Einige Momente Leben

Chaya

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In gewisser Weise ist dies wohl nicht der beste Anfang für eine Geschichte… ein Sprung mitten in das Geschehen, ohne zu wissen wo, wer, wie und warum. Doch wie soll man jemandem seine ganze Lebensgeschichte erzählen, sich selbst preisgeben, um denjenigen nicht einfach unvorbereitet in die eigene Gedankenwelt zu werfen.
Viele Leute sprechen davon, dass es nicht die Vergangenheit sei die zähle, sondern das Jetzt… und doch werde ich Dir nun Bilder aus meiner jüngsten Vergangenheit beschreiben, da diese Geschichte doch einen Anfang, wenn auch relativ, braucht. Denn Geschichte ist das was geschah und geschieht, und ich glaube kaum, dass jemand mehrere Seiten darüber lesen möchte wie ich an meinem Computer sitze und dies beschreibe.


Südfrankreich, Carnon - Montag, 6.August 2006

Es war heiss und trocken, die Sonne schien grell vom wolkenlosen Himmel. Meine Kopfhaut juckte, meine Schultern schmerzten und mein Rücken ächzte unter der Last des riesigen Rucksacks. Wir standen an einer Bushaltestelle, mitten im Nirgendwo, neben einer der von Ferienhäusern und Autos gesäumten Strassen der Touristenstadt. Die Häuser waren grau, hatten kleine Vorgärten und waren allesamt hässlich. Ein paar wenige Touristen gingen gemächlich, in Badeschlappen und -bekleidung, die Strandtaschen und Badetücher lässig über die Schulter geworfen oder unter den Arm geklemmt, über die rege befahrene Strasse. Hinter den eintönigen Wohngebilden zu unserer Linken, verbarg sich allem Anschein nach der Strand. Einige Familien kamen gerade von dort zurück, in unsere Richtung. Wir gingen ihnen entgegen, ich voran, Sie hinter mir. Ich fragte die Leute in gebrochenem Französisch nach dem Campingplatz. Sie hatten keine Ahnung.
So gingen wir weiter der Strasse entlang, wichen den geparkten und vorbeifahrenden Autos aus und entdeckten irgendwann, nach einer kleinen Ewigkeit, ein Schild das auf den Campingplatz verwies. Wir bogen in die angezeigte Strasse ein und folgten ihr bis zum Eingang des Campingplatzes, der sich auf der rechten Seite der Strasse befand. Auf der linken öffnete sich die Strasse zu einem grossen Parkplatz, in dessen Mitte sich wiederum ein kleiner Platz befand. Leute standen dort in kleinen Gruppen und spielten Boccia.
Sie wies mich an in der Einfahrt zu warten, während Sie im Rezeptionsgebäude verschwand. Ich stand neben unserem Berg von Gebäck und grübelte in der Bauchtasche nach meinem Handy. Auf dem Display stand die Uhrzeit, es war später Nachmittag. Einige Minuten später würde sie zurückkehren und mir mitteilen, dass der Campingplatz ausgebucht sei.

Die Musik hast schon vor einiger Zeit aufgehört zu spielen… ich gehe zum CD-Player und drücke auf Play. Die Musik erklingt erneut. Ich krieche auf allen vieren auf mein Bett und rolle mich auf dem weissen, flauschigen Schaffell zusammen. Meine Augen schliessen sich, ich lausche der Musik und meinem Atem. Langsam öffne ich die Augen einen Spalt weit. Die Sonne wirft sanftes, warmes Licht durch die Vorhänge und lässt die dünne Haarsträhne schräg unter meiner Nase, orangerot leuchten. Im Takt meines Atems legt sie sich auf den weichen, im Licht bräunlich schimmernden Samtstoff und federt wieder zurück in die Luft.
Ich könnte ewig so liegen bleiben…


