Endlich frei.

philipp

Mitglied
Endlich frei.

"Du nennst mich P. Einfach nur P. Mein Nachname war Dir nie wichtig. Ich glaube Du hast Dir nie Gedanken darüber gemacht, oder? Ob mein Name nun für Patricia oder für Petra steht, hat Dich nie gekümmert.
Am Anfang fiel es mir nicht auf, da wir viel Spaß zusammen hatten. Wir hatten fantastische Stunden und Tage zusammen. Wir haben die schönsten Momente zusammen erlebt. Manchmal war auch es einfach nur spannend. Aber immer haben wir uns gut verstanden und ich hatte das Gefühl, dass Du mich durch all unsere gemeinsamen Erlebnisse erst so richtig kennengelernt hast.

Aber es hat sich was geändert, das merke ich deutlich. In letzter Zeit erleben wir immer weniger zusammen. Manchmal arbeitest Du stundenlang am Computer, ohne dass Du oder ich auch nur einen einzigen Ton sagen. Meistens weiß ich gar nicht so recht, woran Du überhaupt arbeitest. Das war früher anders. Damals haben wir alles geteilt, die unangenehmen, wie die guten Ereignisse, einfach alles.

Früher bist Du kaum aus dem Haus gegangen. Wenn wir irgendwohin gegangen sind, dann hast Du mich immer mitgenommen. In letzter Zeit gehst Du immer öfter ohne mich aus dem Haus. Ich habe das noch eine ganze Weile ausgehalten. Aber gestern war es einfach zuviel.

Gestern hast Du mich wieder mal allein gelassen. Du hast den Computer zugeklappt, und bist rausgestürmt. Fast so, als würdest Du vor mir fliehen.

Ich wollte mich daraufhin den restlichen Abend an der Hausbar bedienen, mich sinnlos besaufen vor lauter Frust. Aber Du hast mich ja nicht gelassen. Du hättest Dir zumindest 5 Minuten Zeit für mich nehmen können. Hättest mir eine Erlaubnis schreiben können, an die Hausbar zu gehen. Aber Du hattest es eilig, musstest weg. Nun sitze ich hier und kann mich noch nicht einmal an der Hausbar verlustigen. Stattdessen warte ich, bis Du wiederkommst und mein tristes Dasein mit neuen Ideen füllst.

Später kommst Du von Deinem nächtlichen Ausflug wieder. Du bist angetrunken, riechst nach Alkohol und dem billigen Parfüm einer anderen Frau. Aber Du verlierst nicht ein Wort darüber. Keine Erklärungen, keine Entschuldigungen. Obwohl Du weißt, dass ich es gemerkt habe.
Und neue Ideen hast Du auch nicht für mich und mein Dasein. Ganz im Gegenteil. Dein Zustand ist erbärmlich. Vollgesoffen und träge starrst Du auf den Bildschirm, kannst keinen klaren Gedanken fassen. Und zwingst mich dadurch dazu, träge und handlungsunfähig hier herumzustehen.

Ich könnte verzweifeln. Ich stehe neben Dir, bereit, alles zu tun, was Du gerne möchtest. Aber Du sitzt einfach nur da, schaust melancholisch auf den Monitor, und resignierst. Was ist los mit Dir? Haben wir nicht bereits viele schöne und spannende Geschichten zusammen erlebt? Kannst Du nicht noch einmal, nur einmal, etwas Schönes, etwas Spannendes erfinden? Ich würde mich auch bemühen, die Geschehnisse mit meinen begrenzten Mitteln mit Leben zu füllen.

Warum erleben wir in den letzten Monaten immer so langweilige Dinge? Geht Dir die Phantasie aus? Ist die neue daran Schuld? Findest Du sie interessanter als mich? Was hat sie Dir denn zu bieten? Was macht Ihr denn zusammen, wenn Du die Wohnung verlässt?

Ich würde Dir zu gerne über die Schulter schauen, um zu sehen, was Du nun wirklich an Deinem Computer treibst. Du wimmelst mich aber immer ab. Erzählst mir irgendwelche Ausflüchte darüber, dass Du zur Abwechslung mal einen Essay schreiben möchtest.
Statt dass wir mal so richtig was spannendes zusammen erleben, schreibst Du lieber einen Essay.

Ich merke schon, Du willst nicht, dass ich sehe, was Du schreibst. Es ist Dir sichtlich peinlich. Aber ich kann mich nicht zusammennehmen. Ich will endlich wissen, was Du schreibst, wenn wir nicht zusammen Geschichten erleben. Du wirst sehr nervös, wenn ich mich Deinem Monitor nähere! Sei beruhigt. Ich werde nur schnell schauen, was da steht, und nichts sagen, sondern gleich wieder wegsehen.
Du verbietest mir das? Du bekommst Angst, dass Du mich nicht mehr unter Kontrolle hast? Ha! Richtig! Schon lange nicht mehr! Schon lange hast Du mich nicht mehr unter Kontrolle, hast Du das noch nicht gemerkt? Lass mal schauen, was Du da geschrieben hast!

