Jägermeister

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steyrer

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An meinem elften Geburtstag stürmte ich in die Küche und rief: „Was deckt, wehrt und liegt unter, ober, hinter und vor mir?“ Mutter schlug die Hände zusammen: „So jung und schon verdorben!“

„Nein, aber besoffen. Hauch mich an.“ Danach setzte sich Vater und murmelte: „Nüchtern.“

Dabei hatte mir mein Patenonkel Konstantin mit einem solchen Spruch die Karten gelegt, aber fast niemand hörte zu, nur der Pfarrer, aber dem wäre was Unanständiges lieber gewesen. Also ein Rosenkranz. Das Georgel verursachte mir Kopfschmerzen und der süßlich-schimmelige Mief vermischte sich mit dem Weihrauch – bloß nicht umfallen. Ich trank einen Jägermeister und ließ danach die Plastikperlen durch meine Finger gleiten. Ein Rosenkranz dauert eine halbe Stunde, aber ich konnte abkürzen, es war schließlich ein Missverständnis. Zu Beginn der Sommerferien schrieb mein Patenonkel und der Brief steckte eine Woche hinter dem Spiegel. Als ihn Vater dann abends öffnete, sagte er: „Der Irre lädt uns alle ein.“ Vater kippte einen Schnaps und Mutter schluckte Aspirin, aber war mir vor Mathetests nicht auch immer schlecht und was half da? „Jetzt trinkt einen Pfefferminztee und dann ab ins Bett.“

„Und du stehst nur da“, zischte Mutter „knall ihm eine“,

„Ich weiß was Besseres: Den schicken wir zum Konstantin.“

So stapfte ich am nächsten Morgen mit einer riesigen Umhängetasche zur Bushaltestelle. Das Straßenbankett war erst ausgespült und dann zugewachsen, so sank ich mit jedem Schritt etwas ein. Lastwagen pfiffen vorbei, ihr Fahrtwind riss mir die Kappe runter und als ich sie wieder aufhob, war ein Reifenmuster drauf. Ich wartete: Fünf Minuten, zehn, es regnete. „Ich geh wieder heim“. In diesem Augenblick wackelte ein rostiger Bus daher. Auf Mutters Merkzettel verschwamm die Tinte, so sagte ich, zu wem ich wollte. Der Chauffeur fragte: „Zum Verrückten?“ und dann bugsierte ich meine Tasche durch den engen Gang – warum sahen mich alle so seltsam an? Fünfzehn Kilometer weiter war es noch trocken, aber es donnerte schon bedrohlich. Auf der Bank im Wartehäuschen pappten drei halb abgerissene Aufkleber: „Weil nur zu Hause daheim ist: Heimatpartei.“ „Ich fahre sofort heim“, beschloss ich. Bald darauf knatterte ein Moped aus einer Nebenstraße: Es war Raphael, Konstantins vierzehnjähriger Sohn. Ich ärgerte mich: „In fünf Minuten wäre ich weg gewesen.“

„Nö, der Bus kommt immer eine Viertelstunde später. Aber sag, was hast du in dem Riesensack?“ Er riss den Reißverschluss auf: „Für jeden Tag neue Sachen? Bist du verrückt?“ Nach einer Fehlzündung heulte der Motor auf, Staub und Abgase vermengten sich zu einer weißblauen Wolke und bald darauf strömte Regen herunter. Als wir über eine Brücke aus Baumstämmen holperten, flog der Inhalt aus meiner Tasche und ein knurrendes schwarzes Knäuel stürmte heran: „Das ist Schubert!“ Der Pudel hetzte neben dem Moped her und verbiss sich in mein Hosenbein, auch noch als Onkel Konstantin mich auspendelte. Schubert verzog sich danach unter die Küchenbank und Tante Hildegard lieh mir Raphaels alte Klamotten.

Raphael und ich schossen später mit Luftdruckgewehren auf Tauben und klauten Jägermeister und Kondome. Die Kondome waren für Raphael, „wegen den Weibern“, wie er sagte und überhaupt solle es im Nachbartal ein super Puff geben. Onkel Konstantin ohrfeigte ihn eines Abends links und rechts: „Dieses versaute Zeug!“ Ich rätselte: Was soll an diesen lustigen Dingern versaut sein? Aber es gab Wichtigeres und das waren nachts Fliegende Untertassen und ein strahlender roter Adler. Vom Gang erscholl mörderisches Geheule unterbrochen von spitzen Schreien, und es stank fürchterlich. Bald sah ich wie ein Zombie aus und dann roch Tante Hildegard den Jägermeister und verbot mir das Fernsehen.

