Gast frühmorgens
Kurz vor drei am frühen Morgen kam ich nach Hause. Ich freute mich auf das Bett und wollte nur noch aus der Kleidung schlüpfen, mich hinlegen, zudecken, schlafen. Die Müdigkeit hatte mich übermannt. Wie in Trance vollzog ich die letzten Amtshandlungen eines langen Tages. Die Schuhe waren ausgezogen, das Hemd geöffnet. Auf dem Tisch stand noch ein Schluck Wasser des späten Nachmittags. Dieser verregnete Nachmittag lag so fern, gefühlte Tage und Perioden immer wieder aufsteigender und unterdrückter Müdigkeit zurück. Es schien mir, als hätte ich das Glas vor Wochen gefüllt und der leicht abgestandene Geschmack des Wassers verstärkte meinen Eindruck.
Und zu so später oder früher Stunde trieb mich noch ein Scherz ins Verhängnis. Anstatt das kleine Schlückchen zu schlucken, erlaubte ich mir zu wiederholen, was vor langer Zeit meine Eltern und Geschwister gelegentlich an den Rande des Wahnsinns trieb. Ich schloss die Augen, legte meinen Kopf zurück, öffnete behutsam den Mund und begann zu gurgeln. Ich komponierte eine Melodie und erfreute mich wie benommen meiner Geräusche.
Langsam öffnete ich die Augen. Ich erschrak und hustete. Ein Schlückchen des Schlückchens lief in den falschen Kanal. Ich hustete lauter, rang nach Luft. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich sprang auf, hustete, schluckte, atmete gleichmäßiger, wurde ruhiger. Zögerlich blickte ich an die frisch gestrichene Zimmerdecke. Da saß ein Tier! Doch welches? Eines, das ich noch nie gesehen hatte, weder in der Natur noch in Büchern oder Filmen. Es war fürchterlich. Unweigerlich dachte ich an Kafkas Verwandlung. So stellte ich mir das Ungeziefer vor, in das sich sein Protagonist über Nacht verwandelte.
Ich habe keine Angst vor Tieren, sagte ich mir. Doch es half nichts. Es war zwar klein, doch für ein Ungeziefer sehr groß. Ich erinnerte mich an meine Mutter, die sagte: "Geh, stell dich nicht so an, das Ding hat mehr Angst vor dir, als du vor ihm." Es half nichts. Außerdem bezweifelte ich, dass es Angst vor mir hatte. Wer so aussieht, kennt keine Angst. Im ersten Moment dachte ich an eine Spinne. Die Beine waren so lang und dünn, der Körper so groß. Doch es waren nur zwei Beine, außerdem trägt eine Spinne keinen derartigen braunen Panzer. Eine Spinne hat weder Fühler noch einen seltsamen pyramidenförmigen Stachel. Aus der Ferne betrachtet ähnelte es einem Frosch. Und aus einer anderen Perspektive fühlte ich mich an einen Skorpion erinnert. Was die Aufregung mit einem macht...
Ich öffnete das Fenster und wartete einen Moment. Das Ungeziefer bewegte sich nicht. Wie naiv von mir zu denken, es sei mit dem Fensteröffnen getan. Ich näherte mich langsam. Ein Fühler richtete sich aus, kaum merklich. Trotzdem führte diese Szene zu neuem Schreck. Es lebt! "Gregor, Gregor", flüsterte ich mit zittriger Stimme. Gregor reagierte nicht. Ich blies aus der Distanz. Gregor zeigte sich unbeeindruckt. Ich zog das Sofa ein Stück weit vor und stieg vorsichtig hinauf. Ich wedelte mit einem Kissen. Gregor reagierte nicht. Ich blies kürzer und stärker. Gregor setzte sich in Gang. Es war unerträglich. In welcher Geschwindigkeit sich dieses Kerlchen fortbewegte! Ich hielt es nicht aus.
Gregor kletterte in die direkt am Fenster angebrachte Haltevorrichtung der Jalousie. Dümmer hätte er es nicht anstellen können. Sein Panzer war verborgen. Nur seine Fühler und die Beine mit den markanten Gelenken waren zu sehen. Kann Gregor springen? Und wenn ja, wie weit? Ich möchte es mir nicht vorstellen. Kann Gregor fliegen? Erzeugt er dabei Geräusche? Brummt Gregor oder summt er? Was macht er mit dem Stachel? Zählt Gregor zu einer unentdeckten Spezies eines unberechenbaren Killerinsekts? Waren vielleicht die Eier seiner Nachfahren schon verstreut in meiner Wohnung, in meinem Bett? Und vor was hatte ich verdammt noch mal Angst? War es Angst vor Gregor oder die Angst davor, meine Nachbarn könnten von meiner Schreckhaftigkeit geweckt werden?
