Domplatte im Winter

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haljam

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Um viertel nach neun traf mein Zug in Köln ein. Ich verließ den Hauptbahnhof durch den Haupteingang, trat auf den Vorplatz des Bahnhofs hinaus.

Es war schockierend, zutiefst schockierend. Ein kalter Tag Anfang Februar. Mit voller Wucht blies mir der eisige Wind ins Gesicht.

Der junge Mann stand auf dem Absatz der breiten Treppe, die zur Domplatte hinaufführt. Stand da und hielt diese Zeitung hin, "QUERKOPF FEBRUAR 2004", "Arbeits-Obdachlosen-Selbsthilfe-Mitmachzeitung - Überregional-Kritisch".

Eigentlich war ich schon vorbeigegangen, doch dann besann ich mich anders, ging noch einmal zurück und bat ihn um ein Exemplar dieser Zeitung. Da fiel mir auf, wie sehr er zitterte und weinte, völlig hemmungslos, völlig verzweifelt, vielleicht wegen der Kälte, vielleicht vor lauter Angst.

Er weinte auch dann noch, als er mir die Zeitung aushändigte, als ich ihm viel mehr Geld gab, als diese Zeitung kostete, eine zusätzliche Spende.

Er war so verzweifelt. Vielleicht war ihm klar geworden, in was für eine Situation er da hineingerutscht war. In was für eine ausweglose Situation. Wo waren seine Eltern? Sie konnten ihm nicht helfen. Er war schon viel zu weit von ihnen entfernt, viel zu weit weg....

Diese brutale Kälte - es war so entsetzlich. Aber ich musste dringend weiter...
 

anemone

Mitglied
hallo haljam,

dringend weiter, das ist es!
Vielleicht zu einer Frau, die auf dich wartet,
weil du dich mit ihr verabredet hast.
Alles ist wichtiger, als das hier.
Dieser Mensch mit seinen Problemen.
Was geht das mich an?

Gut rübergebracht.
lG
 

jane-schubat

Mitglied
Hallo haljam,

Hallo haljam,
Deine Geschichte hat mich bewegt, v.a. die Emotionalität Deiner Zeilen. Die Situation beeindruckt. Ich wünschte mir, von Dir etwas über das Schicksal eines solchen Obdachlosen (Ursachen, Begleitumstände ...) zu lesen.

Grüsse jane
 

Andrea

Mitglied
5 von 10 Punkten

Der Text haut mich nicht gerade vom Hocker; er ist mir viel zu interpretierend, zu allwissend für einen Text mit Ich-Erzähler. Ich zeige mal an drei Stellen, was ich damit meine:

"Es war schockierend, zutiefst schockierend. Ein kalter Tag Anfang Februar. Mit voller Wucht blies mir der eisige Wind ins Gesicht."

Was genau ist hier schockierend? Wenn du damit nur die Witterungsumstände meinst, ist es das falsche Wort. Aber ich denke, du meinst damit die Situation, die du einige Zeilen später beschreibst. Hier stimmst du deinen Leser also schon dafür ein, wie er die nächste Szene aufnehmen soll. Halte ich für eher ungeschickt. Du könntest mehr erreichen, wenn du dich mit dem Urteil zurückhältst und den Leser durch deine Schilderung zwingst, genau dieses Gefühl zu bekommen.


"Da fiel mir auf, wie sehr er zitterte und weinte, völlig hemmungslos, völlig verzweifelt, vielleicht wegen der Kälte, vielleicht vor lauter Angst."
Du beginnst mit der Beobachtung deines Ichs, doch dann macht sich dein Ich gleich Gedanken über die Beweggründe für die Tränen; das alles ist aber im selben Satz verpackt, so daß Beobachtung und Interpretation miteinander vermischt werden. Mach vor den vielleichts einen Punkt oder formuliere es mit ob oder mach sonst irgend etwas, damit der Leser merkt: hier macht sich der Ich-Erzähler Gedanken.


"Er war so verzweifelt. Vielleicht war ihm klar geworden, in was für eine Situation er da hineingerutscht war. In was für eine ausweglose Situation. Wo waren seine Eltern? Sie konnten ihm nicht helfen. Er war schon viel zu weit von ihnen entfernt, viel zu weit weg...."
Du hast einen Ich-Erzähler. Und plötzlich wird er auktorial und kennt die Vergangenheit seines Gegenübers. Das paßt einfach nicht. Ich würde vorschlagen, daß du eine andere Erzählperspektive versuchst, weg vom Ich kommst. Das scheint mir das Hauptproblem zu sein.
 



 
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