Die Zugreise

Feder

Mitglied
Auf der Fahrt ins Morgen
wechseln die Perspektiven
ich schaue aus der Lok,
sehe geradeaus,
ohne rechts und links zu vergessen.

Erwartungen, Möglichkeiten,
Chancen und Hoffnungen
zeigen sich ebenso wie Befürchtungen.
Doch ich lenke den Zug,
dies gibt Sicherheit.

Wo ich anhalte, weiß ich noch nicht.
Als ich den Zug auswählte,
wollte ich einen Intercity.
Er steuert die wichtigen Stationen an,
lässt unwesentliche liegen.

Jemand zog die Notbremse,
als ich in den Zielbahnhof einfahren wollte,
konnte nicht verstehen,
wieso ich einlenkte,
so plötzlich, so schnell.

Es hatte einen Unfall gegeben
und ich wollte nur das Opfer bergen,
welches Zuflucht suchte:
die Liebe.

Nun brauche ich Zeit.

Die Gestalt der Liebe stoppte den Zug,
der mein Lebenslauf ist.
Ich nahm sie auf,
denn, als sie so verletzt war wie ich,
empfanden wir das Gleiche,
sprachen die gleiche Sprache.

Hab ich sie überfahren?
Hab ich sie verletzt?
Das wollte ich nicht!
Ich brauche sie doch!

Die Gestalt der Liebe schaut mir zu,
während ich weiterfahre.
Doch sie wendet den Blick von mir.
Keine Besuche.
Keine gemeinsame Sprache.
Kein gemeinsames Ziel?

Ich spüre Reue.
Nicht, weil ich sie getroffen habe.
Nicht, weil ich sie vermisse.
Ich weiß um sie
als Passagier
in diesem Zug
der so langsam fährt,
dass er fast steht
Und sie: sitzt hinter mir.

Ich will mich umdrehen dürfen!
Auf dem Weg ins Morgen
brauche ich sie an meiner Seite.

Der Zielbahnhof heißt
WIEDERERKENNEN
Und ihn prägen
frohe Erwartung,
alle Möglichkeiten,
erreichbare Chancen und Hoffnungen.

Die Befürchtungen
zeigten sich nur auf der Strecke
die hinter mir liegt.
 

Sensiro

Mitglied
Hallo, Feder! Schönes Gedicht, traurig und doch hoffnugsvoll.

So oft gesehen. So oft nicht verstanden.
Warum stellen so viele Menschen die Liebe zurück? Aus Angst vor dem Schmerz. Schmerzen sind mindestens eben so wunderbar wie Freuden. Sind sie nicht die Lehrmeister, die uns die Freude schätzen lassen?
Reue ist bei verweigertem Schmerz durchaus berechtigt.

Da fällt mir mir im übrigen ein schönes Zitat von Samuel Becket ein:
"Ever tried, ever failed, no matter.
Try again, fail again, fail better."

Vielleicht bin ich ja nun auch auf den falschen Zug aufgesprungen :)
Gruß!
Sensiro
 

Feder

Mitglied
Du bist auf dem falschen Zug.
Nicht aus Angst vor dem Schmerz wurde verweigert sondern aus der Möglichkeit heraus, Liebe zu empfinden, während sie entzogen wird. Die Angst liegt auf der anderen Seite. Ich war der Übeltäter und wurde falsch oder gar nicht verstanden.

Gruß,
Feder
 

Sensiro

Mitglied
Hmmm, vielleicht nehme ich mir doch mal lieber noch etwas mehr Zeit um das zu verstehen. Meine Geistesblitze kommen ja wohl eher gegen Mitternacht :)

Bis denne!
Sensiro
 

moloe

Mitglied
die lange zugreise...

hallo feder,

diese zugfahrt ist schön, bewegend, aufregent und hoffnungs-
voll, doch zumindest auch ein wenig lang... >>> letzteres
ist keine kritik, sondern nur eine feststellung, denn nur
der inhalt zählt letztendlich...

all goodness

mfg

manfred loell
>moloe<
 



 
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