Evviva Lenin

Odilo Plank

Mitglied
Vor –zig Jahren nahm ich an einer recht frommen Studentenfreizeit in einem nordfranzösischen Schloss teil.
Ein alter Freund war auch vorhanden – und meine erste Liebe, die aber wegen meiner Nationalität, Pax Christi hin oder her, bereits abgeschworen hatte. Beide spielen in der Geschichte keine Rolle.
Man wollte mich nicht geradezu ausladen; des Freundes wegen durfte ich mit.
Auch zu den Vorträgen wurde ich zugelassen. Wir feierten die Karwoche, und es regnete.
Ein berühmter Jesuitenpater, Père D., führte uns junge Leute in bisher unerörterte Geheimnisse der christlichen Ehe ein. So erfuhr ich von den Gefahren des breiten französischen Ehebettes. Schon die allnächtliche Nähe tue nicht gut. Wenn aber ein Partner krank wäre oder einer von beiden im Winter eine Decke mehr haben wollte, der andere aber nicht….
Die Ausführungen verfolgte ich gespannt, vor allem deshalb, weil ich allzu häufige sprachliche Verständnislücken mit eigenen Einfällen ausfüllte.
Von übrigen Genüssen war ich auf charmante Weise ausgeschlossen.
Ich grämte mich schnell weniger; denn erstens bewunderte ich die täglich neuen Ausreden; vor allem war mir ein Schicksalsgenosse an die Seite getreten, ein veritabler Genosse, ein italienischer Kommunist, Ernesto.
Er sprach hinreißend italienisch. Also unterhielten uns in einem gräulichen Sprachgemisch, so etwa wie die minderen Brüder eines mittelalterlichen Bettelordens.
Unser gemeinsames Geschick verband uns in kindlicher Freude. Ernestos wegen schwänzte ich sogar die Messe.
Das füllte uns nicht aus. Wir streunten in der erzbäuerlichen Gegend umher und versauten uns Schuhe und Hosen.
Das Essen nahmen wir nicht im Schloss, sondern in der Küche ein. Einmal kam sogar der verehrte Père vorbei und brachte uns zwei Schälchen Nachtisch.
Dann schwänzten wir auch die Vorträge. Der Grund war völlig unideologisch.
Zuerst verband uns die Strenge unserer beiden Glaubenslehren. So sehr sie sich auch unterschieden, so spürbar führten sie uns näher zusammen. Wir rochen gleich streng. Wir konnten uns gut riechen.
Schließlich hatte ich einen geradezu marxistischen Einfall. „Ernesto“, sagte ich, „wir pflastern den Christen die Einfahrt zum Schloss.“ Es war einfach nicht mehr anzusehen, wie mühsam die anderen durch die aufgeweichte unaristokratische Lehmpampe stakten.
Ernesto war begeistert. Wir sammelten Naturplatten, karrten mit dem Schubkarren Lehm zusammen, knieten nieder und pflasterten. Nach einer Woche war die Auffahrt fertig.
Endlich kam der Abschied. Zwei bäuerliche Camionettes sollten uns in unsere Richtungen auseinander führen.
Nach der gebührenden Umarmung, ich war schon eingestiegen, rief ich, um ihn ein wenig aus der trübseligen Stimmung zu reißen: Evviva il…
Ich sah, er wusste, was ich rufen wollte. Sein Gesicht verkrampfte sich, die Augen wurden feucht; da setzte ich von neuem an: Evviva Lenin!
Strahlend fuhr er davon.
Arrivederci Lenin, Père D., erste Liebe – Ernesto!
 

Odilo Plank

Mitglied
Vor –zig Jahren nahm ich an einer recht frommen Studentenfreizeit in einem nordfranzösischen Schloss teil.
Ein alter Freund war auch vorhanden – und meine erste Liebe, die aber wegen meiner Nationalität, Pax Christi hin oder her, bereits abgeschworen hatte. Beide spielen in der Geschichte keine Rolle.
Man wollte mich nicht geradezu ausladen; des Freundes wegen durfte ich mit.
Auch zu den Vorträgen wurde ich zugelassen. Wir feierten die Karwoche, und es regnete.
Ein berühmter Jesuitenpater, Père D., führte uns junge Leute in bisher unerörterte Geheimnisse der christlichen Ehe ein. So erfuhr ich von den Gefahren des breiten französischen Ehebettes. Schon die allnächtliche Nähe tue nicht gut. Wenn aber ein Partner krank wäre oder einer von beiden im Winter eine Decke mehr haben wollte, der andere aber nicht….
Die Ausführungen verfolgte ich gespannt, vor allem deshalb, weil ich allzu häufige sprachliche Verständnislücken mit eigenen Einfällen ausfüllte.
Von übrigen Genüssen war ich auf charmante Weise ausgeschlossen.
Ich grämte mich schnell weniger; denn erstens bewunderte ich die täglich neuen Ausreden; vor allem war mir ein Schicksalsgenosse an die Seite getreten, ein veritabler Genosse, ein italienischer Kommunist, Ernesto.
Er sprach hinreißend italienisch. Also unterhielten wir uns in einem gräulichen Sprachgemisch, so etwa wie die minderen Brüder eines mittelalterlichen Bettelordens.
Unser gemeinsames Geschick verband uns in kindlicher Freude. Ernestos wegen schwänzte ich sogar die Messe.
Das füllte uns nicht aus. Wir streunten in der erzbäuerlichen Gegend umher und versauten uns Schuhe und Hosen.
Das Essen nahmen wir nicht im Schloss, sondern in der Küche ein. Einmal kam sogar der verehrte Père vorbei und brachte uns zwei Schälchen Nachtisch.
Dann schwänzten wir auch die Vorträge. Der Grund war völlig unideologisch.
Zuerst verband uns die Strenge unserer beiden Glaubenslehren. So sehr sie sich auch unterschieden, so spürbar führten sie uns näher zusammen. Wir rochen gleich streng. Wir konnten uns gut riechen.
Schließlich hatte ich einen geradezu marxistischen Einfall. „Ernesto“, sagte ich, „wir pflastern den Christen die Einfahrt zum Schloss.“ Es war einfach nicht mehr anzusehen, wie mühsam die anderen durch die aufgeweichte unaristokratische Lehmpampe stakten.
Ernesto war begeistert. Wir sammelten Naturplatten, karrten mit dem Schubkarren Lehm zusammen, knieten nieder und pflasterten. Nach einer Woche war die Auffahrt fertig.
Endlich kam der Abschied. Zwei bäuerliche Camionettes sollten uns in unsere Richtungen auseinander führen.
Nach der gebührenden Umarmung, ich war schon eingestiegen, rief ich, um ihn ein wenig aus der trübseligen Stimmung zu reißen: Evviva il…
Ich sah, er wusste, was ich rufen wollte. Sein Gesicht verkrampfte sich, die Augen wurden feucht; da setzte ich von neuem an: Evviva Lenin!
Strahlend fuhr er davon.
Arrivederci Lenin, Père D., erste Liebe – Ernesto!
 



 
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