Hotel zur Einsamkeit

4,00 Stern(e) 5 Bewertungen

Cafard

Mitglied
Das Gebäude steht seit längerer Zeit zum Verkauf. Die regelmäßigen Gäste, überwiegend ältere Herrschaften, waren Sommer für Sommer seltener geworden. Eher nicht, weil der Strand in Sion-sur-l'Océan kein Juwel ist, sondern mehr, weil dem knurrigen Patron die Frau verstorben war, die gute Seele des Hauses.

Nach dem Mittagessen mit der französischen Maklerin unterschreibe ich den Vertrag. Dazu müssen einige Lebensversicherungen dran glauben, wenn mein Vater davon erfährt, kommt er sofort angereist, um mir den Kopf in der Frische des Atlantiks zu waschen, was jedoch rein gar nichts nützen wird. Das leerstehende Hotel hat die besten Zeiten hinter sich, aber seine größte Liebe noch ausstehend:

Diese unvermittelt starke Anziehung, mit aller Macht über mich herfallend, auf einem Spaziergang bis zum Ende der Promenade, diese plötzliche Liebe soll mein neues Leben werden.

Bei den nötigen Umbauarbeiten werden die einheimischen Zaungäste ihre Nasen rümpfen, Hotel zur Einsamkeit, was soll denn das?, jahrzehntelang waren sie an das Hotel de La Plage gewöhnt.

Als mögliche Gäste fallen mir verschiedene meiner alten und neuen Bekannten ein, einschließlich ich selbst. Es wird wunderbar sein, am späten Nachmittag bei einem Glas Pastis hinter der altehrwürdigen Theke zu stehen. Mir gegenüber sitzen die zwei, drei, männlichen Alleinreisenden auf den neu verleimten Barhockern, sie starren in Richtung der nahen Brandung hinter dem großen Fenster zur Meerseite. Zuweilen wagen sie einen scheuen Blick zu der einzelnen Dame mit dem apart gestreiften Pullover, ein dunkelblaues Kopftuch schützt sie bei ihrem täglichen Café noir auf der windigen Terrasse.

Im Hintergrund säuselt Norah Jones ihr unsterbliches:'Come away with me', so schlicht und so schön, einfach nicht mehr fortgehen und Pastis trinken, bis zum letzten Nachmittag, auch das ein versponnener Gedanke, et voilá, so bin ich, mitunter nichts als ein verträumter Kindskopf, aber Norah und ich, wir treffen uns!

Wir treffen uns an der Küste des Lichts.
 

APO

Mitglied
Hi Cafard,

also wenn du schon so schöne Musik in dem Text erwähnst, wünsche ich mir als Leser den Link dahin: http://www.youtube.com/watch?v=qtm9jfUqHXY

Die Stimmung dieser Kurzprosa spricht mich sehr an und ich merke ein weiteres Mal, wie sehr du es mit der Sprache hast, einzelne Worte, Sätze, gegen den Wind drehst, versuchst das letzte aus ihnen rauszuholen. Dazu habe ich ein paar Anmerkungen:
Das Gebäude steht seit längerer Zeit zum Verkauf. Die regelmäßigen [blue](kann man streichen, der Sinn ergibt sich auch ohne Adjektiv)[/blue] Gäste, überwiegend ältere Herrschaften, waren Sommer für Sommer seltener ([blue]meinst du "weniger"?)[/blue] geworden. Eher nicht, weil der Strand in Sion-sur-l'Océan kein Juwel ist, sondern mehr, weil dem knurrigen Patron die Frau verstorben war, die gute Seele des Hauses.
dran glauben, wenn
Nach "glauben" würde ich einen Punkt setzen.
aber seine größte Liebe noch ausstehend:
hier weiß ich nicht, ob ich "ausstehend" wirklich gut finde. Für mein Gefühl sieht es gewollt aus. Im Moment. Morgen denke ich vielleicht anders darüber.
Diese unvermittelt starke Anziehung, mit aller Macht über mich herfallend, auf einem Spaziergang bis zum Ende der Promenade, diese plötzliche Liebe soll mein neues Leben werden.
Den Satz finde ich toll.
Schönes Stimmungsbild, da verliebt sich jemand in eine Gegend, ein Haus, in ein Gefühl. Passieren tut nicht viel, aber schöne Bilder, Vorstellungen entstehen im Kopf des Erzählers und irgendwie, unabhängig davon, auch im Kopf des Lesers.

So weit, so gut. Gern gelesen!
 

Cafard

Mitglied
Chère APO, danke für den Link, absolut fantastique!

Ich mache auf jeden Fall den Doppelpunkt weg, keine Ahnung, wie der dort hineingeraten ist, ich denke, Norah ist schuld!
 

Cafard

Mitglied
Das Gebäude steht seit längerer Zeit zum Verkauf. Die regelmäßigen Gäste, überwiegend ältere Herrschaften, waren Sommer für Sommer seltener geworden. Eher nicht, weil der Strand in Sion-sur-l'Océan kein Juwel ist, sondern mehr, weil dem knurrigen Patron die Frau verstorben war, die gute Seele des Hauses.