Die Rucksäcke prallten auf dem warmen Sand auf. Wir schoben sie nahe zusammen an die Hauswand, warfen das restliche Gepäck darauf und versteckten den Berg unter meinem bunten, quadratisch gemusterten Badetuch. Aus den Balkonen über unseren Köpfen plärrte das Radio und aus einer der Wohnungen drangen französische und italienische Gesprächsfetzen. Die weissen Vorhänge der Wohnung links aussen, blähten sich im Wind und ich erhaschte kurz einen Blick auf einen braungebrannten Mann, der am offenen Fenster vorbeiging.
Am Strand, wie ein bunter Streifen, tummelten sich die Touristen nahe dem Wasser. Ausgestreckt und sich räkelnd, lagen sie auf ihren Badetüchern im Sand und bräunten sich, oder versteckten sich unter einem Sonnenschirm und lasen in einer Zeitung oder einem Buch. Einige spielten im hüfthohen Wasser Ball. Die Kinder suchten im nassen Sand nach Muscheln, bauten Sandtiere und Burgen, planschten im Wasser und liessen sich von ihren Müttern, mehr unfreiwillig, eincremen.
Sie wollte etwas zu trinken kaufen gehen, ich sollte auf das Gepäck aufpassen. Leichtfüssig sprang Sie davon. Ich liess mich in den Sand sinken, mit dem Rücken an das Gepäck gelehnt. Mit geübten Handgriffen schälte ich meine Füsse aus den Kampfstiefeln und vergrub die Zehen tief im feinen Sand. Warm umschloss er sie und ein wohliges Gefühl breitete sich in mir aus.
Leute gingen vorbei und schauten teils neugierig, teils irritiert und misstrauisch auf mich und den ominösen Badetuchhügel hinter mir. Ich beobachtete sie durch meine Sonnenbrille hindurch und tat als wenn ich nur Sonne und Strand geniessen und wie jeder x-beliebige Tourist am Abend dann wieder verschwinden würde. Niemand sollte wissen, dass wir vor hatten am Strand zu schlafen. Es kam mir aber so vor, als wenn all die Leute es schon längst wüssten. Ich war jedoch zu müde um mir darüber noch gross Gedanken zu machen und die Mattigkeit hüllte meinen Verstand langsam in Watte ein.
Ich schrak leicht aus meinem Dämmerschlaf, denn Sie stand plötzlich neben mir, zählte auf was Sie gekauft und was Sie mit dem Ladeninhaber gesprochen hatte. Es dauerte einige Sekunden bis ich die Situation überhaupt erfasste und erkannte, was, oder besser gesagt wer, mich da aus meinen Träumen gerissen hatte.

Ich weiss nicht mehr wovon ich dort geträumt hatte, aber ich würde jetzt gerne weiterträumen. Wenn auch nur um überhaupt etwas zu träumen. So viele Nächte die vergehen ohne sich auch nur an einen Traumfetzen erinnern zu können. Das Bett steht neben mir, einladend, weich und kürzlich frisch bezogen. Das kuschelige Schaffell, es fordert einen geradezu auf sich darauf zu legen und die Finger in den feinen Zotten zu vergraben. Würde es nicht so nach –neu- stinken, vergrübe ich auch mein Gesicht darin. Und doch… die Erinnerung an die Nacht am Strand, reizt mehr als jedes Bett und Fell.
Wer einmal eine Nacht am Strand, in einer Sandkuhle verbracht hat, bei Mondschein und Meeresrauschen, eine ruhige laue Sommernacht… der weiss wovon ich spreche. Man muss es selbst erlebt haben.
Eine Sehnsucht erfasst mich wenn ich daran zurück denke. Eine wunderschöne Erfahrung die man so gerne wiederholen möchte.
Draussen regnet es, der wolkenverhangene Himmel drückt wie eine schwere Last auf einen nieder und am liebsten würde man die Rollläden schliessen, nur schon um der deprimierenden Stimmung zu entfliehen. Scheiss Wetter!


