In der Stunde unseres Todes

In der Stunde unseres Todes (2 Skizzen)

1. Skizze: Tod eines amerikanischen Soldaten

Er lag flach auf dem stacheligen Gras vor einem zerfetzten Lattenzaun, wie er gefallen war, und sah nach Süden, und presste seine Hände auf die Wunde, und die Sonne schien hell und weiß und warm auf ihn herab. Zwischen seinen Fingern quoll dunkelrotes Blut hervor. An der Farbe erkannte er, dass der Schuss in die Leber gegangen war. Vielleicht steckte die Kugel drin, vielleicht war sie durchgegangen, jedenfalls war die Leber stark beschädigt, und das bedeutet, dass Du stirbst. Es war 16h38 im Irak, aber er wusste nicht, wie spät es in Amerika war.
Er versuchte, den Kopf zu heben, um zu sehen, ob andere kamen, aber er sah niemanden. Irgendwo in dem Haus am Ende der Straße hockte der Schütze und wartete. Zumindest verdeckt Dich der Zaun ein wenig, und Du liegst in einer Art natürlichen Kuhle, sodass es unmöglich ist, Dich zu sehen, wenn man von Süden kommt. Der Soldat lag stumm in der weißen irakischen Nachmittagshitze und versuchte, die Blutung zu stoppen, indem er mit seinen Fingern auf die Wunde drückte.
Jetzt, dachte er, so geht’s zuende, heute stirbst Du hier am Rand einer winzigen, verlassenen irakischen Siedlung und Scheiße Du kommst nicht mehr zurück nach Hause, Du kommst nirgendwo mehr hin, kein Basketball, nie mehr ins Kino, nie mehr zurück, und verfluchte Scheiße wieso musste er Dich anschießen? Es lief alles so gut und Du warst Dir so sicher, dass hier niemand mehr war und hast nicht aufgepasst und bist über die Scheißstrasse gelaufen und irgend so ein irakischer Bastard hat auf Dich geschossen, zum Glück hat er Dich nicht sofort erwischt, sondern erst beim zweiten Versuch, sonst hätte er Dir vielleicht in den Kopf geschossen und dann wärst Du tot.
Du bist tot, dachte er wütend, und der beschissene Hurensohn weiß das sehr gut, und vielleicht hat er Dir mit Absicht nicht in den Kopf geschossen, damit es länger dauert.
Denk nicht mehr dran, dachte der angeschossene Soldat, denn eigentlich bist Du schon tot und es hilft jetzt nicht mehr, darüber nachzudenken. Jeder muss sterben, dachte er, und eigentlich bin ich froh, dass es so kommt und nicht in irgendeinem verfluchten Krankenhaus. Er schloss die Augen und presste seine Finger krampfhaft in die Wunde und spürte ängstlich, wie das warme Blut hervorschoss und als er seine Augen wieder öffnete, war seine Jacke ganz blutgetränkt und er versuchte sich zu erinnern, wie viel Blut man verlieren konnte, aber es fiel ihm nicht ein, nur, dass es nicht viel war. Das Blut war dunkler als zuvor, gar nicht mehr rot, eher schwärzlich, und glänzte ölig in der Sonne. Gottverdammte Scheiße, dachte er, weshalb lässt Du Dir von so einem Hurensohn eine Kugel verpassen?, und er dachte an die Maisfelder und an das Haus seiner Eltern und an seinen kleinen Bruder, der noch zur Schule ging, und daran, wie verwirrt er gewesen war, als er zurückkam und feststelle, dass er sie nicht liebte, dass er gar nichts liebte, dass er nicht gerne dort war. Als er in den Irak aufbrach, war er vergnügt gewesen, und er war gespannt auf die Dinge, die geschehen würden. Passieren würde nichts, dachte er, als er das Haus seiner Eltern verließ. Jetzt wärst Du gerne dort, was? Aber jetzt liegst Du hier und spürst Deine heißen, zerrissenen Eingeweide und sie stinken, und Du wünschst Dir nichts mehr als wieder in Amerika zu sein und ein Baseballspiel sehen und Bier trinken und ein Mädchen küssen zu können.
Mach Dich nicht lächerlich, dachte er, Du stirbst vielleicht, aber wie viele sind schon gestorben und wie viele werden sterben und welchen Wert hat ein Leben? Es geht um mehr, dachte er. Aber warum zum Teufel ausgerechnet ich?, dachte er. Du hast Freiheit in dieses Land gebracht und Gerechtigkeit und - Scheiß auf Freiheit - Scheiß auf Gerechtigkeit - Scheiß auf dieses Gelaber - Wenn sie denken, sie müssen Irak befreien, warum tun sie’s dann nicht selbst, verdammt? Du stirbst hier in der heißen Sonne und kannst mit Deinen Händen nicht verhindern, dass das heiße, schwarze Blut aus Dir quillt und irgendwann wird soviel herausgekommen sein, dass Du keine Kraft mehr hast und dann nimmst Du Deine Hände weg und bist tot, und irgendein Wichser aus Washington erklärt, Scheiße, es ist noch einer tot, tut uns Leid Leute, aber wisst ihr was? – jetzt befreien wir den Irak erst recht, und Gott ist mit uns und Gott wird Amerika beschützen und Du stirbst Du stirbst sieh auf Deinen Bauch alles schwarz von Blut und warm und es ist heiß ist heiß o Gott Du spürst Deine Eingeweide und alles ist heiß und nass und schwarz Heilige Maria Mutter Gottes Du bist gehbenedeit unter den Frauen und gehbenedeit ist die Frucht Deines Leibes Jesus Heilige Maria bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes Amen jetzt und in der Stunde unseres Todes Amen jetzt und Amen, Amen, Du stirbst.
Blut drück Deinen Daumen hinein dann kann es nicht herauskommen es ist so heiß Amen Maria in der Stunde unseres Todes.
16h43 im Irak. Amerika war einige Zeitzonen weit weg.





