Happy End und Sonnenschein

Raniero

Textablader
Happy End und Sonnenschein

„Hallo Raymund-Schatz bist du es?“
Monika Schnellberger eilte zur Wohnungstür; hatte sie das Geräusch doch richtig gedeutet, das Geräusch eines Türschlüssels; just im Moment betrat ihr Mann Raymund die Wohnung.
„Schatz, Überraschung“, flötete sie ihm zu, wie in den ersten Tagen ihrer Kennen lernens.

Über diese ersten Tage waren sie allerdings schon ein Weilchen hinaus.
Monika und Raimund waren seit fast zwanzig Jahren verheiratet, in einer zwar kinderlosen, doch alles in allem recht glücklicher Ehe, und nicht zuletzt waren es diese kleinen Überraschungen, die ihren Ehe Alltag versüßten.
Für den heutigen Freitagabend hatte Monika etwas ganz besonderes geplant.
„Schatz, hast du heute Mittag schon gegessen?“
„In der Kantine, Monika, du hast doch hoffentlich nichts Großes zubereitet? Ein kleiner Imbiss reicht allemal.“
„Genauso ist es, einen kleinen Imbiss gibt’s später; mach dich schnell frisch und zieh dich um, ich habe etwas ganz spezielles mit die vor.“
Raymunds Augen leuchteten.
„Ich fliege schon ins Bad, sag mal Schatz, braucht man für das, was du mit mir vorhast, überhaupt was anzuziehen?“
Monika lachte.
„Vorerst ja; wir fahren mit dem Wagen.“
„Ach, treiben wir’s heut im Auto, ganz wie in alten Zeiten?“
„Nun mach aber, dass du ins Bad kommst!“

Zehn Minuten später stand er vor ihr, frisch geduscht, und stellte die Frage, die nicht nur Ehefrauen ihren Männern in solch einem Fall stellen:
„Was soll ich denn anziehen, heute Abend, was hast du mir verordnet?“
„Liegt alles im Schlafzimmer, auf deinem Bett.“
Weitere drei Minuten stand er vor ihr, der brave Ehemann, und ließ sich begutachten.
„Siehst gut aus, Schatz, so kann ich dich mitnehmen.“
Beide lachten.
„Nun sag aber mal, Monika, was hast du heute mit mir vor?“
„Das errätst du nie. Ich wollte mit dir ins Autokino, Schatz.“
„Ins Autokino“, wunderte sich Raymund, „ja, gibt’s denn noch eines, hier bei uns?“
„Gibt’s noch eines“, wiederholte Monika lachend, „ja, wo lebst du denn? Es gibt nicht noch eines, es gibt wieder eines, und das ist gar nicht so weit von hier entfernt. Ist neu eröffnet worden, schau mal, die Reklame lag heute früh im Briefkasten.“

Mit wachsendem Staunen las Raymund die Anzeige, tatsächlich gab es gar nicht weit von ihrem Viertel ein neues Autokino, und das lockte nun mit Sonderangeboten wie Filmen im Dreierpack und ähnlichen Vergünstigungen.
Nostalgische Gefühle stiegen in ihm hoch.
Wann war er das letzte Mal in einem solchen Kino, mit Monika? Es musste Lichtjahre her sein. An den Film, den sie damals gesehen hatten, hatte er keinerlei Erinnerung; eigentlich erinnerte er sich an gar keinen dieser Filme, denn damals hatte er, und da war er nicht der Einzige, eigentlich kein Auge für die Leinwand; es gab wichtigeres, vor allem in einem Autokino.
Heute, nach fast zwanzig Jahren Ehe, interessierte ihn allerdings schon, welchen Film Monika ausgesucht hatte.
„Schatz, was sehen wir denn nachher?“
„Eine Komödie; ich habe die Kurzbeschreibung dazu gelesen, klingt sehr lustig; sie schreiben, der Film habe mehr Happy Ends als Konflikte.“
„Wie bitte?“

Raymund nahm erneut die Werbung zur Hand.
Tatsächlich, da gab’s eine Komödie.
„Machen Sie sich einen unvergesslichen Abend“, lautete die Empfehlung, „mit der Komödie Happy End und Sonnenschein
Dieser einmalige Film enthält mehr Happy Ends als Konflikte.“

