Eine Mitternachtsgeschichte

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Druckmaus

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[ 4]Eine Mitternachtsgeschichte

Das schale Licht der Schreibtischlampe flackerte zögerlich, während draußen die Orkanböen des Herbstes jammernd um die Hausecke heulten. Die Regentropfen knallten gegen die Fensterscheibe als wollten sie das Glas zerbersten. Es war finster, nur der strahlende Schein des alten Leuchtturms durchbrach mit seinem hellen Licht die dunkle Nacht.

Leonie saß über ihrem Schreibtisch, den Kopf in beide Hände gestützt. Sie las die Zeilen zum hundertsten Mal.

...ja, jeden Tag über 30 Grad ...strahlend blau von morgens bis abends...jede Menge Palmen, sogar hier vor der Zelle, Dattelpalmen, nehme ich an ... Braun werden, wer will denn heute noch braun werden? ... Aber die Sache mit Ala und dem Hai unglaublich ... Hab ich dir doch geschrieben... wie, nicht angekommen?... Ach so ... traumhafte Bootsfahrt bei Vollmond ... Nein, es ist nicht so, wie du denkst ... Ein mal im Jahr muss das sein ... Ich ...muss Schluss machen, es steht jemand vor der Zelle ... Ich dich auch ... Tschüß!“

Onno Onnen, der Redakteur der Inselzeitung, hatte ihr diese Vorgabe geliefert, mit dem Auftrag, daraus eine Geschichte zu entwickeln. Das tägliche Leben auf Juist war teuer. So schrieb Leonie für Zweihundert Euro jeden Monat ein bis zwei Geschichten für „de Dag“.
Morgen früh sollte ihre Story in Druck gehen. Sie dachte angestrengt nach. Ein wildes Hämmern dröhnte hinter ihrer Stirn. Leonie glaubte, ihre Schädeldecke würde jede Sekunde wie eine gerissene Suppenschüssel zerspringen.
Ben, der Labradorrüde, lag ausgestreckt an ihrer Seite und schlief friedlich wie ein Lamm.
Seit zwei Wochen lag vor Leonie ein weißes Blatt Papier. Nicht eine Silbe war ihr eingefallen. Die Zeit drängte.
„Habt ihr eine Idee, Jungs?“, fragte sie verzweifelt ihre Freunde.
Das ein Meter lange Modell des Kümo „Gepke“ stand auf dem Boden vor dem Fenster. Behutsam nahm sie den Kapitän hoch und stellte ihn vor sich auf den Schreibtisch.
„Mensch Oltmann, du weißt doch sonst immer alles“. Der alte Seebär ließ seine Pfeife lässig im linken Mundwinkel hängen.
„Tja Oltmann, dann müssen wir diesen Monat eben ohne das Geld auskommen“, seufzte Leonie.
Die anderen drei Matrosen, Fokko, Poppe und Jan schauten backbord über die Reling.
„Auf euch ist eben kein Verlass mehr“, fügte sie traurig hinzu. „Ihr habt mich immer inspiriert“, stöhnte sie.

Es war bereits kurz vor Mitternacht, als Leonie erschöpft in den ersehnten Schlaf und einen endlosen Traum fiel, während die Lampe des alten Leuchtturms unermüdlich ihre Runde drehte und für einen Augenblick die finstere Nacht erhellte.

Die Kirchturmuhr schlug zwölf mal, als ein zartes Wispern durch das Dunkel des Raumes raunte. Ben entwich blinzelnd ein leises Wau, während sich Leonie im Schlaf unruhig von einer Seite auf die andere wälzte.

„Na, Jungs und nu ?“, rief Oltmanns. Behänd sprang er achtern auf das Deck hinter die Kajüte.
„Vom Schreiben hab ich nu keine Ahnung und dann noch wat unter Palmen“ ,sagte Jan.
„Ja, dieser Onno muss ein echter Fischkopp sein“, murmelte der kleine Smutje Fokko und schnitzte gedankenverloren an seinem groben Holzstück.
Poppe zündete sich seine Pfeife an und meinte: „Wie wärsen mit Piraten. In der Karibik gibt’s doch Palmen, oder?“ „Piraten, Piraten, fällt dir nichts anderes, ein du Döspaddel“, rief Oltmann.
„Jungs, irgendwas müssen wir ja nun tun ne, sonst werden unendlich viele Tränen fließen und der Hund wird auch depressiv“, sagte Jan.
Ben hatte ein Auge geöffnet und beobachtete gähnend das ungewöhnliche Treiben auf der Gepke.
Sie steckten die Köpfe zusammen und murmelten, und murmelten. Und während sie murmelten stiegen dünne Rauchschwaden ihrer Pfeifen auf, begleitet von dem unermüdlich zarten Kratzen eines Füllfederhalters.
Draußen flaute der Orkan allmählich ab und am Horizont zeigten sich erste Anzeichen eines neuen Tages.

Als der Wecker Leonie am Morgen aus dem Schlaf riss, standen die Jungs mit verschränkten Armen steuerbord neben der Kajüte und schauten über die Reling.
Das weiße Blatt, sowie drei weitere Blätter auf ihrem Schreibtisch, waren penibel sauber mit Wörtern und Sätzen gefüllt, die sich in eine Geschichte fügten. Exakt Hundertfünfzig Zeilen mit Abstand.
 

Charlene

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Hallo Druckmaus!

Ich finde deine Mitternachtsgeschichte richtig süß. Besonders gut gefallen hat mir deine bildhafte Sprache(z.B. gleich der erste Absatz). Wirklich sehr schön.
Was du - meiner Meinung nach - vielleicht noch verbessern könntest, ist die äußerliche Beschreibung von Oltmanns & Co. (ein bisschen detaillierter) und eventuell ein Schilderung des Schreibprozesses...
Das war's aber auch schon, ansonsten ist deine Geschichte wirklich schön und sehr stimmungsvoll.


Tschüs,
~Charlene~
 



 
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