Einsamkeit

Rebecca

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Eigentlich wußte er nicht, was er dort tat. Er wollte doch nur eine gute Zukunft für die Familie. Jetzt war alles kaputt. Seine Eltern hatten sich nie Gedanken über die Zukunft gemacht. Sie waren nie für ihn dagewesen, hatten ihn verlassen. Schließlich hatte er sein Glück allein gesucht. Aber er mußte feststellen, daß die Welt genauso erbarmungslos war. Dann traf er sie. Sie war das hübscheste Mädchen, das er je gesehen hatte. Sie war seine Traumfrau. Wie glücklich sie am Anfang waren. Sie waren verliebt. Doch jetzt haßte er Marlis dafür. Er haßte ihren Egoismus. John haßte die ganze Welt, weil er von ihr so enttäuscht worden war. Er hatte doch nur etwas Glück gesucht. War das denn zuviel verlangt? Er war zu lange in seinem Leben allein gewesen. Ihm stand verdammt noch mal ein Stück Glück zu. Hatte er nicht bereits genug gelitten? Marlis hatte ihn mal geliebt. Deswegen hatten sie vor sechs Jahren geheiratet. Sie waren danach so unendlich glücklich gewesen. Aber dann... Was war bloß mit ihnen geschehen?

Marlis hatte damals ihren Job aufgegeben und war, wie John es wollte, Hausfrau geworden. Wenn er nach Hause kam, erwartete sie ihn bereits an der Tür. Alles schien perfekt zu sein, wie in diesen Serien, die John immer als Kind gesehen hatte. Aber dann kamen sie, und alles änderte sich plötzlich.
Marlis hatte nicht mehr soviel Zeit für ihn. Sie wurde abweisend und war immer zu am Jammern, daß sie kein Geld hätten. Dann kam sie auf die Idee, wieder zu arbeiten. Reichte ihr sein Einkommen plötzlich nicht mehr? Hatte er sich nicht genug abgeschuftet, damit sie ein angenehmes Leben hatte? Dabei hatte John sich so auf die Zwillinge gefreut, als er von ihnen hörte. Sie sollten das Familienglück noch perfekter machen. Eine richtige Familie eben.
Doch es kam alles anders. Marlis mußte sich von früh bis spät um die Balgen kümmern und vernachlässigte ihn. Niemand kümmerte sich nun mehr um John. Das war nicht richtig. Er war hier der Versorger. Und so begann er mit dem Trinken. Er versuchte seine Einsamkeit in Bier zu ertränken. Doch das funktionierte nicht so gut, wie er gehofft hatte.
Wenn er nach Hause kam, wartete sie wütend im Schlafzimmer. Wenn er dann lauter wurde, schimpfte sie ihn aus, weil die Kinder wach wurden. Sollten sie doch nur schreien. Wen kümmerte das? Ihn sicherlich nicht. Sein Familienglück bröckelte. Das konnte er doch nicht zulassen. Hatte er seinen Jungen nicht die Leben geben wollen, die er nicht bekommen hatte?
Aber was war der Dank, diese kleinen Nimmersätter wollten immer mehr. Immer mehr Liebe und Essen. Sie verschlangen sein Geld und die Liebe von Marlis. Schließlich sah er keinen anderen Ausweg mehr. Er mußte das beenden.

