Halloween 1996

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monday

Mitglied
Die Medizinstudenten in der Küche gehen mir auf die Nerven und da ich weder den Wunsch noch die Verfassung dazu habe, mir anzuhören, wie am besten ein Katheder zu legen ist, lasse ich mir von irgendjemanden noch etwas Campari in meinen Orangensaft gießen und begebe mich nach nebenan ins Wohnzimmer.
Hier herrscht eine gewisse, leicht unterkühlte Hektik, weil alle fast ausschließlich damit beschäftigt zu sein scheinen, möglichst oft in dem völlig überfrequentierten Bad zu verschwinden, um – gänzlich unbemerkt von den Medizinern in der Küche – ihre wirklich beachtlichen Koksvorräte zu dezimieren. Nachdem ich zu demselben Zweck gemeinsam mit dem Gastgeber das Schlafzimmer aufgesucht habe, grinst mich einer von dieser Clique, die an dem hässlichen Bistro-Tisch vor dem Fenster sitzt, in einer Art und Weise an, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich schon mal was mit ihm gehabt habe oder noch haben werde. Aber da ich im Moment auf gar keinen Fall ein Wort von mir geben kann, begnüge ich mich mit einem unverbindlichen Lächeln und setze mich auf das Sofa, das auf der gegenüberliegenden Seite des Wohnzimmer steht.
„Ich hatte ja in dieser Zeit eine so unglaubliche Energie“, schwärmt hier gerade die Schwester des Gastgebers über ihre Magersucht und nimmt einen tiefen Zug aus ihrem Sektglas.
Die Schwester meines Freundes sitzt vor ihr auf einem Stuhl und nickt begeistert. „Bei mir war das ganz genauso“, stimmt sie geradezu enthusiastisch zu. „Ich bin jeden Morgen schon um fünf aufgestanden, um vor der Arbeit noch eine Stunde zu joggen, und abends war ich immer noch zwei Stunden im Fitness-Studio.“
Sie nimmt ihrem Freund, der schweigend und dümmlich grinsend daneben sitzt, die Zigarettenschachtel aus der Hand und hält sie uns unter die Nase. „Zigarette?“
„Danke“, sagt die Schwester des Gastgebers und bedient sich. Ihr Freund ist nicht auf dieser Party und wird sie noch vor Ende diesen Jahres um einen Großteil ihrer Ersparnisse erleichtert haben.
„Wie viel hast du denn gewogen?“ will sie jetzt wissen.
„Zum Schluss 43kg“, antwortet die Schwester meines Freundes und hält mir die Zigaretten hin. Ich schüttle den Kopf. „Aber dann hatte ich diese Alkoholvergiftung und musste ins Krankenhaus, um mir den Magen auspumpen zu lassen, und die haben mich gleich da behalten. Hast du Feuer?“
Die Schwester des Gastgebers verneint. „Ich war bei 45kg“, erzählt sie dann. „Jetzt wiege ich 54. Aber ich will wieder auf 50 runter: seitdem ich so viel wiege, habe ich Depressionen.“
Sie blickt etwas betrübt auf ihr Glas herab und die Andeutung eines Doppelkinns, die dabei sichtbar wird, lässt mich an ihren Angaben zweifeln. „Gestern war ich shoppen“, fährt sie fort. „aber ich habe nichts gefunden, was mir gepasst hätte!“
„Aber dein Kleid steht dir doch ganz fantastisch“, begeistert sich die Schwester meines Freundes und wendet sich wieder ihrem Freund zu, den sie im nächsten Sommer wegen seiner „nicht mehr zu tolerierenden“ Aussetzer verlassen wird. Er nimmt das zum Anlass, sein Geschäft zu schließen, und das letzte, was ich je von ihm hören werde ist, dass er finanziell ruiniert und als halber Alkoholiker wieder zu seinen Eltern zieht, in das Kaff, aus dem mindestens die Hälfte der Leute auf dieser Party zu stammen scheinen.
