Eine ganz große Nummer
Sonnenstrahlen brechen durch die Wolken, die über den Himmel jagen und lassen den regennassen Asphalt glänzen. Eine Böe kräuselt die Pfützen auf dem Parkplatz, die Seile der Fahnenmasten vor dem Supermarkt schlagen an die Stangen, Metall auf Metall, ein enervierendes Geräusch auf Dauer. Heute stört es ihn nicht.
„Ein Euro achtzig, bitte.“
Die Blonde kramt ihr Portemonnaie raus. Sieht eigentlich ganz nett aus, strubbelige kurze Haare, ’ne niedliche Figur hat sie auch, guckt ihm sogar kurz in die Augen. Der Typ neben ihr wartet, vielleicht einen Tick ungeduldig. Dreitagebart, Lederjacke, Pferdeschwanz.
„Nu komm“, sagt er.
„Stimmt so.“ Zwei Euro fünfzig. Sie greift nach dem Magazin, das er ihr hinhält.
„Danke, schönen Tag!“
Die beiden ziehen ab, ihr Einkaufswagen rollt rasselnd über die Schwelle in den Eingangsbereich des Supermarktes. Eine junge Frau kommt aus dem Markt, sie hat ein kleines Mädchen an der Hand, in der anderen hält sie ein Eispapier, das sie jetzt mit spitzen Fingern in den Papierkorb vor dem Eingang steckt. Die Kleine hält das Eis und hüpft vergnügt mal auf dem einen Bein, mal auf dem anderen.
Wie ein kleiner Gummiball, denkt er. Wie mein Herz! Und nun muss er über sich grinsen, weil das ja nun doch etwas kitschig ist.
Andererseits: Kitschig – na und? Scheißegal, ihm geht’s gut. Wenn er da an die Zeit noch vor einem Jahr denkt … Da war gerade die Wohnung weg, ja, ziemlich genau vor einem Jahr war das. Und dann ging es auch mit Tine ziemlich schnell den Bach runter. Klar, kein Wunder, dass sie die Nase voll hatte von ihm, so, wie er drauf war, immer die anderen schuld an allem, Scheißvermieter, Scheißarbeitsamt, alles und alle scheiße. Und er ab 17 Uhr meistens hacke, logisch. Er ist so froh, dass er den Dreh einigermaßen gekriegt hat. Bisschen spät, du Depp, schimpft er mit sich selber. Mensch, Tine … Dabei war sie das Beste, was ihm je passiert ist. Schon wieder so ein Satz wie aus einem Kitschroman. Naja, mit das Beste. Das Beste ist im Moment der Job als Zeitungsverkäufer, der hat ihm echt geholfen, bringt natürlich nicht die große Kohle, aber endlich mal wieder sowas wie Sinn ins Ganze, irgendwie. Was auf die Beine stellen, was machen.
Er hat aber auch richtig gute Laune heute! Das Beste ist der Job, auch wenn es nur ein paar Stunden im Monat sind, und das Allerbeste … tja, denkt er, das Allerbeste ist, das er das Blatt diesmal nicht nur verkauft, sondern auch noch einen Artikel drin hat. Selbst geschrieben, jawoll, Leute! Einen Artikel über Straßenfußball hier im Norden, er hat richtig professionell recherchiert dafür, am Computer vom Sozialcafé, hat sich Notizen gemacht, Leute interviewt, den Text geschrieben, hier verworfen, dort verbessert, wie ein Journalist halt. Journalist, das wär was, denkt er, wie geht das eigentlich, Journalist werden? Müsste man wahrscheinlich ganz klein bei einer Zeitung anfangen, ganz unten, und alles von der Pike auf lernen. Von der Pike auf, komischer Ausdruck, woher kommt der eigentlich? Man kann über alles schreiben, worüber man nachdenken kann, denkt er. Oder er schreibt mal ‘ne Geschichte, ja, vielleicht eine Geschichte, warum eigentlich nicht. Worüber? Da wird ihm schon was einfallen, er bekommt ja so einiges zu sehen.
