Dr. Macke - Grabreden - Folge 16

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Dr. Macke

Berta und die Blagen peilten mich seit Tagen so komisch vonne Seite an. Die dachten bestimmt, der Alte hat einen anne Waffel, der iss wirklich n Fall für son Neurochirurgen.
Mein Sohn Niklas, immer schön vorneweg mit der großen Schnauze, meinte dieser Tage: „Hömma, Papa, wenne bald inne Klapsmühle kommz, kann ich dann an deinem Schreibtisch Schularbeiten machen? Der Maxi wollte dat auch schon fragen, hat sich aber nich getraut.“
Ich beschwerte mich bei Berta über die frechen Blagen und verlangte, dat se die Bengels über dat Krankheitsbild „Arbeitsstress“ umfassend aufzuklären hätte.

Ich hatte übrigens schwer Massel, denn die Wissenschaft hatte diese nervenbedingte Lendenschwäche erst vor zwei Monaten für die Pillenindustrie erfunden.
Seit zwei Wochen nahm ich keine Bestattungen mehr an. Sollten se doch zusehen, wie se ihre lieben Ausgeschiedenen unter die Erde kriegten. Meine Gesundheit war jetz wichtiger, und außerdem war ich noch stinksauer auf dat schrappige Finanzamt. Dat fehlte noch, dat ich dat gute Predigerhonorar versteuern sollte. Nich mit Willi Püttmann.

Die Toten rannten uns die Türen ein, ich meine, deren Angehörige. Ich sachte allen: „Hörn Se ma, wenn Se dat hinkriegen, dat ich dat Trinkgeld für die Grabreden nich versteuern muss, bin ich wieder dabei.“
Ja, da konnten Se ma kucken, wat da plötzlich allet inne Gänge kam.
Von unzähligen Leuten wurden Bittschriften anne Volksverdummer geschickt. Nix zu machen! Jede Menge Unterschriftensammlungen gingen auch an den geldgierigen Finanzminister. Et half allet nix.
Die Republik wollte unbedingt wat von meine Predigeralmosen abhaben.
Irgendwie hatte ich den Eindruck, dat die Verwaltungs-Halunken mir nich trauten. Bei so viel Misstrauen gegen einen armen Stützeempfänger konnten die da oben doch wirklich nich annehmen, dat man n ehrlichen Staatsbürger würde!

Der verdammte Ärger mit die schrappigen Lumpen machte mich total fertig. Berta hatte nach einem Monat Liebesentzug die Nase voll und vereinbarte n Termin beim Neuroheini Dr. Ottokar Macke.
Der Kerl war für sieben Wochen ausgebucht, als er aber „Willi Püttmann“ hörte, rückte er sofort mit nem Termin raus. Lebten denn hier nur verkorkste Typen, dat die Brüder son Zulauf hatten?
Ich musste mich verdammt schwer überwinden, auf diesen Seelentünnes-Termin einzugehen.

Um 8.20 Uhr saß ich bei Dr. Macke in som düsteren Wartezimmer. Da hockten bereits zwei Patienten. Der eine zuckte wie bekloppt mit die Augen. Ich fragte ihn: „Hömma, hasse Zucker, weile immer so mit deine Augen zucken tus?“
Der Arsch gab mir keine Antwort, also nahm ich mir den zweiten Kerl vor, der ständig anne Fingernägel kauen tat. „Ey, Kumpel, sach ma, bisse wegen Kalkmangel inne Birne hier oder wat? Ich kann da ja nich mehr hinkucken, dat sieht ja echt schweinisch aus, also nimm die Griffel aussem Hals.“
Der Blödmann fing an zu flennen, als hätte man ihm den Schnulli aussem Hals gerissen.

