H
HFleiss
Gast
Hauptbahnhof
Dezemberwetter, freundlich sonnig, doch zu kühl für den Sommeranorak, den der Junge trug. Die Chauffeurin des Taxis 456 öffnete die Beifahrertür und musterte stumm ihren Fahrgast.
„Hauptbahnhof“, sagte der Junge. Er stieg ein und schlug die Tür mit einem Knall zu.
„Fährst wohl nicht oft Auto?“ Sie war verärgert.
Er roch nach Zigarettenqualm und hustete. „Rauch nur“, sagte sie.
Der Junge wühlte in der Anoraktasche. „Nichts“, sagte er. „Haben Sie ...?“ Sie nickte und wies zur Schachtel Marlboro vor ihrer Nase. „Bedien dich.“
Der Junge rauchte. Hastig, er hustete stärker.
„Gewöhnlich unterhalte ich mich nicht mit den Fahrgästen, wenn sie nicht wollen. Anweisung. Aber wohin soll denn die Reise gehen, so leicht bekleidet?“
Der Junge antwortete nicht. Er drückte die Zigarette aus. Stumm blickte er hinaus
auf die Fahrbahn.
„Ich tret dir wohl zu nahe? Kannst du die Fahrt überhaupt bezahlen? Ich hab Fahrgäste nicht gern, die auf nass reisen.“
„Schon gut.“ Er hielt ihr einen Geldschein vors Gesicht, einen Moment lang versperrte er ihr die Sicht. Sie bog den Kopf beiseite.
„War nicht so gemeint“, sagte sie.
„Ich versteh schon.“
Der Junge schloss die Augen und ließ sich ins Polster fallen.
Der Scheibenwischer schlug aus, das sanfte Knirschen auf der Scheibe lenkte sie von dem Jungen ab.
„Wir sind gleich da“, sagte sie. „Wo soll ich dich raussetzen?“
„In der Hölle“, sagte er. „Wo ich hingehöre.“
Sie erwiderte nichts. Langsam fuhr sie vor die Eingangshalle. Sie stoppte.
„Wir sind da. Endstation.“
Der Junge starrte zum Bahnhof, gebannt.
„Aussteigen, Junge. Vergiss nicht zu bezahlen.“
Der Junge kam zu sich. „Nein“, sagte er. „Zurück. Ich hab es mir anders überlegt.“
„Das kostet aber den doppelten Preis.“
„Ich zahl im voraus.“ Er hielt ihr einen 50-Euro-Schein hin.
„Erst die Ware, dann das Geld“, sagte sie. „Steck ein. Ich glaub dir ja.“
Diesmal nahm sie eine andere Strecke, durch eine ruhige Straße. Wohnhäuser rechts und links, kaum ein Geschäft. Vor einem Café hielt sie.
„Was ist los, Junge?“ sagte sie.
„Nichts.“ Der Blick des Jungen war starr.
„Ich habe Lust auf einen Kaffee“, sagte sie. „Kommst du mit? Oder hast du keine Zeit?“
„Doch.“ Der Junge öffnete die Wagentür und schob sich hinaus. Den Geldschein, sah sie,
ließ er auf dem Beifahrersitz liegen.
„Ich will keine Überraschungen, wenn ich zurückkomme“, sagte sie. „Steck das Geld ein.“
Im Café war es warm. Ein langgestreckter Schlauch, drei Tischchen auf einem Podest vor dem Tresen. Die Serviererin, müde und im fahlen Licht faltiger, als es ihrem Alter entsprach, trat zu ihnen.
„Zwei Kaffee, einen besonders starken für den jungen Herrn.“
„Mit Zucker“, sagte der Junge.
„Kannst meinen haben. Ich will nur Sahne.“
An dem Tisch neben ihnen saß ein dicker Mittfünfziger. Er schniefte beim Biertrinken und sprach mit sich selbst. Der Junge schreckte zusammen.
„Sag schon, Junge – was ist los?“ Sie suchte die Augen des Jungen. Er wich ihr aus.
„Kummer?“
Der Junge schwieg. Der Kaffee war heiß und stark. Der Junge schlürfte beim Trinken.
Sie bezahlte entschlossen. „Schluss mit Pause“, sagte sie. „Wohin also?“
„Wieder zum Hauptbahnhof.“
„Bei mir ist der Gast König.“ Sie wendete in der schmalen Straße und fuhr denselben Weg zurück.
Der Junge war eingenickt. „Hauptbahnhof“, sagte sie. „Wir sind da.“
Er stöhnte und suchte nach dem Geldschein in der Anoraktasche. Sie hielt ihm das Wechselgeld hin, er übersah es. Sie blickte ihm nach, bis er zwischen den Leuten am
Haupteingang verschwand.
Sehr langsam fuhr sie an und ordnete sich in die Taxischlange gegenüber dem Bahnhof ein. Sie griff wieder zum Kreuzworträtsel.
Feuerwehrsignale zerrissen die warme Stille im Wageninneren. Sie blickte auf, zwei Einsatzwagen stoppten vor dem Haupteingang.
Sie erschrak nicht, ihr war, als hätte sie erwartet, dass auf dem Bahnhof etwas geschehen würde. Ja, sie hatte es gewusst, alles. Von Anfang an.
