Kadaverparty

4,00 Stern(e) 3 Bewertungen
“Mike’s Last Station”. Die Schrift prangte in silbrigen Lettern über dem Geschäftslokal nahe beim Wiener Zentralfriedhof. Das ist der Friedhof, der halb so groß ist wie Zürich, aber dafür doppelt so lustig. Ich nahm meinen iPod aus den Ohren, drehte „Der Herrgott muss ein Wiener sein“ leiser, öffnete die Tür und prallte zurück.

Drinnen lag in einem gläsernen Designersarg Michi, mein alter Freund, und blätterte seelenruhig in einem Magazin mit Abbildungen leicht beschürzter Fräuleins.

„Du, was machst Du denn hier?“ Ich starrte Michi leichenblass an. Mit allem hatte ich gerechnet, mit Kerzenhaltern, sakraler Stimmung, meinetwegen auch mit weiblichen Leichenträgern, aber nicht mit Michi in einem Glassarg ruhend. Noch dazu pietätlos mit einem Pornoheftchen in den Händen.

„Grüss’ Dich, mein Lieber. So eine Überraschung!“ Michi wand sich behände aus dem Sarg, wackelte wie ein Zombie mit ausgestreckten Armen auf mich zu, um unvermittelt vor mir stehen zu bleiben, so als ob eine blitzschnell einsetzende Leichenstarre in seine Glieder gefahren wäre. Er sah mich besorgt an.

„Aber was ist denn? Du schaust ja so blass aus?“ Michi tätschelte mich an der Wange, trat um mich herum und ich hörte, wie er ein Maßband aus seiner Brusttasche zog, an mich anlegte und etwas in ein Heftchen kritzelte.

Meine Kiefersperre lockerte sich. „Wer würde nicht blass?“ Der kalte Schweiß ran mir runter. „Zuerst sehe ich jemand im Sarg liegen und dann erkenne ich, dass Du es bist. Da soll ich keinen Schock erleben?“

Ich kam langsam wieder zu Kräften und drehte mich misstrauisch zu ihm um. Michi ließ blitzschnell Maßband, Notizblock und Griffel hinter seinem Rücken verschwinden.

„Aber geh?“ Er lächelte mir zu.

„Kannst Du mir mal erklären, was das hier ist?“ Ich wies auf den zufällig neben mir stehenden, penisförmigen Kerzenhalter.

„Wenn Du mir sagst, was Du am helllichten Tag in einem Leichenbestattungsunternehmen suchst?“ Er schob den Kerzenhalter hinter einen Vorhang.

Michi hatte mich an meinem wunden Punkt erwischt. Ich bohrte verlegen in meiner Nase und stammelte: „Na ja, man wird doch nicht jünger. Kürzlich ist mir ein kleines Missgeschick zugestoßen, nichts Ernstes, aber immerhin ernst genug, sodass ich mich…“

„Lass mich raten.“ Er unterbrach mich forsch, kicherte vor sich hin und hob an. „Du hattest einen Unfall? Du wolltest einem Kind ausweichen, und bist vom Sofa gefallen.“ Er gackerte hemmungslos drauflos.

„Blödsinn!“ Wieder einer seiner kindischen Witze. Außerdem kannte er den von mir. Wenn ich nicht wäre, hätte er ja gar keine guten Witze. Ich versuchte ihn von seinen Blödheiten abzulenken und hob theatralisch an:

„Ich fühlte mich nicht wohl und habe mir durch den Kopf gehen lassen, was wohl sein wird, wenn ich mich nicht mehr vom Krankenbett erheben kann. Wer würde sich um meine Beerdigung kümmern? Wer meine Hinterbliebenen verständigen? Wer würde meine Winterreifen wechseln?“ Michi nickte verständnisvoll.

„Immerhin…“, ich hob mein Bein, zog Schuh und Socken aus und hielt es ihm hin, „…hatte ich einen eingewachsenen Zehennagel gehabt, und das kann schnell gehen. Eiter, Blutvergiftung, Zehenamputation, Fuß ab, zweiter Fuß ab, geschwollene Lymphdrüsen, Blindheit, Herzrhythmusstörungen, Haarausfall, und kaum versieht man es sich, gerät auf einmal alles außer Kontrolle und man sieht dem Herrgott ins Angesicht.“

„So wie der Fuß riecht, ist der eh schon gestorben…“

„Sag mir lieber, was Du hier machst? Bist Du etwa unter die Leichenbestatter gegangen?“

„No na, Hebamme werde ich geworden sein.“ Er griff sich pathetisch an die Brust, marschierte schnurstracks hinter den gläsernen Sarg und verschwand dort. Ich beugte mich drüber, aber da tauchte er schon wieder auf und hievte einen dicken Ordner hervor.

„Das…“, er hielt inne, „…das sind die neuesten Hypes im Business.“ Ich warf einen Blick in den Katalog.

„Hier, ein Hightechsarg mit Internetanschluß, LCD-Bildschirm und eingebauter Minibar.“ Ich war verblüfft. „Oder hier, Du lehnst Dich gerade daran an, das hippste Teil seit den wackelarschigen Nonnenpuppen für handgeschaltete Rollstühle: Unser Glassarg Model Snowpiercing mit eingebauten Apple.“ Er gaffte mich wartend an.