Er hat heute ganz gut Trinkgeld eingenommen, da kann er sich wohl mal ein Brötchen mit Leberkäs von der Fleischtheke in der Eingangshalle leisten. Er schiebt den Stapel mit den Heften in seine Umhängetasche, geht rein und stellt sich an den Tresen. „Einmal Leberkäs mit Seele, bitte!“, witzelt er, die Dicke hinterm Tresen lacht. Genau, ordentlich Senf drauf, ja, danke! So. Lecker. Er ist einer, der ganz normal arbeiten geht und ganz normal Pause macht.
So alt ist er noch nicht. Zweiunddreißig, ist doch kein Alter, andere starten noch viel später durch.
"Hast ja ‘ne ganz gute Schreibe", hat Dani von der Redaktion gemeint, als er den Artikel gelesen hat. ‘Ne gute Schreibe, wusste er vorher gar nicht, tss. Ging ziemlich gut runter, der Spruch. Und wenn die Tine den Artikel mal zufällig liest, mit seinem Namen drunter? Okay, ist jetzt ziemlich rumgesponnen, aber egal, kann doch sein, dass sie ihn liest, und vielleicht denkt sie dann, Mensch, der Olli, denkt sie dann -
Er kaut sein Leberkäsbrötchen und malt sich aus, was sie dann noch so alles denkt, die Tine. Das Pärchen von vorhin rollt mit vollem Einkaufswagen an ihm vorbei Richtung Ausgang. Er ist fertig mit dem Brötchen, folgt den beiden und wischt sich im Gehen mit einer Papierserviette den Mund ab. Sie hat das Magazin immer noch in der Hand, hat es zu einer Rolle gedreht. Ja, führ es dir zu Gemüte, Strubbelhaar, denkt er, lies mal was darüber, wie es sich hier anfühlt, an diesem Ende der Fahnenstange. In der selbstöffnenden Tür tritt er auf seinen Schnürsenkel und hockt sich hin, um ihn zuzubinden. Er schaut den beiden hinterher und denkt: Find ich klasse, dass ihr sowas auch mal lest, ist nur ein kleiner Schritt, aber trotzdem. Und wenn es ’ne gute Schreibe ist, tja, dann wird es natürlich eher gelesen, nicht wahr?
Die beiden sind draußen neben dem Eingang stehen geblieben und fangen an, ihre Einkäufe in zwei Plastiktüten zu verstauen. Er beobachtet, dass die Frau sich dabei etwas ungeschickt anstellt, anscheinend weiß sie nicht so recht, wohin mit dem Magazin. Ihr Begleiter lacht und stöhnt aus Spaß genervt auf, er nimmt ihr das Magazin mit einer entschiedenen Bewegung aus der Hand, geht zwei Schritte weiter zum Papierkorb und schiebt es hinein. Es guckt noch ein Stück heraus, ein gutgelaunter Schubs, und weg ist es.
„Ey“, lacht sie in gespielter Empörung und knufft den Typen mit der Faust in die Seite.
„Ob wir es jetzt hier rein tun oder zu Hause ins Altpapier“, erwidert der. „So, nu mach mal hin.“
Die Einkäufe sind verstaut, die zwei steigen in einen blauen Audi und fahren vom Parkplatz. Der Regen malt Ringe auf die Pfützen.
Er stellt sich wieder an seinen Platz vor dem Eingang, nimmt den Stapel mit den Magazinen aus seiner Tasche und rückt die Hefte in seinem Arm zurecht. Tine ist jetzt mit einem zusammen, der arbeitet bei ‘nem Wachdienst oder so, hat er gehört. Journalist, ja, doll, denkt er. ‘Ne große Nummer bin ich, eine ganz große Nummer.
Aus: „Einmal Leberkäs mit Seele“ – die besten Geschichten aus deutschen Straßenmagazinen, erschienen beim sososo-Verlag, Hamburg 2014.
