Geister

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Langsam wiegen sich die Vorhänge im Wind hin und her.
Ein Spiel, das ich jeden Tag beobachten kann; ich rühre mich nicht von der Stelle.
Langsam schiebe ich meinen Stuhl ans Fenster, sehe hinaus, auf die Straße, den grauen Asphalt. Alles, so, wie es immer war.
Nichts neues, ausser die wenigen, bunten Autos, die dieses Viertel kreuzen müssen.
Das eine gelb, das andere grün oder schwarz. Keines grau.
Es würde auch gar nicht passen, das Grau.
Grau haben wir hier zu genüge. Man muss sich nur mal die Fassade ansehen.

Ich höre die Kinder schreien, im Zimmer nebenan.
Wieder etwas, was sich jeden Tag ereignet. Ein Knarren erklingt, als ich mich langsam erhebe, um mich der Tür zu zu wenden.
Die Autos fahren schon von alleine vor meinem inneren Auge auf und ab; ich kann sie verdrängen.

Der Müll steht schon bereit.
Ich weiss, wer ihn runterbringen soll. Ich umgreife die Plastiktüte mit der einen, die Türklinke mit der anderen Hand und öffne die Tür; wieder ein Knarren.
Totenstille im Treppenhaus, als ich eine der Stufen bezwinge. En merkwürdiger Geruch scheint in der Luft zu liegen.
Öl vielleicht? Wieder neue Nachbarn?
Ich gehe an den einzelnen Stockwerken vorbei, bis ich das erreiche, welches wohl gerade neu bezogen wurde.
Das Türschild hat sich geändert. Jetzt steht da nicht mehr Höcker, sondern Passler.
Höcker. Ich kannte nur den Namen und vielleicht ab und zu die laute Musik, aber sonst habe ich die Leute kaum gesehen. Welche, die sich immer hinter ihrer Tür verschanzen.
Ihr Zuhause war ihre Burg. Sie verließen sie nicht.

Passler ist ein Name, der Personen gehört, die sich vielleicht ebenso hinter ihrer Tür verschanzen und nicht blicken lassen.
Nicht einmal den Einzug, die Kartons habe ich bemerkt.

Das Haus besteht voll und ganz aus Geistern.
Man hört sie, aber man sieht sie nicht.

Ein lautes Zuschlagen des Deckels, nachdem ich den Müll in die Tonne geworfen habe.
Was für ein Gestank, daneben stehen ja auch schon die Kartons.
Zu viele Kartons; sie gehören alle Passler.
Das ist es, als was ich die Leute ansehe, als Kartons; was anderes werde ich wohl kaum zu Gesicht bekommen - genauso, wie es mit den vorigen war.

Langsam ein Gang die Treppen hinauf, als ich auch schon an UNSEREM Abteil vorbei komme - eine Art Raum, eine Abstellkammer.
Unser Schloss hängt davor und wir alleine haben den Schlüssel.
Ein Lächeln. Zufriedenheit.
Das ist etwas, was uns niemand nehmen kann, ausser er hat ein Brecheisen.

Ich höre schon die Kinder schreien, immer noch. Die Tür schlägt hinter mir zu, lautlos fast, nur damit im Treppenhaus kein Echo entsteht, kein Hallen.
Langsames Schlurfen, als ich den Balkon anvisiere.
Die Autos werden geringer, ich sehe nur noch die Straße, einige Gestalten.
Gestalten aus anderen Häusern, keine aus unserem Haus.

Neben mir kracht plötzlich etwas zu Boden, eine Rassel.
Ein hässliches, schepperndes Geräusch, als sie über den Boden rollt und schließlich an der Wand zum Stillstand kommt.
Es war nicht das erste Mal, es würde nicht das letzte Mal bleiben.

Über mir, Reiner, die kenne ich oder eher gesagt ihr Kind.
Mit den Eltern selbst habe ich kaum ein Wort gewechselt.
Und wenn doch, dann ging es nur um die Spielsachen ihres Kindes, die ab und zu auf unserem Balkon landeten.
Ich sah nicht hinauf, hob jedoch die Rassel auf.
Es werden weniger Worte werden, denn ich werde diesmal nicht zur Tür gehen.
Ich reiche meinen Kindern die Rassel, sie sollen sie zurück geben.
Ein entferntes, dumpfes Hallen, Worte - Reiner waren da.
Die Rassel war nun weg.

Ich lege mich lieber hin. Erschöpfung.

Schon am frühen Morgen dröhnten mir die Ohren. Ein stetiges Klopfen gegen die Wand, ein Hammer, der diese zu spalten drohte, ein Nagel, der tief in Beton versank.
Ich stülpe mir das Kissen über den Kopf, aber es gibt immer noch keine Ruhe.
Es kommt von unten und ich weiss schon wer das ist - die Passler.
Der Morgen ging zu Ende, mein Schlaf ging zu Ende, meine Nerven gingen mit.
Diesmal sah ich die Autos im Fernsehen auf und ab fahren; es war sogar ein graues dabei.
Es ging ein Licht auf.

Im Schrank suchte ich nach einer Tafel Schokolade. Ich war nicht geübt. Wieder ging ich die Tür lautlos hinter mir zu, ich ging hinunter.
Das Schildchen war schön, anders als die anderen. Nicht wirklich.
Ich klingelte.
Eine rundliche Frau öffnete mir, ein Lächeln im Gesicht.
Willkommen. Das Gespräch verlief gut - jetzt weiss ich, wer die Passler sind.
Sie sind keine Kartons und sie sind keine Geister mehr.
Ich auch nicht.
 



 
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