Jetzt zückt er sein Dupont-Feuerzeug und fragt, während er ihr Feuer gibt, ob sie sich nicht gestern ein ähnliches Kleid gekauft habe. Die Schwester meines Freundes atmet sehr langsam den Rauch ihrer Zigarette aus und tut so, als hätte sie ihn nicht gehört.
„Oder?“ fragt er.
„Ja, tatsächlich“, antwortet sie. „Aber meins ist von Kookai.“
„Meins auch“, stellt die Schwester des Gastgebers fest.
Beide lachen etwas unschlüssig und in der kurzen Pause, in der keine von ihnen etwas sagt, betrachten wir alle das lange schwarze Abendkleid der Schwester des Gastgebers und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mir letzte Woche das gleiche Kleid gekauft habe.
„Depressionen hatte ich auch mal“, fängt die Schwester meines Freundes schließlich wieder an. „Hast du es schon mal mit Johanniskraut versucht?“
„Mein Arzt hat mir irgendwelche Psychopharmaka verschrieben“, erwidert die Schwester des Gastgebers und wedelt abwinkend mit der Hand, um das Thema abzuschließen. Sie beugt sich zu dem Freund der Schwester meines Freundes herüber und fragt mit gesengter Stimme: „Sag mal, hast du noch Koks?“
Ich stehe auf und setze mich zu meinem Freund, der zusammen mit einem blonden Mädchen ein paar Meter weiter auf dem Fußboden sitzt. Aber das scheint auch keine so gute Idee gewesen zu sein und mich überkommt ein böses Déjavû-Gefühl, als ihr Gespräch durch mein Auftauchen offensichtlich unterbrochen wird. Mein Freund sieht mich ein wenig betreten an und während ich noch überlege, ob ich nicht besser wieder aufstehen sollte, um mal in der Nähe des Bistro-Tisches vorbeizugehen, setzt sich die Freundin des Gastgebers zu uns. Das blonde Mädchen ist anscheinend ihre Schwester und ihr wird kichernd erzählt, dass der kleine Bruder des Typen, der sich gerade ein paar Meter weiter mit dem Gastgeber unterhält, auf sie stehe.
„Welcher ist das denn?“ fragt mein Freund und sie fangen alle an zu lachen, als die Freundin des Gastgebers auf einen kleinen irgendwie erdnussähnlichen Knaben zeigt und als die Schwester der Freundin des Gastgebers zu mir sagt: „Lass uns hier verschwinden!“, verlasse ich mit ihr die Wohnung.
Wir gehen eine Etage höher auf den Dachboden und setzen uns auf die Rückenlehne eines muffigen Sofas, das hier zwischen einer Menge Gerümpel steht, und ich suche gerade mein Feuerzeug, als wir Schritte auf der Treppe hören. Die Tür geht auf, aber es ist nur einer der Mediziner aus der Küche, der so betrunken ist, dass er uns gar nicht bemerkt. Und wir sitzen nur schweigend da, während er so dicht an uns vorbei, dass er fast über unsere Füße stolpert, durch eine Tür auf das Flachdach verschwindet und, nach den Geräuschen zu urteilen, anfängt zu urinieren.
Einen Moment lang sehen wir uns einfach nur an und dann ich flüstere ich verzweifelt versucht, Haltung zu bewahren: „Hast du mal bitte eine Zigarette?“
Während ich ihr Feuer gebe, fängt der Typ draussen auf dem Dach auch noch an zu furzen, und ich muss mir in die Hand beißen, um nicht laut los zu lachen, und die Schwester der Freundin des Gastgebers fleht mich prustend an, mich zusammenzureißen.
„Wir müssen hier weg!“ stellt sie fest und ich gebe ihr recht.
Ich falle vor Lachen fast die Treppe herunter und sie hakt sich kichernd bei mir ein und eigentlich ist es bedauerlich, dass die einzige Person, mit der ich auf dieser Party klarzukommen scheine, so bald schon mit meinem Freund schlafen wird.