Dezemberwetter, freundlich sonnig, doch zu kühl für den Sommeranorak, den der Junge trug. Die Chauffeurin des Taxis 456 öffnete die Beifahrertür und musterte stumm ihren Fahrgast.
„Hauptbahnhof“, sagte der Junge. Er stieg ein und schlug die Tür mit einem Knall zu.
„Fährst wohl nicht oft Auto?“ Sie war verärgert.
Er roch nach Zigarettenqualm und hustete. „Rauch nur“, sagte sie.
Der Junge wühlte in der Anoraktasche. „Nichts“, sagte er. „Haben Sie ...?“ Sie nickte und wies zur Schachtel Marlboro vor ihrer Nase. „Bedien dich.“
Der Junge rauchte. Hastig, er hustete stärker.
„Gewöhnlich unterhalte ich mich nicht mit den Fahrgästen, wenn sie nicht wollen. Anweisung. Aber wohin soll denn die Reise gehen, so leicht bekleidet?“
Der Junge antwortete nicht. Er drückte die Zigarette aus. Stumm blickte er hinaus
auf die Fahrbahn.
„Ich tret dir wohl zu nahe? Kannst du die Fahrt überhaupt bezahlen? Ich hab Fahrgäste nicht gern, die auf nass reisen.“
„Schon gut.“ Er hielt ihr einen Geldschein vors Gesicht, einen Moment lang versperrte er ihr die Sicht. Sie bog den Kopf beiseite.
„War nicht so gemeint“, sagte sie.
„Ich versteh schon.“
Der Junge schloss die Augen und ließ sich ins Polster fallen.
Der Scheibenwischer schlug aus, das sanfte Knirschen auf der Scheibe lenkte sie von dem Jungen ab.
„Wir sind gleich da“, sagte sie. „Wo soll ich dich raussetzen?“
„In der Hölle“, sagte er. „Wo ich hingehöre.“
Sie erwiderte nichts. Langsam fuhr sie vor die Eingangshalle. Sie stoppte.
„Wir sind da. Endstation.“
Der Junge starrte zum Bahnhof, gebannt.
„Aussteigen, Junge. Vergiss nicht zu bezahlen.“
Der Junge kam zu sich. „Nein“, sagte er. „Zurück. Ich hab es mir anders überlegt.“
„Das kostet aber den doppelten Preis.“
„Ich zahl im voraus.“ Er hielt ihr einen 50-Euro-Schein hin.
„Erst die Ware, dann das Geld“, sagte sie. „Steck ein. Ich glaub dir ja.“
Diesmal nahm sie eine andere Strecke, durch eine ruhige Straße. Wohnhäuser rechts und links, kaum ein Geschäft. Vor einem Café hielt sie.
„Was ist los, Junge?“ sagte sie.
„Nichts.“ Der Blick des Jungen war starr.
„Ich habe Lust auf einen Kaffee“, sagte sie. „Kommst du mit? Oder hast du keine Zeit?“
„Doch.“ Der Junge öffnete die Wagentür und schob sich hinaus. Den Geldschein, sah sie,
ließ er auf dem Beifahrersitz liegen.
„Ich will keine Überraschungen, wenn ich zurückkomme“, sagte sie. „Steck das Geld ein.“
Im Café war es warm. Ein langgestreckter Schlauch, drei Tischchen auf einem Podest vor dem Tresen. Die Serviererin, müde und im fahlen Licht faltiger, als es ihrem Alter entsprach, trat zu ihnen.
„Zwei Kaffee, einen besonders starken für den jungen Herrn.“
„Mit Zucker“, sagte der Junge.
„Kannst meinen haben. Ich will nur Sahne.“
An dem Tisch neben ihnen saß ein dicker Mittfünfziger. Er schniefte beim Biertrinken und sprach mit sich selbst. Der Junge schreckte zusammen.
„Sag schon, Junge – was ist los?“ Sie suchte die Augen des Jungen. Er wich ihr aus.
„Kummer?“
Der Junge schwieg. Der Kaffee war heiß und stark. Der Junge schlürfte beim Trinken.
Sie bezahlte entschlossen. „Schluss mit Pause“, sagte sie. „Wohin also?“
„Wieder zum Hauptbahnhof.“
„Bei mir ist der Gast König.“ Sie wendete in der schmalen Straße und fuhr denselben Weg zurück.
Der Junge war eingenickt. „Hauptbahnhof“, sagte sie. „Wir sind da.“
Er stöhnte und suchte nach dem Geldschein in der Anoraktasche. Sie hielt ihm das Wechselgeld hin, er übersah es. Sie blickte ihm nach, bis er zwischen den Leuten am
Haupteingang verschwand.
Sehr langsam fuhr sie an und ordnete sich in die Taxischlange gegenüber dem Bahnhof ein. Sie griff wieder zum Kreuzworträtsel.
Feuerwehrsignale zerrissen die warme Stille im Wageninneren. Sie blickte auf, zwei Einsatzwagen stoppten vor dem Haupteingang.
Sie erschrak nicht, ihr war, als hätte sie erwartet, dass auf dem Bahnhof etwas geschehen würde. Ja, sie hatte es gewusst, alles. Von Anfang an.