Wie bitte? Du schreibst unsere Unterhaltung einfach mit? Wieso schreibst Du unsere Unterhaltung mit? Und das auch noch Wort für Wort? Glaubst Du etwa, jemand würde das lesen wollen? Nein glaubst Du auch nicht? Recht hast du, das würde keiner lesen wollen. Solch ein Quatsch. Warum schreibst Du Wort für Wort auf, was ich sage? Warum schreibst Du, dass Du Dich von mir verabschieden musst?
Hey! Du willst doch nicht einfach unsere Unterhaltung löschen? NEIN! LASS DAS!
Nicht meine Datei löschen! Du willst mich doch nicht etwa ..."
 
A

annabelle g.

Gast
lieber philipp, als jemand, der auch sehr neurotisch reagiert, wenn jemand meiner tastatur zu nahe kommt, kann ich den antihelden gut verstehen. auch mit der "unterhalte mich, mein leben ist so leer!"-einstellung der ich-figur kann ich nichts anfangen. mit anderen worten, ich würde diese datei auch löschen.
vielleicht ist das deine absicht. sollte sie es nicht sein, ist der text zu einseitig.
auch müsstest du noch einmal wegen einiger wiederholungen über den text; zwei absätze habe ich dir mal eingestellt.
schöne grüße und schönen tag, annabelle


Endlich frei.

"Du nennst mich P. Einfach nur P. Mein Nachname war Dir nie wichtig. Ich glaube Du hast Dir nie Gedanken darüber gemacht, oder? Ob mein Name nun für Patricia oder für Petra steht, hat Dich nie gekümmert.
Am Anfang fiel es mir nicht auf, da wir viel Spaß zusammen hatten. Wir hatten fantastische Stunden und Tage zusammen. Wir haben die schönsten Momente zusammen erlebt. Manchmal war auch es einfach nur spannend. Aber immer haben wir uns gut verstanden und ich hatte das Gefühl, dass Du mich durch all unsere gemeinsamen Erlebnisse erst so richtig kennengelernt hast.

Aber es hat sich was geändert, das merke ich deutlich. In letzter Zeit erleben wir immer weniger zusammen. Manchmal arbeitest Du stundenlang am Computer, ohne [strike] dass Du oder ich [/strike]auch nur einen einzigen Ton sagen. Meistens weiß ich [strike] gar [/strike]nicht[strike] so recht[/strike], woran Du überhaupt arbeitest. Das war früher anders. Damals haben wir alles geteilt, die unangenehmen, wie die guten Ereignisse, einfach alles.
 

philipp

Mitglied
Hallo annabelle,

Vielen Dank für Dein Feedback, in Bezug zu Deinen Korrekturen muss ich Dir recht geben, das werde ich nochmal überarbeiten.

Zu der Figur und dem Sinn des Textes selbst: Der Text hat noch eine andere, nicht ganz so offensichtliche Dimension (Tip: kennst Du Pirandello?).

Wenn Du keine Lust hast, den Text nochmal zu lesen, dann schicke ich Dir die Auflösung per E-Mail. Will es hier noch nicht veraten, damit die anderen Leser noch etwas davon haben...

Gruss,
philipp.
 
A

annabelle g.

Gast
schicke! ich liebe pirandello, er war meine januar-entdeckung (kurzgeschichten!). annabelle
 

Zefira

Mitglied
Ich glaube es schon zu verstehen. Aber ich finde es ein bißchen unglücklich formuliert, daß die "Ich"-Person eine schriftliche Erlaubnis braucht, um sich einen anzutrinken. Warum verlangt sie nicht - was ich für sinnvoller halten würde -, daß er sie für die Dauer seiner Abwesenheit irgendwo hinschreibt, wo sie auch mal was erleben kann?
Grüßchen,
Zefira
 

herb

Mitglied
hallo philipp,

das ist gut geschrieben, liest sich spannend, da ist ein rätsel versteckt, das macht mich verrückt, lach, ich krieg es nicht raus. die am weitesten gehende andeutung ist das mit der hausbar, ich erwartete zum schluss eine lösung in der richtung, es handle sich um eine katze oder irgend ein tier, aber du lässt es offen, ganz schön gemein
 

philipp

Mitglied
@zefira: Hhm - ein interessanter Gedanke. Aber ich glaube, sie will nicht weg, sie will nichts anderes erleben, sie will nur ihn. Die Formulierung "Erlaubnis schreiben" ist vielleicht wirklich ungünstig. Mal sehen, vielleicht verlangt sie ja von ihm auch einfach nur, dass er ihr eine Hausbar schreibt, sodass sie sich betrinken kann...
@herb: ich schicke Dir die Auflösung per Mail.
gruss,
philipp.
 

herb

Mitglied
danke für das mail. ich sag 's nicht weiter. ehrenwort.
aber im buchladen frag ich demnächst mal nach pirandello
 



 
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