Erleuchtung

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Piet

Mitglied
Das Tor der Erkenntnis

Wieviele Tore habe ich in meinem sehr langen Erdendasein schon bewundern dürfen? Kein Statistik-Weltmeister wird mir das jemals beantworten. Habe ich vielleicht doch damals das sagenumwobenste Tor der vor irrwitzigen Kuriositäten strotzenden Fußballgeschichte live miterlebt? Mit satten 372 Tagen Lebensalter war ich doch ganz sicher schon ballgierig genug, beim WM Finale 1966 mitzufiebern. Die entsetzliche Schmach der peinlichen Schlappe gegen die Inselkicker könnte auch das Trauma verursacht haben, das mir für knapp 23 Jahre den allerletzten Spaß an dem Spiel der Könige versaut hat. Die Generation meines Vaters hatte mich also bitter enttäuscht. Das konnten die mit so ein paar knickerigen Titeln in den Jahren drauf schon deshalb nicht wiedergutmachen, weil ich Null Draht zu jeder Art von Sport hatte. Wie schön kann die Kindheit sein, wenn sie nur mit Sandkastenspielerei, Würfelspielen und Detektivromanen buntgefüllt ist? Na schön, beim Würfeln kann man auch verlieren. Auch Titel wie „Mensch-ärgere-dich-nicht" kann niemandem so richtig die Pein der Niederlage schmackhaft machen. Irgendwann aber sieht man ein, daß da wirklich viel Glück im Spiel ist und sonst nix. Es folgt keine nationale Depression. Man muß nicht die Unfähigkeit der Krone deutscher Würfelkunst auf sein schmales Ego laden um darunterzusammenzubrechen.
Wie anders ist das beim Wettbewerb „UNSERER Mannschaft" mit den Übergranaten aus aller Herren Länder!

Das soll sich ein Ignorant mal vorstellen können: eine mir letztlich doch nahezu unbekannte Person macht eine bestimmte Bewegung, die nur in seltensten Fällen besondere akrobatische Fähigkeiten erfordert. Meist ist es nur das Schwingen eines Beins, Nicken des Kopfes bei gleichzeitiger Krümmung des Rückens. Nix Dolles eigentlich, kann mein Opa auch.

Und das soll mir irgendwas bringen? Wenn ich's selbst mache, na schön. Ist ja kein Tai-Chi, und selbst das ist eine Beschäftigung die Millionen von Anhängern hat, dem ungeübten Beobachter aber total bescheuert vorkommt.
Wir Fußballsüchtigen aber müssen nicht dämlich Schattenboxen, nee, wir dürfen mit fast allen Körperteilen vor 'ne schöne runde Lederpille kloppen, dass es nur so kracht.

Wen aber soll das wirklich interessieren? Leben wir denn nicht in einer supertechnisierten Zivilisation, voller schlauer Leute? Da kann sich doch ein ernst- und gewissenhafter Mensch nicht mit so einem kindischen Ballspiel beschäftigen. Zumindest nicht, ohne sich Lächerlich zu machen. Leute, die Verantwortung in Beruf und Familie tragen und es zu etwas bringen wollen, können die ein paar dreckverschmierten Balltretern zujubeln - ohne total dämlich auszusehen? Die Antwort liegt so deutlich auf der Hand wie das „Wembleytor" vor der Linie landete: Meterweit!

Da ist es doch logisch, daß jeder Ballfanatiker vor dem Angesicht der vernünftigen Restwelt bei seinem Outing ansehensmäßig in ein schwarzes Loch fällt. Die offensichtliche Dummheit des Proletenballsports reicht ja schon aus um deren Protagonisten als simple Charaktere einzustufen. Wer kann Respekt haben vor einer Figur, die beim belanglosen Ballgebolze auf und abhüpft, wie ein Flummi? Ob auf dem Platz, oder nebenher, dem können doch nur Halbgescheite was abgewinnen.

