Fritzchen, freu dich! Grabreden - Folge 15

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Fritzchen, freu dich!

Die Steuerfahndung und die fiesen Morddrohungen steckten mir noch tief inne Knochen drin. Et war anne Zeit, beruflich reine Bahn zu machen.
Ich schnappte mir den Umschulungswisch vom Arbeitsamt und radelte damit zum Ötte Nüsselpriem. Amtsrat Ötte hatte et auf dem zweiten Bildungsweg bis zum Chef vom Arbeitsamt Herne gebracht. Wir hatten den Ötte beim Kampfsaufen auffe Party von Chefarzt Dr. Ulkus kennengelernt.
„Glück auf, Ötte, hömma, wieso krieg ich erst jetz von deinem Verein son Angebot für ne Umschulung? Zwei Jahre hab ich darauf gelauert. Ich weiß aber nich, wie ich meine Familie während der Umschulerei über Wasser halten soll.“
Der Ötte blickte mich prüfend an, grinste und stellte zwei Pinnchen und ne Pulle Korn auffen Schreibtisch.
„Willi, du wars bei uns zwei Jahre verschollen, du wars ne Karteileiche. Mach keinen Aufstand und häng dat nich anne große Glocke, sonst kriegen mich meine Vorgesetzten am A.... Ich muss hier für jeden Scheiß den Verantwortlichen spielen. Ich tu dir auch helfen, wenne dat Maul hältst.
Du hass ja im Pütt fast alle Handwerksarbeiten unter Tage gemacht und biss ja auch sonst n cleveret Kerlchen. Ich werde dat so tricksen, dat du nach nem halben Jahr Umschulung n richtigen Klempner biss. Beim Walla Rohrfrey machsse die Ausbildung, danach gehsse sofort auffe Meisterschule, auch da hab ich Beziehungen. Wat hälze von dem Vorschlag?
Willi, lass dat ma den Ötte machen.“
Ich zögerte mit die Antwort.
„Ötte, dat hört sich gut an, aber so wat Elementaret muss ich erst ma mit meiner Berta besprechen. Die denkt schärfer wie ich und viel weiter inne Zukunft rein, so wie ne Wahrsagerin. Wat die sacht, stimmt fast immer.
Ich sach dir am Samstag Bescheid, wir sehn uns ja bei Nüssleins?“
Ötte Nüsselpriem kloppte mir auffe Schulter und ließ Berta sehr herzlich grüßen.
Ich ab nach Hause. Berta stand am Kochpott, et roch lecker nach Sauerbraten.
„Hömma, Berta, schönen Gruß vom Ötte Nüsselpriem, du kennz den doch vonne Bürgermeisterparty. Mit dem Möppel hasse ja ne Stunde anne Bar geflirtet, meinze, ich hätte dat nich gesehen? Dein Freund iss Boss vom Arbeitsamt. Stell dir ma vor, ich war bei den Sesselpupern zwei Jahre ne Karteileiche.“
„Willi, wieso Karteileiche? Wat iss dat denn schon wieder?“
„Berta, dat iss n Stück Karton, wat zwei Jahre bei den Amtsaffen verschütt war, ich war für die Penner n Gruftheini. Jetz bin ich auferstanden, bin also wieder ne echte Kartei mit ner Nummer, also son richtigen lebendigen Mensch bin ich wieder, Berta, iss dat nich herrlich?“
Berta prüfte die Knödel im Wasserpott und fragte: „Willi, wat soll dat heißen, dat du jetz wieder auferstanden biss? Kriegen se dich jetz anne Maloche, oder darfsse weiter stempeln gehen?“
Ich erklärte Berta den Vorschlag vom Nüsselpriem. Sie kuckte skeptisch.
„Willi, und wat iss mit die Kohle während der Lernerei? Bringsse uns am Bettelstab? Vielleicht packsse die Umschulung gar nich mehr in deinem Alter. Ab vierzig soll man schon son bissken Ozon im Kopp haben.“
„Also, Berta, ich schaff dat schon. Du wirss nich verhungern, dat kannze ruhig schon ma deiner tollen Mutter unterjubeln!“
„Willi, dat sachsse nich noch ma, sonst lernze mich kennen!“
„Berta, iss ja schon gut, beruhige dich, hör dir ma meinen Zukunftsplan an.“ Ich erklärte ihr die Umschulung. Berta sachte immer noch nix.
„Berta, nach der Ausbildung hab ich n Beruf für dat Leben. Zwischendurch kann ich ja noch son paar gute Freunde und Verwandte inne Erde tun und den Sonntag mit Schwattarbeit ausfüllen.“
„Berta, mach dir keine Sorgen, wir haben ja auch noch schön wat in petto. Ich hab da son bissken Negergeld inne Einmachgläser vonne Oma stecken. Die Almosen vonne Grabreden, so anne dreizehn Riesen. Damit kommen wir locker über die Runden.“
