Hans und die Sache mit dem Glück

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monti

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Hans und die Sache mit dem Glück (Neufassung)

Sein Leben lang war Hans eingebläut worden, er solle nach dem Glück streben. Dies tat er auch, so gut es ging; doch so richtig glücklich war er dabei nicht geworden. Noch nicht. Er blieb zuversichtlich, irgendwann, irgendwo würde auch er sein Glück finden. Aufgeben wollte er auf keinen Fall.
Auf der Suche nach dem Glück geriet Hans einmal in ein kleines Fischerdorf namens Fischerdorf. Es bestand aus wenigen niedrigen Häusern und einem kleinen Hafen. Der Ort war wie ausgestorben, nicht einmal ein Hund zeigte sich auf der Straße, eine lichte graue Wolkendecke hing niedrig über dem Meer, der Horizont war kaum zu erkennen. Im Hafen lagen nur drei Boote. Hans ging auf die Mole hinaus und warf einen Blick in die Runde. Kein Lüftchen regte sich, das Wasser war spiegelglatt. In solch einem schlafmützigen Dorf kann das Glück nicht zu Hause sein, dachte Hans und spuckte ins Wasser. Auf dem Grund des gar nicht so tiefen Hafenbeckens erblickte er allerlei Gegenstände: Einen verrosteten Eimer, alte Turnschuhe, ein T-Shirt mit einem traurigen Clowngesicht, ein Metallkreuz und ein paar Spielkarten. Daneben lag eine Reuse, in der sich ein Fisch befand; seine Schuppen leuchteten silbrig-grün. Hans erinnerte sich daran, dass es Zauberfische gab, die einen mit einem Wunsch belohnten, wenn man sie befreite. Ob das auch so einer war? Wunderlich sah er wohl aus, aber um Hilfe rufen tat er nicht. Ich werde mein Glück trotzdem versuchen, dachte Hans. Er sprang in das nächste Boot, das an der Mole lag. Dort fand er im Heck einen Stock mit einem Haken. Als erstes kramte er aus seiner Hosentasche ein Taschenmesser heraus, das er immer bei sich trug, und legte es geöffnet neben sich. Dann krempelte er den rechten Hemdärmel auf, und mit dem Stock in der Hand tauchte er den Arm ins Wasser. Es dauerte eine Weile, bis er die Reuse mit dem Haken erwischte. Freudig zog er sie nach oben. Doch kaum hatte er die Reuse aus dem Wasser gezogen, zappelte der Fisch ganz wild. „Lass mich in Frieden“, rief der Fisch. ‚Ach ja, er bekommt keine Luft‘, dachte Hans und hielt die Reuse mit der Linken unter der Wasseroberfläche. ‚Der kann ja reden. Das ist sicher ein Zauberfisch.‘ Hans legte den Stock bei Seite, nahm das Messer und schnipp-schnapp hatte die Reuse ein Loch, der Fisch war frei. Doch statt sich seiner Freiheit zu erfreuen, machte er ein grießgrämiges Gesicht, tauchte sein Maul aus dem Wasser und sagte: „Du Trottel! Warum hast du mich befreit? Habe ich dich darum gebeten? Es war so gemütlich im Käfig. Ich war geschützt vor den Raubfischen, ich hatte genug zu fressen, denn in ein Hafenbecken fällt genügend Futter, das die Touristen fortwerfen. Ich bin ein alter Fisch, war froh, der vermeintlich grenzenlosen Freiheit entkommen zu sein, wo in Wirklichkeit nur Zwang und Notwendigkeit herrscht, wollte meine letzten Jahre in Geborgenheit, Ruhe und maßvoller Freiheit verbringen. Du hast alles zu Nichte gemacht. Dafür sollst du eine Strafe bekommen.“
„Äh, wieso, ich habe all das nicht gewusst“, sagte Hans erschrocken.
„Bist aber trotzdem schuldig geworden. Wolltest ja unbedingt den Helden spielen und eine Belohnung kassieren. Drei Strafen werden dir zu Teil. Da du keine bösen Absichten gehegt hast, darfst du sie dir aussuchen. Wenn du ablehnst, werde ich dir die Strafen selber zuteilen.“ Hans überlegte. Diese Strafen, fand er, hatte er nicht verdient. Jemandem aus dem Käfig befreien zu wollen, war keine schlechte Tat. Sollte er einfach weglaufen? Er stieg aus dem Boot. „Du läufst mir nicht davon, Junge“, rief der Fisch, das Maul aus dem Wasser haltend. „Noch ein Schritt und ...“
Aber Hans hörte nicht mehr, was der Fisch sagte, er lief zum Auto, sprang hinein und brauste davon. Zu seinem Schrecken bemerkte er, dass sich der Wagen nicht mehr lenken ließ, er fuhr, wie von Geisterhand gesteuert, auf die Mole. Da sah Hans ein, dass es kein Entrinnen vor der Strafe gab, und trat zwei Meter vor dem Molenende auf die Bremse.
