Es ist dein Geburtstag

sammettiger

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Es ist dein Geburtstag


"Bist du nicht zu auffällig gekleidet?" fragte er seine Frau und räusperte sich.
Seine Frau, die sich im hohen Schlafzimmerspiegel betrachtet hatte, drehte sich jetzt nach ihrem Mann um. Der saß auf der Kante des Ehebettes und kratzte angelegentlich an seinem Daumennagel herum. Die gesteppte Tagesdecke unter seinem Hintern bildete dicke Wülste.

"Wie kommst du denn darauf?" fragte sie ihn und ohne seine Antwort abzuwarten,drehte sie sich zurück zum Spiegel. Sie schüttelte leicht mit dem Kopf.
"Es ist doch wunderschön so. Weiß garnicht was du hast." Sie strich die Bluse glatt, "Und ich fühl' mich heute wirklich gut."
Ihr Mann verfolgte jede ihrer Bewegungen aus dem Augenwinkel. Irgendetwas an ihrer Aufmachung beunruhigte ihn. War es die tiefrote Bluse, durch die ihre weiße Haut schimmerte? Oder war es der halbdurchsichtige Tüllrock, unter dem sich ihr Hintern wölbte? Oder war es ihre leicht kokette Art sich zu bewegen? Er war sich nicht sicher, was es war. Es erinnerte ihn jedoch an jene Mädchen in jener Straße jenes Viertels, das er einmal monatlich besuchte.

Anfangs hatten ihn nur seine Aufgaben als Hauptkommissar des Sittendezernats ins Hurenviertel geführt. Später trieb es ihn auch häufig nach Dienstschluss dorthin.
Missmutig und mit großer Strenge gegen sich selbst, hatte er es geschafft diese privaten Besuche auf einen Einzigen im Monat zu beschränken.
Und gerade dadurch hatte dieser eine Besuch im Laufe der Jahre etwas beinahe Feierliches bekommen. Er begann ihn stets mit einer gewissen freudigen Anspannung im Herzen, brachte ihn jedoch mit einer Miene zur Vollendung, als ginge er einer lästigen Pflicht nach. Von den Mädchen wählte er seit sechs Monaten immer dasselbe. Immer das mit den wasserstoffblonden Haaren.
Bis auf die Begrüßung wechselte er kaum ein Wort mit ihr. Schweigend ging er hinter ihr die Treppe hinauf. Wobei er es einzurichten wusste, dass sich sein Gesicht etwa in Höhe ihres Hinterteils befand. Er meinte, wenn er die Luft vorsichtig durch seine Nüstern zog, ihr Geschlecht zu riechen. Sie gingen in immer dasselbe Zimmer, dessen Schäbigkeit durch das goldorange Licht der mit einem Tuch verhängten Nachttischlampe verborgen wurde. Ein warmes Glühen, das ihn in sich aufzunehmen schien.

"Hörst du mir zu?" rief seine Frau so laut, dass er zusammenfuhr. Er hob kaum merklich seine Augenlider.
"Sieh dich doch an", sagte er, "Wie du aussiehst ..." Er zögerte einen Moment, bevor er sich erneut seinem Daumennagel zuwandte.
"Wenn ich mit meinen Freundinnen ausgehe, ziehe ich an was ich will", erwiderte sie, "Du gehst ja nicht mit mir aus", fuhr sie fort.
Er beobachtete sie aus dem Augenwinkel.
"Warum gehst du eigentlich nie aus?", fragte sie ihn und zupfte einwenig die Falte unter ihren üppigen Brüsten zurecht.
Er schwieg, ertappte sich jedoch dabei, dass er fortwährend an das Mädchen mit den wasserstoffblonden Haaren dachte. Wie mochte ihr richtiger Name sein? Lara wie sie selbst sich nannte, war sicher nicht ihr richtiger; sie sah nicht aus wie eine Lara.

"Vielleicht gehe ich ja heute Abend noch aus", brummte er. Und dachte an die festen Brüste des Mädchens, die wie Softbälle hervorsprangen, wenn sie die Arme reckte, um ihr Bustier abzustreifen. Im selben Moment wurde ihm bewusst, dass sein Termin erst in zwei Tagen heran war. Und bis dahin ... Er seufzte.