Wir gehen wieder ins Wohnzimmer zu ihrer Schwester, die letzte Woche den Typen kennengelernt hat, wegen dem sie den Gastgeber im Sommer verlassen wird, und meinem Freund, dem ich ein paar Monaten später den Laufpass geben werde, und wir stoßen zu viert mit Tequila an, an dem ich fast ersticke, als der furzende Mediziner vom Dach wieder reinkommt. Dann verlassen wir das Wohnzimmer, um in den Nebenraum zu gehen. Aber die Musik geht aus: ein paar der Medizinstudenten haben sich aus der Küche hierher gewagt und machen sich an der Anlage zu schaffen. Plötzlich tönt ABBA aus den Lautsprechern und dieser Große Bruder stürzt auf uns zu, während die Erdnuss peinlich grinsend dahinter auftaucht und ich werde den beiden hoffentlich nur noch einmal auf der Hochzeit des Typen vom Bistro-Tisch begegnen. Jetzt wird alles jäh durch einen seiner Freunde unterbrochen, der so zugekokst ist, dass er einen der Mediziner wegen der Musik zusammenschlagen will. Der Mediziner ist, glaube ich, der, mit dem ich genau in einem Jahr, genau in diesem Zimmer, zu genau dieser Musik rumknutschen werde. Der andere war früher mal ganz gutaussehend. Das war bevor er diese inzwischen nicht mehr zu übersehende Glatze bekam. So weit ich weiß, wird er in einigen Jahren mit seinem Wagen vor einen Baum fahren und dabei ums Leben kommen.
Ich ziehe mich aus dem Zentrum der Auseinandersetzung zurück und während ich mir eine Zigarette anzünde, habe ich wieder Blickkontakt mit dem Typen vom Bistro-Tisch, dessen zukünftige Frau gerade wegen eines Reitunfalls im Krankenhaus liegt. Ich verdrehe die Augen und er lächelt – entschuldigend? Aber dann kommt dieser Mensch auf mich zu, mit dem ich im Sommer irgendwann mal was gehabt habe, und labert mich voll, wie „nett“ das doch gewesen sei, obwohl seine Freundin nur zwei Meter entfernt an der Wand lehnt, und ich weiß nicht, was ich sagen soll, weil eigentlich war es alles andere als nett. Aber ich versuche diplomatisch zu bleiben, murmle so etwas wie, das sei ja alles schon eine Weile her, und daraufhin stellt er fest, dass ja noch nicht aller Tage Abend sei.
„Hör mal, es ist zappenduster, mein Kleiner“ sage ich zu diesem Spinner, der einen viel zu kleinen Schwanz hatte, um es sich leisten zu können, so unhöflich zu werden, wie er es nach dem Sex geworden ist, und nutze die Gelegenheit seiner Sprachlosigkeit, um mit dem grinsenden Typen vom Bistro-Tisch in dem wie durch ein Wunder leeren Schlafzimmer zu verschwinden.
Der Lärm des lautstarken Streits dringt gedämpft durch die geschlossene Tür und da ich mir nicht sicher bin, ob dies nicht alles nur ein böser Traum ist, ziehe ich mit diesem Typen noch mehr Koks, bevor wir zusammen mit dem Gastgeber in die inzwischen fast leere Küche gehen. Irgendwie siegesbewusst gießt mir der Typ Wodka in mein Glas und vielleicht werde ich mit ihm schlafen, aber auf jeden Fall mit dem Gastgeber, und der wird mir das Herz brechen oder auch nicht.
 

IDee

Mitglied
Halloween

Hallo,
diese Story finde ich vom Ansatz her sehr interessant, was mich allerdings stört sind die vielen Freunde und Schwestern von ich weiß nicht wem alles. Das empfinde ich als verwirrend und lähmend. Vielleicht gibt es dafür eine Lösung. Gut finde ich diese kleinen Einblicke in die Zukunft. Da stellt sich die Frage, steckt noch mehr hinter dieser Geschichte?
LG
IDee
 

monday

Mitglied
Vielen Dank für Deine Einschätzung, IDee.
