Ein ganz alltäglicher Todesfall
Die Morgensonne stach ihm ins Gesicht wie ein spitzer Pfeil. Zu grell, als dass er an solch einem Tag gute Laune haben könnte. Aber immerhin bewegte sie ihn dazu, sich aus seinem Bett zu erheben. Will war ein Morgenmuffel und hatte sich schon vor Jahren damit abgefunden, immer dem selben Trott zu folgen. Gute Laune hatte er dadurch nur noch selten. Es gab zu wenig in seinem Leben, dass ihm Freude bereitete.
Kraftlos setzte er sich auf, lies seine Beine auf den Boden schwanken und legte sein Gesicht in die Hände. Ohne den vorigen Tag etwas gegessen zu haben, wurde ihm wieder schwarz vor Augen. Er atmete tief ein und richtete sich schwermütig auf.
Das Erste was er jeden Morgen tat, war mit einem Ruck die Gardine zuzuziehen und das Fenster zu schließen, wie auch an diesem Morgen. Das chaotische Großstadtleben wog ihn abends in den Schlaf, trieb ihn aber morgens zur Weißglut.
Will machte sich auf den Weg ins Bad um sich grob zu rasieren, die Zähne zu putzen und schnell zu duschen. Zurück im Schlafzimmer, zog er sich seinen dunkelblauen Anzug an und sprühte sich etwas Agua di Gio von Armani an den Hals.
Will hatte nicht viel Zeit. Der Weg zu seinem Büro war weit und der Betrieb auf den Straßen unerträglich. Mit einem Taxi würde er es nicht mehr schaffen. So musste also sein Volkswagen herhalten, den er nur selten benutzte. In New York ist man besser damit bedient, die U-Bahn zu nehmen oder sich ein Taxi kommen zu lassen. Und trotzdem ist ein eigener Wagen in mancher Hinsicht unerlässlich.
Will hatte schon immer einen rabiaten Fahrstil. Mit quietschenden Reifen raste er durch das Parkhaus hinaus auf die Straße. Dort stand er nun. Mitten im alltäglichen Berufsstau. Nur langsam schleppte sich die Schlange voran. Will verschwendete nicht einen Blick nach links oder rechts. Alles was ihn interessierte war pünktlich im Büro zu sein. Sein Chef hatte ihm schließlich schon länger Probleme gemacht und wartete nur auf eine Gelegenheit, ihn rauszuschmeißen. Auch sonst kam er nicht viel unter Leute. Er war ein Einzelgänger und nie unzufrieden damit.
Auf dem Beifahrersitz lag sein Aktenkoffer. Er musste ihn wohl abends zuvor dort liegengelassen haben. Grund genug, noch einmal die neuesten Artikel durchzugehen und sich auf die nächste Konferenz vorzubereiten.
Während er sich, auf seine Unterlagen gerichtet, angestrengt auf seine Arbeit konzentrierte und instinktiv dem langsamen Voranschreiten des Staus folgte, merkte er nicht das er plötzlich mitten auf einer Kreuzung stand und die Ampel bereits auf rot schaltete.
Es war bereits zu spät als er aufsah. Im selben Augenblick raste ihm ein gleicher Workaholic frontal in die Seite und schleuderte Will in seinem Volkswagen quer über die Kreuzung. Durch den Aufprall an einem Laternenpfahl wurde der Wagen gebremst und Will bewusstlos.
Als er aufwachte, war die Polizei und ein duzend Sanitäter bereits da. Jeder war mit irgendetwas beschäftigt. Ein Sanitäter holte die Trage aus dem Rettungswagen, ein anderer schien einen Verwundeten zu behandeln und ein Polizist war damit beschäftigt Schaulustige zu verhören.
Keiner dieser Beamten schien sich für Will zu interessieren. Er lag mit dem Kopf über dem Lenkrad und richtete sich nun entkräftet auf. Er hatte keine schmerzen, konnte sich aber kaum bewegen. Mit fragendem Blick stieg er aus seinem Wagen, der einer zusammengedrückten Sardinenbüchse glich, und schaute sich um. Auch jetzt sah niemand zu ihm, um ihm zu helfen oder ihn zu befragen.
Verstört verließ er den Schauplatz. Es war ihm egal, welche Konsequenzen das für ihn haben würde und auch über seine Arbeit verschwendete er keinen Gedanken mehr. Es spielte einfach keine Rolle mehr für ihn.
Seine Umgebung schien ihm völlig verändert. Die Menschen gingen wie in Zeitlupe an ihm vorbei und scheinbar hindurch, als würden sie ihn überhaupt nicht wahrnehmen. Zum ersten Mal sah er die stress- und frustverzerrten Gesichter in seiner Umgebung. Will konnte fast erahnen, welche Probleme jeder Einzelne gerade mit sich trug. Es war, als könnte er in sie hineinblicken.
