Goldes Wert

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Ohrenschützer

Mitglied
Goldes Wert

„Das Wasser! Hey! There’s water coming in! Stop it! Stop it! Scheiße! Hilfe! Hil…“
Auf den weiteren Bildern ist nicht mehr viel zu erkennen. Wasser, Luftblasen. Die Minikamera ist unterwassertauglich, der Besitzer ist damit zuvor auch im Pool des dritten Unterdecks schwimmen gewesen. Sie war so gut um den Bauch montiert, dass sie auch nach tagelangem Treiben auf See nicht verloren ging.
Wir spulen weit zurück.

Hühnereier liegen in weißem Sand. „Hier unser opulentes Frühstücksbuffet!“ Schwenk über Marmeladetiegel in fruchtigen Farben mit eruptiven Spuren auf dem Tischtuch, aneinander klebende Käsescheiben, Schinken, Wurst, Lachs, unzählige Müslisorten und Fruchtjoghurt, Bananenmilch, Kokosnuss-Scheiben. „Ein herrlicher Tag beginnt mit gewonnenen Kilos!“
Ältliche Damen unterstreichen mit Bergen von leerem Butterpapier den Kommentar. Einige von ihnen bewegen sich mit modischen Sonnenbrillen und sommerlich-bunten, zeltartigen Kleidern durch eine Tür mit der Aufschrift „Sonnendeck“. Tirilierende und zackig erwiderte „Good morning!“ sind im Hintergrund zu hören.
Ins Bild kommt ein mit Wurst und Käse beladener Tisch und der Rücken einer schlanken Dame. „Walter, ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen mich nicht filmen!“

„Ich stehe hier auf der Brücke, die erstaunlich geräumig ist, mit ihren vielen Instrumenten, Knöpfen und Schaltpulten. Vor mir steht der erste Offizier Bradvarov, der sich bereit erklärt hat, mir ein Interview zu geben. Good morning, Sir.“
Die Kamera zeigt zuerst die Brust, dann das schlecht rasierte Kinn, schließlich das ganze Gesicht eines groß gewachsenen Mannes in weißer Uniform.
„Morning.“
„Ich frage ihn, wo wir sind. Can you show to the camera where exactly we are?“
„We are here. This is the Horn of Africa and this the Gulf of Aden.“
„Aha. Da sind auch die Piraten. How about the pirates?“
„It will be no problem. Most of the attacks are at night and we are passing this area tomorrow in full daylight. Besides, we have twenty-five strongly armed men on board for our safety, and a helicopter. The captain knows this area very well and we have two French battle ships very near, most of the time.“
„Er sagt, sie greifen nur nachts an, wir sind gut bewaffnet, und Kriegsschiffe sind in der Nähe. Kein Grund zur Sorge. So there is no need to worry.“
„Exactly. Enjoy your stay.“
„Thank you, Sir.“

Die allesamt im Schatten stehenden Liegestühle des Seitendecks sind leer, entfernt ist Musik, die Mikrophonstimme eines Animateurs und kreischendes Lachen zu hören. Ein Schnellboot kommt ins Bild und nähert sich mit hoher Geschwindigkeit. Die Kamera wackelt stark, auf einem Standbild sind sieben, acht Schwarze mit Maschinengewehr und Panzerfaust zu erkennen. „Ach du Scheiße!“
Die Kamera bewegt sich auf den hinteren Teil des Schiffs zu, wo sich ein Stiegenabgang befindet. Dort schwenkt sie abrupt um 180 Grad und zeigt nun das Schnellboot längsseits des Schiffs, wo bereits eine Landungsklappe offen steht. „Die lassen die einfach so rein?“

Unter schwerem Atem eilt der Mann mit der Kamera die Außentreppe hinunter, durch eine Eisentür und dann durch einen langen, schmalen Gang, immer wieder touchiert er die Wände. Eine Kabinentür wird hektisch aufgerissen, dem Schrank ein Buch entnommen, diesem wiederum ein Lesezeichen, das zerfetzt wird. Darin befindet sich eine Münze. „Mein Glücksbringer! Ich hätte dich nicht mitnehmen sollen! Sie werden nach dir suchen und dich mir wegnehmen, bevor du mir Glück bringen konntest. Aber ich werde um dich kämpfen und dann mit deinem Glück Hella für mich gewinnen!“
Das Standbild zeigt eine Goldmünze mit der Aufschrift „Liberty“, einer jungen Frau mit Fackel und Olivenzweig, rechts unten die Jahreszahl 1933. Der „Double Eagle“, teuerste Münze der Welt, dessen einziges Exemplar im Jahr 2002 für mehr als 7,5 Millionen Dollar ersteigert wurde.

