Eberhard Schikora
Mitglied
dem deutschen Bundesinnenminister zur Erbauung
… und über ihnen die Sichel des Mondes
Gräuzberg
Suleika schaut gedankenverloren über die Grenze. Von ihrer lauschigen Bank auf der Anhöhe beobachtet sie Touristen, die soeben einem Reisebus entsteigen. Die Reiseleiterin weist mit ausladender Gestik auf eine große Tafel hin. Suleika hatte zufällig miterlebt, wie dieses Schild vor drei Jahren aufgestellt worden war. Symbol eines umwälzenden Ereignisses. Das Schild trägt die Inschrift „Willkommen in der Türkei“.
Pragmatische Politiker hatten eingesehen, dass im Fall „Gräuzberg“ der Zug für weitere Integrationsbemühungen abgefahren war. Sie gaben dem Druck der Einwohner nach und ließen eine Volksabstimmung zu, bei der sich die Gräuzberger im Jahr 2018 mit großer Mehrheit für den Anschluss an die Türkei aussprachen – mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Wenige Jahre zuvor hatte die Abwanderung der deutschen Bevölkerung Ausmaße erreicht, die diese Entwicklung vorausahnen ließen. Da die Türkei 2015 der EU beigetreten war, erwiesen sich diesbezüglichen Verhandlungen zwischen Deutschland und der Türkei weniger schwierig, als ursprünglich angenommen.
Gräuzberg erhielt eine eigene Regionalregierung und eine eigene Polizei.
In Ankara waren inzwischen liberal gesinnte Leute ans Ruder gekommen. Trotzdem gab es zunächst Probleme, um deren Lösung zäh gerungen wurde. Die Türkei bestand darauf, dass ein Dauerwohnrecht in Gräuzberg nur bekam, wer türkischer Staatsbürger wurde. Als solcher musste er ausreichende türkische Sprachkenntnisse nachweisen. Außerdem wurden Gräuzberg große Teile des muslimisch unterwanderten Nachbarbezirks Noikölln zugeschlagen. So entstand ein Territorium, das aufgrund seiner Größe voll lebensfähig war. Sonntags flanierten nun türkische Pärchen auch in der Hasenheide. Von einem Ghetto konnte keine Rede mehr sein. Die Grenze war ohnehin offen.
Ein sehr wesentliches Zugeständnis musste die Türkei jedoch machen: Die EU verlangte völlige Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die Regierung in Ankara musste sich dafür verbürgen, dass die Gräuzberger Imame auf uneinsichtige Männer einwirkten. Was mancher kaum für möglich hielt – es funktionierte.
Suleika denkt noch mit Abscheu an die Männerherrschaft zurück. Nun ist alles deutlich besser geworden.
Man sah auch nicht mehr so viele Männercliquen herumlungern. Dass die Herren der Schöpfung und die Frauen getrennt beteten, nun, das lag eben am vorgeschriebenen unumstößlichen Ritual. So würden die mehr oder weniger frommen Männer auch weiterhin ihre kollektiven malerischen Kniefallübungen zu Ehren Allahs verrichten.
Suleika kann sich immer wieder darüber amüsieren.
Zweifellos aber war ein deutlicher Wandel eingetreten. Die Imame waren zahm geworden.
Unmittelbar nach der Volksabstimmung gab es allerdings Komplikationen.
Ultrakonservative Kräfte forderten die Einstellung des Deutschunterrichts an den Schulen. Doch die Vernunft setzte sich durch. Auch wenn die Deutschen nicht mehr in Gräuzberg wohnen wollten, verfolgten sie doch mit Interesse die weitere Entwicklung. Vor allem die junge Generation wollte die Kontakte nicht abreißen lassen. Auch die verkehrspolitischen Gegebenheiten ließen eine totale Trennung nicht zu. Die öffentlichen Verkehrsmittel blieben in deutscher Hand, die Türkei beteiligte sich an der Finanzierung.
Vor allem aus Bayern, wo man sich grundsätzlich nicht fremdenfreundlich verhielt, wanderten insbesondere ältere Menschen nach Gräuzberg ein, die sich mit der deutschen Sprache schwer taten. Inzwischen hatte der Druck erheblich nachgelassen. Und auch die Probleme der anderen Bundesländer hatten sich auf natürliche Weise erledigt, indem nicht integrierbare Türken nach Gräuzberg ausgewichen oder eben doch ins Heimatland zurückgekehrt waren.