„Und? Wo bleibt der erste Wunsch?“, rief der Fisch, als Hans aus dem Auto stieg.
„Haareschneiden.“
„Das ist keine Strafe für dich, eher eine Strafe für andere.“
„Kniebeugen“, sagte Hans, glaubte aber nicht, dass er damit durchkäme.
„Wieviel?“, fragte der Fisch.
„Zwanzig?“
„In Ordnung. Aber die Arme ausstrecken. Fang an.“
Hans war erleichtert, zwanzig Kniebeugen würde er schaffen. Die Arme ausgestreckt, begann er mit Elan, seine erste Strafe abzubüßen. Nach der zweiten Kniebeuge spürte er auf einmal ein Gewicht im Nacken. Da hockte jemand auf seinen Schultern, links und rechts baumelten ihm vor der Brust nackte Beine herab. Hans schaute hinauf. Es war ein Junge in kurzen Hosen. Er aß Kirschen, die er aus einer braunen Papiertüte mit spitzem Ende nahm. Immer wenn Hans unten war, spuckte ihm der Junge einen Kirschkern vor die Füße. Hans erkannte ihn - das war doch Peter Steinberg, ein alter Klassenkamerad, mit dem er früher oft Kirschen und Pflaumen aus fremden Gärten geklaut hatte, vor langer Zeit. Peter hatte ihn immer zu den schönsten Obstbäumen geführt. Einige Jahre waren sie die besten Freunde gewesen, doch dann aber, als Hans einen neuen Freund hatte, hatte er von Peter nichts mehr wissen wollen.
Mit Mühe und Not erfüllte Hans seine erste Aufgabe. Keuchend blieb er am Boden hocken. Peter Steinberg hatte sich in Luft aufgelöst.
„Gut“, sagte der Fisch, der, an der Oberfläche des Wassers verharrend, Hans‘ Bewegungen genau verfolgt hatte. „Jetzt die nächste Strafe.“
Während der Kniebeugen hatte Hans schon darüber nachgedacht. „Zehn Liegestütz“, sagte er, glaubte aber nicht, dass der Fisch das akzeptieren würde.
„OK. Also los“, rief der Fisch.
Hans begann damit, nachdem er tief durchgeatmet hatte. Schon die erste Liegestütz empfand er als anstrengend. Hätte er doch nur fünf gesagt. Während er langgestreckt auf den unebenen Steinquadern der Mole die zweite Liegestütz machte, merkte er, wie sich jemand auf seinen Hintern setzte.
,Was soll denn das?‘, dachte Hans. Da hörte er die Stimme von Erika Roth, seiner Stiefmutter, die seit fast zwei Jahren auf dem Friedhof lag. Sie hatte ihn großgezogen, nachdem seine echte Mutter früh verstorben war. Und später, als Hans groß war, hatte sie ihm immer Geld gegeben, wenn er welches brauchte. Ihr gegenüber hatte er ein schlechtes Gewissen, auch jetzt noch, da er meinte, er habe sich, als sie noch lebte, zu wenig um sie gekümmert.
„Mach langsam, mein Junge“, sagte sie, „ich will ja nicht, dass du zusammenbrichst.“
Zum Glück wog Erika wie damals vor ihrem Tod nur 45 Kilogramm. Trotzdem, mit diesem Gewicht auf dem Buckel war es schwer genug, die Strafe abzuleisten. Jedesmal, wenn er am Boden liegend verschnaufte und meinte, es nicht zu schaffen, kniff sie ihm in den Nacken. Typisch, das machte sie auch früher, wenn er faul war und zu nichts Lust hatte. Mit Ach und Krach schaffte er die letzte Liegestütz. Die Pflegemutter war am Ende verschwunden.
„Bravo“, sagte der Fisch und schwamm eine kleine Runde im Hafenbecken. „Nächste Strafe.“
Diesmal hatte Hans sich etwas Einfaches einfallen lassen. „Dreißig mal den Satz schreiben: Nie wieder werde ich einen Fisch befreien.“
„Schreiben ist gut, aber du schreibst einen anderen Satz. Du schreibst: Nie wieder werde ich nach dem Glück suchen. Fang an. Aber du darfst keine Fehler machen. Jedes Verschreiben bedeutet einen Satz mehr. Hast du Papier und Schreiber?“
Hans überlegte. Ihm fiel das Heft im Auto ein, in das er Sprit und Kilometerstand zu notieren pflegte. Er holte Heft und Schreiber aus dem Handschuhfach und begann zu schreiben. Würde der Fisch wieder jemanden auf seine Schultern setzen, um ihm die Aufgabe zu erschweren? Im Schneidersitz auf der Mole, das Heft im Schoß, schrieb er den ersten Satz. Von der Anstrengung, die ihn Liegestütze und Kniebeugen gekostet hatten, war er jedoch so zittrig, dass er sich verschrieb. Das Wort Glück schrieb er nur mit K, der Satz zählte also nicht.
