Franks letztes Weihnachtsfest

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Frank fror etwas in seinem dünnen, weißen Hemd. So kurz vor Weihnachten ging es hier oben doch recht hektisch zu, und er fühlte sich immer noch nicht recht daheim. Der ganze Himmel strahlte vor Sauberkeit. Die drei Sterne neben dem goldenen Tor waren frisch poliert und leuchteten viel heller, als die Lampe daheim über dem Wohnzimmertisch.
Überall roch es nach Reinigungsmitteln und Bohnerwachs. An den schneeweißen Türen glänzten und funkelten die silbernen Beschläge. Die himmlische Putzkolonne hatte ganze Arbeit geleistet. Nur die Nikolausbäckerei war von ihrem Putzeifer verschont geblieben. Dort ging es noch munter zu; es duftete angenehm nach Anis, Zimt, nach Lebkuchen und Schokolade. "Wir hätten die Firma schon lange geschlossen, aber keiner der Bäcker dort unten bringt solche Lebkuchen und Plätzchen fertig, wie unsere echte Nikolausbäckerei", erklärte ihm ein kleiner Engel, der es sehr wichtig hatte.
Im Hof vor dem großen Tor standen die drei Erzengel beieinander und schauten durch eine Art Fernglas höchst interessiert zur Erde hinab. Sie hatten wieder, wie alle Jahre zuvor, die Aufgabe bekommen, das historische Krippenspiel in Bethlehem vorzubereiten. Wie jedes Jahr hatten sie ein dafür passendes junges Menschenpaar als Maria und Josef ausgesucht. Auch einen Esel hatten sie besorgt. In diesem Jahr versprach das Spiel besonders interessant zu werden: Die junge Frau, die Maria darstellen wollte, war wirklich schwanger! Es konnte eigentlich nichts schief gehen.
Die Tourismusminister der beteiligten Staaten hatten den himmlischen Abgesandten ihre unbürokratische Unterstützung zugesagt, denn die Besucher aus aller Herren Länder brachten jedes Jahr bares Geld in ihre leeren Kassen. Die Touristen kauften auf den Weihnachtsbasaren jede Menge kunstvoll aussehende Krippen, Figuren und teure Schnitzereien aus richtigem Holz, oder billigeres Zeug aus einem Material, das aussah wie Holz. Alles schien bestens vorbereitet, hätten sich nicht jene Mächte in die Geschichte eingemischt, die angeblich stets das Gute wollen und stets das Böse schaffen.
Ein neuer Krieg war eben ausgebrochen! Oder war es nur eine bewaffnete Auseinandersetzung? Wer kannte da noch den Unterschied!
Die drei Erzengel und ihre Heilige Familie hatten von alledem noch nichts bemerkt: Eben führte Josef, der sich vor Aufregung immer wieder den Schweiß aus dem stoppligen Gesicht rieb, seinen Esel auf die sehr grün gestrichene Grenzstation in Richtung Bethlehem zu, die mit zwei Soldaten besetzt war. Der Soldat, der im Schilderhaus saß und ihnen eigentlich einen Passierschein hätte ausstellen sollen, winkte sie ungeduldig durch. Ein junges Pärchen mit einem Esel, so dachte er sich, da konnte es sich nur um armselige Wanderarbeiten handeln.
Ruhig trabte der Esel, der so ahnungslos war, wie das Heilige Elternpaar und wie die drei Erzengel, auf die andere Seite der Grenze zu. Die Grenzpolizisten, die dort Dienst schoben, und seit Stunden auf ihre Ablösung warteten, waren besonders schlecht aufgelegt! Sie hatten schon monatelang keinen Sold mehr erhalten. Da kam ihnen dieses junge Pärchen mit einem Esel, dafür aber ohne Visum, ohne Geld und ohne einen gültigen Passierschein, gerade recht!"Nix Visum, nix Einreise", ließen sie die beiden wissen. Josefs Einwand, dass sie als Heilige Familie doch gewissermaßen Weltbürger seien, interessierte hier niemand.
Verwirrt wandte Josef den Esel, der Maria auf dem Rücken trug, um und begab sich wieder zurück auf die andere, die auffallend grün gestrichene Seite. Doch auch hier waren sie nicht willkommen: man hielt sie nun für feindliche Spione.
Dies war der Moment, in dem der Erzengel Michael gewillt war, sich mit seinem blanken Schwert auf die Erde zu stürzen, aber Gabriel, der sanftere, hielt ihn zurück: "Es ist uns nicht gestattet, mit unsern Waffen auf der Erde einzugreifen, sonst wäre die Menschheit dort unten schon lange ausgerottet".
Raphael, der Praktiker des geflügelten Trios, überlegte laut: "Man müsste dazwischenfahren und alle erschrecken!" Da hatte der kleine Frank, der sich aus Langeweile zu ihnen gesellte, eine Idee: Ihm war vorher ein Paket mit Sylvesterknallern aufgefallen, das wie zufällig im Vorhof des Himmels herumlag. Überhaupt lag vor dem Himmel vieles herum, was man an anderen Stellen gut hätte brauchen können. Gabriel, der Schnelldenker, begriff sofort! Er warf einige der Kracher genau zwischen die beiden Grenzposten, worauf dort alle Beteiligten blitzschnell in Deckung gingen. Diesen Moment nützte Gabriel, um seinen Mantel um das Heilige Paar zu werfen, und als sich der Pulverdampf und Gestank verzogen hatte, stand nur noch der Esel allein auf dem Platz; denn selbst der Mantel eines Erzengels würde nicht reichen, einen ausgewachsenen Esel völlig zu verdecken.