2. Skizze: Römische Soldaten überfallen ein germanisches Dorf

An diesem Morgen schien die Sonne kalt auf die verschneite Landschaft und weiß und grün waren die Wälder vor dem grauen Fluss, auf dem die Eisschollen trieben, und braun waren die gefrorenen Getreidefelder am Horizont.
Eine dichte Rauchblume verdunkelte den Himmel. Das Dorf hatte fast drei Tage lang gebrannt. Die Legionäre hatten das Feuer mit größter Sorgfalt gelegt und genährt und darauf geachtet, dass es nicht auf die Wälder übergriffe. Am Abend des ersten Tages lag noch der süße Gestank vom Tod in der Luft, und erst als alle Leichen verbrannt waren, verschwand er gänzlich, aber danach hatten die Legionäre eine angenehme Zeit gehabt. Die Bäche waren voller Forellen und sie hatten Rebhühner gejagt und aßen und tranken gut und genossen die Zeit, solange das Dorf brannte und sie nichts zu tun hatten.
Später erinnerten sie sich gerne an diesen Feldzug, denn es war sehr schön gewesen in Germanien und sie hatten nicht allzu viel kämpfen müssen und meist nur gegen Bauern, die sich nicht zu verteidigen wussten.

Am Waldrand vor dem Dorf, wo eine kleine Brücke über den Fluss führte, der in einigen Metern Tiefe ganz klar und kühl und silbern vorüberfloss, sodass man seinen algenbewachsenen Grund sehen konnte, hatten sechs Legionäre ein paar überlebende Dorfbewohner gestellt. Sie umzingelten sie am Rand eines Abhangs, der in den Fluss fiel, und fuchtelten nervös mit ihren Lanzen herum und schrieen auf die zwei Männer und zwei Frauen ein, die ihre Mistgabeln und Äxte trotzig hochhielten.
„Werft eure Waffen weg!“, brüllte einer, dessen Gesicht von Narben entstellt war. Die Germanen, obwohl sie nicht verstanden, begriffen doch, was er verlangte und stießen wütend und stolz mit ihren Mistgabeln in die Luft. Da stach der Legionär nach einem Mann, der ausweichen konnte und mit seiner Axt nach dem Angreifer schlug, und das Narbengesicht duckte sich darunter hinweg; und währenddessen hatten die übrigen Legionäre ihre Lanzen an die Bäuche der Dorfbewohner gelegt, sodass ein kleiner Ruck genügte, sie aufzuspießen.. „Wir bringen sie um, wenn ihr eure Waffen nicht hinschmeißt“, sagte der Vernarbte, und die Bauern ließen ihre Werkzeuge fallen.
Der vernarbte Legionär packte eine der Frauen am Arm und sagte: „Ich will euch zeigen, wie man solche Tiere loswird“, und er warf die Frau auf den Boden. „Setz Dich auf ihren Kopf“, befahl er einem Jungen, der viel zu jung schien, um Soldat zu sein, „und halt ihre Arme fest, und Du, halt ihre Beine still“. Die Frau schrie und rang mit dem Soldaten, aber bald ließ ihre Gegenwehr nach, und dann wurde sie still und zitterte nur noch und weinte und spuckte auf die Arme des Jungen, der sich auf sie gesetzt hatte, und die anderen schrieen verzweifelt. Dann kniete der Vernarbte sich neben ihren Füßen hin und zog ihre Sandalen aus. Sie hatte kleine Füße, fast Kinderfüße, Mädchenfüße, die sehr braun waren und sehr hornig, da sie eine Bäuerin war und viel auf dem Feld arbeitete. Er zog sein Messer heraus und legte die Klinge auf ihre rechte Ferse.
„Nein“, sagte der Junge, der auf der Frau saß, „tu das nicht.“ Der Vernarbte schnaubte verächtlich, dann drückte er auf die Klinge, sodass sie sanft in das Fleisch eindrang, und wenig Blut floss, und dann riss er sie ruckartig zurück, und ein dicker roter Spalt klaffte auf, wo er die Ferse durchgeschnitten hatte. Die Frau weinte und schrie, und der Junge sagte tonlos: „Nein. Nein. Nein.“, aber er blieb auf ihr sitzen, bis der Vernarbte die linke Ferse durchgeschnitten hatte. Dann stand er auf, und riss die Frau empor, und aus ihren Füßen schoss das Blut, und er schleppte sie bis zum Abhang, und stieß sie hinab, aber der Fluss war kaum hüfthoch, und sie fiel hinein und saß dort und ihre Beine waren gebrochen und standen in einem merkwürdigen Winkel zum Rumpf und sie weinte und konnte nicht aufstehen und saß dort und weinte. „Nein“, sagte der Junge und starrte auf die kleinen Blutpfützen auf dem gefrorenen Boden, aber er hörte die Frau, die mit zertrümmerten Beinen im Fluss lag und nicht herauskonnte und dann ging er fort. Am nächsten Morgen war die Frau im Fluss tot, erfroren, aber sie hatte die ganze Nacht dort gelegen und der Junge ging nie wieder dorthin zurück.
 



 
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