Jetzt zitterten seine Hände, als er die kleinen Körper in die Müllsäcke stopfte. Überall klebte Blut. Er wischte es sich am Hemd ab. Dann warf er einen hektischen Blick aus dem Fenster, um sicher zu gehen, daß keine neugierigen Nachbarn zusahen. Er schwitzte.
Warum hatte sie ihm das angetan? Waren sie nicht vorher glücklich gewesen?
Sie wollte wieder arbeiten. Verdiente er ihr nicht genug? Keine Frau sollte arbeiten gehen. Sie gehörte ins Haus. Aber sie ließ es sich nicht wieder ausreden, bestand darauf, sich einen Job zu suchen. Das war zuviel. Sie vernachlässigte den Haushalt und kümmerte sich nicht mehr um ihn. Hatte er nicht auch Bedürfnisse. Er mußte sich immer mehr um diese kleinen Bastarde kümmern, doch das wollte er nicht. Er haßte Marlis dafür. Er haßte die Firma, den verdammten Job, die Kollegen und sein ganzen beschissenes Leben. John schleppte die Plastiksäcke durch die Hintertür zum Wagen und legte sie vorsichtig in den Kofferraum. Wieder einmal war er allein, wie so oft in seinen Leben, dabei wollte er doch nur glücklich sein. Er ging zurück ins Haus, lief durch die Küche ins Wohnzimmer. Auf dem Teppich waren überall Blutflecken. John mußte ihn rausnehmen. Er wickelte ihren Körper darin ein, aber so konnte er sie nicht in das Auto bekommen. Wieder einmal machte Marlis Probleme.
John mußte sich beeilen, es wurde spät. Und was hatte die neugierige Nachbarin gesehen? Sie hatte geklingelt und neugierig ins Zimmer geschaut. Er mußte sicher sein. Also wusch er sich kurz die Hände und ging rüber zu der alten Hexe. Sie öffnete gleich, hatte ihn kommen sehen.
"Meine Frau hat Probleme mit der Waschmaschine, die ist ganz neu. Würden sie mal mit rüberkommen?"
Sie gingen in sein Haus. Mrs. Alberts fragte ihn, was er mit den Plastiksäcken vorhatte. Offenbar hatte sie ihn gesehen, und das war schlecht, schlecht für. Als sie sich über die Maschine beugte, nahm John den Hammer aus der Schublade und schlug zu. Wie leicht doch ein Hinterkopf zerschlug. Sie war sofort tot. Er mußte ihr ein paar Knochen brechen, damit sie ihn den Müllsack paßte. Bei Marlis war es schwerer. Sie paßte nicht in den Kofferraum. Wie gut, daß er eine Axt im Werkzeugschuppen hatte. Erst schärfte er sie noch einmal, bevor die Axt durch das Fleisch sauste. Sie schnitt wie durch Butter. John war zufrieden. Als die beiden Frauen und der Teppich im Kofferraum verstaut waren, fuhr er los zur Müllhalde. Auf dem Weg dorthin erschienen ihm wieder diese Bilder. Er sah Marlis mit den Zwillingen auf dem Arm die Treppe hinunterkommen. Sie hatten fürchterlich gestritten, sie wollte fortgehen.
Das konnte er nicht zulassen. Er schubste sie ins Wohnzimmer. Sie schrie ihn weiter an. Dann schlug er zu. Ihr Kopf flog zur Seite und sie weinte. Die Kinder krabbelten am Boden. Marlis rief: "Tu ihnen nichts!" Doch da hatte er den Feuerhaken schon in der Hand. Er hatte dieses zwingende Bedürfnis ihr wehzutun. Also schlug er ein zweites Mal zu. Sie lag regungslos am Boden. Die Kinder schrien. Der Feuerhaken bohrte sich in Marlis Brust. Ein Augenpaar starrte John an. Es war vorbei. Dann nahm John ein Kissen vom Sofa und drückte es einem Kind auf das Gesicht. Als es tot war, kam das nächste dran.
Wenig später warf er die Müllsäcke auf die Halde und fuhr weiter. Er konnte nicht nach Hause, die Polizei wäre bald hinter ihm her. Eigentlich wollte er nach Mexiko, aber er drehte um und fuhr in seine Heimatstadt. Es war noch genau wie früher., als er noch ein kleiner Junge war. Seine Kindheit war allerdings nicht die beste gewesen. Er fuhr zu dem Haus seiner Eltern. Es war dunkel. Seine Eltern würden bereits schlafen. Schließlich schlich er sich ins Haus und ging die Treppe hinauf zum Schlafzimmer. Er hatte aus der Küche ein Messer mitgenommen. Es dauerte nur wenige Minuten. Erst schnitt er seiner Mutter die Kehle durch.
Danach durchschnitt er auch seinem Vater den Hals. Blut tropfte auf das Laken. John lächelte.
Er fühlte sich frei. Er leckte sich die Finger. Wie süß doch Rache schmeckte.

