Grautöne

brain

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Ich glaube, wenn dieser Typ nicht vom Dach gesprungen wäre, dann hätte ich nie bemerkt, wie trist und eintönig, wie grau, kalt und farblos die Leinwand der Welt eigentlich ist.
Unzufrieden war ich durchs Leben gestolpert, unruhig und rastlos, doch jetzt bin ich ein Standbild in einer Zeitlupeneinstellung. Das hat ein schlauer Kerl mal gesagt und ich finde, es passt in meinem Fall ganz gut.
Schon mein ganzes Leben lang habe ich es verspürt, dieses Nichts, das hinter dem verborgenen Sinn der Existenz zu lauern scheint. Es wuchs im Laufe der Jahre und fraß meine Erinnerungen, bevorzugt jene, welche ich vergessen wollte, um sie mir zu einem späteren Zeitpunkt auf die Schuhe zu kotzen.
Mein Bild der Welt, veränderte sich zusehends und entstellte sich und spiegelt nun meine größten Niederlagen und Enttäuschungen wieder.
Ich wuchs mit meinen Fehlern und die Fehler wuchsen mit mir und ich begann, die Wertigkeit und Qualität, der mich umgebenden und betreffenden Dinge und Gegebenheiten, ständig neu zu definieren und meine Ansichten immer kritischer, wenn nicht gar zynischer, zu hinterfragen.
Mit der Zeit erschien mir jede, die Dunkelheit des Alltags erhellende, Lichtquelle als ein matter, weißer Fleck und jede Düsternis als ein undurchdringlicher, wandernder Schatten und das war auch gut so.
Man musste seine Träume opfern, um erwachsen werden zu können und wenn man mein Leben unter diesem Aspekt betrachtet, dann bin ich verdammt erwachsen. Eine rationale, funktionale, uniforme Welt, eines lebenserfahrenen Herzens, war in mir gereift und es fühlte sich richtig an, sollte wohl so sein.
Es erscheint mir authentisch, so wie es mein Großvater gewesen war. Ich werde alt, also warum sollte meine Umwelt nicht mit mir verdorren und verblassen?
Gestern war begraben, Entscheidungen für immer getroffen und alles, was es zu lernen gab, hatte ich mir zumindest durch den Kopf gehen lassen oder wenigstens davon gehört, doch auch mein Körper ist alt geworden und macht nicht mehr so hundertprozentig mit.
Wenn man, wie ich, die sechzig schon überschritten hatte, war man froh, morgens einen Grund zum Aufstehen zu finden und wenn er noch so klein sein sollte. Ich kann froh sein, wenn es mir gelingt, die Axt zu schwingen. Schwer zu sagen, ob ich mich damit überfordere oder nicht, schon ne Weile her, dass ich Holz hacken war.
Ich komme mir ein bisschen so vor, wie ein schwarz-weiß-flimmernder-TV-Held in einer mutierten, wabernden Kulissenwelt, die keine Ähnlichkeit mit der Welt hat, in die ich gezwungenermaßen hineingeboren bin und dessen Kraft und Ausdauer erst dann Schwachpunkte aufweist, wenn der Regisseur die Anweisung dazu gibt.
Das ganze Leben, das ganze gottverdammte, verfluchte Drecksleben, war fast schon zu nichtig, um es an den Tod zu verschwenden.
Farben werden alt, Gerüche verflüchtigen sich, Worte geraten in Vergessenheit, genau wie ich eines Tages.
Der Zeitpunkt, als ich das Blut des Schweden gesehen habe, das sich auf dem Asphalt der Jackson Ave vor meinem Haus als theatralischer und finaler Teppich ausgerollt hatte, war eine Art Wendepunkt für mich. Die Kälte meines farblosen, gleichförmigen Lebens, wurde von der Hitze eines mir bis dahin unbekannten Blutrausches überflutet und hinweggespült, sodass es mir fast das Herz aus der Brust zu brennen drohte. Ich war wie apathisch, gebannt ans Fenster gefesselt.
Das Blut. Das viele Blut. Es zu sehen war ein kalter Schauer in der brütenden Sommerhitze, eine wärmende Decke in finsterer Nacht. Es war Leben und mit ihm im Zentrum meines Blickfeldes formte sich die Welt zu einem grandios komponierten Gemälde um, das, anzusehen, die ewige Erlösung bedeutete, wie die Heimkehr in den Mutterleib.
Ich war wie gebannt.
Der Polizist, der in der Blutlache ausgerutscht und in die Krankenbahre geknallt war, auf die man den Leichensack des Schweden gelegt hatte, hatte mich zum Lachen gebracht, doch das war ein sehr flüchtiges Gefühl gewesen, an das ich mich jetzt kaum mehr erinnern kann. Genau so ist es mit der Euphorie, die ich bei dem Anblick des Blutes verspürt hatte.
Seltsam, bisher ist mir bei dem bloßen Gedanken an Blut schlecht geworden, aber seit dieser Rumtreiber seinen letzten Flug angetreten hat, habe ich die Vision einer Komposition in meinem Kopf, die mein Weltbild in ein Paradies verwandeln würde und die zu realisieren nun mein einziges Ziel ist.
Ich bin ein besessener Künstler, glaube ich. Dieser Kerl, der sich die ganzen schlauen Sachen ausdachte, hätte mich bestimmt so genannt.
Das Blut ist meine perfekteste Primärfarbe, die Seele einer jeden, einst trostlosen Komposition. Materialisiert registrierte ich das wundervolle Gefühl der Inspiration und Leidenschaft, welches durch den Anblick des roten Lebenselixiers in mir ausgelöst hatte, nach einer Stunde wieder vergehen, als man den Schweden von der Straße gekratzt und das Blut weggewischt hatte.
Seitdem ist die Welt wieder grau und farblos und mir ist kälter denn je.
Ich weiß, dass ich wieder Farbe in mein Leben bringen muss und ich weiß auch, dass ich es kann, ich hoffe nur, dass mein Rücken da mitspielt. Alles, was ich tun muss, ist die Axt zu schwingen.
Mal sehen, ob die alte Mrs. Torch im Haus ist…
 
Hallo Brain,

erschreckend gut deine Geschichte.

Eine kleine Bitte: Du solltest in der ersten Hälfte der Geschichte die Gedankengänge deines Prots. besser strukturieren. Mach einfach ein paar Absätze. Die Geschichte würde sich besser lesen lassen.

Grüße
Marlene
 



 
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