Heimgesucht

JCC

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Eines Tages fand ich vor meiner Türschwelle einen Papst.
Ich wollte an diesem Morgen nur kurz vor die Tür gehen, um eine Zeitung zu holen, da stolperte ich über ihn, wie er so verloren dastand auf seinen kurzen Beinchen, ein Schild um den Hals und ein Köfferchen in der Hand.
Ich ging in die Hocke, um ungefähr auf seiner Höhe zu sein, und schaute ihm neugierig ins Gesicht. Ich schätzte ihn auf drei, höchstens dreieinhalb. Freundlich kniff ich ihn in die Backe, „Naaa, du kleiner Oberhirte, wer hat dich denn hier stehenlassen?“, und lächelte ihn herzlich an. Er blickte indigniert zurück. Ich war entzückt. Ich kenne nicht viele Kinder, die indigniert gucken können.
Weil er immer noch nicht so recht Zutrauen zu mir gefaßt zu haben schien, tätschelte ich ihn freundlich und erntete einen ausgesprochen finsteren Blick. Daraufhin beschloß ich, ihn erst mal mit ins Haus zu nehmen. Was sollen die Nachbarn denken, wenn ich einen Papst vor der Haustür stehen habe? Die werden doch schon ganz neidisch, wenn's nur ein Porsche ist.


Drinnen setzte ich ihn auf einen Küchenstuhl und nahm ihn genauer unter die Lupe. Das Schild, das er um den Hals trug, war von Hand beschrieben und offenbar der letzte liebende Gruß eines Angehörigen: „Geh mit Gott, aber geh!“
Und der liebe Kleine hatte sich zweifellos daran gehalten, denn mein Küchenstuhl begann schon, eine göttliche Färbung anzunehmen.
Ich griff nach dem Koffer des Papstes, doch er schlug mir auf die Finger. Erstaunt zog ich meine Hand zurück. Mit einer knappen Geste wies er mich an, zurückzutreten, klappte den Koffer auf, und ehe ich das samtbezogene Innere in näheren Augenschein nehmen konnte, hatte er ihn auch schon wieder zuschnappen lassen. Hoheitsvoll überreichte er mir, was er ihm entnommen hatte: Eine Babyflasche.


Ich blickte etwas ratlos von der Flasche auf meinen Gast.
Was trinken kleine Päpste?
Ich füllte sie mit Milch und reichte sie ihm. Er verschränkte die Arme und sah mich verächtlich an.
Warme Milch? Er rümpfte die Nase.
Ich drehte ihm den Rücken zu, goß die Milch ins Waschbecken und füllte die Flasche mit Leitungswasser. Freudig stellte ich fest, wie sich seine Miene beim Anblick der Flasche erhellte. Er nahm einen tiefen Zug und spie mir das Wasser mit aller Kraft ins Gesicht.
Darf man Päpste schlagen?
Ich beschloß, davon abzusehen, denn über seinem Kopf, ungefähr in Höhe meiner Mikrowelle, braute sich ein kleines, aber sehr düsteres Gewitterwölkchen zusammen. Stattdessen lächelte sich Seiner Ungezogenheit aufmunternd zu und überlegte, wie ich den kleinen Teufel wohl rausschaffen konnte, ohne daß er allzuviel Schaden anrichtete.


Ich griff nach seiner Hand und zog ihn vom Küchenstuhl. „Wir gehen jetzt fein nach draußen und stellen uns wieder an die Straße, vielleicht kommt ja eine andere nette Tante...“
Ich verstummte. Die Gewitterwolke bewegte sich langsam und bedrohlich auf meinen eigenen Kopf zu. Blitze züngelten in meine Richtung. Ich mochte das Wölkchen nicht. Das hielt es nicht davon ab, immer näher zu kommen. Mit der Hand wedelte ich in der Luft herum, um es abzuwehren, doch das schien es noch mehr zu verärgern. Es donnerte wütend.
Ein Blitz traf mich. Ich roch verschmortes Gewebe und ein zartes Rauchfähnchen entschwand aus meinem linken Ohr Richtung Decke. Ich taumelte und hielt mich am Küchentisch fest, während ich vor Schmerz stöhnte.
„Nun“, krächzte ich, und mein Lächeln mißlang, „war ja auch nur so 'ne Idee...“
Ich trat einen Schritt zurück und beschwichtigt kletterte er wieder auf den göttlichen Küchenstuhl.
Zwischen uns auf dem Tisch stand immer noch das verschmähte Fläschchen.
Mein Gehirn, oder was davon den kindlichen Wutanfall überlebt hatte, arbeitete auf Hochtouren. Was sollte ich ihm sonst geben? Meßwein? Ganz schlecht. Ein betrunkener kleiner Papst würde meine Überlebenschancen wohl kaum steigen lassen.
Weihwasser? Den Versuch war's wert.
Vorsichtig und mit einem beschwichtigenden Lächeln nahm ich das Fläschchen und trat rückwärts aus dem Zimmer: „Keine Sorge, die kleine Heiligkeit kriegt ja gleich was zu trinken...“


