Führen und Vertrauen

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gareth

Mitglied
"Schön, dass Sie unverzüglich meinem Rufe,
mein lieber Schmidt, gefolgt sind, ich hab´s eilig,
Sie seh´n es ist nach Drei, ich muss mich sputen,
mein Golftermin, sie wissen, ist mir heilig

Zur Sache, Schmidt, gefragt ist rasches Handeln,
beherztes Tun und Härte, nicht zuletzt,
denn gestern hab ich leider, im Vertrauen,
eine Million glatt in den Sand gesetzt

Das gibt´s nicht oft, das kann ich Ihnen sagen,
das geht dir nah, das sitzt dir auf der Seele,
doch war der Fall echt schwierig zu entscheiden,
komplex, verwirrend, was ich nicht verhehle

Da musste richtig schnell entschieden werden,
und gestern war nun wirklich wenig Zeit,
denn schließlich war punkt Vier der junge Müller
endlich zu der Revanche beim Golf bereit

Ist klar? Der Müller? von den Müllerwerken,
der nächstes Jahr den Laden übernimmt?
Ein harter Bursche, will die Preise drücken,
kann ein Gerücht sein, kann auch sein, es stimmt

Seit Jahren meldet der uns wirklich jeden
der sich von unser´n Leuten dort bewirbt,
und ich gedenke hier dafür zu sorgen,
dass das so bleibt, wenn Müller senior stirbt

Doch nun zurück zu dieser dummen Sache,
da liegst du für Sekunden mal daneben,
unglaublich, Mann, verzeih´n Sie, wenn ich lache,
doch gibt es durchaus schlimmeres im Leben

Nun gut, um was es geht: es muss die Kohle
in möglichst kurzer Frist wieder herein,
und das, mein Lieber, das wird Ihre Sache,
ein Ziel, das wir nun gleich vereinbar´n, sein

Es sind in Ihrem Werk dreihundert Leute,
ich hielt das immer schon für reichlich viel,
und deshalb, Fritz, entscheiden wir jetzt heute:
es gehen Zehn. Zehn Mann. Das ist Ihr Ziel.

Zehn Leute, Friedrich, zehne von dreihundert,
ermittelt nach den üblichen Verfahren,
ich hab an Sie gedacht, falls Sie das wundert,
weil Sie mir immer gern gefällig waren

Zwei Fliegen schlagen wir mit einer Klappe:
wir holen schnell die Gelder wieder ´rein
und Ihre Bude wird mit einem Schlage
ein Vorbild für die ander´n Werke sein

Ach, Friedrich, komm, jetzt guck nicht so bekümmert,
hol mich da ´raus, Du schielst nach meinen Schuh´n,
doch wenn der Trend sich gegen mich verschlimmert,
was kann ich dann für Deinen Aufstieg tun?"

"Mein Mann denkt gern an´s Werk und seinen Leiter",
so sprach mit stolzer Rührung leis Frau Kern,
"er hat noch nichts, doch sucht er fleißig weiter,
den Schmidt? Den mag er immer noch sehr gern."

"Der war so mutig, hat in klaren Worten
uns mit der harten Wahrheit konfrontiert.
Denk ich an die da oben, diese Sorten,
dann dank ich Gott, dass Friedrich Schmidt uns führt!

'Das Werk galt es zu halten, oder Euch!'
hat er gesagt, mit festem, klarem Blick,
'Ihr heute, Männer, oder alle morgen!
Es gibt von der Entscheidung kein Zurück!'"

Herr Kern blickt auf, vom Wirtschaftsteil der Zeitung,
die hat er sich bei Michelbachs geliehen,
"In schlechten Zeiten", spricht er, "muss die Leitung
wo´s nötig ist, die Konsequenzen ziehen!"
 

Herr Müller

Mitglied
Werk

Donnerwetter, was für ein Werk von diesem Werk.
Sehr lang aber spannend bis zum Schluß. Allein schon der Fleiß. Authentisch?

Herr Müller
 

alfi

Mitglied
Vertrauen?

mhhm gareth wenn hinter der rubrik humor nicht auch noch satire gestanden hätte, würde ich sagen in der falschen rubrik. aber messerscharf beobachtet und leider wahr. hoffe es ist nicht authentisch. naja ein echter gareth halt.was soll man noch dazu sagen? jedes deiner werke einfach ein genuss.
 
D

DeGie

Gast
Handwerklich alle Achtung!

Mir kommt es übrinx auch wie eine Satire auf den Rilke-Rhythmus (oder wie man ihn nennen mag) vor.

Trotzdem verlangst Du uns ganz schön was an Anstrengung ab...
Da geht man schon extra ins Faxen-Forum, um nicht soviel denken zu müssen...
 

gareth

Mitglied
Was die Authentizität (uff) betrifft,

Herr Müller, so ist das Gedicht als Ergebnis einer lebenslangen Sammlung von verschiedenen wirklichen Erlebnissen zu sehen, darunter auch recht aktuelle, und die dann kombiniert mit einem (kleinen) Schuss Bösartigkeit, auf ein fiktives Geschehen übertragen und auf ein paar fiktive Figuren projiziert. Fertig :eek:) Ich hab es sehr bewusst unter Humor und Satire gestellt. Aber es ist auch ziemlich viel Wahres enthalten.
Ich bin froh, dass es euch gefällt, Herr Müller, alfi und DeGie, weil es doch ziemlich lang ist :eek:)
 
D

DeGie

Gast
Lieber gareth,

es ist sogar so, daß Dein Text in ein "Bewertungsdilemma" führt.

