Gestern noch Sommer, übermorgen schon Winter?

Astrid

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Eine Herbstfantasie

Die Anzeichen sind eindeutig: Zuerst kam die Frau mit dem Quarkkeulchenstand. Eines Abends überfiel mich der Geruch; so stark vibrierte er in meiner Nase, dass ich alle Willensanstrengung zusammennehmen musste, um nicht zu ihr zu gehen und zu sagen, 10 Stück bitte – denn 10 Stück sind umgerechnet billiger als nur 2 oder 3 - und können Sie bitte noch mal Zucker rüberstreuen?
Nein, keine Quarkkeulchen. In den Duft aber mischte sich auch so etwas wie Wehmut. Eine Sehnsucht nach dem Sommer, der gestern doch noch hier war und das Wissen um die kurzen, dunklen und kalten Tage.
Eine Falle. Diese Tage sind eine Falle für Naschkatzen. Schokoladenwetter. Wie soll ich da widerstehen können?

Ja, erst kommt die Quarkkeulchenfrau, dann geht der Eisladen. Na ja, er geht nicht wirklich, aber er wird leer geräumt. Keine bunte Auswahl mehr an Schoko-, Vanille- und Eierlikörkugeln mit Extrakalorien-Soße und Streuseln und einem großen Löffel Sahne. Stattdessen gibt es Socken in allen Größen, Socken für kalte Füße und lange Winter, Strumpfhosen, und Mieder. Und da, wo der Deckenventilator mit den bunten, über dem Kopf des süßen Eisverkäufers baumelnden Papiereistüten spielte, werden sie baumeln – Büstenhalter.
Dann doch lieber Quarkkeulchen.

Mein Nachbar packt sein Motorrad in eine dicke Folie ein. Mit Reißverschluss sogar, fast wie ein Pullover. Ob er manchmal mit ihm redet, wenn er an den Wintertagen an seinem Pullover-Krad vorbei zum Auto geht? Kann ein Motorrad eifersüchtig sein?
Ich stelle mir das lustig vor. Der Reißverschluss öffnet sich und eine Motorrad-Hand saust in den Nacken des Autofahrers, krallt sich in dessen Jackenkragen und zieht ihn zurück. „Was hat er, was ich nicht habe? War ich nicht immer für dich da?“
„Es ist zu kalt, die Straßen sind glatt, wir würden wegrutschen.“
„Papperlapapp, alles Ausreden!“ Die Hand lässt nicht los.
Nun muss der Saison-Autofahrer in die Trickkiste fassen:
„Ich will dich doch nur schonen. Du bist doch mein wahrer Liebling, mein Favorit. Ich würde dir nie diese Drecksarbeit zumuten! Unsere Zeit kommt, wenn die Sonne scheint, dann wird es nur uns beide geben, versprochen. Die Tage mit dem da“, er zeigt kurz auf den Vierrädrigen,
„sind völlig unbedeutend für mich.“

Und überall an den Straßen wird man Autofahrer sehen, die zärtlich über ihr Motorrad streichen und sanft auf ihre Lieblinge einreden und es wird stiller sein auf den Straßen, denn in der Zeit, in der sie mit ihnen reden, fahren sie ja nicht mit dem Auto. Und manchmal, wenn es nicht zu kalt ist, setzen sie sich vielleicht auf das Motorrad, nur so, oder auf den Bordstein daneben und schwelgen in ihren bezaubernden Erinnerungen.

Über der leisen Stadt wird leise der Schnee fallen und sie einhüllen, die Menschen, die Autos, die Motorräder, die Erinnerungen.
Und nur der Duft frischer Quarkkeulchen erfüllt die Luft.
 

Felix

Mitglied
Liebe Astrid

Erzeugt wirklich eine nette herbstlich-winterliche Stimmung dein Text. Ich habe zwar noch nie Quarkkeulchen probiert, aber ich konnte es mir trotzdem gut vorstellen.
Du hast dich für meinen Geschmack nur etwas zu lang über die Motorräder und Autos ausgelassen, da wäre doch auch noch Platz gewesen für weitere Eindrücke.
Ansonsten aber ein wirklich herbstlicher Text.
 

Astrid

Mitglied
Hallo Felix

Ich danke dir für deine Anerkennung und deine kritischen Hinweise. Habe den Text noch ein wenig überarbeitet, auch die Überschrift geändert, stelle ihn gleich rein. Was die Motorräder betrifft - das ist ja meine Herbstfantasie, weil ich es immer wieder aufs Neue beobachte, wie die Motorräder verpackt werden und ich kenne einen Motorradfahrer und habe nun einfach ein wenig gesponnen...
Noch einen bunten Herbst wünsche ich dir.
Astrid
 

Astrid

Mitglied
Hallo Felix

Habe deinen Hinweis doch zu Herzen genommen und an den Motorrad-Auto-Sätzen ein wenig gekürzt, es tut dem Text gut, denke ich, aber weitere Eindrücke wollte ich nicht reinbringen... Das wird dann vielleicht eine neue Herbstimpression.
Liebe Grüße
Astrid
 



 
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