Sarrazin war Schnee von vorgestern. Gräuzberg, diese eine türkische Enklave, konnte und wollte sich die Bundesrepublik leisten, gewissermaßen als Symbol für Toleranz.
Warum sollte in Berlin nicht funktionieren, was in San Franzisko mit der Chinatown gelang!
Gräuzberg blühte auf. Die EU erhob den Stadtstaat zu einer besonders geförderten Region und machte vor allem großzügig Mittel für die Sanierung der zum Teil maroden Bausubstanz locker. Nach wie vor nahmen die Karlottenburger, die Tümpelhoffer, Trapptower und andere Bahliner aus den Nachbarbezirken die Dienste der vielen kleinen türkischen Handwerksbetriebe in Anspruch, zumal sie auch Reparaturen bereitwilliger, schneller und sauberer ausführten als mancher deutsche Betrieb.
Der Tourismus boomte. Für Skandinavier und Polen lagen die bunten Basare praktisch vor der Haustür, der Orient war zum Greifen nah und in der Sonnenallee würde man demnächst winterharte Palmen anpflanzen. Folkloregruppen taten ein Übriges, um zahlungskräftige Besucher anzulocken. Sogar Kamelrennen standen auf dem Programm. Es erhoben sich bereits Stimmen, die vor einem Überangebot an zweifelhaften Volksbelustigungen, wie etwa aufreizende Bauchtanzvorführungen, warnten. Die Bedenken waren nicht unbegründet, zumal das Alkoholverbot nicht mehr respektiert wurde. Unlängst war man wieder über Anisschnapsleichen gestolpert.
Auch eine Übervölkerung Gräuzbergs war schon befürchtet worden. Aber da konnte man gegensteuern, indem man immer mal wieder Zuzugssperren verhängte oder allzu eifrige Eltern, die mehr als 2 Kinder produzierten, nach chinesischem Exempel hart bestrafte.
Suleika, noch eben ganz versonnen, blickt auf und sieht einen guten alten Bekannten auf sich zu kommen. Schick sieht er aus mit seiner edlen Pelzkappe aus Karakul. Heinz hat heute etwas Zeit und fragt Suleika, ob er sich zu ihr setzen und ein bisschen mit ihr plaudern könne.
„Ja, du Beutetürke, du darfst“, sagt Suleika.
Heinz war einer der wenigen Deutschen, die so viel Gefallen an der türkischen Lebensart gefunden hatten, dass sie geblieben waren und die türkische Staatsangehörigkeit annahmen..
„Wie geht’s deiner Fatima?“, fragte Suleika.
„Danke, danke, ausgezeichnet“.
„Und deiner Zweitfrau?“
„Suleika, du weißt so gut wie ich, Kemal Atatürk hat die Bigamie bereits 1926 abgeschafft. „Und darum hat unsere Frauenbewegung auch durchgedrückt, dass ihm am Mechmetdamm, vormals Mehringdamm, ein imposantes Denkmal errichtet wurde“.
Heinz schaut auf die Uhr. Er hat noch eine geschäftliche Verabredung. Er will sich von Suleika verabschieden, doch sie hält ihn fest.
„Du hast meine Frage noch nicht beantwortet“.
„Du bist ein Biest, Suleika. Ich habe keine Zweitfrau. Salam alaikum“.
Heinz hatte vor zwei Jahren geheiratet. Er und Fatima hatten einen schwierigen Start. Fatimas Eltern waren mit der Wahl der Tochter einverstanden, aber die übrige Sippschaft war nicht gut auf Heinz zu sprechen. Mit seinem Übertritt zum Islam war das Problem aus der Welt geschafft.
Ein paar Tage später läuft ihm Suleika wieder über den Weg. Sie muss schon wieder sticheln.
„Sag mal, Heinz, wie fühlst du dich eigentlich als Moslem?“
„Na ja, ein ganz echter wird nie aus mir werden. Den Ramadan mit all seinen Begleiterscheinungen finde ich ziemlich skurril, doch als Disziplinübung taugt er durchaus“.