Ich stürmte auf die Straße und zur nächsten Kirche. Nach meinem letzten Kindergottesdienst in der Grundschule hatte ich mir zwar geschworen, sie nie wieder zu betreten, aber ungewöhnlichen Situationen ist manchmal nur mit erschreckenden Mitteln beizukommen. Nachdem ich das Fläschchen unter den empörten Augen eines langhaarigen Jesus-Freaks (oder war es nur der Gespiele des Pfarrers?) im Weihwasserbecken gefüllt hatte, hastete ich wieder nach Hause.
Ich betrat die Wohnung und hörte Plätschern.


Der Papst stand auf dem Küchenstuhl vor dem Waschbecken. Er hatte bereits den Wellensittich und den Toaster getauft, die nun beide reglos auf dem Küchentisch lagen. Der Anblick der Leiche trieb mir die Tränen in die Augen.
Ich hatte diesen Toaster geliebt!
Das trieb mir einen Stachel ins Herz, nicht weniger schmerzhaft als der, der sich durch meinen Finger bohrte, als ich todesmutig versuchte, meinen Kaktus als meinen letzten überlebenden Freund aus den Fängen des kleinen Monsters zu befreien. Ich drückte ihn an mich, trat schnell zurück und warf dem Papst mit der anderen Hand die Flasche zu. „Trinkt, Eure Heiligkeit!“
Das schien ihn von einem weiteren Ausbruch abzuhalten. Ich stellte den Kaktus ab und wischte meine blutenden Hände an meiner zerfetzten Bluse ab.
Der Papst setzte die Flasche an den Mund und begann tatsächlich zu trinken. Ich entspannte mich etwas.
Nach wenigen Sekunden setzte er die leere Flasche wieder ab. Einen Moment lang starrte er versonnen ins Leere, dann rülpste er laut und vernehmlich.
„Eine Oblate dazu, Heiliger Vater?“
Er lächelte mich herablassend an und schüttelte den Kopf.


Nun gut, zumindest lächelte er schon mal. Ich streckte ihm die Hand hin und kam mir sehr wagemutig dabei vor. „Wollen wir einen kleinen Spaziergang machen?“
Er ergriff meine Hand und sein Köfferchen und schritt würdig an meiner Seite zur Wohnungstür hinaus. Zum letzten Mal, wie ich hoffte.
„Wir wollen nur mal schnell einen lieben Onkel besuchen.“
Ich ging mit ihm eine Etage nach oben und klingelte an der Tür. Ein junger Mann im Bademantel öffnete und blickte uns verschlafen an.
„Ja?“
„Hallo. Tut mir leid, wenn ich Sie gestört habe, aber der Kleine hier saß vor Ihrer Tür.“
Er war verwirrt.
„Ich kenne ihn nicht... vielleicht hat ihn jemand hier ausgesetzt?“
„Ja“, stimmte ich zu, „ein Mädchen vielleicht?“
Sein verständnisloses Gesicht wich einer etwas schuldbewußten Miene.
„Sie meinen... Sie haben jemanden aus dem Haus gehen sehen?“
Ich versuchte es auf gut Glück: „Klein, brünett, rachsüchtiger Gesichtsausdruck? Ich denke schon. Ich finde übrigens, der Kleine sieht Ihnen ähnlich.“
„Verdammt...“
„Nehmen Sie ihn doch erst mal rein.“
„Hrmpf...“
Ich schob den Papst in die fremde Wohnung. Mein Nachbar schaute zuerst unschlüssig, dann griff er nach der päpstlichen Hand. Im selben Moment erschütterte ein Donner das Treppenhaus, Blitze zuckten und der Fußboden schien zu beben.
Eine Schrankwand in der Diele kippte und fiel auf meinen unglücklichen Nachbarn. Der Papst stand unversehrt daneben. Ich fand, er hatte einen leicht mißmutigen Gesichtsausdruck.
Mir kam ein schrecklicher Verdacht und ich beugte mich zu meinem zerquetschten Nachbarn hinunter.
„Sind Sie evangelisch?“
„J... j... j... jaaa...“, brachte er mühsam hervor.
„Das erklärt alles“, versicherte ich ihm.
Er begann, unartikuliert vor sich hinzuröcheln.
Mit diesem Trost ließ ich ihn allein und flüchtete, gefolgt vom Papst, zurück in den Hausflur.
Weise verzichtete ich darauf, den Kleinen den Özlems aus dem dritten Stock vorzustellen.
Stattdessen nahm ich ihn seufzend wieder an die Hand und ging mit ihm die Treppe hinunter. Ich beschloß, mein Versprechen wahr zu machen und einen Spaziergang mit ihm zu unternehmen. Kurz vor der Haustür blieb der Papst stehen und betrachtete selbstzufrieden die Risse in der Decke.
„Sehr beeindruckend, Eure Heiligkeit“, meinte ich nervös, „vielleicht könnte man seine übrigen Aktivitäten für heute ja unter freien Himmel verlegen...?“
Er schenkte mir einen genervten Blick, folgte mir dann aber nach draußen.


