Einfach abschalten
von Nora Wind
Seit ungefähr fünf Jahren sehe ich nicht mehr fern, und ich kann sagen: “Das tut richtig gut.“ Der hektischen und chaotischen Bilderflut entkommen, lernte ich ein ganz anderes Lebens- und Zeittempo kennen – das richtige, und wie schön es ist, die Welt mit offenen Augen zu sehen, ohne die Brille digital verschönerter Geschmacklosigkeit und fiktiver Weltdarstellung.
[ 4]Ich habe ein gutes, modernes Fernsehgerät, doch ich nutze es meistens als Computer oder Videorecorder, um mir meine Lieblingsmusik anzuhören bzw. Lieblingskomödien anzusehen. Und das Beste ist, dass ich „Wann?“ und „Wie lange?“ selbst bestimmen kann.
[ 4]Das kann man bei vielen Fernsehsendungen nicht, die so konzipiert sind, dass man immer weiter sehen will/muss, um eine Antwort auf die angebliche Frage zu bekommen, die am Anfang gestellt wird. Es ist eine Einladung zur Sucht. So werden diese Sendungen auch bewertet – nach dem Suchtfaktor.
[ 4]Mit den Nachrichten ist es fast genauso, nur wird man hier auf eine andere Art und Weise betäubt – durch die „Schocktherapie.“ Es ist bekannt, dass der Mensch für das Böse mehr empfänglich ist als für das Gute. Darauf ist die ganze Nachrichtenindustrie aufgebaut: blutige Kriegsbilder, Umweltkatastrophen, ausgehungerte Menschenleichen, abgestürzte Flugzeuge, entgleiste Züge etc. etc. Big pictures!?
[ 4]Es ist schon ein suchtähnliches Verhalten, wenn wir am Ende des Tages im gemütlichen Zuhause vor dem Fernseher auf eine Schocknachricht der Abendschau warten, die uns für einen Moment aus der Alltagslethargie herausholt, die ihrerseits durch den zu oft wiederholten Schock hervorgerufen wird.
[ 4]Um aus diesem Teufelskreis herauszukommen und mir mein eigenes schock- und suchtfreies Weltbild zu schaffen, schaltete ich einfach ab, ohne Angst zu haben, etwas zu versäumen. Wer sich von der Fernsehsucht nicht befreien will oder kann, versäumt aber tatsächlich etwas – das wirkliche Leben.