Als ihn die Polizei einige Tage später in den kleinen Hotel festnahm, sagte er nur: "Ich habe nur meine Pflicht getan."
Er wurde unter höchsten Sicherheitsmaßnahmen ins Gefängnis gebracht. Seine Verhandlung war schnell vorbei. Seine Strafe wegen sechsfachen Mordes, der elektrische Stuhl. Zwei Jahre verbrachte John nun bereits in der Todeszelle. Er war einsam dort. Nachts konnte er die Stimmen seiner Opfer hören, die ihn riefen. Als der Tag der Hinrichtung endlich kam, bestellte er sich einen Priester in die Zelle. John saß ihm gegenüber und beichtete seine Sünden. Der Priester segnete ihn. Plötzlich schnellte John hoch, er hatte das Messer von seiner letzten Mahlzeit in der Hand. Er grinste und meinte: Was wird dein Boss wohl dazu sagen, wenn ich dich jetzt mitnehme. Dann wird er mir sicherlich nicht vergeben. Ich werde nicht allein zur Hölle fahren, denn ich nehme dich mit. Ich werde nie wieder allein sein, nie wieder..." John rammte dem Priester das Messer in die Brust. Danach starch er es sich in den Bauch. Wieder floß Blut durch seine Hände, doch dieses Mal war es sein eigenes. Dieses Mal war er nicht allein. Die Wachen rannten in die Zelle. Es war zu spät. An der Wand stand das Wort Einsamkeit. Er war sein Leben lang einsam, doch gestorben ist er nicht allein.
 

Korina

Mitglied
Das Thema gefällt mir :)

Hallo Rebecca,

Ich finde die Idee so eine Geschichte zu schreiben sehr gut, trotzdem fielen mir ein paar Kleinigkeiten auf:

Gleich am Anfang kommt schon dieses Dann traf er sie...

ich empfinde das als etwas plötzlich, man hat sich auf ihn noch gar nicht richtig eingestellt, da kommt schon sie... und du hättest seinen Konflikt vielleicht noch detaillierter beschrieben können. Du erwähnst zwar dieses:

Hatte er nicht bereits genug gelitten? [...]
... aber man erfährt zu wenig davon, daß er tatsächlich gelitten hat.

Zu:
Alles schien perfekt zu sein, wie in diesen Serien, die John immer als Kind gesehen hatte.
... möchte ich nur sagen: man weiß zwar was du meinst, aber vielleicht hättest du diese Art von Friede-Freude-Eierkucken-Serien genauer beschreiben können.

Weiter:
[...] Und so begann er mit dem Trinken. [...]

Der Ernst der Situation kommt nicht so ganz rüber, finde ich. Du hättest den Grund vielleicht etwas drastischer beschrieben sollen, damit man ihn auch versteht, warum er sich in den Suff flüchtet...

Jetzt mal Lob :)
... Den Übergang von: Er mußte das beenden. zu: Jetzt zitterten seine Hände, als er die kleinen Körper in die Müllsäcke stopfte. [...] hätte man besser nicht machen können, das war wirklich gut und unerwartet. Ab dieser Stelle wird die Geschichte echt gut, auch vom Schreibstil her.

