Abendluft fühlte sich gut an, er merkte, wie die Hitze seiner Aufregung sich legte. Am Rande des Zentralplatzes blieb er schwer atmend stehen und blickte in den Himmel, dessen tausende Lichtpunkte auch keine Antwort wussten.
„Wie weit ist sie gekommen mit der Erzählung?“
Er hatte zuviel mitgemacht heute, als das die Stimme Hongards ihn großartig hätte erschrecken können.
Er drehte sich um und erblickte den alten Mann zwischen den alten Weiden. Seit dem Überfall ließ er das dunkelgraue Haar ungebunden über die Schulter fallen. Dadurch wirkte er weniger beeindruckend, denn die drei Zöpfe hatten ihn junger und kräftiger aussehen lassen. Nur seine Hakennase ragte immer noch einen starken Willen repräsentierend hervor. Er ging die wenigen Schritte zu den alten Bäumen.
„Die Prinzessin? Ihr wisst?“
Er fand nicht mehr die Kraft, seine Fragen in bessere Worte zu kleiden. Wie es schien, war sein Meister gnädig, denn er verzichtete auf die üblichen Ermahnungen.
„Ja, wie weit ist sie mit ihrer Geschichte gekommen, Manold?“
Schien Hongard nicht wissen zu wollen, wie es ihm ging? Ob er sich bei dem Sturz verletzt hätte?
„Mein junger Schüler, ich sah dich aus dem Hause laufen. Was soll ich da denken?“
Die Scham, auch nur gedacht zu haben, sein Wohlergehen wäre ihm egal, ließ ihn erröten. Sie unterband sogar die Frage, woher sein Meister so genau wusste, was er dachte. Hatte er sich so wenig unter Kontrolle, daß er die Gefühle und Gedanken auf seinem Gesicht spazieren trug?
Obwohl es wichtig war, darüber Klarheit zu besitzen, verdrängte er alles. Außer die Erinnerung an das Erlebte.
„Wer war sie?“
Das verkniffene Lächeln des Grauhaarigen bewies, daß auch ihn Ungeduld plagte. Die Antwort auf seine Frage schien von großem Interesse zu sein. Doch ruhig gab er Auskunft:
„Sumaana lebte vor mehr als dreihundert Sonnenläufen genau hier, über dem Dorf, an den Hängen des Gebirges. Ihr Vater herrschte über die Senkrechte Stadt und gebot über diesen Teil des alten Reiches.“
Dreihundert Jahre lag sie schon da unten? Er konnte es nicht fassen.
„Du hast nun einen wichtigen Teil der Geschichte erfahren. Die Sage berichtet, daß an dem Tag, als sie verschwand, ihr Verehrter in der schlimmsten Schlacht des letzten Krieges fiel. Durchbohrt von einem verhexten Speer.“
Manold erschauerte. Die schöne Prinzessin. Sie war vor dem Sprössling des Königs geflohen, dorthin in die Höhle. Aber sie hätte doch, wenn schon flüchten wollen, nicht gleich ihr Leben beenden müssen?
Er sammelte etwas Spucke, denn sein Mund war ausgetrocknet. Er erzählte alles, an das er sich erinnern konnte und endete mit den Worten:
„Der Königssohn hätte es fast geschafft. Erst als er den Namen des Helden erwähnte, war sein Zauber gebrochen...“
„Den Namen des Helden erwähnte?“, echote Hongard.
„Das hat sie gesagt?“
Ein wenig überrascht über die Heftigkeit, mit der sein Meister auf seine Worte reagierte, nickte er bloß.
„Du hast mehr erfahren, als alle, die bisher ihre Bekanntschaft gemacht haben.“
Und mit einem resignierenden Schulterzucken fügte Hongard hinzu: „Einschließlich mir.“
Als er erfuhr, daß Annfree, die Anwärterin, bisher die einzige gewesen war, die die Geschichte vom wilden Herrscher gehört hatte, der ihren Liebsten ständig in neue Schlachten geschickt hatte, hüpfte ihm das Herz. „Warum sie keinen Ausweg mehr sah, hat sie also nicht mehr gesagt?“
„Ja, Meister.“ Danach konnte er sich an nichts mehr erinnern, bis sie ihn aus dem Brunnen gezogen hatten.
Sein Meister murmelte einige unverständliche Worte vor sich hin, die klangen, als würde er eine Beschwörung vorbereiten.
Plötzlich hielt er inne, sah Manold an und fragte:
„Ach ja, ich hatte dich wegen der Zutaten geschickt. Hast du sie dabei?“
Völlig überrumpelt von der Frage griff Manold in seine Umhangtasche und fühlte zwei Steine und etwas wie - Heu?
„Du musst wissen, mein Schüler, das magische Kraftwort, das wir für unsere Warnkristalle verwenden, lautet ‚Landred‘. Und wir vermuten seit Jahrzehnten, daß das der Name ihres Verehrers ist. Denn nur mit den Zutaten aus diesem Brunnen können wir den Zauber ausführen.“
Aber er hatte doch nach der Grotte mit dem roten Kreis suchen sollen, warf Manold ein.
„Sie zeigt sich nur denen, die sie nicht suchen.“
Manold begann zu verstehen. Hongard legte den Arm um seine Schulter und führte ihn von den Weiden weg.
„Die Erwähnung Landreds hatte sie damals aufmerksam gemacht, wie es schien. Doch sie muss dabei noch etwas entdeckt haben. Warum sonst ist sie nicht einfach geflohen, hat sich vielmehr unauffindbar versteckt?“
„Ich vermute, daß diese Kraft des Entdeckens, einer Verschwörung oder eines Attentats, in den Dingen wohnt, die Besucher wie du nach dem Treffen bei sich tragen.“
Manold schwirrte der Kopf.
„Das heißt, wenn ich jetzt hinunter ginge...“
„...würdest du dort nichts als die Grotte finden. Jeder sieht sie nur einmal im Leben.“
Sie schlenderten über den lehmigen Weg zum kleinen Wirtshaus der Gemeinschaft. Während sein Meister mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht neben ihm her lief, wusste Manold nicht, ob er heute Nacht Schlaf finden würde.
 



 
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