„Aber ab und zu mal ein gutes Schweineschnitzel, das vermisst du doch bestimmt?“
„Du irrst. Ein deftiger Lammbraten ist mir inzwischen lieber. Aber wenn du mich fragst, ob ich auch immer den Rufen des Muezzins folge, dann kann ich nur sagen „je nach Lust und Laune“. Allah sei Dank, erwartet man von mir nicht, dass ich mir ständig die Schuhe ausziehe und in die Moschee renne. Immerhin habe ich neulich bei meiner Schwiegermutter einen guten Eindruck hinterlassen, als sie mich beim Koranstudium überraschte“.
Suleika grinst. „Aus dir wird doch noch ein Mustertürke, inschalla!“
Morgen würde der Mustertürke wieder hinüberpendeln nach Deutschland, wo er als Dolmetscher und Übersetzer sehr gefragt ist, nämlich im 2 km entfernten Reichstagsgebäude. Seine Steuern zahlt er natürlich brav an die Türkei
Heinz denkt über Vergangenheit und Zukunft nach. Ende der 50er Jahre waren die ersten Gastarbeiter gekommen. 1977 waren schon fast 4 Millionen (einschließlich ihrer Familienangehörigen) in der Bundesrepublik gemeldet. Nur wenige Jahre später war Gräuzberg eine Türkenhochburg.
Doch um 2030 würde es dort wohl kaum noch einen Türken geben, der nicht auch die deutsche Sprache oder mindestens das gut verständliche Kanakische* beherrschte. Zeit für eine neue Volksabstimmung? Was auch immer dabei herauskam: Kleinasien würde Wurzeln geschlagen haben und lebendig bleiben – vielleicht auch in Gestalt einer hübschen Tochter, die alle Vorzüge von Orient und Okzident in sich vereinigte.
Heinz ist wieder in der Gegenwart angekommen. Morgen wird er sich eine neue Wasserpfeife kaufen. Und Suleika? Die wird morgen gegen den Koran verstoßen und sich ein schönes großes Schweineschnitzel braten. Aber das muss sie ja Heinz nicht auf die Nase binden.
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*Ein kleines Beispiel: Ich Türke, ich arbeiten – du deutsch, du ausruhn.
… und über ihnen die Sichel des Mondes
Gräuzberg
Suleika schaut gedankenverloren über die Grenze. Von ihrer lauschigen Bank auf der Anhöhe beobachtet sie Touristen, die soeben einem Reisebus entsteigen. Die Reiseleiterin weist mit ausladender Gestik auf eine große Tafel hin. Suleika hatte zufällig miterlebt, wie dieses Schild vor drei Jahren aufgestellt worden war. Symbol eines umwälzenden Ereignisses. Das Schild trägt die Inschrift „Willkommen in der Türkei“.
Pragmatische Politiker hatten eingesehen, dass im Fall „Gräuzberg“ der Zug für weitere Integrationsbemühungen abgefahren war. Sie gaben dem Druck der Einwohner nach und ließen eine Volksabstimmung zu, bei der sich die Gräuzberger im Jahr 2018 mit großer Mehrheit für den Anschluss an die Türkei aussprachen – mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Wenige Jahre zuvor hatte die Abwanderung der deutschen Bevölkerung Ausmaße erreicht, die diese Entwicklung vorausahnen ließen. Da die Türkei 2015 der EU beigetreten war, erwiesen sich diesbezüglichen Verhandlungen zwischen Deutschland und der Türkei weniger schwierig, als ursprünglich angenommen.
Gräuzberg erhielt eine eigene Regionalregierung und eine eigene Polizei.
In Ankara waren inzwischen liberal gesinnte Leute ans Ruder gekommen. Trotzdem gab es zunächst Probleme, um deren Lösung zäh gerungen wurde. Die Türkei bestand darauf, dass ein Dauerwohnrecht in Gräuzberg nur bekam, wer türkischer Staatsbürger wurde. Als solcher musste er ausreichende türkische Sprachkenntnisse nachweisen. Außerdem wurden Gräuzberg große Teile des muslimisch unterwanderten Nachbarbezirks Noikölln zugeschlagen. So entstand ein Territorium, das aufgrund seiner Größe voll lebensfähig war. Sonntags flanierten nun türkische Pärchen auch in der Hasenheide. Von einem Ghetto konnte keine Rede mehr sein. Die Grenze war ohnehin offen.