Ich wurde nach einer knappen Stunde von som komischen Schlaffi in dat Behandlungszimmer gebeten. Sagte ich Behandlungszimmer?
Der Raum wirkte auf mich eher wie ne Leichenhalle und war ebenfalls abgedunkelt. Anne Wände hingen schwatte Tapeten, inne Ecke stand n Skelett, dat hatte nen Cowboyhut auffen Kappes. Auf dem Ebenholzschreibtisch stand n Totenschädel mit ner brennenden Kerze inne Hirnschale.

Ich dachte: Willi, wo bisse denn hier gelandet? Die Bude sieht ja abartiger aus als dat Gruselkabinett von Dr. Frankenstein. Hier stimmt wat nich, wat hat dir die Berta da für ne Geisterpraxis empfohlen! Hier kommze wahrscheinlich nich mehr lebend raus.

Der Doktor war so Mitte vierzig, war son kleinen Furzknoten, hatte rote Sauerkrauthaare und Gesichtszüge wie son Weichei. Er trug n schwatten Pullover und ne durchlöcherte, ausgefranste Jeans. Er schritt in Socken wie son Storch im Salat im Behandlungsraum auf und ab. Der Mann stellte sich flüsternd vor: „Dr. Macke.“
Ich dachte: Irgendwie passt der Name wie Arsch auf Eimer.
Er reichte mir die Hand, brrr …, die fühlte sich an wie die Hand vonne Leiche, eiskalt und schlaff, kein bissken Kraft war da drin. Ich drückte ihm wie ein Mann mit einem kräftigen „Glück auf “ die Flossen, da schrie der Schmachtlappes auf wie ein weidwundet Tier.
Die Sprechstundenhilfe, ne graue Gewitterhexe, stürzte in den Raum und sah, wie sich der Doktor vor Schmerzen krümmen tat. Ich sachte für den schäbigen Drachen: „Ich hab deinem Chef nur ma zur Begrüßung die Hand gedrückt, et iss weiter nix, verzieh dich wieder in dein Kabuff.“
Dr. Macke stelzte noch zweimal durch den Raum, peilte mich wie son Bescheuerter vonne Seite an, setzte sich mit einem lauten Rülpser auf den Schreibtisch und sachte kein Wort. Er hob bedächtig den rechten Arm zum Kopp, und wat glauben Sie, wat dieser Blödmann machte? Der bohrte sich mit dem Zeigefinger ganz genüsslich inne Nase rum. Dabei beobachtete mich dat Ferkel.
So ein Schwein, dachte ich, der will mich verarschen. Mir platzte der Kragen:
„Ey, Doktor, wenn Se auf Kohle stoßen, sagen Se einfach ‚Glück auf ’.“
Der Sack grinste, sachte aber immer noch nix. Dann kratzte er sich inne Leistengegend und peilte mich wieder so dösig an.
So ein komischer Vogel wollte mich heilen? Der bescheuerte Fürzepüppel war selbst krank, der war schwerstkrank, der gehörte inne geschlossene Anstalt nach Aplerbeck. Der kratzte sich nach fünf Minuten immer noch, nur noch etwat heftiger.

Ich war dat Spielchen kotzeleid: „Doktor, ich kenn für Ihre Mitbewohner nen guten Hautarzt, der hat mir auch schon ma bei Filzläusen geholfen, den Dr. Krätze inne Bahnhofstraße, der hilft Ihnen bestimmt. Wenn Se mit der verdammten Juckerei fertig sind, können Se dann endlich mit der Behandlung beginnen, sonst hau ich ab.“
Er griente mich wieder wie n Behämmerter an und fing an, seine Fingernägel zu reinigen. Einen nach dem anderen. Ich war drauf und dran, dem eine in die blöde Visage zu hauen. Da flüsterte er: „Herr Püttmann, wir sind längst mitten in der Behandlung, Sie haben das nur nicht bemerkt. Sie regen sich über so Kleinigkeiten wie Nasenbohren und Kratzen auf. Das war nur ein Test. Ihre heftigen Reaktionen verraten mir, dass Sie ein Berufscholeriker, hochgradig nervös und sensibel sind. Und was das Schlimmste ist: Sie sind dadurch erheblich suizidgefährdet.“
„Suizi … wat? Also, Doktor, bitte keine Sauereien. Sprechen Se Klartext mit mir, und zwar in Hochdeutsch, wenn ich bitten darf!“
„Herr Püttmann, Sie benötigen zur Heilung zwanzig Stunden autogenes Training, dann sind Sie wieder die Ruhe selbst, und Ihre schwerwiegenden ehelichen Probleme sind gelöst. Vertrauen Sie mir.“