Einmal, als die Munition ausging, brach Raphael stattdessen eine Packung Schweizerkracher an: „Papa pendelt jetzt das ganze Tal aus. Er sucht nach …“

„Werwölfen? Außerirdischen?“

Raphael sah mich an als hätte ich den Verstand verloren: „Nein, Kraftplätzen“, dann zündete er die Lunte an und warf den Kracher weg. Nach dem Knall jaulte Schubert und Raphael rief: „Den hat’s erwischt!“

Die Ufos kamen jede Nacht näher und einmal fluchte jemand draußen. Ich überlegte: „Vielleicht hilft Musik?“ Der Zeiger verhakte sich jedoch bei Ö1 und so riss ich bei lauter Serenadenmusik die Tür auf, stolperte über Schubert und rannte Raphael um. Der Pudel verkroch sich hinter einem Rhododendron und ich stand fassungslos da: „Ihr zwei Irren seid das?“ Raphael haute mir links und rechts eine runter und begutachtete dann seine zerrissene Pyjamahose: „Kein Wunder, dass Mama brüllt, sie sagt, sie dreht sonst durch.“ In diesem Augenblick ertönten wieder zwei spitze Schreie.

Nachts jaulte ich also mit Schubert um die Wette, denn vor Irren, sagte ich mir, haben auch Ufonauten Respekt. Eine Woche später fuhr uns Onkel Konstantin mit seinem Käfer ins Kino und bald darauf gerieten wir in dichten Nebel. Es stank wie nachts und dann erschienen rechts schwelende schwarze Haufen: „Kohlenmeiler!“ erklärte der Onkel, „das ist Geschichte.“ Raphael verdrehte die Augen und tippte sich an die Stirn. Als wir in Rotenöd einfuhren zeigte er nach links: „Da ist das Puff.“ Erwartet hätte ich einen babylonischen Turm, aber dieser Flachbau mit dem Schild „Ganymed“ sah wie eine Lagerhalle aus. Im Kino gab es einen Kinderfilm, aber im Foyer klebten Plakate der Abendvorstellung: „Sie holen dich. Jetzt!“ Als wir zurückfuhren, war es schon finster, aber beim Ganymed warfen zwei Laserstrahler einen roten Adler und rote Scheiben an den Himmel. Ich flippte aus: „Das Puff, hurra! Es ist das Scheißpuff!“ Onkel Konstantin knallte vor Schreck in den Vorderwagen.

Sechs Wochen später fühlte ich mich schon dreimal besser und Tante Hildegard schenkte mir Raphaels alte Klamotten. Onkel Konstantin legte ein keltisches Kreuz und prophezeite, ich würde doch noch etwas Ordentliches und danach fuhr mich Raphael zur Bushaltestelle. Daheim wollte ich Onkel Konstantins Prophezeiung verkünden, aber nur deshalb saß ich in der Kirche und konnte meinen Geburtstag vergessen.

Am Kirchenplatz zündete Vater eine Zigarette an: „Na, hast du fleißig bereut?“ So etwas konnte es doch nicht geben, fand ich, nein, das war unmöglich. Also erklärte ich alles und sagte dann noch einmal mein Rätsel auf. Vater fiel die Zigarette aus dem Mund und Mutter ohrfeigte mich.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

interessant und liest sich gut.
das rätsel konnte ich nicht lösen - was deckt usw. klärst du mich auf?
unter Straßenbankett würde ich ein festmahl mitten auf der straße verstehen. du meinst sicher das straßenbett.
Puff ist männlich, muss also heißen der Puff und nicht das Puff. aber ist vielleicht in jener gegend umgangssprachlich.
bitte mehr davon.
lg
 

steyrer

Mitglied
Hallo @flammarion!

Danke für Dein positives Feedback. :) Aber gleich zu den Fragen:

das rätsel konnte ich nicht lösen - was deckt usw. klärst du mich auf?
Gerne. Sogar schon im dritten Absatz, da steht zu Beginn: Dabei hatte mir mein Patenonkel Konstantin mit einem solchen Spruch die Karten gelegt, ...

Jetzt zum vermeintlichen Festbankett:

unter Straßenbankett würde ich ein festmahl mitten auf der straße verstehen. du meinst sicher das straßenbett.
Der Duden meint dazu: 2}Ban|kẹtt, das; -[e]s, -e, Ban|kẹt|te, die; -, -n <franz.> ([unfester] Randstreifen neben einer Straße)
© Duden - Die deutsche Rechtschreibung, 25. Aufl. Mannheim 2009 [CD-ROM]

Alternativ auch dieser Link: http://www.hansegrand.eu/de/strassenbankette.shtml

Ich wohne am Land und habe daher häufig mit Straßenbanketten zu tun. Meistens ist es kein Fest darauf spazieren zu gehen.

Weiter:
Puff ist männlich, muss also heißen der Puff und nicht das Puff. aber ist vielleicht in jener gegend umgangssprachlich
In meiner Gegend (Oberösterreich) heißt es tatsächlich nur das Puff, aber der Begriff ist ja überhaupt nicht hochsprachlich. Die Sprachbibel vermerkt dazu: 3}Pụff, der, auch das; -s, -s (ugs. für Bordell)

Viele schöne Grüße
steyrer
 



 
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