Raymund lachte laut auf.
„Was ist das denn für ein Film, Monika? Mehr Happy Ends als Konflikte? Wie soll das denn gehen?“
„Das kann ich mir ehrlich gesagt, auch nicht vorstellen, Schatz“, gab seine Frau zurück und warf den Mantel über, „komm, lass uns gehen. Hast du die Autoschlüssel? Ich fahre, kannst dich derweil entspannen.“

Als sie im Wagen saßen, ging Raymund die eigentümliche Empfehlung nicht aus dem Sinn.
„Dieser einmalige Film enthält mehr Happy Ends als Konflikte.“
Ihm fielen diese sonntäglichen Fernsehschnulzen ein, Liebesfilme vor berauschender Kulisse, alle nach dem gleichen Schema:
Ein junges Mädchen und ein ebenso junger Schönling treffen aufeinander, verlieben sich unsterblich, obwohl sie beide bereits seit längerer Zeit anderweitig gebunden sind. Es folgen unausweichliche Konflikte, kurzfristige Enttäuschungen, Intrigen, irgendwo röchelt noch ein alter Earl herum. Dann aber, sobald der übelste Bösewicht über eine Steilklippe geflogen ist, hagelt es Happy Ends, die nicht selten nicht nur Zwei-, sondern Drei- oder gar Vierfachhochzeiten nach sich ziehen.
Raymund konnte sich allerdings beim besten Willen nicht erinnern, dass es bei all diesen Happy Ends ein einziges mehr gegeben habe, als erforderlich, warum auch? War das nicht vollkommen überflüssig?
Raymund fand keine Antwort.
‚Was soll’s, sagte er sich, ‚lassen wir uns einfach überraschen.’
Viel mehr aber interessierte ihn die Frage, ob wohl bei Monika und ihm das gleiche prickelnde Gefühl wie damals im Autokino einsetzen würde, oder zumindest ein Hauch desselben.
‚Das mit den zusätzlichen Happy Ends ist vielleicht doch nicht so eine abwegige Idee’ befand er, ‚ich könnte ja gleich im Wagen schon mal damit anfangen.’
Voller Vorfreude sah er dem Abend entgegen.
Fröhlich sang Raymund mit lauter Stimme in Abwandlung eines Evergreens:
Happy End und Sonnenschein, und dann zu Zweit alleine sein…
als er plötzlich stutzte.
„Schatz, das ist meiner Meinung nach aber nicht die Strecke zum Autokino. Soweit ich die Wegbeschreibung aus der Reklame in Erinnerung habe, hättest du da vorhin nicht abbiegen müssen?“
„Macht nichts, Raymund Schatz. Ist nur ein kleiner Umweg. Entspanne dich. Ein schöner Abend wartet auf uns.“


Als der Wagen vor dem Haus seiner Schwiegermutter hielt, war’s mit Raymunds Entspannung wie auch Vorfreude vorbei.
„Was sollen wir denn hier?“, stammelte er entsetzt.
„Wir nehmen Mutter mit. Sie hat noch nie in einem Autokino gesessen. Sie freut sich unbändig.“

Man sah ihr die Freude an, der alten Dame.
Mit düsterer Miene bugsierte Raymund seine Schwiegermutter, eine verwitwete, pensionierte Ohrenärztin mit recht strengen Gesichtszügen, in den Fond des Autos.
Unwillkürlich fiel ihm das überflüssige Happy End ein.
„Das sitzt jetzt sitzt hinter mir im Wagen“, knirschte er mit den Zähnen, „überflüssiger geht’s nimmer…“
Aus dem Autoradio erklang ein Evergreen, mit dem Titel:
Die Mutter ist immer dabei

Am liebsten hätte Raymund aus voller Kehle mitgesungen.
Stattdessen knirschte er weiterhin ohnmächtig mit den Zähnen, in Erwartung eines Abends mit weitaus mehr Konfliktpotenzial als alle Happy Ends hätten ausgleichen können…
 

Raniero

Textablader
Vielen Dank für den Hinweis.

Ich wollte mit dem Ausdruck 'Lichtjahre' den gefühlten Zeitabstand des Protagonisten ausdrücken, auch wenn es sich nicht um eine Zeitdauer handelt.
Ich werde die 'Lichtjahre' in Anführungszeichen setzen.

Gruß Raniero
 



 
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