Hüll dich in Schweigen (sapphische Ode)

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kakadu

Mitglied
Hüll dich in Schweigen


Traumgetüncht im rosigen Ton des Lächelns
zieht das Grauen heimlich ins Kinderzimmer.
Stickig wirds, wenn Zauberers Stimme flüstert:
hüll dich in Schweigen.

Nachtgebet: erlöse uns von dem Bösen.
Schlaf, Prinzessin, Teddybär hält die Wache.
Schau nicht in die Kammer der Hirngespinste.
Nichts ist geschehen.

Vor dem Fenster bauschen sich Schamgardinen.
Leute gehn vorüber: gepflegter Rasen,
Rüschenkleidchen säuberlich auf der Leine.
Lügengebäude.
[ 4]
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Form kannte ich noch nicht. Es wird bei dieser Ode die Sapphische Strophe verwendet.:

- u - x - | u u - u - x
- u - x - | u u - u - x
- u - x - | u u - u - x
- u u - x

(Quelle: Wikipedia - Sapphische Strophe. http://de.wikipedia.org/wiki/Sapphische_Strophe )

Ursprünglich: - lang, u kurz, x lang oder kurz.

In der deutschen Übertragung meist: lang -> betont, kurz -> unbetont.

Zugleich zeigt die Ode eine erhabene Form, hohe Sprache und hier eine feste Form.
Der erhabene Ton steht im Einklang zur Würde des Kindes und bildet einen starken Kontrast zur angedeuteten Handlung, die diese schauderhaft verletzt.

Sind es Alpträume? Ist es Misshandlung? Die Fassade wird gebildet und strahlt. Bittere Ironie.
 
Der erhabene Ton steht im Einklang zur Würde des Kindes und bildet einen starken Kontrast zur angedeuteten Handlung, die diese schauderhaft verletzt.

Sind es Alpträume? Ist es Misshandlung? Die Fassade wird gebildet und strahlt. Bittere Ironie.
Treffender als Bernd kann ich es nicht ausdrücken....

Lieben Gruß,
Estrella
 

kakadu

Mitglied
Lieber Bernd,

vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar zu meinen
sapphischen Strophen. Du hast Recht, ich habe die erhabene Form
gewählt, um einerseits die Würde des (sexuell) missbrauchten Kindes,
andererseits den nach außen gewahrten Schein der Integrität des
Täters heraus zu stellen.

Es geht um das Erleben des Kindes, das sich nicht mitteilen darf und
dem Täter (einem nahen Angehörigen) hilflos ausgeliefert ist.

Einzige Zuflucht für das Kind sind das Gebet und der Teddybär.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch Albträume eine Rolle spielen.
Worauf ich mit der Beschwörungsformel "Nichts ist geschehen" hinaus
wollte, sind die Zweifel des Opfers an der eigenen Wahrnehmung und
die Flucht ins Verdrängen.

Bernd, ich habe mich sehr gefreut, dass die Odenform der Sappho
Dein Interesse geweckt hat, vor allem aber auch darüber, dass Du
auf den Inhalt eingegangen bist.

Liebe Grüße
Claudia
 

kakadu

Mitglied
Liebe Estrella,

vielen Dank für Dein Einfühlen in die ernste
Thematik und die gute Bewertung meiner Arbeit.

Liebe Grüße
Claudia
 

JackoF

Mitglied
Hallo Claudia,

wie es schon gesagt wurde - eine beklemmende Realität, die leider so „auch“ ist !
Das Kind, als schwächstes Glied in der Kette der sogenannten Humanoiden, wird zum „bösen“ Spielobjekt dieser erwachsenen Verbrecher.

Und - wie genau Du sprachlich hier diese beklemmende Stimmung zum Wirken bringst,
dieses schleichende Übergreifen zum sich nicht wehrenden Kind,
und dieses üble Fassadenspiel der Erwachsenen - nach außen ein Lügen-Bild/Lügengebilde des „gepflegten Rasens“ aufzubauen.

Finde ich sehr gelungen !!!!


Zu den ersten beiden Zeilen hätte ich einen kleinen Worte-und kausalen Vorschlag.
Warum ?
Gerade die Bilder der ersten Zeile verstehe ich nicht direkt :
„Traumgetüncht“ ?
„im rosigen Ton des Lächelns“ ?