Sonnenstrahlen brechen durch die Wolken, die über den Himmel jagen und lassen den regennassen Asphalt glänzen. Eine Böe kräuselt die Pfützen auf dem Parkplatz, die Seile der Fahnenmasten vor dem Supermarkt schlagen an die Stangen, Metall auf Metall, ein enervierendes Geräusch auf Dauer. Heute stört es ihn nicht.
„Ein Euro achtzig, bitte.“
Die Blonde kramt ihr Portemonnaie raus. Sieht eigentlich ganz nett aus, strubbelige kurze Haare, ’ne niedliche Figur hat sie auch, guckt ihm sogar kurz in die Augen. Der Typ neben ihr wartet, vielleicht einen Tick ungeduldig. Dreitagebart, Lederjacke, Pferdeschwanz.
„Nu komm“, sagt er.
„Stimmt so.“ Zwei Euro fünfzig. Sie greift nach dem Magazin, das er ihr hinhält.
„Danke, schönen Tag!“
Die beiden ziehen ab, ihr Einkaufswagen rollt rasselnd über die Schwelle in den Eingangsbereich des Supermarktes. Eine junge Frau kommt aus dem Markt, sie hat ein kleines Mädchen an der Hand, in der anderen hält sie ein Eispapier, das sie jetzt mit spitzen Fingern in den Papierkorb vor dem Eingang steckt. Die Kleine hält das Eis und hüpft vergnügt mal auf dem einen Bein, mal auf dem anderen.
Wie ein kleiner Gummiball, denkt er. Wie mein Herz! Und nun muss er über sich grinsen, weil das ja nun doch etwas kitschig ist.
Andererseits: Kitschig – na und? Scheißegal, ihm geht’s gut. Wenn er da an die Zeit noch vor einem Jahr denkt … Da war gerade die Wohnung weg, ja, ziemlich genau vor einem Jahr war das. Und dann ging es auch mit Tine ziemlich schnell den Bach runter. Klar, kein Wunder, dass sie die Nase voll hatte von ihm, so, wie er drauf war, immer die anderen schuld an allem, Scheißvermieter, Scheißarbeitsamt, alles und alle scheiße. Und er ab 17 Uhr meistens hacke, logisch. Er ist so froh, dass er den Dreh einigermaßen gekriegt hat. Bisschen spät, du Depp, schimpft er mit sich selber. Mensch, Tine … Dabei war sie das Beste, was ihm je passiert ist. Schon wieder so ein Satz wie aus einem Kitschroman. Naja, mit das Beste. Das Beste ist im Moment der Job als Zeitungsverkäufer, der hat ihm echt geholfen, bringt natürlich nicht die große Kohle, aber endlich mal wieder sowas wie Sinn ins Ganze, irgendwie. Was auf die Beine stellen, was machen.
Er hat aber auch richtig gute Laune heute! Das Beste ist der Job, auch wenn es nur ein paar Stunden im Monat sind, und das Allerbeste … tja, denkt er, das Allerbeste ist, das er das Blatt diesmal nicht nur verkauft, sondern auch noch einen Artikel drin hat. Selbst geschrieben, jawoll, Leute! Einen Artikel über Straßenfußball hier im Norden, er hat richtig professionell recherchiert dafür, am Computer vom Sozialcafé, hat sich Notizen gemacht, Leute interviewt, den Text geschrieben, hier verworfen, dort verbessert, wie ein Journalist halt. Journalist, das wär was, denkt er, wie geht das eigentlich, Journalist werden? Müsste man wahrscheinlich ganz klein bei einer Zeitung anfangen, ganz unten, und alles von der Pike auf lernen. Von der Pike auf, komischer Ausdruck, woher kommt der eigentlich? Man kann über alles schreiben, worüber man nachdenken kann, denkt er. Oder er schreibt mal ‘ne Geschichte, ja, vielleicht eine Geschichte, warum eigentlich nicht. Worüber? Da wird ihm schon was einfallen, er bekommt ja so einiges zu sehen.