Mit den "ganzen Schwestern" sprichst Du einen Punkt an, über den ich selber lange nachgedacht habe. Grundsätzlich fand ich das Verwirrende daran einen Versuch Wert, war aber auch selbst nicht so richtig glücklich damit. Du bestärkst mich darin, etwas anderes zu probieren. (Natürlich geht es in erster Linie darum, die Verwendung von Namen zu vermeiden, aber das kann man auch anders lösen.)
Und ja, eigentlich ist das ganze als eine Art Prolog zu einer längeren Geschichte gedacht.
lG monday
 

monday

Mitglied
Die Medizinstudenten in der Küche gehen mir auf die Nerven. Und da ich weder den Wunsch noch die Verfassung dazu habe, mir anzuhören, wie am besten ein Katheder zu legen ist, lasse ich mir von irgendjemanden noch etwas Campari in meinen Orangensaft gießen und begebe mich nach nebenan ins Wohnzimmer.
Hier herrscht eine gewisse, leicht unterkühlte Hektik, weil alle fast ausschließlich damit beschäftigt zu sein scheinen, möglichst oft in dem völlig überfrequentierten Bad zu verschwinden, um – gänzlich unbemerkt von den Medizinern in der Küche – ihre wirklich beachtlichen Koksvorräte zu dezimieren. Nachdem ich zu demselben Zweck gemeinsam mit dem Gastgeber das Schlafzimmer aufgesucht habe, grinst mich einer von der Clique, die an dem hässlichen Bistro-Tisch vor dem Fenster sitzt, in einer Art und Weise an, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich schon mal was mit ihm gehabt habe oder noch haben werde. Aber da ich im Moment auf gar keinen Fall ein Wort von mir geben kann, begnüge ich mich mit einem unverbindlichen Lächeln und setze mich auf das Sofa, das auf der gegenüberliegenden Seite des Wohnzimmer steht.
„Ich hatte ja in dieser Zeit eine so unglaubliche Energie“, schwärmt hier gerade meine Mitbewohnerin über ihre Magersucht und nimmt einen tiefen Zug aus ihrem Sektglas.
Eine von diesen hyperaktiven Asiatinnen, die ich alle nicht auseinanderhalten kann, sitzt davor auf einem Stuhl und nickt begeistert. „Bei mir war das ganz genauso“, stimmt sie regelrecht enthusiastisch zu. „Ich bin jeden Morgen schon um fünf aufgestanden, um vor der FH noch eine Stunde zu joggen, und abends war ich immer noch zwei Stunden im Fitness-Studio.“ Sie nimmt ihrem Freund, der schweigend und dümmlich grinsend daneben sitzt, die Zigarettenschachtel aus der Hand und hält sie uns unter die Nase. „Zigarette?“zwitschert sie.
„Danke“, sagt meine Mitbewohnerin und bedient sich. Ihr Freund ist nicht auf dieser Party und wird sie noch vor Jahresende um einen Großteil ihrer Ersparnisse erleichtert haben. „Wie viel hast du denn gewogen?“ will sie jetzt von der Asiatin wissen – ich glaube, es ist die, die mit meinem Bruder zusammen Mode studiert.
„Zum Schluss 43kg. Aber dann hatte ich diese Alkoholvergiftung und musste ins Krankenhaus, um mir den Magen auspumpen zu lassen, und die haben mich gleich da behalten. Hast du Feuer?“
Meine Mitbewohnerin schüttelt den Kopf. „Ich war bei 45kg. Jetzt wiege ich 54. Aber ich will wieder auf 50 runter: seitdem ich so viel wiege, habe ich Depressionen.“ Sie blickt etwas betrübt auf ihr Glas hinunter und die Andeutung eines Doppelkinns, die dabei sichtbar wird, lässt mich an ihren Angaben zweifeln. „Gestern war ich shoppen“, erzählt sie. „aber ich habe nichts gefunden, was mir gepasst hätte!“
„Aber dein Kleid steht dir doch ganz fantastisch!“ begeistert sich die Asiatin und wendet sich wieder ihrem Freund zu, den sie im nächsten Sommer wegen seiner „nicht mehr zu tolerierenden Aussetzer“ verlassen wird. Er wird das zum Anlass nehmen, sein Sonnenstudio zu schließen, und das letzte, was ich von ihm hören werde, ist, dass er finanziell ruiniert und alkoholabhängig wieder bei seinen Eltern einzieht.