"Was ist los mit dir?" fragte seine Frau.
"Nichts." antwortete der Mann.
"Bist du sauer, weil ich weggehe?" Sie ließ nicht locker.
"Nein, warum sollte ich deshalb sauer sein. Ich sagte doch, ich könnte ja auch weggehen." In der Stille war nur das leise Schaben seines Daumennagels zu hören.
"Ich weiß jetzt, was los ist mit dir; bin gerade drauf gekommen." sagte seine Frau nach einer Weile und drehte sich nach ihm um.
"Ja? Und?"
"Ja", sagte sie und sah ihn unverwandt an, "Du hast eine Andere."
Das Kratzen des Daumennagels brach abrupt ab. Der Mann hob ein wenig die Augenlider.

"Du siehst nuttig aus", sagte er und nahm wahr, dass sie kaum merklich zusammenzuckte. Sie schnappte nach Luft.
"Nur weil du bei der Sitte bist, musst du mit mir noch lange nicht umspringen, wie mit deinen Klientinnen - Herr Hauptkommissar. Mehr wird's ja doch nicht", setzte sie nach, "Gib's endlich auf und geh in Pension." Sie ließ ihn nicht aus den Augen.
Wortlos begann er am anderen Daumen herumzukratzen.

"Was soll ich denn deiner Meinung nach anziehen, das nicht nuttig aussieht?" Sie kniff einwenig die Augen zusammen.
"Etwas anderes. Die Bluse mit den Rüschen vielleicht", sagte er und hob seinen Blick.
"Damit seh' ich aus wie eine alte Frau", sagte sie, begann aber die Knöpfe der roten Bluse zu öffnen. Sofort senkte der Mann seinen Blick und betrachtete erneut seine großen, groben Hände. Und in ihnen sah er die kleinen, karamellfarbenen Brüste des Mädchens liegen. Wie alt mochte sie sein? Sie hatte gesagt, sie sei zwanzig, und absolut alt genug, und hatte dabei gegickst, wie ein gutgelauntes Äffchen.
Wofür alt genug? Er glaubte ihr kein Wort, schätzte sie jünger. Ihre Brustwarzen waren noch glatt und rosa und ...

"Soll ich vielleicht so gehen? Passt es dem Herrn jetzt in den Kram?" Die gereizte Stimme seiner Frau holte ihn unvermittelt zurück.
Als er jetzt endlich zum ersten Mal den Blick ganz heraufhob, sah er sich dem nackten, weißen Oberkörper seiner Frau gegenüber.

"Warum trägst du keinen Büstenhalter?", fragte er und musterte ihre vollen, schweren Brüste. Eine dicke bläuliche Ader lief unter der weißen Haut vom linken Warzenhof bis hinauf zum Halsansatz. Er erinnerte sich an eine Zeit, da hatte er wie unter Zwang immer wieder über diese Ader streicheln müssen. Er hatte sich vorgestellt, die Seele seiner Frau würde aus dieser Ader an die Oberfläche treten. Und er hatte sich vorgestellt, wenn er sie berühre, könne er ein wenig von ihrem Leben durch seine Fingerkuppen aufnehmen. Es hatte ihn fasziniert und maßlos gefangen genommen. Aber auch dies war sehr lange her.

Er wandte seinen Blick ab und sah am Kopf seiner Frau vorbei. Im Frisierspiegel hinter ihr begegnete ihm so unvermittelt sein eigenes Bild, dass er zusammenschrak.
Es war das Gesicht eines Mannes, der seltsam abwesend wirkte mit den halb herabgesunkenen Augenlidern. Und in dessen Mundwinkeln ein verkniffener Zug lag. Er musterte einen Augenblick lang seinen gepflegten, leicht ergrauten Schnurrbart unter der starken Nase. Und sah weg. Er hasste sein Spiegelbild. Er sah wieder auf seinen Daumennagel, an dem er unaufhörlich weitergerieben hatte.

"Ich trage keinen BH, weil du vom ersten Tag an gesagt hast, dass du Frauen ohne diese Dinger viel aufregender findest, deshalb", sagte seine Frau. Der Mann stutzte, weil er vergessen hatte worum es ging.

Als seine Frau barfuss zum Kleiderschrank hinüber tappte, folgte sein Blick ihren Füßen. Sie blieb stehen. Ihre Fußspitzen waren wie immer, wenn sie sehr konzentriert mit anderen Dingen beschäftigt war, etwas nach innen gedreht.
Sein Blick löste sich von ihren Füßen und kletterte an ihren Waden hinauf. Helle Haut schimmerte durch das Nylongewebe ihrer Strümpfe. Krampfadern breiteten sich in dunklen Mäandern aus. Sie waren der stete Ärger seiner Frau. Obwohl er nie auch nur ein Wort gesagt hatte, unternahm sie große Anstrengungen die Krampfadern vor ihm zu verbergen.

