Im Moulin Rouge

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„Wenn Du in Paris bist und nicht ins Moulin Rouge gehst, dann bist Du entweder nicht normal oder kinderlos!“, sagt ein altes aztekisches Sprichwort.

Meine Freundin Natasha und ich verbrachten eine Woche vor Weihnachten ein paar erholsame Tage in Paris. Wie uns gesagt wurde, gäbe es dort ein Etablissement, in dem nackte Frauen und so auf der Bühne tanzen würden, und das alles ohne einen Fetzen Stoff am Leib. Wir waren ungläubig und konnten uns das nicht vorstellen.

Unsere vorsichtigen Erkundungen bei den Einheimischen waren lange Zeit von Mißerfolg geprägt. Niemand konnte uns Auskunft geben oder wollte bestimmteres sagen. Wir hatten schon beinahe aufgegeben, als uns der Hotelportier eines Abends beim Verlassen der Drehtür den Namen des Ortes verstohlen zuflüsterte. „Moulin Rouge!“ hauchte er und sah sich nervös um. „Nur wenige Eingeweihte würden wissen, wo sich dieser Ort befände.“ Wir wurden neugierig. Unsere Abenteuerlust war geweckt.

Ein großzügiges Trinkgeld überzeugte den Portier, daß wir es ernst meinten. Die Karten waren zu einem sündhaft teuren Preis rasch bestellt. Am Abend rief der Portier für uns ein Taxi und bedeutete dem Fahrer unter Anwendung einer alten Pariser Geheimsprache, wohin wir fahren wollten. Der Taxifahrer warf einen verächtlichen Blick durch den Rückspiegel auf uns, spie angewidert aus und fuhr leise vor sich hinschimpfend los.

Zwei Straßenzüge vor dem eigentlichen Ziel schmiß er uns angsterfüllt aus dem Taxi und entfernte sich eiligst mit quietschenden Reifen.
Die umliegenden Straßenzüge waren verstopft, die Straßenlampen schimmerten matt und auf den Gehsteigen tummelte sich ganz Paris. Natasha wollte die Gelegenheit nutzen und ein Erinnerungsfoto machen. Kaum hatte sie sich zwei Schritte von mir entfernt, als aus den Hauseingängen Horden an attraktiven jungen Frauen in Miniröcken und Lacklederstiefeln auf mich zustürzten. Ihre Angebote, in einem Privatklub eine Pfeife zu rauchen, lehnte ich freundlich ab, schließlich bin ich Nichtraucher. Mit einem wohlwollenden Rat, sich doch bei dem Weihnachtswetter wärmer anzuziehen, verabschiedete ich mich von den netten Damen.

Vor dem Eingang des wenig luxuriös aussehenden Schuppen drängten sich Massen an asiatischen und russischen Gästen, die sich gegenseitig beim Fotografieren im Weg standen. Unsere Blicke schweiften im Foyer umher. Wir waren entsetzt. An den Wänden und über unseren Köpfen reihten sich Darstellungen von halbnackten Menschen. Natasha lief rot an und bedeckte verschämt die Augen mit ihrer Hand. Ich war empört über den Detailreichtum der Zeichnungen, speziell der vollbusigen Frauen, deren kurvenreichen Hüften und endlos langen Beine. Das war doch nichts für die zahlreichen Kinder, die hier in der Warteschlange mit den Eltern standen.

Nach einigem Warten wollten wir mit den anderen Gästen an der Garderobe vorbei in den halbrunden Saal strömen, aber wir hatten nicht mit der Schnelligkeit der Garderobedamen gerechnet. In atemberaubender Geschwindigkeit hatten sie uns die Mäntel und 5 Euro Gebühr abgenommen. Erst dann öffneten sich die Saaltüren.

Im Saal war bereits eine große Völlerei im Gange. Zwischen den Gängen huschten die Kellner, Champagnerkorken knallten und die Stimmung war kolossal. Unser Kellner bat die ausgelassen tanzende und offensichtlich russische Gesellschaft, doch von unserem Tisch herunterzusteigen, zog das Tischtuch gerade, stellte die Gläser hin und schenkte uns Champagner ein. Jedenfalls stand auf der Flasche »Champagne« drauf. Was es wirklich war, konnten uns die Geschmacksnerven nach dem ersten Schluck nicht mehr mitteilen. Sie waren von dem Gesöff vollständig abgetötet worden.