Die drei Engel berieten sich nun: "Wir müssen das Weihnachtspiel in diesem Jahr verlegen", meinten sie, "aber wohin?" "Zu uns daheim", sagte nun der kleine Frank mutig, und die Drei nahmen ihn jetzt erst bewusst war. Sie fragten ihn, was er hier suche und er erzählte ihnen wahrheitsgemäß, dass er eigentlich nur zu Besuch da wäre. Auch Maria und Josef, die sich dazu setzten, hörten ihm aufmerksam zu.
"Wir haben zwei Kühe und eine lange Futterkrippe in unserem Stall, denn vor meiner Zeit hatten meine Eltern viel mehr Kühe dort stehen. Und diese lange Krippe ist völlig leer", erklärte Frank den überraschten Engeln. "Aber", gab Raphael zu bedenken, "wir haben unseren Esel vor Bethlehem stehen lassen, wer soll die schwangere Maria zu eurem Stall tragen?"
"Bei uns daheim", erklärte ihm Frank, "reist niemand auf Eseln umher. Aber unser Arzt, Doktor Frommherz, der hat ein großes schwarzes Auto, das wäre genau richtig für euch."
So kam es, dass der Engel Michael spät am Abend in aller engelsüblichen Heimlichkeit das besagte Auto aus der Garage des tief schlafenden Landarztes herausschmuggelte. Zu seiner Ehrenrettung muss gesagt werden, dass er die Heilige Familie unversehrt zu jenem Stall kutschierte, zu dem ihm Frank den Weg wies und das, obwohl er noch nie einen irdischen oder gar deutschen Führerschein besessen hatte. Auch Raphael bestand danach seine Bewährungsprobe als Geburtshelfer, und zwar zur vollsten Zufriedenheit der jungen Mutter.
Doktor Frommherz jedoch schimpfte wie ein Rohrspatz, weil er mitten in der Nacht seine Autogarage leer und das Tor offen stehend fand, was besonders ärgerlich war, weil man ihn telefonisch zu einem Notfall auf einen kleinen Hof im Nachbarort rief.
In dem kleinen Zimmer, in dem man Frank nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus untergebracht hatte, roch es nach Schweiß. Dr. Frommherz, der eben mit dem Taxi ankam, hatte schon viel in seinem Leben gesehen. Er hob nur bedauernd die Schultern und gab dem kleinen Patienten, der nicht mehr bei Bewusstsein war, noch einmal eine Spritze. Seine Mutter weinte leise vor sich hin, aber ihr Junge hörte sie nicht mehr. Er saß im Stall vor dem neugeborenen Jesuskind und summte ihm ein Schlaflied vor. Er sang zwar nicht besonders schön, denn er hatte noch nie ein richtiges Schlaflied gehört. Aber Maria schien es zu gefallen, sie summte die Melodie leise mit.
Die drei Erzengel, die hinter der Krippe standen, drängten plötzlich zum Aufbruch: Draußen wurde es langsam hell. "Aber", rief Frank verzweifelt, "die Heiligen drei Könige müssen doch noch kommen, die kommen immer, wenn der Heiland geboren wird!" Denn so hatte Frank es gelernt, als er noch gesund war.
Da wurden die drei Engel traurig: "Die Könige können nicht mehr kommen", sagte Michael zu ihm, "sie können den Stern nicht mehr finden. Zu viele künstliche Lichter fliegen heute am nächlichen Himmel herum, wie sollen sie da einen einzelnen Stern sehen?"
Aber Frank hatte den Stern bereits entdeckt, er kam geradewegs auf ihn zu und Frank griff nach ihm und flog mit seinem Stern weit, weit davon.
Als Dr. Frommherz müde und traurig aus dem ärmlichen Haus heraustrat, dämmerte bereits der Morgen herauf. Er rieb seine übermüdeten Augen: Sein schwarzes Auto stand unversehrt vor der Tür!
"Es geschehen doch noch Wunder", murmelte er leise vor sich hin. Dann stieg er ein und fuhr, irgendwie erleichtert, nach Hause.
 
S

Stoffel

Gast
Hallo,

das ist ja mal eine ganz andere Weihnachtsgeschichte.*smile*
Erst dachte ich "WER ist da Frank?"
Aber ich mags ganz gerne, wenn eine Auflösung später erst kommt.
Was mir spontan einfiel noch dazu, hab ich mit "b" eingefügt.
Es ist ja eigentlich doch eine Kindergeschichte?:)


"Frank fror ein wenig in dem dünnen, weißen Hemd."

"In diesem Jahr versprach das Spiel besonders interessant zu werden: Die junge Frau, die Maria darstellen sollte, war wirklich schwanger! Es konnte eigentlich nichts schief gehen."

" Alles schien bestens vorbereitet, hätten sich nicht jene Mächte in die Geschichte eingemischt, die so taten, als ob sie stets das Gute wollen und stets das Böse schaffen."

" Ein neuer Krieg war eben ausgebrochen! Manch einer sprach von einer bewaffneten Auseinandersetzung.Und manche meinten, es gäbe da einen Unterschied"

"sagte nun der kleine Frank mutig, und die Drei nahmen ihn erst jetzt bewusst war. Erstaunt sahen sie zu dem Kleinen hinunter

lG
Stoffel
 



 
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