Seine Frau begann ein Lied zu summen, eine leise Melodie. Überrascht lauschte er diesem hauchfeinen, unbekannten Ton und er sah das sanfte, nur angedeutete Wiegen in ihren Hüften. Und er sah das hellschimmernde Dreieck ihres Slips unterm dünnen Stoff ihres Rockes. Die linke Seite des Slips war in den Kerbe zwischen die Hinterbacken gerutscht.
Vor seinem inneren Auge tauchte der Stringtanga des Mädchens auf. Ein Fetzchen bunten Stoffes, das er nicht oft genug zwischen seine Finger nehmen konnte, um sein Gesicht hineinzudrücken. Der Geruch versetzte ihm jedes Mal aufs Neue einen Stich in der Leistengegend.
Seine Frau nahm die Rüschenbluse in Altrosa aus dem Kleiderschrank und einen BH. Er beobachtet das Muskelspiel auf ihrem Rücken, als sie sich den Büstenhalter zuhakte und die Bluse überstreifte.

Als sie fertig war sah sie zu ihrem Mann hinüber. Halb abwartend, halb herausfordernd.
Er musterte seine Frau von oben bis unten und fixierte dann einen bestimmten Punkt ihrer Bluse.
"Was ist?" fragte sie.
"Man kann deine Nippel sehen", antwortete er.
"Na und ...", sagte sie, "Was geht's dich an? Du kommst ja nicht mit."
"Man sieht nicht nur die Nippel. Auch das ganze braune Drumherum. Die Bluse ist fast durchsichtig ..., auch der BH."

Wortlos begann sie die lange Reihe der winzigen Knöpfe zu öffnen. Ihre Hände zitterten leicht. Achtlos ließ sie die Bluse zu Boden gleiten und griff sich das schwarzes Sweatshirt vom Stuhl und zog es über.
"Bist du jetzt zufrieden." Ihre Stimme klang gepresst. "Ist es das was du wolltest?"
"Warum bist du so aufgebracht?" Er sah, dass sich unterm schwarzen Stoff ihre Brüste hoben und senkten. Die Warzen bilden kleine zeltartige Vorsprünge.
"Deine Nippel stehen ab. Und erst recht, für wen hast du dich eigentlich so aufgetakelt?" fuhr er fort.
"Ich hab's satt", fauchte sie.
"Ich darf doch wohl noch meine Meinung sagen." antwortete er.
Sie machte eine schnelle Bewegung. Er sah überrascht auf.

Seine Frau hatte sich das Sweatshirt mit einem Ruck vom Körper gezogen und auch den Büstenhalter warf sie in den Schrank zurück. Als sie sich danach zu Boden beugte, sah er zwischen ihren herabhängenden Brüsten, dass sie wieder nach der roten Bluse griff.
Seine Frau richtete sich auf. Zog mit energischen Bewegungen die Bluse über den nackten Oberkörper. Fingerte mit flatternden Händen die Knopfleiste zu, stopfte den Saum der Bluse in den Bund des Rockes. Und hielt abrupt inne, als sei wie ein Blitz ein Gedanke in sie gefahren. Sie sah zu ihrem Mann hinunter, starrte ihn unverwandt an.
Es war dieser Augenblick bodenloser Stille, den er körperlich zu spüren meinte, und der ihn aufblicken ließ.

Er begegnete ihren hasserfüllten Augen. Der Mann rieb sich am Nasenflügel. Sein Blick tastete sich noch etwas weiter nach oben zur Frisur seiner Frau. Sie trug ihre kupfergefärbten, langen Haare hoch auftoupiert, hatte ihnen mit Festiger Halt gegeben und mit Haarlack den letzten Schliff verpasst. Sie thronten wie ein hoher Bronzehelm auf ihrem Kopf.
"Mein lieber Mann," sagte sie und der Helm schwankte leicht, als sie den Kopf vorstieß, "Mein lieber Mann, es ist mein fünfzigster Geburtstag, den ich mit meinen Freundinnen verbringe. Und du," hier wurde ihre Stimme schärfer, "Und du wirst ihn mir nicht verderben." Und ohne auf eine Reaktion ihres Mannes zu warten, drehte sie ihm den Rücken zu. Ein Zipfel ihrer roten Bluse hing aus dem Rockbund. Es wirkte wie Blut, das über ihre bleichen Hinterbacken rann.
Und ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, ging seine Frau zur Schlafzimmertür hinaus und zog sie leise hinter sich zu.