Ein sehr wesentliches Zugeständnis musste die Türkei jedoch machen: Die EU verlangte völlige Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die Regierung in Ankara musste sich dafür verbürgen, dass die Gräuzberger Imame auf uneinsichtige Männer einwirkten. Was mancher kaum für möglich hielt – es funktionierte.
Suleika denkt noch mit Abscheu an die Männerherrschaft zurück. Nun ist alles deutlich besser geworden.
Man sah auch nicht mehr so viele Männercliquen herumlungern. Dass die Herren der Schöpfung und die Frauen getrennt beteten, nun, das lag eben am vorgeschriebenen unumstößlichen Ritual. So würden die mehr oder weniger frommen Männer auch weiterhin ihre kollektiven malerischen Kniefallübungen zu Ehren Allahs verrichten.
Suleika kann sich immer wieder darüber amüsieren.
Zweifellos aber war ein deutlicher Wandel eingetreten. Die Imame waren zahm geworden.
Unmittelbar nach der Volksabstimmung gab es allerdings Komplikationen.
Ultrakonservative Kräfte forderten die Einstellung des Deutschunterrichts an den Schulen. Doch die Vernunft setzte sich durch. Auch wenn die Deutschen nicht mehr in Gräuzberg wohnen wollten, verfolgten sie doch mit Interesse die weitere Entwicklung. Vor allem die junge Generation wollte die Kontakte nicht abreißen lassen. Auch die verkehrspolitischen Gegebenheiten ließen eine totale Trennung nicht zu. Die öffentlichen Verkehrsmittel blieben in deutscher Hand, die Türkei beteiligte sich an der Finanzierung.
Vor allem aus Bayern, wo man sich grundsätzlich nicht fremdenfreundlich verhielt, wanderten insbesondere ältere Menschen nach Gräuzberg ein, die sich mit der deutschen Sprache schwer taten. Inzwischen hatte der Druck erheblich nachgelassen. Und auch die Probleme der anderen Bundesländer hatten sich auf natürliche Weise erledigt, indem nicht integrierbare Türken nach Gräuzberg ausgewichen oder eben doch ins Heimatland zurückgekehrt waren.
Sarrazin war Schnee von vorgestern. Gräuzberg, diese eine türkische Enklave, konnte und wollte sich die Bundesrepublik leisten, gewissermaßen als Symbol für Toleranz.
Warum sollte in Berlin nicht funktionieren, was in San Franzisko mit der Chinatown gelang!
Gräuzberg blühte auf. Die EU erhob den Stadtstaat zu einer besonders geförderten Region und machte vor allem großzügig Mittel für die Sanierung der zum Teil maroden Bausubstanz locker. Nach wie vor nahmen die Karlottenburger, die Tümpelhoffer, Trapptower und andere Bahliner aus den Nachbarbezirken die Dienste der vielen kleinen türkischen Handwerksbetriebe in Anspruch, zumal sie auch Reparaturen bereitwilliger, schneller und sauberer ausführten als mancher deutsche Betrieb.
Der Tourismus boomte. Für Skandinavier und Polen lagen die bunten Basare praktisch vor der Haustür, der Orient war zum Greifen nah und in der Sonnenallee würde man demnächst winterharte Palmen anpflanzen. Folkloregruppen taten ein Übriges, um zahlungskräftige Besucher anzulocken. Sogar Kamelrennen standen auf dem Programm. Es erhoben sich bereits Stimmen, die vor einem Überangebot an zweifelhaften Volksbelustigungen, wie etwa aufreizende Bauchtanzvorführungen, warnten. Die Bedenken waren nicht unbegründet, zumal das Alkoholverbot nicht mehr respektiert wurde. Unlängst war man wieder über Anisschnapsleichen gestolpert.
Auch eine Übervölkerung Gräuzbergs war schon befürchtet worden. Aber da konnte man gegensteuern, indem man immer mal wieder Zuzugssperren verhängte oder allzu eifrige Eltern, die mehr als 2 Kinder produzierten, nach chinesischem Exempel hart bestrafte.