Während wir Dekoration, Inventar und Flaschenetikett betrachteten, pirschte sich eine Fotographin von hinten an uns heran. Wir setzten unser bestes Kampfgrinsen auf, es blitzte und schon einige Minuten später konnten wir mit unseren geblendeten Augen wieder verschwommene, schattige Umrisse erkennen.

Der Vorhang hob sich, die Show begann. Halb mit dem Rücken zur Bühne gewandt saß ich auf meinem Platz und mußte den Kopf seitlich drehen, um zu sehen, wie die ersten Showgirls hereinhüpften. Ihre Federkopfschmuck und die um die nackten Brüsten getragenen Blumenketten schwangen wie wild. Voll Ekel sah ich mir das durch mein Opernglas genauer an, als ich einen heftigen Schmerz im linken Schienbein verspürte. Natasha riß mir mit gefletschten Zähnen das Opernglas aus der Hand.

Zur dröhnenden Musik turnten ein paar Muskelmänner herein und führten einige gymnastische Übungen durch. Natasha klebte am Opernglas. Ich setzte mich wie zufällig vor die Linsen, damit sie auch einmal einen gut gebauten Mann sehen konnte.

Kaum waren die aufgeblasenen Muskelmänner fertig, stolperten mit großem Trara ein paar Clowns herein, brachten sich gegenseitig zu Fall, scherzten mit dem Publikum und taten auch sonst viel Ausgelassenes auf der Bühne. Die Kinder vor uns kreischten voll Vergnügen. Moment mal? Kinder im Moulin Rouge? Mein Blick hatte mich nicht getäuscht. Eine Familie mit einem Mädchen und Jungen im Volksschulalter hatte vor uns Platz genommen. Ein Kellner versperrte uns die Sicht und füllte Champagner für die Kleinen nach. Diese Pariser!

Kaum war der Kellner weg, hob sich langsam aus der Mitte der Bühne ein breiter Wassertank, in dem sich ein paar Pythons tummelten. Verzweifelt versuchten sie, aus dem Aquarium zu flüchten, da packte sie auch schon die halbnackte Schlangendompteurin von hinten und schlug mit ihnen einige Saltos im Wasser, wickelte sie um sich, hob sie über den Kopf und warf sie zurück ins Wasser. Torkelnd schwammen die Schlangen zum Rand des Beckens, wo sie mit flehenden Blicken die Abendgesellschaft anbettelten, als auch der Wassertank schon wieder in der Versenkung verschwand. Die Menge raste, die Kinder quiekten.

Unterdessen holperten auf die Bühne neuerlich langbeinige Damen, diesmal in alten, enggeschnittenen Uniformen. Sie warfen die Beine im Stechschritt hoch und ihre Uniformjäckchen gaben verschmitzt den Blick auf volle Busen frei. Meine Entrüstung wuchs, besonders wegen des Jäckchens der rassigen Brünetten, das nicht weit genug aufspringen wollte.

Dann kamen wieder die Clowns, schnitten Grimassen, fielen hin, standen auf, rannten tollpatschig herum. Die Kinder vor uns kicherten höflich.

Eine Soubrette walzte die Treppe hinunter, säuselte französisch klingende Worte in das Mikrofon und wurde sogleich von der einsetzenden Musik übertönt. Ihre Lippen formten verzweifelt Laute, doch der dröhnende Musiklärm schwappte sie hinweg. Der Kellner brachte erneut Getränke zu den Kleinen vor uns und als er uns die Sicht wieder freigab, war als nächster Programmpunkt bereits ein bauchredender Rabe mit einer Menschenpuppe hereingeflogen und erzählte schmutzige Witze.

Als Überraschung des Abends kamen von Neuem die Clowns, schnitten Fratzen, plumpsten flach auf den Boden, trippelten herum. Die Kinder vor uns bohrten gelangweilt in der Nase und dämpften ihre Zigarren aus.