Zielstrebig machte ich mich mit ihm auf den Weg, erfreut über meinen neuen Einfall, wo man kleine Päpste zur Verwahrung abgeben könnte. Wir überquerten eine Straße, und plötzlich tauchte hiner einem Holzzaun ein Spielplatz auf.
Der Papst riß sich von meiner Hand los und stürmte durch das kleine Tor. Ich blieb einen Moment stehen und hoffte verzweifelt, daß ich gleich aufwachen würde, aus was auch immer.
Nichts geschah.
Ich gab auf und lief hinterher. Als ich auf dem Spielplatz ankam, rannte der Papst gerade in einen Sandkasten. Er warf sich auf die Knie - und küßte den Boden. Er hob den Kopf wieder und sein Gesicht klebte voll Sand. Offenbar war dieser Teil der Schöpfung damit noch nicht genug gewürdigt worden, denn er wiederholte das Ritual.


Mittlerweile waren ein Junge und ein Mädchen von der Wippe geklettert und äfften ihn nach. Als der Papst das bemerkte, schaute er sie drohend an, was ihre Heiterkeit noch verstärkte.
Das Mädchen stieß den Papst in den Rücken, so daß er wieder mit dem Gesicht im Sand landete. Er erhob sich und prustete unglücklich, so daß der Sand in Richtung der beiden Kinder flog. Sie warfen mit Sand zurück. Ich nutzte die Gelegenheit, näherzukommen, ohne womöglich wieder einen der päpstlichen Tricks zu spüren zu bekommen. Inzwischen tobte eine wilde Sandschlacht. Ich nieste.
Mittendrin erteilte der Junge dem Papst eine kräftige Ohrfeige. Der Papst hielt inne, und dann hielt er, zu allgemeinen Verwunderung, dem Jungen die andere Wange hin. Wütend schlug der nochmal zu. Wieder drehte der Papst den Kopf. Die nächste Ohrfeige fiel etwas halbherzig aus, und dann starrten die Kinder den Papst nur noch verwirrt an. Enttäuscht, daß ein vielversprechender Streit so ein lahmes Ende gefunden hatte, standen sie auf und zogen mißmutig von dannen.
„So ein Spinner.“


Auch der Papst rappelte sich auf. Über ihm braute sich schon wieder etwas Verdächtiges zusammen. Die Kinder schlenderten gerade auf eine Pfütze zu, als sie beide aufkreischten. Ich rannte zu ihnen hinüber, etwas schuldbewußt, weil ich mich nicht getraut hatte, einzugreifen - aber ich bin nun mal nicht zur Märtyrerin geboren.


Die beiden Kinder stierten in blankem Horror in die Pfütze. Ich war nah genug herangekommen, um zu sehen, was sich im trüben Wasser spiegelte:
Ein Jesus am Kreuz.