Da war die junge Frau, die ein Kind an ihrer Hand hielt und hinter sich her zerrte. Wahrscheinlich war sie überfordert, sich 24 Stunden als Alleinerziehende um ein Vorschulkind zu kümmern und das Geld für die Miete würde auch langsam knapp.
Ein älteres Ehepaar kam ihm händchenhaltend, aber mit mürrischem Gesichtsausdruck entgegen. Wahrscheinlich hatten sie sich ihr Zusammenleben anders vorgestellt. Im Laufe ihrer Jahre war eine Routine eingekehrt, mit der sie sich nicht konfrontieren wollten.
Auf der anderen Straßenseite ging ein Mann mittleren Alters in einem teuren Anzug. Vielleicht beeilte er sich um zur Börse zu gelangen und seine gestiegenen Aktienanteile zu verkaufen.
Woher Will diese Dinge wusste, war ihm unbegreiflich. Er wusste sie einfach. Er konnte in den Menschen lesen, wie in einem aufgeschlagenen Buch.
Ohne sich weiter Gedanken über diese Tatsache zu machen, ging er in die nächstgelegene Bar, um sich einen Whiskey zu bestellen. Er setzte sich an den Tresen, aber niemand hörte ihn. Die Kellnerin lief beschäftigt an ihm vorbei und auch der Barkeeper blickte nicht in seine Richtung. Will wiederholte seine Bestellung, konnte aber nicht mit einer Antwort rechnen. Hier würde er keinen Whiskey bekommen.
Er blickte sich um und begann erneut unbewusst in den Gedanken der Menschen um ihn herum zu lesen. Er bekam Kopfschmerzen, alles fing sich an zu drehen. Er brauchte frische Luft.
Draußen angekommen spürte er die wärmende Sonne in seinem Gesicht. Sie beflügelte ihn. Er fühlte sich erheitert, trotz den düsteren Gesichtern und den trüben glasigen Augen auf dem Bürgersteig.
Spazierend folgte er seinem Gefühl und ging die Straße entlang. Er kam an eine abgeriegelte Unfallstelle. Ein Auto war frontal in ein anderes gerast. Der Fahrer des gerammten Autos saß noch in seinem Wagen. Vornübergebeugt rührte er sich nicht.
Unscheinbar konnte Will durch die Absperrung hindurch gleiten. Er wollte näher an das Geschehen. Er trat neben das zerquetschte Auto und was er sah, ließ ihn erstarren.
Was er sah, war er selbst. Er konnte sich sehen, wie er tot über das Lenkrad gebeugt auf dem Fahrersitz lag.
Die Morgensonne stach ihm ins Gesicht wie ein spitzer Pfeil. Zu grell, als dass er an solch einem Tag gute Laune haben könnte. Aber immerhin bewegte sie ihn dazu, sich aus seinem Bett zu erheben. Will war ein Morgenmuffel und hatte sich schon vor Jahren damit abgefunden, immer dem selben Trott zu folgen. Gute Laune hatte er dadurch nur noch selten. Es gab zu wenig in seinem Leben, dass ihm Freude bereitete.
Kraftlos setzte er sich auf, lies seine Beine auf den Boden schwanken und legte sein Gesicht in die Hände. Ohne den vorigen Tag etwas gegessen zu haben, wurde ihm wieder schwarz vor Augen. Er atmete tief ein und richtete sich schwermütig auf.
Das Erste was er jeden Morgen tat, war mit einem Ruck die Gardine zuzuziehen und das Fenster zu schließen, wie auch an diesem Morgen. Das chaotische Großstadtleben wog ihn abends in den Schlaf, trieb ihn aber morgens zur Weißglut.
Will machte sich auf den Weg ins Bad um sich grob zu rasieren, die Zähne zu putzen und schnell zu duschen. Zurück im Schlafzimmer, zog er sich seinen dunkelblauen Anzug an und sprühte sich etwas Agua di Gio von Armani an den Hals.
Will hatte nicht viel Zeit. Der Weg zu seinem Büro war weit und der Betrieb auf den Straßen unerträglich. Mit einem Taxi würde er es nicht mehr schaffen. So musste also sein Volkswagen herhalten, den er nur selten benutzte. In New York ist man besser damit bedient, die U-Bahn zu nehmen oder sich ein Taxi kommen zu lassen. Und trotzdem ist ein eigener Wagen in mancher Hinsicht unerlässlich.
Will hatte schon immer einen rabiaten Fahrstil. Mit quietschenden Reifen raste er durch das Parkhaus hinaus auf die Straße. Dort stand er nun. Mitten im alltäglichen Berufsstau. Nur langsam schleppte sich die Schlange voran. Will verschwendete nicht einen Blick nach links oder rechts. Alles was ihn interessierte war pünktlich im Büro zu sein. Sein Chef hatte ihm schließlich schon länger Probleme gemacht und wartete nur auf eine Gelegenheit, ihn rauszuschmeißen. Auch sonst kam er nicht viel unter Leute. Er war ein Einzelgänger und nie unzufrieden damit.