Klar! Und dann kam der 26. April 1989. Wer, der nur einen winzigen Thaler auf seinen Fußballverstand gibt, erinnert sich nicht? Logisch, die Bundesballelite darf in Holland antreten, beim frischgebackenen Europameister. Nur 10 Monate zuvor durften die Oranjes einen historischen Sieg feiern: Nein, der Cup war denen ziemlich egal. Wichtig war der Sieg über heißgeliebten und höchstverehrten Nachbarn.
So sehr wir alle diesen tollen Sportsfreunden aus dem Königreich am Meer ihren Triumph gönnten, so dezent war unser Kopfschütteln, als sich Torwart van Breuckelen und Ronald Koeman mit ihren frischertauschten deutschen Nationaltrikots vor der Fankurve die Hintern abwischten. Jaja, im Überschwang der Gefühle macht man schon mal ne kleine Dummheit, was soll's.
Soll man da von Narben sprechen, die noch frisch waren, als wir fröhlich und wohlgemut in Richtung Rotterdam abfuhren? I wo, allen ausgeglichenen und gestandenen Charakteren sowie insbesondere allen Fußballfans sind doch Revanchegelüste und derlei kleinkariertes Zeug total fremd. Ein Besuch im wirklich schönen Nachbarland verbunden mit einem schönen Fußballspiel, Herz, was willst Du mehr.

Die Vorzeichen waren dereinst leider nicht so gut. Den Holländern attestierte die vereinigte Expertenwelt die Neuerfindung des modernen, perfekten Fußballs. Unsere Jungs hatten sich erst kurz zuvor bis auf die Knochen blamiert - EM-Halbfinale, wie unwürdig - und galten als unerfahrene, technisch wenig ausgereifte Truppe.
Da stolperten solch Untechniker wie die jungen Möller, Hässler, Völler, Riedle über den Rasen. Der Gipfel aber war das lustige Duell Kohler gegen van Basten. Der eine als hässliche ewiggestrige Symbolfigur urteutonischen Kampf- und Kraftfußballs verschrien. Der andere galt als bester Stürmer der Welt, die Turboversion von Gerd Müller und Johann Cruyff in einer Person. Die Klischees blühten in dem Zarten letzten Frühling der 80er Jahre von allen Sportseiten. Schwarz war nie schwärzer und dem Weiß ging's genau umgekehrt.

Wie sollte der gute Marco da eine Chance gegen den lieben Jürgen haben? Spaß beiseite, in aller Fachwelt wurde nur über die Höhe des sicheren holländischen Sieges diskutiert.

Irgend ein missionarisch veranlagter Geist war dennoch in der Lage, mich zu einem kleinen Ausflug an den größten Hafen der Welt zu überreden. Nein, auf Shanghai hatte ich keine Lust, daher ging es zum berühmt-berüchtigten „De Kuip" in den schmucken Stadtteil Feyenoord. Wie oft begegnet man Menschen, die die Sinnlosigkeit ihres Tuns damit überdecken wollen, daß sie andere unschuldige Menschen dazu überreden, es ihnen gleich zu tun? Ich war Opfer eines solchen Gönners und habe die gravierenden Folgen bis heute zu tragen.
Die 80er waren stets geprägt von kurzen und heftigen Feindseligkeiten im Umfeld von bedeutenden Fußballereignissen. Wer was auf seine Mannschaft und sein Stadion hielt, der musste die bösen Gäste ein wenig einschüchtern. Heutzutage geht das meist verbal ab und das ist auch verdammt gut so. Ein paar verwirrte Einheimische hielten nämlich verdammt viel von ihrer Truppe und erst recht von ihrem Stadion. Das wollten sie auch ihren Gästen nicht verheimlichen, aber was hat das nun wieder mit Sport zu tun.
Letztlich war die Stadionatmosphäre durchaus geprägt von den etwas verbiesterten Besuchern, was durchaus sein gutes hatte. Niemand kam auf die Idee, daß das heute abend ein kleiner lustloser Kick werden könnte. Kein Zuschauer hatte die geringste Lust zu einer Friedhofskulisse beizutragen.
Schon beim ersten Warmlaufen der Ersatzspieler brach ein höllischer Lärm los. Tonne von Papier sollten noch an diesem Abend durch die Luft gepfeffert werden. Bengalische Feuer wurden zu hunderten abgefackelt. Damals gab es noch keine unseligen Sicherheitsbestimmungen, die eine solch irre Traumatmosphäre erst entstehen ließen. Nie zuvor habe ich mich so auf ein Spiel gefreut, wie in der letzten halben Stunde vor dem Anpfiff. Hinter dem südlichen Tor fieberten wir dem Anpfiff entgegen. Vor dem geistigen Auge flogen schon die Flanken vor mein Auge, die Kalle Riedle mustergültig versenken würde: lass es endlich losgehen!!
Um so mehr, als die 10.000 Oranjefans im Oberring über unserem Block so sehr mitfieberten, als daß ihre Tropfnasen auf uns herabregneten. Na was soll's. Kann jedem mal passieren. Was soll ich sagen, ein Superspiel folgt, das kann keiner beschreiben. Höchstes technisches und ganz sicher kämpferisches Niveau. U.a. sieht der große van Basten keinen einzigen Stich gegen Holzhacker Jürgen, bis der dummerweise verletzt raus mußte, aber darum soll's nicht gehen. Die zweite Halbzeit bietet alles, was das Fanherz so richtig in Wallung bringt. Und dann ging's so richtig ab. Unsere Jungs drücken und spielen, daß einem die Bäckchen glühen vor Spaß. Andy Brehme flankt aus vollem Lauf von der linken Seite, am kurzen Pfosten kommt der größte Kopfballspieler seit Horst „Kopfballungeheuer" Hrubesch angeflogen wie eine Rakete und semmelt die Pille genau vor meiner Nase ins Netz des unglaublichen van Breuckelen. Der 1,75m Riese Kalle Riedle erlöste uns mit dem Tor des Monats April 1989 aus dem Dornröschenschlaf. „Wir sind hier die Chefs" war jedem klar und bald auch dem Rest der Fußballwelt. Was für ein Traum, welch Genuss. Täglich fliegen weltweit Millionen Flanken und Kopfbälle durch die Gegend, nie zuvor war eine solche Perfektion erreicht worden. Generationen von Dichtern sind unbeholfen, diese Grazie, Dynamik, Präzision zu beschreiben.
Was folgt? Eine Explosion ekstatischen Jubels, Tausende sich unbekannte Fans liegen sich mit Tränen in den Augen und in den Armen. Nicht war mehr, wie es zuvor war.