Suleika, noch eben ganz versonnen, blickt auf und sieht einen guten alten Bekannten auf sich zu kommen. Schick sieht er aus mit seiner edlen Pelzkappe aus Karakul. Heinz hat heute etwas Zeit und fragt Suleika, ob er sich zu ihr setzen und ein bisschen mit ihr plaudern könne.
„Ja, du Beutetürke, du darfst“, sagt Suleika.
Heinz war einer der wenigen Deutschen, die so viel Gefallen an der türkischen Lebensart gefunden hatten, dass sie geblieben waren und die türkische Staatsangehörigkeit annahmen..
„Wie geht’s deiner Fatima?“, fragte Suleika.
„Danke, danke, ausgezeichnet“.
„Und deiner Zweitfrau?“
„Suleika, du weißt so gut wie ich, Kemal Atatürk hat die Bigamie bereits 1926 abgeschafft. „Und darum hat unsere Frauenbewegung auch durchgedrückt, dass ihm am Mechmetdamm, vormals Mehringdamm, ein imposantes Denkmal errichtet wurde“.
Heinz schaut auf die Uhr. Er hat noch eine geschäftliche Verabredung. Er will sich von Suleika verabschieden, doch sie hält ihn fest.
„Du hast meine Frage noch nicht beantwortet“.
„Du bist ein Biest, Suleika. Ich habe keine Zweitfrau. Salam alaikum“.
Heinz hatte vor zwei Jahren geheiratet. Er und Fatima hatten einen schwierigen Start. Fatimas Eltern waren mit der Wahl der Tochter einverstanden, aber die übrige Sippschaft war nicht gut auf Heinz zu sprechen. Mit seinem Übertritt zum Islam war das Problem aus der Welt geschafft.
Ein paar Tage später läuft ihm Suleika wieder über den Weg. Sie muss schon wieder sticheln.
„Sag mal, Heinz, wie fühlst du dich eigentlich als Moslem?“
„Na ja, ein ganz echter wird nie aus mir werden. Den Ramadan mit all seinen Begleiterscheinungen finde ich ziemlich skurril, doch als Disziplinübung taugt er durchaus“.
„Aber ab und zu mal ein gutes Schweineschnitzel, das vermisst du doch bestimmt?“
„Du irrst. Ein deftiger Lammbraten ist mir inzwischen lieber. Aber wenn du mich fragst, ob ich auch immer den Rufen des Muezzins folge, dann kann ich nur sagen „je nach Lust und Laune“. Allah sei Dank, erwartet man von mir nicht, dass ich mir ständig die Schuhe ausziehe und in die Moschee renne. Immerhin habe ich neulich bei meiner Schwiegermutter einen guten Eindruck hinterlassen, als sie mich beim Koranstudium überraschte“.
Suleika grinst. „Aus dir wird doch noch ein Mustertürke, inschalla!“
Morgen würde der Mustertürke wieder hinüberpendeln nach Deutschland, wo er als Dolmetscher und Übersetzer sehr gefragt ist, nämlich im 2 km entfernten Reichstagsgebäude. Seine Steuern zahlt er natürlich brav an die Türkei
Heinz denkt über Vergangenheit und Zukunft nach. Ende der 50er Jahre waren die ersten Gastarbeiter gekommen. 1977 waren schon fast 4 Millionen (einschließlich ihrer Familienangehörigen) in der Bundesrepublik gemeldet. Nur wenige Jahre später war Gräuzberg eine Türkenhochburg.
Doch um 2030 würde es dort wohl kaum noch einen Türken geben, der nicht auch die deutsche Sprache oder mindestens das gut verständliche Kanakische* beherrschte. Zeit für eine neue Volksabstimmung? Was auch immer dabei herauskam: Kleinasien würde Wurzeln geschlagen haben und lebendig bleiben – vielleicht auch in Gestalt einer hübschen Tochter, die alle Vorzüge von Orient und Okzident in sich vereinigte.
Heinz ist wieder in der Gegenwart angekommen. Morgen wird er sich eine neue Wasserpfeife kaufen. Und Suleika? Die wird morgen gegen den Koran verstoßen und sich ein schönes großes Schweineschnitzel braten. Aber das muss sie ja Heinz nicht auf die Nase binden.
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*Ein kleines Beispiel: Ich Türke, ich arbeiten – du deutsch, du ausruhn.