„Have you seen Miss Goldberg?“
„No. What has happened to you? You look terrible!“ Das Gesicht der antwortenden Dame ist nicht zu sehen, faltige Hände umklammern ein Cocktailglas mit gelbem Schirmchen. Gehetzte Schritte über das Sonnendeck, begleitet von Ächzen.
„Frau Goldberg!“
„Ja? Meine Güte, Walter, wie sehen Sie denn aus?“
„Kommen Sie, Hella!“ Die Stimme wird zu einem Flüstern. „Piraten sind an Bord!“
„Um Gottes Willen! Weiß der Kapitän schon Bescheid? Wir müssen ihn sofort informieren, Walter!“
„Hella, nein! So warten Sie doch! Hella!“
Die großgewachsene, hagere Dame mit breitkrempigem Sonnenhut geht zielstrebig auf die Bordtür zu und verschwindet aus dem Bild. Der Mann mit der Kamera folgt ihr abgekämpft über Stufen in das nächsttiefere Deck durch eine Tür mit der Aufschrift „No trespassing“.
„What’s going on here?“, ist die etwas gouvernantenhafte Stimme von Frau Goldberg zu vernehmen. Sie steht mit in die Hüfte gestemmten Armen vor einem Trolley voller Wertgegenstände und verdeckt halb einen Steward, der von einem Schwarzen mit Gewehr im Anschlag bedroht wird.
„Madam, please go away, we have pirates aboard! Dangerous!“, fleht der Steward.
„Hella, er hat Recht, lassen Sie uns...“ Ein schwarzer Arm greift nach Frau Goldberg und drängt sie vorwärts. „Go, go!“, ertönt eine dunkle, kehlige Stimme.
“Leave her alone!”, versucht Walter einzugreifen und folgt Frau Goldberg stolpernd durch eine weitere Tür in einen Raum mit vielen Schwarzen in zerlumpter Kleidung. Sie halten den Kapitän und andere Besatzungsmitglieder in Schach. Bradvarov, der erste Offizier, ist gefesselt.
„What do you want?“, fragt der Kapitän.
„Three Million Dollar.“
„Jemand hat sie hereingelassen, Hella. Ich habe gesehen, wie die Luke von innen geöffnet wurde!“, flüstert Walter.
„This man says, someone has opened the door from inside“, übersetzt Frau Goldberg lauthals.
„Ah, someone is making big money!“, funkelt der Kapitän in Richtung Bradvarov. „You opened the door for them! That’s why they chose you as a hostage.“
Plötzlich wird Bradvarov von einem Piraten mit Pistole weggestoßen. „Let’s take the captain!“ Der Kapitän wird gefesselt. „And you, with the camera, come here!“
„Der Offizier gehört zu den Piraten. Passen Sie gut auf meine Münze auf“, wird geflüstert, während Walter Frau Goldberg etwas in die Hand drückt.
„Stop it!“, geht ein Pirat dazwischen, Frau Goldberg schreit auf, eine Münze fällt klingelnd auf den Boden. Der Mann mit der Kamera stürzt. „What is this?“, der Pirat hat den Double Eagle in der Hand.
„Meine Münze!“ Walters Stimme überschlägt sich. „Give it back!“
Ein Schuss fällt, die Kamera dreht sich abrupt, der Offizier Bradvarov liegt am Boden, eine Blutfontäne schießt aus seinem Kopf und ergießt sich über den Boden. Es herrscht ein paar Sekunden völlige Stille.
„Three million, or you all be dead!“, sagt der Pirat mit der Pistole.
„You will get it“, murmelt der Kapitän, „but this needs time. Three days until it is here.“
Die Piraten werden unruhig, sie unterhalten sich lautstark. Schließlich packt der Pirat mit der Pistole den Kapitän am Revers. „We will not wait. We take the gold here and you come with us!“