Okay, das Spiel wurde zwar nicht gewonnen und bis zum Pokal mußte auch noch ein wenig geschwitzt werden. Aber jeder hatte zumindest eine Ahnung, daß mit dieser Mannschaft was zu ernten war. Wir waren wieder da. Jetzt war unsere Generation am Drücker und wir würden uns von schielenden Linienrichtern nicht vom WM-Sieg abhalten lassen. Diese Ahnung ging über in eine Riesenvorfreude, bis zur WM '90. Schon gut 14 Monate vor dem Triumph von Rom hatte ich so eine deutliche Ahnung, wie sie sonst wohl nur Hellseher haben. Das war alles viel schöner, als nun auf den Cup zurückzusehen. Jeder weiß, Vorfreude ist schöner als mancher Weihnachtsbraten.

Trotz eines soliden und zivilisierten Vorlebens bin ich seitdem ein Gefangener. Das Wort „ZUVIEL" im Zusammenhang mit Fußball ist mir völlig unbekannt.
Das Supertor hat deutlich an die Wand geschrieben: „DAS IST ES!" und gar nicht auf Widerrede gehört. Klar gibt es wirklich wichtige Dinge im Leben. Aber zwischendurch ist es nicht das Übelste, sich in die gigantische Welt zu stürzen, die mit viel Fußball zu tun hat.

Ich missioniere ständig neue Opfer, um ihnen auch mal so einen perfekten Moment zu geben. Bin ich nicht gut?
 

Piet

Mitglied
Hallo, ist da jemand????

Ja was denn, bin ich so schlecht???? Warum erbarmt sich denn niemand zu einer kleinen gnadenlosen Kritik???? Auf auf, traut Euch doch Ihr Reich-Ranickis.
 
S

Stoffel

Gast
nix für ungut..

Hi,

ist Dir aufgefallen, wieviele Autoren es hier gibt?
Die AUCH alle gelesen werden möchten??

Da kommst Du..Piet..angedackelt.. und drängelst wegen Aufmerksamkeit.*smile*

Geh erst mal los und kommentiere bei anderen,
dann
"werden sie geholfen" ;)

alles Gute hier
schönen Abend
Und tief durchatmen.

Stoffel
 

Piet

Mitglied
lesenlesenlesen

Hi Stoffel, bin ja dabei, aber noch ganz neu und frisch, werde mich steigern! Uns dann? Dann werden mir auch geholfen, gell?
 
S

Stoffel

Gast
Moin..

*lach*
ünsche Dir viel Spaß hier und nimm mir den Kommentar bitte nicht krumm ;)

schönen Tag
Stoffel
 

Piet

Mitglied
krumm

Hallo Stoffel, Respekt 1000 Posts! Glückwunsch. Ob ich das jemals schaffen werde? Nein, nehme nix krumm, brauche kanllharte Kritik wie die Schildkröte den Salat. Mach nur weiter so! Möchte von Euch Koryphäen schließlich noch was lernen.
Grüße, Piet
 



 
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