In der plötzlichen Stille lauschte er ihrem gedämpften Rumoren im Korridor. Mittenhinein polterte ein schwerer Metallgegenstand auf die Steinfliesen. Und sofort wusste der Mann, welcher Gegenstand es dem Geräusch nach nur sein konnte. Trotzdem blieb er reglos auf dem Bett hocken und starrte die Risse im Lack der Zimmertür an. Dann vernahm er das leise Seufzen seiner Frau beim Niederbeugen und auch noch das metallische Knirschen beim Durchladen der Waffe.
"Ja ...", sagte er leise zu sich selbst, "Es ist dein Geburtstag."

---(c)sammettiger 2001---
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo sammettiger,

wieder so eine bitterböse Beziehungskiste. Anders als bei Marlboro-Man empfand ich den Text aber nicht als Satire. Besonders die Figur der Frau ist sehr gut heraus gearbeitet. Er dagegen bleibt widersprüchlich, und nicht alle seine Gedanken sind logisch nachvollziebar. Er mosert rum, weil seine Frau angeblich zu auffällig - ja sogar nuttig gekleidet ist, klebt aber in Gedanken ständig an einer Nutte.
Ansonsten hat mich die zwar sparsame, aber eindringliche, - nur manchmal etwas statisch wirkendene - Handlung gefesselt. Nur der Schluß, er bleibt für mich offen. Erschießt sie sich, weil sie dieses Leben neben dem Nörgeler satt hat? Als sie das Zimmer verläßt macht sie aber nicht gerade einen keinen-ausweg-wissenden Eindruck. Oder erschießt sie ihn? Und er - diese Tat vorausschauend - opfert sich ihr sozusagen als Geburtstagsgeschenk? Beides wirkt irgendwie konstruiert und scheint der gedämpften Dramatik der Situation irgendwie nicht angemessen. Mir wäre ein selbstbewußter Abgang der Frau, mit dem Ziel, von nun an ihr Leben (auch oder gerade ohne Mord) in die eigenen Hände zu nehmen, lieber gewesen.
Noch etwas. Es wäre vielleicht hilfreich gewesen, den Personen Namen zu geben. Die ständigen Wiederholungen von "der Mann" und "seine Frau" empfand ich eher störend.


Gruß Ralph
 

sammettiger

Mitglied
Geburtstag

Hallo Ralph,

Danke auch für dieses Feedback :)
Zu deinen Anmerkungen:
Er dagegen bleibt widersprüchlich, und nicht alle seine Gedanken sind logisch nachvollziebar.
So sollte es auch sein; die menschliche Natur ist IMHO widersprüchlich.
Er mosert rum, weil seine Frau ...nuttig gekleidet ist, klebt aber in Gedanken ständig an einer Nutte.
Ja, so sind die männlichen Menschenwesen halt: Mit 'ner Nutte ihren Spaß haben, wollen sie, aber eine heiraten, würden sie sicher nicht. ;)
Nur der Schluß, er bleibt für mich offen. ... Erschießt sie sich, ... Oder erschießt sie ihn? Und er ... opfert sich ihr sozusagen als Geburtstagsgeschenk?
Der Schluß sollte offen sein (obwohl er nach meinem Verständnis garnicht sooo offen ist). So wie wir die Figur der Frau kennengelernt haben, wird sie sich wohl nicht selbst erschießen; wäre nicht sehr plausibel. Und um von Jemanden loszukommen, der uns nervt, gibt es verschiedene andere Wege; sie wählt einen davon. Der Mann selbst ist zwar fatalistisch veranlagt, wird sich jedoch nicht für das Lebensglück seiner Frau opfern. Er nimmt das Schicksal, das ihm vorbestimmt scheint, halt hin.

Die "Mann/Frau"-Wiederholungen werde ich nochmal kritisch unter die Lupe nehmen. Danke für den Hinweis. Namen bekommen sie allerdings nicht, da IMHO Namen eine Nähe suggerieren, die ich in der Geschichte nicht wollte.

BTW: So wie in "Marlboro-Man" haben auch hier nur die Rand- und Nebenfiguren einen Namen. Scheint mir gerechtfertigt.

Beste Grüße von Peter alias sammettiger
 



 
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