Auch eckt mich ein wenig diese irgendwie Inversion von :
Traumgetüncht im rosigen Ton des Lächelns
zieht das Grauen.....
Hierzu kam mir folgende Krittelei - einfach mal so :))))

[blue]Schauderfreundlich naht das Gesicht zum Bettchen, ............/XxXxX | xxXxXx
kommt das Grauen heimlich ins Kinderzimmer. .................../XxXxX | xxXxXx[/blue]


Traumgetüncht im rosigen Ton des Lächelns ......................../XxXxX | xxXxXx
zieht das Grauen heimlich ins Kinderzimmer. ......................../XxXxX | xxXxXx
Stickig wirds, wenn Zauberers Stimme flüstert: ...................../XxXxX | xxXxXx
hüll dich in Schweigen. ......................................................./XxxXx

Nachtgebet: erlöse uns von dem Bösen. ................................/XxXxX | xxXxXx
Schlaf, Prinzessin, Teddybär hält die Wache. ........................./XxXxX | xxXxXx
Schau nicht in die Kammer der Hirngespinste. ......................./XxXxX | xxXxXx
Nichts ist geschehen. ........................................................./XxxXx

Vor dem Fenster bauschen sich Schamgardinen. .............../XxXxX | xxXxXx
Leute gehn vorüber: gepflegter Rasen, .............................../XxXxX | xxXxXx
Rüschenkleidchen säuberlich auf der Leine. ......................./XxXxX | xxXxXx
Lügengebäude. .............................................................../XxxXx


Claudia,
wirklich sehr beklemmend – und deswegen sehr gelungen - und dann mit der trefflichen Form der sapphischen Ode transportiert.
Für mich sind es u.a. gerade diese Daktylen, die hier diese drückende Stimmung mitbedeuten - ebenso diese jeweilige 4. Zeile - geht rein !!!

Gerne hier mitgelesen, :)
und wieder ein tschüss(aber guter Dinge :) ), Jacko

--
 

kakadu

Mitglied
Hi Jacko,

Du hast es mal wieder gleich erkannt: Der erste Vers ist so nicht
(mehr) stimmig. Ich hatte in den ersten Entwürfen die Wände des
Kinderzimmers bzw. überhaupt das ganze "Vorzeigehaus" so rosig
"getüncht". In der neuen Version gefällts mir auch nicht mehr richtig.
Da werde ich nochmal drüber gehen.

Die erste Zeile sollte aber auf jeden Fall noch den rosigen Schein
beinhalten, wenn auch nicht unbedingt wortwörtlich. Vielleicht trenne
ich mich von dem Farbenspiel und lass mir was anderes einfallen. Das
Bettchen ist mir auch für eine spätere Erwähnung zu direkt. Am liebsten
würde ich auch das "Grauen" noch subtiler gestalten. Das muss noch
ein wenig reifen. Erstmal will ich dem "Häschen" auf die Sprünge helfen,
das muss M.E. deutlicher werden.

Schön, dass Du auch bei diesem beklemmenden Thema dabei bist. Dank
Dir fürs Loben und intensive Einsteigen!

Liebe Grüße
Claudia
 

revilo

Mitglied
Na also, geht doch........Schöne Bilder, eigenwillige Gedankenführung........gefällt mir....bin doch nicht ganz so böse, wie Du anscheinend denkst........LG revilo
 

kakadu

Mitglied
Danke Revilo! Nein, böse bist Du ganz bestimmt nicht,
das hab ich auch gar nicht gedacht. Ich freu mich, dass
meine Ode Dir gefällt.

Liebe Grüße
Claudia
 

revilo

Mitglied
Das tut sie, liebe Claudia, das tut sie..........Am besten gefallen mir Deine Schamgardinen......ein starkes Bild........da fallen mir lauter unanständige Sachen ein.......frag mal Rhea..........die Arme kann ein Lied von meinen zwielichtigen Gedanken singen..........anständige grüße von revilo..........
 

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Mitglied
Du meine Güte! Damit hast du jetzt mich gewaltig gepackt, liebe kakadu.

Über den Geniestreich der Formwahl bezüglich Inhalt wurde ja schon alles gesagt. Das ist schon richtig richtig gut gemacht.

Wie du es hinbekommst, allein schon in Strophe 1 mit jeder Zeile die Bühne für beklemmendes Grauen zu bauen, das beeindruckt mich schon sehr.

Traumgetüncht im rosigen Ton des Lächelns
zieht das Grauen heimlich ins Kinderzimmer.
Stickig wirds, wenn Zauberers Stimme flüstert:
hüll dich in Schweigen.
Tünche, Heimlichkeit und stickige Luft...dazu das Flüstern und das (Ein)hüllen...das ja auch andeutet, dass das Kind eingehüllt wird - also nicht enkommen kann. Da spielt jedes Wort eine Rolle, hat Gewicht und wirkt mit den anderen zusammen etwas unentrinnbar Dichtes. Beindruckend, wie die Sprache die Handlung spiegelt.

Schamgardinen und Rüschenkleidchen säuberlich (!) auf der Leine runden das Grauen perfekt ab, holen sie doch die Perspektive des geschändeten Kindes aus dem "stillen Kämmerlein" nach draußen. Dort hin, wo es erst so richtig seine Einsamkeit und Hilflosigkeit erfährt. Denn wer glaubt schon einem Kind aus einem so säuberlichen Haus...

Gelesen und geschluckt. Dein Text wird noch länger nachwirken. Und das ist, was ihn auch so auszeichnet. Wirklich großartig!

LG,
fee
 



 
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