Das Schnellboot wird hektisch mit Gold und dem Schmuck aus dem Schiffstresor beladen. Der Kapitän hat die Arme auf den Rücken gebunden und springt aufs Boot, die restlichen Piraten folgen ihm. Die Kamera schwenkt nach unten, fängt Walters Füße am Rand der Luke ein, Frau Goldbergs Arm ist rechts sichtbar.
„Wartet! The army won’t shoot you when I have a camera!“, ruft Walter und springt.
Die Kamera bewegt sich direkt auf einen Piraten zu, der schreit auf. Das Bild wird dunkel, Walter ist offenbar gestürzt und liegt auf dem Bauch. Dumpfe, unverständliche Rufe und das Aufheulen eines Motors sind zu hören. „What do you want“, brüllt jemand.
„My coin!“, schreit Walter. „Ich will die Münze! Ihr habt ja alle keine Ahnung! Gebt mir meine Münze! Ich brauche sie! Ich brauche das Glück für Frau Goldberg! Gebt sie mir und ich schwimme zurück! Give it to me!“
Das Boot schwankt heftig, während es sich mit großer Geschwindigkeit vom Kreuzfahrtsschiff fortbewegt. Eine große Welle spült Wasser ins Bootsinnere. Immer mehr Wasser dringt ein, es gluckst, Schreie, hektische Bewegungen.

Der Grund für den Untergang des Boots kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Aufgrund der Aufnahmen wird jedoch vermutet, dass das Boot durch das hohe Gewicht von Gold und Schmuck überladen war. Keiner der Insassen wurde lebend gefunden. Doch das wertvollste Einzelstück, der Double Eagle, war nicht an Bord.

Wir spulen noch ein Stück zurück bis an die Stelle, wo Bradvarov erschossen wird. Hier hat das Auge der Kamera mehr gesehen als Walter selbst. Im Moment des Schusses ist deutlich zu erkennen, dass der Pirat, der Walter die Münze abgenommen hat, diese fallen lässt. In der nächsten Sekunde sieht man am Bildrand, wie sich Frau Goldberg bückt, um sie aufzuheben. Sie sucht Blickkontakt zu Walter; und kurz vor dem Schwenk zeigt sie den Anflug eines Lächelns.
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Ohrenschützer,

liebe Grüße (nach längerer Zeit) erst mal vorweg ;)

Die Beschreibung all der Kameraszenen ist (für mich) super gelungen. Prot. wollte die Münze für das Glück von Frau Goldberg - und die hat sie bekommen. Welch Laune des Schicksals.

paar Kleinigkeiten:

auf einem Standbild sind sieben, acht Schwarze mit Maschinengewehr[blue]en[/blue] und Panzerfaust[blue]fäusten[/blue] zu erkennen.

„Have you seen Miss Goldberg?“
„No. What has happened to you? You look terrible!“
„Madam, please go away, we have pirates aboard! Dangerous!“, fleht der Steward.
Auch hier wäre es gut, wenn du eine Übersetzung mit einflechtets. Bei den anderen fremdsprachigen Absätzen hast du´s auch gemacht - und ich find das persönlich besser, weil vermutlich nicht jeder leser englisch kann. Nur so eine Idee


Das Schnellboot wird hektisch mit Gold und dem Schmuck aus dem Schiffstresor beladen
Hab ich da was überlesen, oder warum hat das Schiff (in der heutigen Zeit) Gold und Schmuck geladen, und zwar so viel, dass es wegen des Gewichts sinkt?

LG, KaGeb
 

Ohrenschützer

Mitglied
Hi KaGeb,

ja, schön dich wieder mal zu lesen. :)

Danke für deine Vorschläge. Bei Panzerfaust und Maschinengewehr dachte ich eigentlich jeweils an die Einzahl (reicht ja wohl jeweils eine), die sonstige Bewaffnung wollte ich da nicht aufzählen.

Bezüglich Englisch hatte ich anfangs die Intention, die Übersetzung durchzuziehen, aber es klang dann teilweise zu arg gekünstelt. Daher musste ich entschärfen, und hinnehmen, dass der Text nur für Englisch-Sprechende geeignet ist. *achselzuck*

Und bezüglich Gewicht: Die Piraten haben offenbar mit dem Gold genug, also wird im Tresor außerordentlich viel gebunkert worden sein. Kann das wirklich so viel Gewicht ausmachen? Naja, abhängig von der Größe des Schiffs und dem Status der Passagiere: Wenn die oberen, sagen wir, Zweitausend, sich auf so einem Kreuzfahrtdampfer präsentieren wollen und wir nehmen von jedem/jeder zweiten 0,2 kg Gold, haben wir schon eine halbe Tonne...

Danke jedenfalls für deine Überlegungen. :)
Liebe Grüße,
 



 
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