Er hat heute ganz gut Trinkgeld eingenommen, da kann er sich wohl mal ein Brötchen mit Leberkäs von der Fleischtheke in der Eingangshalle leisten. Er schiebt den Stapel mit den Heften in seine Umhängetasche, geht rein und stellt sich an den Tresen. „Einmal Leberkäs mit Seele, bitte!“, witzelt er, die Dicke hinterm Tresen lacht. Genau, ordentlich Senf drauf, ja, danke! So. Lecker. Er ist einer, der ganz normal arbeiten geht und ganz normal Pause macht.
So alt ist er noch nicht. Zweiunddreißig, ist doch kein Alter, andere starten noch viel später durch.
"Hast ja ‘ne ganz gute Schreibe", hat Dani von der Redaktion gemeint, als er den Artikel gelesen hat. ‘Ne gute Schreibe, wusste er vorher gar nicht, tss. Ging ziemlich gut runter, der Spruch. Und wenn die Tine den Artikel mal zufällig liest, mit seinem Namen drunter? Okay, ist jetzt ziemlich rumgesponnen, aber egal, kann doch sein, dass sie ihn liest, und vielleicht denkt sie dann, Mensch, der Olli, denkt sie dann -
Er kaut sein Leberkäsbrötchen und malt sich aus, was sie dann noch so alles denkt, die Tine. Das Pärchen von vorhin rollt mit vollem Einkaufswagen an ihm vorbei Richtung Ausgang. Er ist fertig mit dem Brötchen, folgt den beiden und wischt sich im Gehen mit einer Papierserviette den Mund ab. Sie hat das Magazin immer noch in der Hand, hat es zu einer Rolle gedreht. Ja, führ es dir zu Gemüte, Strubbelhaar, denkt er, lies mal was darüber, wie es sich hier anfühlt, an diesem Ende der Fahnenstange. In der selbstöffnenden Tür tritt er auf seinen Schnürsenkel und hockt sich hin, um ihn zuzubinden. Er schaut den beiden hinterher und denkt: Find ich klasse, dass ihr sowas auch mal lest, ist nur ein kleiner Schritt, aber trotzdem. Und wenn es ’ne gute Schreibe ist, tja, dann wird es natürlich eher gelesen, nicht wahr?
Die beiden sind draußen neben dem Eingang stehen geblieben und fangen an, ihre Einkäufe in zwei Plastiktüten zu verstauen. Er beobachtet, dass die Frau sich dabei etwas ungeschickt anstellt, anscheinend weiß sie nicht so recht, wohin mit dem Magazin. Ihr Begleiter lacht und stöhnt aus Spaß genervt auf, er nimmt ihr das Magazin mit einer entschiedenen Bewegung aus der Hand, geht zwei Schritte weiter zum Papierkorb und schiebt es hinein. Es guckt noch ein Stück heraus, ein gutgelaunter Schubs, und weg ist es.
„Ey“, lacht sie in gespielter Empörung und knufft den Typen mit der Faust in die Seite.
„Ob wir es jetzt hier rein tun oder zu Hause ins Altpapier“, erwidert der. „So, nu mach mal hin.“
Die Einkäufe sind verstaut, die zwei steigen in einen blauen Audi und fahren vom Parkplatz. Der Regen malt Ringe auf die Pfützen.
Er stellt sich wieder an seinen Platz vor dem Eingang, nimmt den Stapel mit den Magazinen aus seiner Tasche und rückt die Hefte in seinem Arm zurecht. Tine ist jetzt mit einem zusammen, der arbeitet bei ‘nem Wachdienst oder so, hat er gehört. Journalist, ja, doll, denkt er. ‘Ne große Nummer bin ich, eine ganz große Nummer.
Aus: „Einmal Leberkäs mit Seele“ – die besten Geschichten aus deutschen Straßenmagazinen, erschienen beim sososo-Verlag, Hamburg 2014.