„Wer braucht denn als Toter Internetanschluss oder Apples?“

„Geh, Depperl. Du glaubst ja nicht, dass wir das an Tote verkaufen? Die ganze Gothikszene, Du weißt schon, die ungesund blassen Mondgesichter mit den schwarzen Gewändern und dem umgehängten Christbaumschmuck, bei denen fährt das voll ein.“ Seine Zunge schnalzte verächtlich.

„Aber natürlich kaufen bei mir auch wirkliche Tote. Also meistens, bevor sie tot sind. Die kommen her, suchen sich einen bequemen Sarg aus – ich lass sie auch probeliegen – und nehmen meistens dann noch das Gesamtpaket hinzu.“

„Aha, was ist ein Gesamtpaket?“

„Performance, ein rappender Hiphop-Pfarrer, eine Kadaverparty mit Büffet, Rave Party mit den Friedhofsschlampen und so.“ Michi fummelte im Katalog herum.

„Kadaverparty, Hiphop-Pfarrer, Friedhofsschlampen? Was soll das alles sein?“

„Na unsere Kunden buchen eine Band wie etwa die Höllischen Vampire Sisters, die nicht nur gut aussehen“, er zeichnete üppige frauliche Körperformen in der Luft, „sondern am Grab noch einen Totentanz steppen, der sogar Tote aufweckt. Also fast aufweckt, sonst würde ich mir ja das Geschäft ruinieren. Der Pfarrer rappt einige sozialkritische Verse, und dann laden wir ein zum Leichenschmaus – wir nennen das Kadaverparty, und für die Witwen besorgen wir noch einen Witwentröster, meistens einer von den gerade durchreisenden Chippendales oder zur Not einen verhungernden Schriftsteller. In ihrer Trauer nehmen Witwen ja alles.“ Er grinste dreckig.
„Wir haben halt ein bisserl Sex rein gebracht, um Beerdigungen cooler zu machen! Der stärkste Gig seit der Geburt.“

„Und wegen all dem blätterst Du in diesem Pornoheftchen herum?“ Ich deutete auf das Magazin mit den leicht bekleideten Fräuleins.

„Das ist professionelles Interesse, mein Lieber.“ Er klang gekränkt. „Ich muss doch wissen, welche Maße meine Kunden haben könnten.“ Michi ließ das Magazin in der Schreibtischlade verschwinden.

„Wie sieht’s also mit Dir aus? Interessiert an einem speziellen Modell?“ Sein musternder Blick berührte mich peinlich.

„Wenn ich mir’s recht überlege, bin ich noch zu jung.“

„Glaubst Du!“ Sein Blick streifte mich maßregelnd. „Man kann nicht früh genug vorsorgen. Gestern kam einer rein, jung und gesund wie Du. Und heute…

„…und heute?“

„Einen Tag älter. So schnell geht das. Aber lassen wir das. Hier, ich mach’ Dir ein Angebot.“ Seine Finger rasten durch den Katalog, stoppten abrupt und er ratterte drauflos.

„Model ‚Old Buddy’ für den besten Freund. Inkludiert darin sind Kadaverparty und Witwentröstung – was, keine Witwentröstung? – OK, dann keine, und wenn Du von Montag bis Freitag stirbst, dann kann ich Dir 20% Rabatt geben, weil dann brauch’ ich keinen Wochenendzuschlag zahlen. Die Piercing Sisters sind nämlich echte Blutsauger.“

„Ich, äh, bin mir noch nicht sicher. Klingt verlockend, aber…“ Mir wurde heiß, der Schweiß rann mir den Rücken runter und gnatschte in meinen Schuhen. Aber Michi fuhr unbeirrt geschäftstüchtig fort.

„Und weil Du es bist, kann ich Dir noch Familienrabatt geben. Für die ersten 2 Freunde oder Verwandte, gibt’s einen Anwerbebonus von jeweils 20%. Sobald Du fünf Neukunden geworben hast, bekommst Du Dein Begräbnis gratis und eine Luxusleichenwäsche obendrein. Da schwebst Du so gut duftend in den Himmel, als ob Du gerade aus dem Puff kämst. Na? Ist das nix?“

Er knuffte mich verschwörerisch in die Rippen, kramte aus dem Leichenkühlschrank hinter sich eine Flasche des berüchtigten Stammersdorfers Heckenklescher aus und füllte zwei Totenkopfbecher randvoll an.

„Zum Wohl. Auf ein kurzes Leben!“ Wir stießen an, während mein Blick am Leichenkühlschrank hängen blieb.

„Sind die wirklich so schmal, diese Kühlschränke?“ Ich sah an mir runter. Unten Speckfalten, oben Stirnrunzeln. Waren wohl doch zuviel Schnitzel in letzter Zeit gewesen.
„Wie soll jemand so Normalgewachsener wie ich als frisch Verstorbener in diesen Kühlschrank passen?“

„Keine Problem!“ Michi strahlte geschäftstüchtig, zog einen anderen Ordner heraus und öffnete ihn. „Hier habe ich das nächste Angebot für Dich: Sportlerintensivkurs. Damit bringen wir Dich in Form. Du wirst noch nie gesünder ausgesehen haben, als auf Deiner Beerdigung.“
 

Gorgonski

Mitglied
Hallo Marius,

Eine leicht verdauliche (das darf man doch schreiben, oder?) Geschichte mit einem gut pointierten Ende.

Fehler:
Der kalte Schweiß [strike]ran[/strike] rann mir runter

MfG; Rocco
(war mir sieben Punkte wert)
 



 
Oben Unten