Schon zu Beginn der ersten Behandlung pennte ich bei die Lektion Bauchatmung auffe Pritsche ein und schnarchte wohl so laut, dat mich der Arzt wecken musste, weil sich die Patienten im Wartezimmer über die abartigen Geräusche beschwerten.
So ging dat bis zur achten Behandlung, dat Wartezimmer wurde an meinen Behandlungstagen immer leerer. Der Doktor war schon nach der achten Sitzung mit mir so zufrieden, dat er von weiteren autogenen Trainingsrunden Abstand nahm.
Er reichte mir zum Abschied seine labbrige Flosse, ausgerechnet die mit dem Bohrfinger, ich zog meine Hand im letzten Moment zurück.
„Alles Gute, Herr Püttmann.“ Dann stolzierte er wieder nasebohrend zum nächsten Patienten.

Leute, ich war durch dat autogenetische Training tatsächlich geheilt und fühlte mich wie neugeboren. Die Behandlung bei dem Nasenbohrer hatte echt wat gebracht. Ich praktizierte die Übungen jeden Abend vor dem Schlafengehen und auch, bevor ich mit meinem lieben Bertalein …, also, wie soll ich sagen? Jedenfalls klappte dat auch wieder.

Eine Woche später kriegte ich n Schock. Ich kuckte beim Frühstück auffe letzte Seite vonne Zeitung. Da entdeckte ich ne riesige Todesanzeige! Ne Todesanzeige von Dr. Ottokar Macke! Nee, so wat! Wat war denn mit dem passiert? Ob ein Patient den Kerl wegen der Nasenbohrerei erwürgt hatte? Möglich wär dat!
„Bertaaa!“, rief ich laut durch dat Haus, „mein Nervenheiler, der Macke iss tot! Kuck dich dat ma an, dat darf doch nich wahr sein!“
„Willi, dat iss ja furchtbar! Vielleicht hass du den armen Kerl auffem Gewissen, weile so brutal zu dem wars und ihm die Hand zerquetscht hass. Davon hat der sich vielleicht nie mehr erholt, so wat können sensible Leute nich ab.“
„Berta, lass die Spinnerei, vielleicht hatte der n Vogel im Kopp, und der iss zum Geier mutantiert. Der Macke iss an seinen Macken verendet.“

Et läutete dat Telefon, ich ging dran. „Püttmann, wat iss?“
„Hier Anwalt Garlieb Glitschig. Herr Püttmann, Sie haben doch sicherlich vom Tode des armen Herrn Dr. Macke gehört. Bitte, bitte sind Sie doch so liebenswürdig und besuchen mich um 16 Uhr in meinem Kanzleichen.“
Ich erschrak über den Anruf, denn der Glitschig war der Staranwalt in Herne. Dat der Mann aber mit so einer schleimigen Stimme sprach, dat war mir nich bekannt und erschien mir sehr verdächtig.
„Und wat soll ich bei Ihnen?“, fragte ich brummig, weil mich seine Stimme doch sehr an gewisse wabbelige Puddingtypen erinnerte.
„Sie, mein lieber Herr Püttmann, hat der Verstorbene auserkoren, die Abschiedsrede zu halten. Dr. Macke hat ein beachtliches Honorar, reines Negergeld, ich wiederhole, Mohrengeld, für den Fall, dass Sie sprechen, hinterlegt, zwei braune Scheinchen. Ach ja, wir treffen uns im klitzekleinen Familienkreislein, bitte seien Sie püüünktlich“, flötete er durch die Schmuseleitung.
„Bin immer pünktlich, bis nachher“, knurrte ich.