Und zwar eine ausgesprochen eindrucksvolles Bild, grauenhaft in seinem Detailreichtum. Das Mädchen starrte auf die Nägel, der Junge auf das Blut, das an seiner Seite herunterzulaufen schien.
Schließlich fingen sie wieder an zu schreien.
„Ein toter Mann im Wasser!“, brüllte das eine Kind, „Mamiiiii!“ das andere.


In wilder Panik rannten sie zu ihrer Mutter, die angesichts ihrer kreischenden Sprößlinge entsetzt aufgestanden war. Ich hörte Satzfetzen wie „...der is nackt und toooot!“, „...inner Pfütze ertrunken...“ und sah, wie die Mutter offenbar mich, die ich mit meinem „Kind“ als einzige außer ihr noch auf dem Spielplatz war, als Wurzel allen Übels ausmachte.


Eins ihrer Kinder riß sich von ihr los, drehte sich um und erbrach sich auf den Sand. Mit zitternder Hand wischte es sich den Mund ab. Die Mutter kam und fuhr ihm rabiat mit einem Taschentuch übers Gesicht, dann wandte sie sich dem Feind zu: Wutschnaubend kam sie auf mich zugelaufen, bewaffnet mit einem Schäufelchen.
Ich packte den Papst, der noch schnell seinen Koffer an sich riß, und nahm Reißaus.


Als wir außer Sichtweite waren, verringerte ich keuchend das Tempo und starrte das kleine Monster erbost an. Er würdigte mich keines Blickes und sonnte sich offenbar in dem Bewußtsein, seine Pflicht getan zu haben. Er wischte sich die letzten Sandreste aus dem Gesicht und mit großer Befriedigung stellte ich fest, daß seine Wangen anschwollen.
Er bemerkte offenbar meinen schadenfrohen Blick, denn er betastete sein Gesicht. Mit einem boshaften Seitenblick auf mich bekreuzigte er sich einmal und sein Gesicht nahm wieder normale Formen an. Enttäuscht kickte ich einen Stein zur Seite und setzte den Weg fort.


Schließlich kamen wir am Tor des städtischen Tierheims an.
Ich drückte auf die Klingel. Eine junge Frau trat heraus.
„Sind Sie katholisch?“
Sie bejahte.
„Großartig.“
„Bitte?“
„Sehen Sie, hier...“, ich schob den Papst in ihre Richtung, „Sie können ihm doch bestimmt ein liebevolles Heim geben.“
Sie war völlig verwirrt. „Was frißt denn so ein... äh...“
„Papst“, fiel ich ein. „Geben Sie ihm einfach Weihwasser, so oft er welches braucht, das merken Sie dann schon, und einen Platz, wo er seinen Koffer hinstellen kann, und ein paar Kakteen zum Taufen, und halten Sie ihn um Gottes Willen“, hierfür kassierte ich einen empörten Blick vom Papst, „um Gottes Willen von Rabbis, Popen oder Medizinmännern fern. Das wär dann alles, nehmen Sie ihn schon“, forderte ich und drängte die beiden durchs Tor.
Dann zog ich das Tor zu und rannte, als wäre der Leibhaftige persönlich hinter mir her. Obwohl das zweifellos die angenehmere Alternative gewesen wäre.


Ein paar Meter von meinem Haus entfernt kam ich schwer atmend zum Stehen und setzte meinen Weg in normalem Tempo fort.
Unglaubliche Erleichterung durchströmte mich, und der Tag erschien mir plötzlich sehr sonnig.
Fröhlich pfeifend zog ich meinen Schlüssel aus der Tasche und schloß die Haustür auf. Dann betrat ich meine Wohung.
Mein Pfeifen verstummte.
Aus der Küche drang Plätschern.
 
S

Sansibar

Gast
Papst

Hy JCC,
ich finde die Geschichte flüssig und leicht geschrieben.Sie liest sich gut - nur eineFrage quält mich unentwegt: Warum Pabst??? Kleiner Satan hätte doch viel schöner gepasst, oder?
Nicht persönlich nehmen, vielleicht nur als Vorschlag. Der Satan ist doch viel häufiger unterwegs als der Papst - und jeder würde dir das sofort abnehmen.
Hier auf Sansibar gibt es jedenfalls jede Menge Satane
Gruß Sansibar aus Sansibar
 



 
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