Auf dem Beifahrersitz lag sein Aktenkoffer. Er musste ihn wohl abends zuvor dort liegengelassen haben. Grund genug, noch einmal die neuesten Artikel durchzugehen und sich auf die nächste Konferenz vorzubereiten.
Während er sich, auf seine Unterlagen gerichtet, angestrengt auf seine Arbeit konzentrierte und instinktiv dem langsamen Voranschreiten des Staus folgte, merkte er nicht das er plötzlich mitten auf einer Kreuzung stand und die Ampel bereits auf rot schaltete.
Es war bereits zu spät als er aufsah. Im selben Augenblick raste ihm ein gleicher Workaholic frontal in die Seite und schleuderte Will in seinem Volkswagen quer über die Kreuzung. Durch den Aufprall an einem Laternenpfahl wurde der Wagen gebremst und Will bewusstlos.
Als er aufwachte, war die Polizei und ein duzend Sanitäter bereits da. Jeder war mit irgendetwas beschäftigt. Ein Sanitäter holte die Trage aus dem Rettungswagen, ein anderer schien einen Verwundeten zu behandeln und ein Polizist war damit beschäftigt Schaulustige zu verhören.
Keiner dieser Beamten schien sich für Will zu interessieren. Er lag mit dem Kopf über dem Lenkrad und richtete sich nun entkräftet auf. Er hatte keine schmerzen, konnte sich aber kaum bewegen. Mit fragendem Blick stieg er aus seinem Wagen, der einer zusammengedrückten Sardinenbüchse glich, und schaute sich um. Auch jetzt sah niemand zu ihm, um ihm zu helfen oder ihn zu befragen.
Verstört verließ er den Schauplatz. Es war ihm egal, welche Konsequenzen das für ihn haben würde und auch über seine Arbeit verschwendete er keinen Gedanken mehr. Es spielte einfach keine Rolle mehr für ihn.
Seine Umgebung schien ihm völlig verändert. Die Menschen gingen wie in Zeitlupe an ihm vorbei und scheinbar hindurch, als würden sie ihn überhaupt nicht wahrnehmen. Zum ersten Mal sah er die stress- und frustverzerrten Gesichter in seiner Umgebung. Will konnte fast erahnen, welche Probleme jeder Einzelne gerade mit sich trug. Es war, als könnte er in sie hineinblicken.
Da war die junge Frau, die ein Kind an ihrer Hand hielt und hinter sich her zerrte. Wahrscheinlich war sie überfordert, sich 24 Stunden als Alleinerziehende um ein Vorschulkind zu kümmern und das Geld für die Miete würde auch langsam knapp.
Ein älteres Ehepaar kam ihm händchenhaltend, aber mit mürrischem Gesichtsausdruck entgegen. Wahrscheinlich hatten sie sich ihr Zusammenleben anders vorgestellt. Im Laufe ihrer Jahre war eine Routine eingekehrt, mit der sie sich nicht konfrontieren wollten.
Auf der anderen Straßenseite ging ein Mann mittleren Alters in einem teuren Anzug. Vielleicht beeilte er sich um zur Börse zu gelangen und seine gestiegenen Aktienanteile zu verkaufen.
Woher Will diese Dinge wusste, war ihm unbegreiflich. Er wusste sie einfach. Er konnte in den Menschen lesen, wie in einem aufgeschlagenen Buch.
Ohne sich weiter Gedanken über diese Tatsache zu machen, ging er in die nächstgelegene Bar, um sich einen Whiskey zu bestellen. Er setzte sich an den Tresen, aber niemand hörte ihn. Die Kellnerin lief beschäftigt an ihm vorbei und auch der Barkeeper blickte nicht in seine Richtung. Will wiederholte seine Bestellung, konnte aber nicht mit einer Antwort rechnen. Hier würde er keinen Whiskey bekommen.
Er blickte sich um und begann erneut unbewusst in den Gedanken der Menschen um ihn herum zu lesen. Er bekam Kopfschmerzen, alles fing sich an zu drehen. Er brauchte frische Luft.
Draußen angekommen spürte er die wärmende Sonne in seinem Gesicht. Sie beflügelte ihn. Er fühlte sich erheitert, trotz den düsteren Gesichtern und den trüben glasigen Augen auf dem Bürgersteig.
Spazierend folgte er seinem Gefühl und ging die Straße entlang. Er kam an eine abgeriegelte Unfallstelle. Ein Auto war frontal in ein anderes gerast. Der Fahrer des gerammten Autos saß noch in seinem Wagen. Vornübergebeugt rührte er sich nicht.
Unscheinbar konnte Will durch die Absperrung hindurch gleiten. Er wollte näher an das Geschehen. Er trat neben das zerquetschte Auto und was er sah, ließ ihn erstarren.
Was er sah, war er selbst. Er konnte sich sehen, wie er tot über das Lenkrad gebeugt auf dem Fahrersitz lag.