Jetzt wirft er gerade sein zu einem Zopf gegeltes Haar in den Nacken, zückt beflissen ein Dupont-Feuerzeug und fragt, während er seiner Asiatin Feuer gibt, ob sie sich nicht gestern ein ähnliches Kleid gekauft habe. Aber die atmet sehr langsam den Rauch der Zigarette aus und tut so, als hätte sie ihn nicht gehört.
„Oder?“ fragt er.
„Ja, tatsächlich“, antwortet sie schließlich wiederwillig. „Aber meins ist von Kookai.“
„Meins auch“, stellt meine Mitbewohnerin fest.
Beide lachen etwas unschlüssig und in der kurzen Pause, in der keine von ihnen etwas sagt, betrachten wir alle das lange schwarze Abendkleid meiner Mitbewohnerin und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mir letzte Woche das gleiche Kleid gekauft habe.
„Depressionen hatte ich auch mal“, fängt die Asiatin schließlich wieder an. „Hast du es schon mal mit Johanniskraut versucht?“
„Mein Arzt hat mir irgendwelche Psychopharmaka verschrieben“, erwidert meine Mitbewohnerin und wedelt abwinkend mit der Hand, um das Thema abzuschließen. Sie beugt sich zu dem bezopften Freund hinüber und fragt mit gesengter Stimme: „Sag mal, hast du noch Koks?“
Ich stehe auf und setze mich zu meinem Freund, der zusammen mit einem blonden Mädchen ein paar Meter weiter auf dem Fußboden sitzt. Aber das scheint keine so gute Idee gewesen zu sein und mich überkommt ein böses Déjavû-Gefühl, als ihr Gespräch durch mein Auftauchen offensichtlich unterbrochen wird. Mein Freund sieht mich ein wenig betreten an und während ich noch überlege, ob ich nicht besser wieder aufstehen sollte, um mal in der Nähe des Bistro-Tisches vorbeizugehen, stürzt sich plötzlich eine zweite Blonde auf uns. Es ist die, die mit dem Gastgeber zusammen ist, und sie übergibt sich fast vor Lachen, während sie uns erzählt, dass der kleine Bruder des großen BWLers, der sich gerade ein paar Meter weiter mit dem Gastgeber unterhält, auf die erste Blonde stehen würde.
„Welcher ist das denn?“ fragt mein Freund und sie fangen alle an zu lachen, als Blondi No. 2 auf einen kleinen irgendwie erdnussähnlichen Knaben zeigt, und als die Blondi No. 1, die anscheinend die Schwester von Blondi 2 ist, zu mir sagt: „Lass uns hier verschwinden!“, verlasse ich mit ihr die Wohnung.
Wir gehen eine Etage höher auf den Dachboden und setzen uns auf die Rückenlehne eines muffigen Sofas, das hier zwischen einer Menge Gerümpel steht, und ich suche gerade mein Feuerzeug, als wir Schritte auf der Treppe hören. Die Tür geht auf, aber es ist nur einer der Mediziner aus der Küche, der so betrunken ist, dass er uns gar nicht bemerkt. Und wir sitzen nur schweigend da, während er so dicht an uns vorbei, dass er fast über unsere Füße stolpert, durch eine Tür auf das Flachdach verschwindet und nach den Geräuschen zu urteilen anfängt zu urinieren.
Einen Moment lang sehen wir uns einfach nur schweigend an und dann ich flüstere ich verzweifelt versucht, Haltung zu bewahren: „Hast du mal bitte eine Zigarette?“
Während ich dem Mädchen Feuer gebe, fängt der Typ draussen auf dem Dach auch noch an zu furzen, und ich muss mir in die Hand beißen, um nicht laut los zu lachen.