Natashas Blick war hohl geworden, geistige Dürre machte sich in meinem Kopf breit. Eine kurze Abstimmung per Augenkontakt, und wir robbten durch die Phalanx der Kellner vorzeitig dem Ausgang hinzu. Die Garderobiere händigte uns beiläufig die Mäntel aus, als der Empfangschef zu uns herantrottete und sich unterwürfig erkundete, ob uns die Show nicht gefallen hätte. „Aber ganz und gar nicht. Wie komme er darauf?“ antwortete ich erstaunt. „Wir hätten nur nicht gewußt, daß man Kinder mitbringen soll. Und außerdem wäre uns plötzlich eingefallen, daß wir noch dringend nachzählen mußten, ob unsere Kakteen im Hotel noch alle Stacheln hätten.“ Mitleidig sah er uns an und verschwand im Halbdunkel.

Das Moulin Rouge spuckte uns aus und wir traten auf die Straße. Paris und die richtigen Nachtklubs auf der Pigalle hatten uns wieder. Hier hofften wir uns Anregungen holen zu können, wie man Kinder macht. Schließlich wollten wir das Moulin Rouge einmal wie die Pariser als Familie genießen.
 

coxew

Mitglied
wieso nicht einfach das moulin rouge besuchen, warum dieses umständliche auskundschaften. zum anderen, wenn man ahnt, was da auf eine(n) zukommt, wozu sich antun was man eh verabscheut?

besonders der letzte abschnitt mutet sehr naiv an.

insgesamt drängt sich mir der eindruck auf, ... ich mach mal was "gefährliches", am ende passiert mir ja nichts ... -

(die wohlgehüteten gymnasiasten wagen "abenteuer")
 

F Fuller

Mitglied
An den Wänden und über unseren Köpfen reihten sich Darstellungen von halbnackten Menschen. Natasha lief rot an und bedeckte verschämt die Augen mit ihrer Hand. Ich war empört über den Detailreichtum der Zeichnungen, speziell der vollbusigen Frauen, deren kurvenreichen Hüften und endlos langen Beine.
In welcher Epoche findet die Handlung denn statt????

„Aber ganz und gar nicht. [red]Wie komme er darauf[/red]?“
Falsche Form für die wörtliche Rede (und es ist wörtliche Rede, da in "").

Sorry, Marius, aber dieses Werk reisst mich auch nicht vom Hocker.

Gruss
Fuller
 
Danke für Eure Kommentare. Da ich einige Tage wegen Grippe flachlag, komme ich erst jetzt dazu vernünftig zu antworten.

Ich muss sagen, dass in den meisten Fällen mein Bauchgefühl (so eine Art "Zufriedenheitsfaktor" mit dem Text) zumeist mit Euren Kommentaren übereingestimmt hat.
Bei "Pimp my read" war's insofern schwierig, als ich den Text zwar mit gleicher strenger Technik, aber in anderem Stil angelegt hatte. Da kann das Ergebnis dann ins eine oder andere Extrem gehen. In diesem Fall ging's gut.

Bei "Im Moulin Rouge" war ich bis zum Schluss nicht zufrieden mit dem Text, der Struktur, der Pointe. Alles weder Fisch noch Fleisch. Auch stand immer die Befürchtung, ich zähle einfach nur auf.

Die Geschichte beruht klarerweise auf einer wahren Begebenheit. Die Eckpfeiler wie Kinder im MR, gymnastikhopsende "Tänzerinnen", langweilige Clowns, und vorzeitiges Verlassen der Veranstaltung, etc. sind so geschehen.

Die Geschichte bräuchte aber vermutlich mehr Fokus und einen konsistenten Faden. Ich tu mir aber immer noch schwer mit der Geschichte. Einige Elemente sind bereits durchaus gut (denke ich), aber sie müssen auch zusammenpassen, um das Bild rund zu machen. Die Botschaft die ich momentan transportiere, ist insofern widersprüchlich.
Vielleicht muss ich erst noch mehr Abstand zum Ereignis gewinnen und habe mal einen Geistesblitz.

Und was die Gymnasiäler auf Abenteuer betrifft: die wären wohl auch vom Moulin Rouge enttäuscht. Das ist so harmlos, dass selbst die Volksschüler heute schon dort sind.

Marius
 



 
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