Die Zunge zwischen den Lippen, um sich zu konzentrieren, machte er den nächsten Versuch. Erneut machte er einen Fehler, statt ‚nie‘ schrieb er ‚nei‘. Es war eine Qual, die Finger taten ihm weh. Und später, als er einige Sätze fehlerlos geschrieben hatte, kam plötzlich eine Hand daher und stieß ihn beim Schreiben des letzten Wortes an. War das nicht die Hand vom Vater gewesen? Beim nächsten Satz kam wieder eine Hand aus dem Nichts. Eine Frauenhand, er wusste nicht sofort wessen, aber später sollte es ihm einfallen, es war die Hand seiner ersten Freundin Birgit gewesen. Die hatte er verlassen, als sie ihm ihren Kinderwunsch mitteilte; Hans fühlte sich damals mit dreiundzwanzig noch zu jung für Kinder. Er schrieb und schrieb, mal mit Fehler, mal ohne, mal stieß ihn eine Hand an, er zählte die Sätze gar nicht mehr. Nie wieder werde ich nach dem Glück suchen, nie wieder, diesen Satz merkte er sich fürs Leben.
„Halt ein, es reicht“, rief der Fisch. „Du hast es geschafft. Du kannst jetzt fahren. Aber zuvor reparierst du mir den Käfig.“
Hans atmete erleichtert auf. Er nahm die Reuse und band das Loch darin mit einer Schnur, die er in dem Boot fand, wieder zu. Der alte Fisch drehte vor Freude eine Runde im Hafenbecken und verschwand in die Öffnung der Reuse, nachdem er mit seiner Schwanzflosse auf der Oberfläche des Wassers einen kräftigen Spritzer verursacht hatte.
Hans bekam einige Tropfen ins Gesicht. „Warum reparierst du nicht selbst deinen Käfig, wenn du zaubern kannst“, rief er verärgert und holte ein Taschentuch aus der Hosentasche.
„Für mich selber kann ich nicht zaubern.“
„Wie lernt man zaubern?“
„Wenn man weise geworden ist. Die Kraft zum Zaubern sammelt man in vielen Jahren. Und wenn man die Zauberkraft anwendet, so altert man um Wochen. Du mit deiner Dummheit hast mich mehrere Wochen Lebenszeit gekostet.“
Hans ging ans Ende der Mole und schaute aufs Meer. Er hatte keine Kraft, nachzudenken oder auch nur irgendetwas zu tun. Erschöpft setzte er sich auf die Steine und ließ die Beine baumeln. Eine Weile schaute er aufs glatte Wasser. Dann, als er sich erholt hatte, bestürmten ihn viele Gedanken. Glück zu suchen hatte ihm kein Glück gebracht. Der Fisch hatte wohl Recht, man sollte das Glück nicht suchen. Aber wonach sollte man dann suchen? Man konnte doch nicht nur essen und schlafen oder einfach dasitzen und dumm in die Gegend schauen? Nein, dazu hatte er keine Lust, das konnte nicht die Lösung sein. Wie also sollte man leben? Er wusste es nicht. Wieder schaute er aufs Meer, über dem sich sich die Wolkendecke öffnete. Durch einen länglichen Spalt drang gleißendes Sonnenlicht, die Strahlen fielen schräg aufs Wasser und ließen es golden schimmern. Hans freute sich über diesen Anblick, er schaute lange aufs Meer, die Gedanken waren nicht mehr wichtig.
Als er aufbrach, war er voller Ruhe und Zufriedenheit.
 
grüß dich monti,

ja, hat spaß gemacht zu lesen, danke dafür! ich persönlich würde das mit der tante weglassen und mit:

"Hans ging ans Ende der Mole und schaute aufs Meer" enden.

liebe grüße
carla
 
N

nobody

Gast
Hallo monti,
es war einmal ein kleines unglückliches Schreiberlein, das suchte im Leselupenwald nach einer schönen Geschichte, die ihn wieder froh machen würde. Er suchte und suchte, und in seiner Verzweiflung verirrte er sich im Märchenforum, wo er vorher nie gewesen war. Ein ganzer Wald von Märchenbäumen stand da um ihn herum, so dass er ganz verzweifelt wurde. Hier würde er auch nicht froh werden. Da traf er auf eine gute Fee, die ihm seine Hand auf die Maus legte und auf das Märchen "Hans und und die Sache micht dem Glück" legte. Als er es gelesen hatte, war er wieder froh ...

Das mit der Tante würde ich auch weglassen.
Gruß nobody
 

monti

Mitglied
Hallo nobody,

vielen Dank für deinen Kommentar. Ich denke, das mit der Tante am Ende lasse ich wirklich weg. Allerdings muss ich dann den Schluss anders abrunden.

Gruß
monti
 



 
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