Ein Schrei!
Gregor! Etwas flatterte wild umher, berührte mich am Arm, im Gesicht! Doch Gregor war es nicht. Unbekümmert saß er weiter in der Haltevorrichtung. Ein kleiner weißer Falter flatterte auf und ab. Welch Gesellschaft! Weiß wie ein Brautkleid. Flink und doch grazil. An Gregors Stelle wäre ich vor Neid erblasst.
Es war inzwischen nach halb vier. Ich fühlte mich wacher als je zuvor. Die Sehnsucht nach dem Bett war der Hilflosigkeit gewichen. Ich schüttelte leicht am Fenster. Ich stieg aufs Sofa, pustete. Gregor regte sich nicht. Mutig rückte ich näher, auf Augenhöhe, und pustete. Gregor rührte sich nicht. Gregor! Gregor! Gregor schwieg. Ich lies das Fenster langsam zufallen. Die Fühler hätten jetzt reagieren müssen. Sie reagierten nicht. Oh Gregor! Oh Gregor, hast du deinen Tod gefunden in der komplexen Konstruktion, zwischen Eisenstangen und Plastik? Oh Gregor, was ist, wenn ich morgen deine Gebeine finde auf dem Fensterbrette! Tu mir das nicht an! Dein Tod ist schlimmer als dein Leben. Zappel, hüpf, spring zehn Meter, klettere oder flieg laut brummend durch den Raum! Erschreck mich, stich mich, quäl mich, friss mich auf! Alles, verteufelt, verflucht, bloß nicht Zeuge deines Verwesungsprozesses möchte ich werden.
Und Gregor bewegte sich. Gregor hob seinen Kopf, den Panzer, die Beine. Oh nicht! Nicht diese widerlichen Beine! Bereit zum Sprung irgendwohin. In mein Gesicht, ans andere Ende des Raumes, ins Nirgendwo. Nichts schlimmer als der dumpfe Aufschlag Gregors, wie eine Nuß, die zu Boden fällt, unwissend, wo sie gelandet ist.
Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Ich lag auch schon im Bett. Doch Gregor lies mir keine Ruhe. Immer wieder musste ich nach ihm sehen. War er noch da? Immer wieder, ob er noch lebte oder tot war. Ich wollte ihn nicht töten, und ich konnte ihn nicht retten aus dieser Haltevorrichtung der Jalousie. Ich wollte nicht wissen, wo er morgen war in meiner Wohnung. Ich wollte Gewissheit. Ich wollte ihn frei wissen in seinem Lebensraum der Natur.
Ein weiteres Mal legte ich mich ruhelos hin. Als ich nach einer gefühlten Viertelstunde, wahrscheinlich waren es nur drei Minuten, wieder die Tür ins Wohnzimmer öffnete, war alles anders. Es war dunkel. Und mir wurde bewusst, dass ich in meiner Aufregung oder aus unbewusster Angst vor der Dunkelheit die vorherigen zehn, zwanzig Male vergaß, den Lichtschalter zu drücken. Gregor war unsichtbar. Ich wagte einen zögerlichen Schritt in den Raum. Meine Hand ruhte auf dem Lichtschalter. Die Finger lösten leichten Druck aus und begannen zu zittern. Ich hörte mein Herz schlagen. Hatte sich Gregor verwandelt? Stand er nun vor mir? Leibhaftig? Ich atmete tief durch, schloß die Augen, legte den Kopf in den Nacken, drückte.
Blind tastete ich mich vor ans Fenster. Ich wollte ein Mann sein! Mutig, stark. Ich wollte dem ganzen ein Ende bereiten. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind. Lächerlich, hilflos. Todesmutig öffnete ich die Augen. Die Haltevorrichtung der Jalousie war verlassen. Ungläubig sah ich mich im Raume um. Ich schaute unter Sofa und Tisch, hinter Schrank und Tür. Und als ich das Fenster schloß, sah ich Gregors Schatten davonziehen.