Die Sonne warf ihre letzten Strahlen auf den Sand, die Touristen sassen nun in ihren Wohnungen und kümmerten sich ums Abendessen, und wir… wir luden unser Gebäck wieder auf den Rücken und stapften dem Strand entlang durch den Sand. Bei jedem Schritt versanken unsere Füsse ein Stück weit, so dass wir nur langsam vorwärts kamen. Ein paar Kinder spielten noch fangen.
Es war 6Uhr abends, wir setzen uns kurz. Sie musste Zuhause anrufen, es einmal klingeln lassen, damit Ihre Mutter wusste, dass es Ihr gut ging. Meine Eltern waren auf einem Kreuzfahrtschiff auf dem Mittelmeer unterwegs und liessen alle paar Tage mal was von sich hören, was mir gerade recht war. Während sie Ihr Handy suchte, beobachtete ich die Kinder. Deren Mutter kniete im Sand bei ihnen und hielt den kleinsten umarmt. Ich hörte wie der älteste einem jüngeren Bruder erklärte: „ Weiss du, das sind Leute die kein Haus haben und deshalb draussen schlafen.“ Der meinte wohl uns. Ein Grinsen huschte über mein Gesicht.

Ich weiss im Nachhinein nicht mal mehr ob er dies auf Französisch sagte… Trotz meiner schlechten Sprachkenntnis habe ich es wohl verstanden.
Draussen knirscht, quietscht und rumpelt es, die Arbeiter nehmen unser ganzes Dach auseinander. Stück für Stück wir renoviert und abgedichtet. Der frühere Eigentümer und Erbauer des Hauses wurde dazumal scheinbar ziemlich über den Tisch gezogen… zahlte sich dumm und dämlich für ein Dach, das einer Scheune, aber nicht einem grossen Einfamilienhaus wie diesem, genüge tut.
Es ist schwer sich bei diesem Krach zu erinnern… ich wäre so gerne wieder dort am Strand, weg von dem Lärm, weg vom normalen, stressigen, momentan grauen und vom Nebel eingehüllten Alltag. Wer nicht…


Sie war fertig und stand auf, verstaute das Handy in Ihrer Hosentasche.
Kaum ein paar Meter waren wir gegangen, als Sie stehen blieb und nachdenklich ein etwas heruntergekommenes Haus anstarrte. „Es sieht ziemlich verlassen aus,“ Da gab ich Ihr Recht, die Aussenwände waren voller Graffitis und der Garten total verwuchert. „vielleicht können wir auf der Terrasse unter dem Balkon übernachten. Dort sieht uns so schnell keiner.“ Die Idee war im Prinzip gut, nur hatte ich irgendwie das Gefühl wir würden dort auf leere Spritzen und irgendwo im Haus auf einen Junkie treffen… oder feststellen müssen, dass dort trotz den äusseren Zuständen eine Familie wohnte. Ich schlug vor die Nachbarin des Hauses, eine ältere Dame die auf der Treppe zu ihrem Vorgarten sass, zu fragen ob das Haus leer stehe und es ihr was ausmachen würde, wenn wir dort eine Nacht im verwilderten Vorgarten übernachteten. Ich wollte nicht mitten in der Nacht von der Polizei abgeführt werden, nur weil sie uns vielleicht entdeckte.
Sie sträubte sich jedoch dagegen zu der alten Frau zu gehen. Ich konnte nicht, mein Französisch hätte nicht mal für den ersten Satz ausgereicht.
Sie liess ihr Gepäck in den Sand fallen und stapfte auf das vermeintlich verlassene Gebäude zu, um den Platz zu inspizieren. Ich richtete mein Augenmerk auf die alte Dame, ob sie uns wohl beobachtete. Sie sprach mit einem kleinen Jungen, vermutlich ihr Enkelkind. Die beiden lachten über etwas dass sie gesagt hatte und gingen ins Haus.
Sie kam etwas enttäuscht zurück. Der Platz sah wohl aus wie ich es mir ausgemahlt hatte… versifft und voller Scherben. Während Sie sich Ihr Gepäck wieder auf die Schultern lud, fiel mein Blick auf ein etwas einsam am Strand liegendes Katamaran. „Wir könnten unter dem Boot schlafen.“ Sie sah mich schräg an und meinte dann, ob es nicht etwas zu niedrig war und was wäre wenn der Bootsbesitzer uns am nächsten Morgen entdeckte. Ich glaubte nicht wirklich dass der Besitzer derartig früh schon zum Segeln aufbrechen würde und was die Höhe des Zwischenraums betraf, konnte man diese durch buddeln bestimmt dem Bedürfnis anpassen. Doch Sie wollte lieber noch etwas weiter den Strand entlang gehen und bei den Dünen nach einem geeigneten Schlafplatz suchen. So stapften wir weiter. Die Sonne war inzwischen gänzlich hinter dem Horizont verschwunden.
Je näher wir den Dünen kamen, desto näher kamen wir auch dem ärmlicheren Teil der Ferienwohnsiedlung. Wir hörten die vielen Menschen schon bevor wir sie sehen konnten. Sie standen und sass dort in Gruppen, der Grossteil von ihnen war dunkler Hautfarbe. Anscheinend waren die zwei Wohnblöcke die dort hoch in den Himmel ragten, von ihnen bewohnt. Uns wurde es mulmig zu mute. Das ganze wirkte schon etwas ghetto- mässig.
Sie war mit ihren blonden Haaren und dem hübschen Gesicht sonst schon in ganz Südfrankreich der Anziehungspunkt aller Männer im nahen Umkreis gewesen und befürchtete diese hier könnten noch aufdringlicher sein. Uns wurde auch bewusst, dass bei so vielen Menschen die Wahrscheinlichkeit, dass uns wer folgte und unseren Schlafplatz verraten könnte, hoch war. Wir wollten unsere Pfeffersprays nicht einsetzen müssen, wollten nicht irgendwo im Nirgendwo des Strandes, überrascht und vergewaltigt werden.
Wir machten auf dem Absatz kehrt und gingen wieder in die Richtig aus der wir gekommen waren.




