Die falsche Entscheidung

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Raniero

Textablader
Die falsche Entscheidung

Mit vierunddreißig Jahren legte sich Carsten Bugdoll einen so genannten Treppenlift zu.
Eigentlich brauchte er einen solchen Lift gar nicht; war er doch noch jung an Jahren, nicht unsportlich, darüber hinaus verfügte er gar nicht über eine Treppe in seiner ebenerdig gelegenen Wohnung.
Doch nach dem Motto, was man hat, das braucht man später nicht mehr zu erwerben, oder weil ihm die glückstrahlenden Gesichter der älteren Herrschaften beiderlei Geschlechts so gefielen, die da auf den schönen farbigen Bildern des Werbeprospektes die Treppen hinauf -und hinunterfuhren, entschied er sich ohne lange Überlegung zu dieser Anschaffung.
Die Entscheidung von Carsten wurde darüber hinaus durch einen weiteren, günstigen Aspekt beeinflusst; er lebte allein, als Junggeselle, hatte somit keine Frau an seiner Seite, die ihm hierbei hereinreden konnte und vielleicht gar den Kauf des Treppenlifts torpediert hätte.
Frauen nämlich, davon war er als Junggeselle überzeugt, ticken einfach anders, sehen unvermutet irgendwelche Hindernisse und können sich selten spontan zu etwas entschließen.

Als der Treppenlift geliefert wurde, setzten die Handwerker, die ihn montieren wollten, sorgenvolle Mienen auf.
'Warum, zum Teufel', war ihren Gesichtern abzulesen, 'bestellt sich jemand einen Treppenlift für eine Wohnung ohne Treppe?'
Carsten bemerkte dies sofort und nahm ihnen alle Sorgen ab.
„Lassen Sie mal, ich mache das schon selbst. Sie müssen wissen, ich bin zwar kein Fachmann wie Sie, doch technisch begabt bin ich wohl doch, ohne Frage.“
'Ohne Frage', sagten sich auch die Monteure und stellten daher vorsichtshalber auch keine solche mehr, stattdessen verließen sie mit gemischten Gefühlen, fast fluchtartig, das Haus, sich kurz noch einmal umsehend ob nicht doch irgendwo eine Treppe versteckt sein könnte.
Carsten Bugdoll aber betrachtete längere Zeit seine neue technische Errungenschaft; wohl oder übel sah er ein, dass es doch einen recht merkwürdigen Eindruck machte, so ein Treppenlift, so ganz ohne Funktion, mangels Treppe.
Auch konnte er sich nicht des Gefühls erwehren, als blicke dieser leblose Lift ihn an, als wolle er ihm etwas Wichtiges mitteilen.
Da diese Mitteilung jedoch ausblieb und Carsten auch auf keine andere Weise mit dem Lift in Kommunikation treten konnte, entschied er sich schweren Herzens, den Treppenlift erst einmal umzubauen, dass heißt, die Vertikalfunktion des Gerätes in das Gegenteil, die Horizontalfunktion umzurüsten.
Als geschickter Handwerker verstand Carsten etwas davon, und nachdem er damit fertig war, verlegte er Schienen in der gesamten Wohnung, auf denen der Lift nun bewegt werden konnte, wie eine überdimensionale elektrische Eisenbahn.
Carsten war mit seinem Werk sehr zufrieden.
Nun konnte er quasi jeden Winkel seiner Wohnung mit dem Lift erreichen, was sich als äußerst komfortabel erwies vor allem nach übermäßigem Alkoholgenuss, und Carsten machte von nun an eifrig Gebrauch davon.
Obwohl oder eben weil Carsten Bugdoll Junggeselle war, vernachlässigte er nicht den Kontakt zu weiblichen Wesen seiner Altersgruppe, im Gegenteil, er pflegte er häufigen Umgang mit ihnen, aber sein Unterbewusstsein riet ihm ab, die Frauen mit in seine Wohnung zu nehmen, vielleicht hatte die eine oder andere doch an seinem schönen Treppenlift, der nun keiner mehr war, etwas auszusetzen.
Irgendwann aber lernte er die Eine kennen, von der man landläufig sagt, die oder keine, und eines Tages, nach längerem Zögern, schleppte Carsten sie mit nach hause.
Zuvor hatten sie einen gemütlichen Abend verbracht, in einem erstklassigen Restaurant, und als es danach wieder mal hieß, zu mir oder zu dir, bestand die Neue darauf, endlich mal Carstens Wohnung kennen zu lernen.
Man könnte glauben, du hast eine Leiche im Keller, hatte sie ihm schon des Öfteren scherzhaft gedroht.
Doch Carsten hatte gar keinen Keller, und was noch schlimmer war, nicht einmal eine Kellertreppe, daheim, und als seine neue Freundin das gewahr wurde und sich stattdessen mit einer riesigen elektrischen Eisenbahn konfrontiert sah, die durch die ganze Bude fuhr, da verließ sie auf dem Absatz die Wohnung und ward nie mehr gesehen, sooft Carsten ihr auch telefonisch hinterher weinte.
Doch wie es so zugeht, auf diesem Erdenrund, man sollte niemals nie sagen, und nach dem Grundsatz, jedes Töpfchen findet sein Deckelchen, fand auch Carsten irgendwann doch noch seine Frau für's Leben.
Eine Frau namens Marita, mit enormem Humor, den brauchte sie wohl auch, für seine außergewöhnliche Marotte, doch sie nahm diese sogar von der positiven Seite, indem sie mit der Eisenbahn staubsaugend durch die ganze Wohnung fuhr.

Eines Tages aber stellten Carsten und Marita fest, dass sie alt geworden waren; die Tatsache an sich war nicht so außergewöhnlich, denn dieses Los teilten sie mit vielen. Doch zeitgleich mit diesem Altwerden standen sie vor dem Problem, sich eine neue Wohnung suchen zu müssen, da der Vermieter auf Eigenbedarf drängte. An ein Altersheim oder auch nur eine altersgerechte Wohnung verschwendeten sie keinen Gedanken, denn so alt fühlten sie sich nun auch nicht.

Nach nicht allzu langem Suchen fanden sie eine neue Bleibe, eine schöne kleine Wohnung über zwei Etagen, in einem Viertel, das ihnen sehr zusagte. Um nicht wieder vor der Situation zu stehen, auch diese wegen Eigenbedarfs einmal verlassen zu müssen, kratzen sie ihre Ersparnisse zusammen und kauften die Wohnung.
Jubelnd zogen sie ein, und es gelang Carsten sogar, seine Marita über die Schwelle zu tragen.
Sodann begab er sich ans Werk, der betagte Handwerker, seinem Treppenlift die alte, dafür bestimmte Funktion wiederzugeben, doch der Lift wollte nicht mehr so recht. Was Carsten auch mit ihm anstellte, er ließ sich nicht mehr umbauen und zum guten Schluss selbst nicht einmal mehr als Eisenbahn nutzen.
Einen neuen Treppenlift konnten sie sich nicht leisten, die Ersparnisse waren verbraucht, und nun trägt der achtundachtzigjährige Carsten schon seit fünfzehn Jahren seine zwei Jahre jüngere Gemahlin die Treppe rauf und runter; ein Ende ist nicht abzusehen, und manchmal fragt Carsten sich allen Ernstes, ob er vielleicht damals wohl die falsche Entscheidung getroffen hat.
 



 
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