Kurz vor drei am frühen Morgen kam ich nach Hause. Ich freute mich auf das Bett und wollte nur noch aus der Kleidung schlüpfen, mich hinlegen, zudecken, schlafen. Die Müdigkeit hatte mich übermannt. Wie in Trance vollzog ich die letzten Amtshandlungen eines langen Tages. Die Schuhe waren ausgezogen, das Hemd geöffnet. Auf dem Tisch stand noch ein Schluck Wasser des späten Nachmittags. Dieser verregnete Nachmittag lag so fern, gefühlte Tage und Perioden immer wieder aufsteigender und unterdrückter Müdigkeit zurück. Es schien mir, als hätte ich das Glas vor Wochen gefüllt und der leicht abgestandene Geschmack des Wassers verstärkte meinen Eindruck.
Und zu so später oder früher Stunde trieb mich noch ein Scherz ins Verhängnis. Anstatt das kleine Schlückchen zu schlucken, erlaubte ich mir zu wiederholen, was vor langer Zeit meine Eltern und Geschwister gelegentlich an den Rande des Wahnsinns trieb. Ich schloss die Augen, legte meinen Kopf zurück, öffnete behutsam den Mund und begann zu gurgeln. Ich komponierte eine Melodie und erfreute mich wie benommen meiner Geräusche.
Langsam öffnete ich die Augen. Ich erschrak und hustete. Ein Schlückchen des Schlückchens lief in den falschen Kanal. Ich hustete lauter, rang nach Luft. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich sprang auf, hustete, schluckte, atmete gleichmäßiger, wurde ruhiger. Zögerlich blickte ich an die frisch gestrichene Zimmerdecke. Da saß ein Tier! Doch welches? Eines, das ich noch nie gesehen hatte, weder in der Natur noch in Büchern oder Filmen. Es war fürchterlich. Unweigerlich dachte ich an Kafkas Verwandlung. So stellte ich mir das Ungeziefer vor, in das sich sein Protagonist über Nacht verwandelte.
Ich habe keine Angst vor Tieren, sagte ich mir. Doch es half nichts. Es war zwar klein, doch für ein Ungeziefer sehr groß. Ich erinnerte mich an meine Mutter, die sagte: "Geh, stell dich nicht so an, das Ding hat mehr Angst vor dir, als du vor ihm." Es half nichts. Außerdem bezweifelte ich, dass es Angst vor mir hatte. Wer so aussieht, kennt keine Angst. Im ersten Moment dachte ich an eine Spinne. Die Beine waren so lang und dünn, der Körper so groß. Doch es waren nur zwei Beine, außerdem trägt eine Spinne keinen derartigen braunen Panzer. Eine Spinne hat weder Fühler noch einen seltsamen pyramidenförmigen Stachel. Aus der Ferne betrachtet ähnelte es einem Frosch. Und aus einer anderen Perspektive fühlte ich mich an einen Skorpion erinnert. Was die Aufregung mit einem macht...
Ich öffnete das Fenster und wartete einen Moment. Das Ungeziefer bewegte sich nicht. Wie naiv von mir zu denken, es sei mit dem Fensteröffnen getan. Ich näherte mich langsam. Ein Fühler richtete sich aus, kaum merklich. Trotzdem führte diese Szene zu neuem Schreck. Es lebt! "Gregor, Gregor", flüsterte ich mit zittriger Stimme. Gregor reagierte nicht. Ich blies aus der Distanz. Gregor zeigte sich unbeeindruckt. Ich zog das Sofa ein Stück weit vor und stieg vorsichtig hinauf. Ich wedelte mit einem Kissen. Gregor reagierte nicht. Ich blies kürzer und stärker. Gregor setzte sich in Gang. Es war unerträglich. In welcher Geschwindigkeit sich dieses Kerlchen fortbewegte! Ich hielt es nicht aus.
Gregor kletterte in die direkt am Fenster angebrachte Haltevorrichtung der Jalousie. Dümmer hätte er es nicht anstellen können. Sein Panzer war verborgen. Nur seine Fühler und die Beine mit den markanten Gelenken waren zu sehen. Kann Gregor springen? Und wenn ja, wie weit? Ich möchte es mir nicht vorstellen. Kann Gregor fliegen? Erzeugt er dabei Geräusche? Brummt Gregor oder summt er? Was macht er mit dem Stachel? Zählt Gregor zu einer unentdeckten Spezies eines unberechenbaren Killerinsekts? Waren vielleicht die Eier seiner Nachfahren schon verstreut in meiner Wohnung, in meinem Bett? Und vor was hatte ich verdammt noch mal Angst? War es Angst vor Gregor oder die Angst davor, meine Nachbarn könnten von meiner Schreckhaftigkeit geweckt werden?