Eine Fortsetzung des Abends folgt noch, wenn ich wieder die Zeit dazu habe und in der passenden Stimmung bin, um ihn zu vervollständigen.
Und wenn sich nach diesen paar Zeilen noch nicht jeder zu tode gelangweilt hat. ;)
 

Keen

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Hallo Chaya,

ein bisschen gelangweilt hab ich mich schon, aber eigentlich ist der Text doch recht interessant. Interessant ist der Zeitenwechsel, einerseits das Einfangen der Vergangenheit, andererseits des jetztigen Moments, wobei dadurch der Erzählstrang nicht unterbrochen wird: man liest weiter ohne zu fallen, oder ohne eine Schwelle zu bemerken. Weiter steht aber eben das für die Gleichgültigkeit deines Textes: Natürlich sind keine Schwellen, weil alles beliebig/vertauschbar/fast ein Jedermann-Erlebnis ist.

Aber wie du auf dem Schafsfell liegst, das ist etwas Besonderes. Ich weiß nicht, irgendwie denke ich, dass das die Mitte ist deines Textes.

oh die schöne Jugend, wo alles noch Wolke ist

Pardon
Keen
 

Chaya

Mitglied
:)

Hallo Keen

Danke für die Kritik.
Ich habe versucht in dem Text genau die Stimmung herüber zu bringen, wie ich sie an diesem Tag, resp. Abend, empfunden habe. Ich fühlte mich ausgelaugt, etwas erschlagen und nahm das ganze auf, ohne gross Gefühle aufbringen zu können.
Zu dem Zeitpunkt als ich den Text schrieb, und die kleinen Zwischenzeilen mit dem Schaffell einflossen, war ich wiederum in einer ganz anderen Stimmung, etwas verträumt.
Mir ist es wichtig, die Empfindungen, Stimmungen die ich zum Zeitpunkt des Geschehens empfand in den Text einfliessen zu lassen. Ich weiss nicht, ob mir dies wirklich gelungen ist. Ich hoffe es. ( Auch wenn das Ergebnis Langeweile ist ;) )

Gruss
Chaya
 



 
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