Berta fiel fast der Pott mit die Knödels ausse Hand. „So viel Geld hasse mit die Toten verdient? Dann hasse ja dat Finanzamt ganz schön verschaukelt.“
„Ja, Berta, mein Täubchen, wat du sagen tus, ich hab immer nur die Stütze auf unser Konto getan, dat man uns steuerlich nich anne Hammelbeine kriegen konnte. Du hass jetz hoffentlich begriffen, wat du fürn schlauen Ehemann hass!“
Die Kartoffelklöße stiegen im Wasserpott hoch, dat war dat Zeichen, dat et endlich wat zu mampfen gab. Wir aßen stiller als sonst. In unseren Köppen ging et richtig rund. Beim Appelmusnachtisch ergriff Berta dat Wort: „Wilhelm, ich glaub, dat iss wirklich für dich dat Beste mit die Umschulung. Du gehs mir auf Dauer vor die Hunde, die Leichen machen dich fertig, du muss zu den Lebenden zurück. Du biss schon lange nich
mehr derselbe. Leider bisse auch nich mehr so aufmerksam wie früher. Du biss letzte Zeit so lustlos, wenne verstehs, wat ich meinen tu.“ Ich verstand nich.
„Nee, Berta, dat musse mir schon ma genauer erklären. Ich reiß mir doch für die Familie die Beine aus und kuck, dat die Penunzen stimmen, et iss doch allet paletti und …“
„Nö“, unterbrach mich Berta, „nö, et iss nix in Ordnung, ich fühle mich vernachlässigt.“
„Vernachlässigt? Berta, wat meinze mit vernachlässigt?“ Sie sachte keinen Ton mehr, schaute mich nur traurig an. Da ahnte ich, wat Berta meinte.
„Berta, mein Liebling, wo du mir dat jetz so vorwurfsvoll sagen tus, muss ich dir leider Recht geben. Meine Hormonellen müssen unbedingt wieder ma in Wallung gebracht werden. Ich hab auch schon wat vermisst, wusste aber nich genau, wat dat war. Komm, mein Täubchen, wir sollten keine Zeit verlieren, gleich kommen die Blagen ausse Schule.“
Leider war mit meine Hormonellen wirklich nix mehr los, et war ne Katastrophe. Meine Nerven spielten nich mehr mit. Ich dachte nur noch an Morddrohungen, Entführung, Steuerfahndung, Beerdigungen und Umschulung. Logisch, da konnte dat ja nich klappen.
Jeden Tag servierte mir Berta eine besonders große Portion „Fritzchen, freu dich“. Kennen Se nich? Nee? Dat iss Selleriesalat! Dat Zeug soll bei gewissen Ausfallerscheinungen helfen. Dat Rezept stammte von ihrer Großmutter. Berta kontrollierte sehr genau, dat ich die Riesenportionen auch immer restlos verdrückte.
In dieser verdammt kritischen, saft- und kraftlosen Phase hatte sie noch nen zusätzlichen Rat auf Lager:
„Willi, sperr ma deine Lauschlappen auf: Du biss krank.“
„Wie? Wer iss krank?“
„Du gehst morgen zum Urinologen, der soll dich ma untersuchen, ob deine Kastagnetten und die Kastanie noch in Ordnung sind. Dann lässte dein Blut abzappen und auf Testo …, Testo …, Dingens prüfen, dat kriegen wir schon wieder inne Reihe. Ich möchte auf keinen Fall in meinem Alter schon verzichten müssen. Du doch auch nich, Willi, mein guter Hengst. Geh also wacker zu Dr. Asbach, der hat nich so dicke Finger, wenn er bei dir die Hafenrundfahrt macht. Den Tipp hab ich vom Bürgermeister. Vorher rufsse aber noch bei dem Ötte Nüsselpriem an und bedankst dich für seine guten Ratschläge, er soll schon ma allet inne Wege leiten. Ich sprech mit ihm am Samstag vertraulich, dat er dich mit die Umschulung nich nach Posemuckel schicken tut. Ich trag dann extra die Bluse mit dem freien Blick.“

Ich ließ die fiesen Untersuchungen beim Urinologen widerwillig über mich ergehen – et war allet im Lot. Er konnte nix Gutet mehr für mich tun und meinte, mein Zustand hätte wohl mehr nervliche Ursachen. Der Arzt gab mir den Rat, nen Seelenklempner aufzusuchen. Ich müsste dem unbedingt mein Innenleben auffen Tisch legen, dann würd et wieder besser. „Wird schon wieder, Herr Püttmann, wir sehen uns doch sicher
auch am Samstag zum Grünkohlessen?“
„Ja, Doktor, wir kommen auch. Also Glück auf, bis Samstag.“
Verdammt, ich musste schwer krank im Kopp sein! Vielleicht war ich durch die schrecklichen Ereignisse inne letzten Wochen schon son bissken tüdelütt.
 



 
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