Nach dem Mittagessen mit der französischen Maklerin unterschreibe ich den Vertrag. Dazu müssen einige Lebensversicherungen dran glauben, wenn mein Vater davon erfährt, kommt er sofort angereist, um mir den Kopf in der Frische des Atlantiks zu waschen, was jedoch rein gar nichts nützen wird. Das leerstehende Hotel hat die besten Zeiten hinter sich, aber seine größte Liebe noch ausstehend.

Diese unvermittelt starke Anziehung, mit aller Macht über mich herfallend, auf einem Spaziergang bis zum Ende der Promenade, diese plötzliche Liebe soll mein neues Leben werden.

Bei den nötigen Umbauarbeiten werden die einheimischen Zaungäste ihre Nasen rümpfen, Hotel zur Einsamkeit, was soll denn das?, jahrzehntelang waren sie an das Hotel de La Plage gewöhnt.

Als mögliche Gäste fallen mir verschiedene meiner alten und neuen Bekannten ein, einschließlich ich selbst. Es wird wunderbar sein, am späten Nachmittag bei einem Glas Pastis hinter der altehrwürdigen Theke zu stehen. Mir gegenüber sitzen die zwei, drei, männlichen Alleinreisenden auf den neu verleimten Barhockern, sie starren in Richtung der nahen Brandung hinter dem großen Fenster zur Meerseite. Zuweilen wagen sie einen scheuen Blick zu der einzelnen Dame mit dem apart gestreiften Pullover, ein dunkelblaues Kopftuch schützt sie bei ihrem täglichen Café noir auf der windigen Terrasse.

Im Hintergrund säuselt Norah Jones ihr unsterbliches:'Come away with me', so schlicht und so schön, einfach nicht mehr fortgehen und Pastis trinken, bis zum letzten Nachmittag, auch das ein versponnener Gedanke, et voilá, so bin ich, mitunter nichts als ein verträumter Kindskopf, aber Norah und ich, wir treffen uns!

Wir treffen uns an der Küste des Lichts.
 

Lomil

Mitglied
Ich spüre das Salz auf meiner Haut. Schmecke den Pastis und höre Nora Jones. Großartig. Ich möchte buchen.
Wünsche Dir einen schönen Tag
Lomil
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Einsame Stimmung, gut eingefangen. Allerdings - zusammen ist ja man weniger allein. :) Will heißen, wenn sich viele Gäste einfinden, ist niemand mehr allein. Aber vielleicht trotzdem einsam.
Wahrscheinlich meinst Du das mit dem Titel.

LG Doc
 
U

USch

Gast
Hallo Cafard,
Diese unvermittelt starke Anziehung, [red]mit aller Macht über mich herfallend, [/red]auf einem Spaziergang bis zum Ende der Promenade, diese plötzliche Liebe soll mein neues Leben werden.
[red]Das ist literarisch nicht so schön![/red]
Lieber so:
Diese unvermittelt starke Anziehung fällt mit aller Macht über mich her, auf einem Spaziergang bis zum Ende der Promenade. Diese plötzliche Liebe soll mein neues Leben werden.

Gern gelesen. [blue]Come away with me[/blue] war wirklich ein schöner Ohrwurm. Leider hört´s man heute in vielen Fahrstühlen und anderswo. Aber es gibt ja vieles schöne Neue von Norah.
LG USch
 

Cafard

Mitglied
Hallo USch, danke dir für die Anregung, über die entsprechende Passage nachzudenken, ich tendiere letzendlich zu meiner Version, auch wenn sie weniger elegant ist, so schubweise geht auch meine innere Sprache, das passt besser zu mir.
 

Der Andere

Mitglied
das ist auch blödsinn, dass das 'literarisch' nicht so schön sei wie ein im aktiv gesetzter satz. gerade der einschub, das eingeschobene, auch und gerade verbunden mit dem passiv, macht den rhythmus des satzes aus und ist für ihn unentbehrlich.

bis hierhin:

Bei den nötigen Umbauarbeiten werden die einheimischen Zaungäste ihre Nasen rümpfen, Hotel zur Einsamkeit, was soll denn das?, jahrzehntelang waren sie an das Hotel de La Plage gewöhnt.
hat mir die stimmung durchaus gefallen, nüchtern, distanziert, etwas surreal, der rest hingegen will zu viel zu schnell, ich hätte die gäste gerne wirklich 'gesehen' und sie nicht bloß 'vorgesetzt' bekommen. der stärkste satz übrigens:

wenn mein Vater davon erfährt, kommt er sofort angereist, um mir den Kopf in der Frische des Atlantiks zu waschen
davon bitte mehr. sprachlich könnte hier und da auch noch gearbeitet werden. nur um ein besipiel zu nennen:

Eher nicht, weil der Strand in Sion-sur-l'Océan kein Juwel ist, sondern mehr, weil dem knurrigen Patron die Frau verstorben war, die gute Seele des Hauses.
eleganter wäre: weniger, weil der..., vielmehr war dem knurrigen...

in diesem sinne,
d.a.
 



 
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