Der Spaß beim Lesen ist vielleicht nur 6 von 10, weil man sich höllisch konzentrieren muß.
"Flüssig und mit Freude zu lesen" ist es weniger als "absolut sauber gemacht und mit Arbeit zu lesen."
"Gut und eine Bereicherung für die LL" allemal.
"Ausgezeichnet" schon, aber man hat "zu meckern", daß es anstrengend wird.
"Zum Besten der LL" gehört es sicher - zumal ich noch nichts in die Richtung - schon gar nichts handwerklich so Perfektes - hier je gelesen habe...


Was mich mal interessiert, lieber gareth:
Hattest du einen Vorsatz?
Wolltest Du mal eine ernstgaft-satirische Abhandlung in dem Rhythmus schreiben, oder kam es Dir einfach durch unbewußte Inspiration?

Reine Neugier nur...
 

gareth

Mitglied
Das war Vorsatz, lieber DeGie,

das wollte ich genau so machen. Ich war mir allerdings lange nicht sicher, ob und wie sich das Thema Entlassungen und ihre stets behauptete wirtschaftliche Unvermeidlichkeit (die es natürlich auch gibt) thematisieren lassen würde.
Deine Analyse der auftretenden Bewertungsprobleme ist für mich gut nachvollziehbar und beeindruckend :eek:)
gruß gareth
 
J

jester

Gast
lieber gareth,
die gefahr in kauf nehmend, dich zu nerven :D, stelle ich ganz frech noch einmal eine frage, die ich an anderer stelle nicht beantwortet bekam.

zwischen strophen 1-6, 8, 10, 15 (nach dem schema ABCB), hast du kreuzreime verwendet. das hatten wir ja bereits festgestellt ;).
wieso? ich habe versucht es als perspektiven- oder themenwechsel zu lesen oder als "lüge vs wahrheit", aber das war nicht stimmig. so frage ich dich nun, lieber gareth, erneut nach dem schlüssel zum kryptischen schloss deiner reimfolgen! reine willkür kann ich mir bei dem durchdachten aufbau eigentlich nicht vorstellen.

alles andere wurde oben bereits erwähnt!

lg, jester
 

Udogi-Sela

Mitglied
Klasse!

Ich habe das Gedicht mehrfach gelesen und komme zu dem Schluss: Ein kleines Meisterwerk!

Besonders gut gefällt mir, wie sich die Bitte um Hilfe in der immer vertraulicher und massiver werdenden Anrede ausdrückt:

1. Strophe: „mein lieber Schmidt“
2. Strophe: „mein Lieber“
3. Strophe: „Sie, Fritz“
4. Strophe: „Sie, Friedrich ...Vorbild“
5. Strophe: „Du, Friedrich ...Dein Aufstieg“

Nur ein paar Kleinigkeiten noch: (ergänzend zu jesters Frage)

„Es fängt damit an, dass am Ende der Punkt fehlt!“ zitiere ich mal einen Buchtitel.
Aber ich nehme an, das war jeweils beabsichtigt.

Nach meiner Meinung besser:
... hol´ mich da ´raus, Du schielst nach meinen Schuh’n, ...
was kann ich dann für Deinen Aufstieg tun?“
Die Silbenverkürzung schadet nicht.

Der 1. Teil des Gedichts (Strophe 1 – 12) ist eine direkte Anrede, geschrieben ohne doppeltes Anführungszeichen, während im 2. Teil (Strophen 13 – 16) doppelte Anführungszeichen gesetzt sind. "Das Werk galt es zu halten, oder Euch!" ist dabei als zitierte Anrede in einfache Anführungszeichen zu setzen.

Ich bin mir nicht sicher, ob jede neu beginnende Strophe als durchgehende direkte Anrede immer wieder mit neuen doppelten Anführungszeichen versehen werden muss.
Wer kennt sich besser aus und kann sagen, wie es richtig ist?

"in schlechten Zeiten", spricht er, "muss die Leitung ...
“In“ großgeschrieben.


Herzliche Grüße
Udo
 

gareth

Mitglied
Lieber jester,

ich kann´s Dir nur teilweise erklären.
Rein willkürlich ist der Wechsel zu den Kreuzreimen nicht. Aber zwingend ist er nach dem 7. Vers auch nicht, wo er etwas beschleunigend wirken sollte. Ich hab danach tatsächlich rein nach Gefühl gewechselt.
Ist mir garnicht bewusst, dass Du mich schon mal danach gefragt hattest.
Dies versichert: gareth
 

gareth

Mitglied
Lieber Udogi-Sela,

alle Deine Anregungen habe ich direkt umgesetzt. Die direkten und indirekten wörtlichen Reden betreffend, hab ich versucht, es jetzt vernünftiger zu gestalten. Darauf hatte ich kaum geachtet beim Schreiben.
Danke Dir für die Analyse der Anrede- Formalien, die mir auch wichtig sind und für die positive Bewertung :eek:)
 



 
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