„Also, Berta, dat hätte ich von dem Spinner Macke wirklich nich gedacht. Ich soll für den die Grabrede halten, stell dir dat ma vor, und ein Honorar von zwei Riesen tut uns winken!“ Berta strahlte.
Punkt 16 Uhr saß ich in der Kanzlei. Anwalt Glitschig sah hinter seinem riesigen Schreibtisch aus wie son Gartenzwerg mit überdimensionalem Kappes. Er küsste mir zur Begrüßung die Hand, ich kriegte bald n Anfall! Irgendwie kam der Mann mir bekannt vor, ich wusste nur nich, wo ich den hinstecken sollte.
„Ja, Herr Püttmann, wie soll ich sagen, erkennen Sie mich nicht? Wirklich nicht?“
„Nee, woher sollte ich Sie kennen? Ich brauchte bisher noch keinen Rechtsverdreher.“
„Erinnern Sie sich noch an die herrliche Lohengrin-Party bei Eribert Hinterlader und Rudolfo von der Tucke? Ich erschien dort als Schneewittchen in rosa Seide.“
Ich dachte: Leck mich doch fett, hört dat denn mit die verdammte Schwuchtelei niemals auf? Im Geiste machte ich schnell ne autogene Übung, damit ich nich die Beherrschung verlor.
„Jau, jetz hab ich et wieder, ja, Sie waren dat süße Schneewittchen bei der Schwulenparty, meine bei der Trauerfeier von dem armen Hund, dem Lohengrin.“
„Genau, Herr Püttmann, ich lernte dort einen bezaubernden Jungen kennen, ja, einen wirklich umwerfenden Buben, einen süßen Knuddelbär.“
Er seufzte tief, und seine Augen strahlten. „Mit Rosamunde bin ich noch heute zusammen, er führt mir den Haushalt und ist ja sooo lieb.“
Ich dachte: Nee, wat iss eigentlich mit unserer Gesellschaft los, sind wir denn nur noch von Schwuchteln umzingelt? „Bitte, Herr Anwalt, kommen Sie zur Sache, wo ist die angekündigte Familie? Kommt die bald? Ich hab noch Termine.“
„Nein, Herr Püttmann, es kommt niemand mehr, Ottokar und ich bildeten die Familie. Bis ich Rosamunde kennenlernte, war ich mit ihm zusammen. Ottokar war damals mein Schatz, wir lebten acht Jahre sehr glücklich zusammen.
Als ich ihn verließ, war er todtraurig, er litt nicht nur, nein, nein, er quälte sich unsäglich, der Arme. Er verkraftete unsere Trennung nicht, deshalb erhängte er sich in seiner Gruselpraxis.
Ich allein bin schuld an seinem Tod. So grausam konnte er sein, er wollte mich bestrafen. Das hat er geschafft, der Schuft. Er hat mich sogar noch mit der Abwicklung der Sterbeformalitäten betraut, nein, wie ungezogen von ihm.“ Er heulte auf und flennte ungeniert.

Ich hörte mir dat allet in Ruhe an: „Kommen Sie, Herr Glitschig, werden Sie wieder normal und lauschen ma, wat ich jetz sagen tu: Ich bin nich euer Leo. Wenn dat wieder sonne unwürdige Bestattung wird wie damals bei dem Köter Lohengrin, dann müssen Sie sich n anderen suchen. Ich mach son Theater nich mehr mit.“
Aber et sollte noch dicker kommen …
 

Balu

Mitglied
dess kann son Pälzer Bär net uff Ämol verkrafte,
do muss ich noch e paar mol widder kumme

abber wäschd was ?
es gefallt mer jetzt schunn arg guhd

Gruß vum Balu aus de Palz
 



 
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