„Wir müssen hier weg!“ stellt das Mädchen fest und ich gebe ihm recht.
Ich falle vor Lachen fast die Treppe herunter und es hakt sich kichernd bei mir ein und eigentlich ist es bedauerlich, dass die einzige Person, mit der ich auf dieser Party klarzukommen scheine, nächste Woche mit meinem Freund schlafen wird.
Wir gehen wieder ins Wohnzimmer zu ihrer Schwester, die letzte Woche den Typen kennengelernt hat, wegen dem sie den Gastgeber im Sommer sitzen lassen wird, und meinem Freund, dem ich ein paar Monaten später den Laufpass geben werde, und wir stoßen zu viert mit Tequila an, an dem ich beinahe ersticke, als der furzende Mediziner vom Dach wieder reinkommt. Dann verlassen wir das Wohnzimmer, um in den Nebenraum zu gehen. Aber die Musik geht aus: ein paar der Medizinstudenten haben sich aus der Küche hierher gewagt und machen sich an der Anlage zu schaffen. Plötzlich tönt ABBA aus den Lautsprechern und im selben Moment stürzt der Große BWLer auf uns zu, während die Erdnuss peinlich grinsend dahinter auftaucht. Ich werde den beiden hoffentlich nur noch einmal begegnen, auf der Hochzeit des Typen vom Bistro-Tisch. Jetzt wird alles jäh durch einen seiner Freunde unterbrochen, der so zugekokst ist, dass er einen der Mediziner wegen der Musik zusammenschlagen will. Der Mediziner ist, glaube ich, der, mit dem ich genau in einem Jahr, genau in diesem Zimmer, zu genau dieser Musik rumknutschen werde. Der andere war früher mal ganz gutaussehend – das war bevor er diese inzwischen nicht mehr zu übersehende Glatze bekam. So weit ich weiß, wird er in einigen Jahren mit seinem Wagen vor einen Baum fahren und dabei ums Leben kommen.
Ich ziehe mich aus dem Zentrum der Auseinandersetzung zurück und, während ich mir eine Zigarette anzünde, habe ich wieder Blickkontakt mit dem Typen vom Bistro-Tisch, dessen zukünftige Frau gerade wegen eines Reitunfalls im Krankenhaus liegt. Ich verdrehe die Augen und er lächelt – entschuldigend? Aber dann kommt dieser Mensch auf mich zu, mit dem ich im Sommer irgendwann mal was gehabt habe, und labert mich voll, wie „nett“ das doch gewesen sei, obwohl seine Freundin nur zwei Meter entfernt an der Wand lehnt, und ich weiß nicht, was ich sagen soll, weil eigentlich war es alles andere als nett. Aber ich versuche diplomatisch zu bleiben, murmle so etwas wie, das sei ja alles schon eine Weile her, aber daraufhin stellt er fest, dass ja noch nicht aller Tage Abend sei.
„Hör mal, es ist zappenduster, mein Kleiner“, sage ich zu diesem Spinner, der einen viel zu kleinen Schwanz hatte, um es sich leisten zu können, so unhöflich zu werden, wie er es nach dem Sex geworden ist, und nutze die Gelegenheit seiner Sprachlosigkeit, um mit dem grinsenden Typen vom Bistro-Tisch in dem wie durch ein Wunder leeren Schlafzimmer zu verschwinden.
Der Lärm des lautstarken Streits dringt gedämpft durch die geschlossene Tür und da ich mir nicht sicher bin, ob dies nicht alles nur ein böser Traum ist, ziehe ich mit diesem Typen noch mehr Koks, bevor wir in die inzwischen wohltuend verwaiste Küche gehen, um mit dem Gastgeber anzustoßen. Der legt mir einen Arm um die Schulter und schnorrt sich eine meiner Zigaretten, während mir der andere Typ irgendwie siegesbewusst Wodka in mein Glas gießt, und vielleicht werde ich mit ihm schlafen, aber auf jeden Fall mit dem Gastgeber – irgendwann, und der wird mir das Herz brechen oder auch nicht.
 



 
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