Ein Schrei!
Gregor! Etwas flatterte wild umher, berührte mich am Arm, im Gesicht! Doch Gregor war es nicht. Unbekümmert saß er weiter in der Haltevorrichtung. Ein kleiner weißer Falter flatterte auf und ab. Welch Gesellschaft! Weiß wie ein Brautkleid. Flink und doch grazil. An Gregors Stelle wäre ich vor Neid erblasst.
Es war inzwischen nach halb vier. Ich fühlte mich wacher als je zuvor. Die Sehnsucht nach dem Bett war der Hilflosigkeit gewichen. Ich schüttelte leicht am Fenster. Ich stieg aufs Sofa, pustete. Gregor regte sich nicht. Mutig rückte ich näher, auf Augenhöhe, und pustete. Gregor rührte sich nicht. Gregor! Gregor! Gregor schwieg. Ich lies das Fenster langsam zufallen. Die Fühler hätten jetzt reagieren müssen. Sie reagierten nicht. Oh Gregor! Oh Gregor, hast du deinen Tod gefunden in der komplexen Konstruktion, zwischen Eisenstangen und Plastik? Oh Gregor, was ist, wenn ich morgen deine Gebeine finde auf dem Fensterbrette! Tu mir das nicht an! Dein Tod ist schlimmer als dein Leben. Zappel, hüpf, spring zehn Meter, klettere oder flieg laut brummend durch den Raum! Erschreck mich, stich mich, quäl mich, friss mich auf! Alles, verteufelt, verflucht, bloß nicht Zeuge deines Verwesungsprozesses möchte ich werden.
Und Gregor bewegte sich. Gregor hob seinen Kopf, den Panzer, die Beine. Oh nicht! Nicht diese widerlichen Beine! Bereit zum Sprung irgendwohin. In mein Gesicht, ans andere Ende des Raumes, ins Nirgendwo. Nichts schlimmer als der dumpfe Aufschlag Gregors, wie eine Nuß, die zu Boden fällt, unwissend, wo sie gelandet ist.
Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Ich lag auch schon im Bett. Doch Gregor lies mir keine Ruhe. Immer wieder musste ich nach ihm sehen. War er noch da? Immer wieder, ob er noch lebte oder tot war. Ich wollte ihn nicht töten, und ich konnte ihn nicht retten aus dieser Haltevorrichtung der Jalousie. Ich wollte nicht wissen, wo er morgen war in meiner Wohnung. Ich wollte Gewissheit. Ich wollte ihn frei wissen in seinem Lebensraum der Natur.
Ein weiteres Mal legte ich mich ruhelos hin. Als ich nach einer gefühlten Viertelstunde, wahrscheinlich waren es nur drei Minuten, wieder die Tür ins Wohnzimmer öffnete, war alles anders. Es war dunkel. Und mir wurde bewusst, dass ich in meiner Aufregung oder aus unbewusster Angst vor der Dunkelheit die vorherigen zehn, zwanzig Male vergaß, den Lichtschalter zu drücken. Gregor war unsichtbar. Ich wagte einen zögerlichen Schritt in den Raum. Meine Hand ruhte auf dem Lichtschalter. Die Finger lösten leichten Druck aus und begannen zu zittern. Ich hörte mein Herz schlagen. Hatte sich Gregor verwandelt? Stand er nun vor mir? Leibhaftig? Ich atmete tief durch, schloß die Augen, legte den Kopf in den Nacken, drückte.
Blind tastete ich mich vor ans Fenster. Ich wollte ein Mann sein! Mutig, stark. Ich wollte dem ganzen ein Ende bereiten. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind. Lächerlich, hilflos. Todesmutig öffnete ich die Augen. Die Haltevorrichtung der Jalousie war verlassen. Ungläubig sah ich mich im Raume um. Ich schaute unter Sofa und Tisch, hinter Schrank und Tür. Und als ich das Fenster schloß, sah ich Gregors Schatten davonziehen.