Elend

4,00 Stern(e) 1 Stimme

bosbach46

Mitglied
Elend

Der Tag, an dem mich das Verhängnis wie eine Flutwelle überspülte, begann zumindest für meinen Hund erfolgreich.Mit drei knappen, schnellen Sprüngen erhaschte Asper, ein flinker Border, ein ausgewachsenes Kaninchen.

Der Hund riß den Bauchraum seiner Beute auf und verschlang die Eingeweide. Zuhause kotzte der Köter an mehreren Stellen den Steinfußboden des Wohnzimmers voll. Zuletzt beschloß er den Perser als Unterlage seiner Würgeanfälle zu benutzen.

Böse, fragte ich, ob er ins Tierheim wolle. Nachdem ich seine schleimigen, grauen Auswürfe entfernt hatte, entnahm ich dem Erdnußsack einige Nüsse. Knabbern beruhigt!

Nur schossen die Nüsse, wenn ich die Schale zerquetschte, aus ihr hinaus. Wie Raketen flogen sie ins Wohnzimmer hinein. Der Hund rannte den Kernen aufgeregt hinter her. Sie schmeckten ihm.

Angesichts meiner Unfähigkeit Nüsse zu knacken und sie auch essen zu können, entnahm ich dem Bücherregal meiner Frau ein medizinisches Fachlexikon. Vielleicht hatte meine Ungeschicklichkeit mit einem beginnenden Parkinson zu tun. Oder sie war der Anfang eines anderen schrecklichen Siechtums.

Ich würde also in einem Rollstuhl sitzen müssen. Speichel würde aus meinem Mund rinnen. Mit weit aufgerissenen Augen würde ich meine Pfleger betrachten und nicht begreifen, wer sie waren. Eine grauenvolle Zukunft!

Die Frage war nur, welchen Rollstuhl ich vorzugsweise benutzen wollte. Irgendein klobiges, schweres Kassenmodell würde meinen unvermeidlichen Leidensweg unnötigerweise verschlimmern. Also bestellte ich einen bequemen Komfortrolli, der schnellstens von meinem Sanitätshaus geliefert wurde. Der technische Mitarbeiter des Sanitätshauses ging mir auf die Nerven. Mehrmals fragte er nach, ob das Gerät, er vermied den Ausdruck Rollstuhl, wirklich für mich sei.

Dieser Grobian schien mein muskeläres Zittern zu übersehen. Ebenso meine erstarrte Gesichtsmimik, dem typischen Salbengesicht der Erkrankten. Trotz seiner Ignoranz stellte er den Stuhl optimal ein.

Um mit hoher Geschwindigkeit durch das Haus rollen zu können mußten die Möbel entfernt werden. Ich räumte Tische, Stühle und Sessel beiseite. Einige Möbel ließ ich von der Müllabfuhr entsorgen. Auch das Schachtischchen meiner Frau, das sie vor einem Jahrzehnt als Handgepäck im Flieger auf ihren Schoß gehalten hatte. Vermutlich war dieses Tischchen das Abschiedsgeschenk eines schwarzen Liebhabers, der mich auf diese Art und Weise fortgesetzt weiter hörnen wollte.

Meiner Frau, die noch einem Kongreß beiwohnte oder beischlief, sandte ich ein Fax. Leider könne ich sie nicht vom Flughafen abholen, da ich krankheitsbedingt kein Auto mehr fahren dürfe. Noch blieben mir einige Tage Zeit, um ungestört an meiner behindertengerechten Umgebung zu arbeiten.

Maurer und Schreiner verbreiterten die Türen zu den Toiletten. Die Küchenschränke, samt den Arbeitsplatten wurden abgesenkt. Schließlich kochte ich gerne und wollte vermeiden, künftig über den Kopf, aus dem Rolli heraus, Zwiebel schneiden zu müssen.

Ich fand die Umbauten schön! Dem Hund gefielen die erfolgten Änderungen, denn er rannte fröhlich neben meinem Rollstuhl her. Er war eben ein lustiger Geselle.

Meine neue Behinderung war im Dorf schnell erklärbar. Die Fleischfachverkäuferin schenkte mir eine Zungenwurst, der Pfarrer sprach tröstende Worte und am Geldautomaten bedauerte der Filialleiter die fehlende Rampe für Rollstuhlfahrer. Es war schön so!

Dann betrat meine Frau das Haus. Wortlos schob sie meine Heimdialyse, die ich vorbeugend vor Jahren beschafft hatte, den Lungenautomaten und leider auch den rollbaren Inhalator aus unserem Schlafzimmer heraus.

Mit diesem herzlosen Biest mochte ich keine Minute mehr unter einem Dach verbringen müssen. Umgehend kaufte ich mir einen Heimplatz für Senioren mit gehobenen Ansprüchen. Der Heimleiter befand zwar, mit 48 Jahren könne ich Deplaziertheitsgefühle entwickeln. Na, sagte ich, daran bin ich gewöhnt, immerhin bin ich zwanzig Jahre mit meiner Frau verheiratet. Da lachte er.

Mir gefällt es über die Flure zu sausen, vorbei an festgeschnallten Omas. Besonders gern mag ich es, wenn mich die Älteren Küken nennen. Und eine großartige Genugtuung erlebe ich der Cafeteria, wenn ich nuschelnd, für niemanden verstehbar Käsekuchen bestelle.

Kürzlich kam ausnahmsweise meine Frau, mit einem Formular unter das meine Unterschrift sollte. Voller Freude krümelte ich Käsekuchenreste auf den Wisch und ließ Kaffee über meine Unterschrift laufen. Angewidert stakste meine Gattin davon. Ich war glücklich.
 

K.T. Mallory

Mitglied
Köstlich amüsiert

Was habe ich gelacht beim Lesen deiner Geschichte!!!! Süffig locker geschrieben! Rabenschwarzer Humor! Fesselnd bis zum Ende. Unterhaltsam! Kurz: ein herrlicher Text!

K.T. Mallory
 



 
Oben Unten