[...] Offenbar hatte sie ihn gesehen, und das war schlecht, schlecht für.
Schlecht für was? Schlecht für wen? Ist das absichtlich? Also: schlecht für punkt-punkt-punkt? Oder Tippfehler? Oder hab ich mich verlesen, kann auch sein... :)

[...] Auf dem Weg dorthin erschienen ihm wieder diese Bilder. [...]
So wie du diese Bilder beschreibst, hättest du die Auseinandersetzungen, als Marlis noch am Leben war, auch beschreiben können, das ist echt gut. Ich finde es auch interessant, daß du erst hinterher beschreibst, wie er sie umbrachte.

Es tut mir leid, daß ich an so Kleinigkeiten gemeckert habe, aber die Geschichte finde ich echt toll und wenn du vielleicht noch mal drüber gehst und das eine oder andere ausbaust oder wegläßt, dann ist das eine echt super Geschichte!

Viele liebe Grüße
Korina.
 
N

Nico Jahn

Gast
Ein tiefer Blick in den menschlichen Abgrund

Hallo Rebecca...

Ein aktuelles und jedem Menschen wohl bekanntes Thema - ein sehr erschreckendes Thema. Dies hast Du genauso niedergeschrieben, wie es kaum besser geht.

Zwar sind in Deinem dem Schreibstil einige Auffälligkeiten, die ich selbst anders machen würde oder die Fragen aufwerfen, aber dennoch eine kurze und harte Beschreibung der Vorgänge, die viele dieser Taten als Hintergrund haben.

Wird von solchen Tragödien berichtet, kann man vor Entsetzen und Unverständnis dies kaum glauben. Und das ist auch bei Deiner Geschichte der Fall.

Und da man dieses Entsetzen bei sich selbst während des Lesens spüren kann, ist Deine Erzählung eine gute Benotung wert. Weiter so...

Nico Jahn
 

Frank Zimmermann

Junior Mitglied
Textkritik

Ich fand die kurze Einführung des Protagonisten für den kurzen Text angemessen. Beim Weiterlesen war ich mir sicher, es mit einem zynisch-ironischen Text zu tun zu haben. Die psychologische Herleitung für das Ausrasten eines Mannes schien mir zu oberflächlich um ernst gemeint zu sein. Am besten gefiel mir der Satz: "Wieder einmal machte Marlis Probleme.".

Doch dann kippt der Text: auf einmal wird die ganze Kaltblütigkeit und Brutalität vorgeführt. War die Erzählerin anfangs noch sehr dicht beim Protagonisten und seinen Gedanken - in der Erzählung wiederholen sich sogar die Gedanken, so daß man an den Zirkelschlüssen des Verwirrten unmittelbar beteiligt ist - so entfernt sie sich nun von ihm, schludert noch drei weitere Morde hinterher, als wären vier Tote nicht genug.

Meiner Meinung nach hätte die Autorin sich für einen Stil entscheiden sollen: entweder den lakonischen Erzählton des Anfangs beibehalten, dann wäre es wohl eher eine Krimisatire geworden oder die Schilderung eines Schicksals mit einer psychologisch fundierten Begründung. Doch für zweiteres hätte es wohl weit mehr gebraucht, an Text und an Hintergrundwissen.
So bleibt der Text auf RTL II-Niveau hängen: ein bißchen Psychovokabular, ein bißchen Splatterinventar; Brot und Spiele.
Schade!
 

Rebecca

Mitglied
Antwort

Um es erst einmal vorwegzuschicken, dieser Text ist extrem alt. Ich glaube ich habe ihn noch in dieser Teenager-null-zukunft-Phase geschrieben. Ich habe ihn leider nicht noch einmal gründlich Korrektur gelesen. Mittlerweile bin ich wieder runter von diesen Bild-Zeitungs-Stil. Es war wohl in der Tat etwas zu viel Blut. Aber damals entsprach das meinen Gefühlen. Doch keine Angst, ich bin nicht amokgelaufen oder so, das tun immer nur meine Figuren.
Ich hoffe, ihr lest trotzdem weiter meine Geschichten.

Rebecca
 



 
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