Karnevalsperücken

Aspartam

Mitglied
Der Sohn kam aus der Schule und krächzte. „Ich brauche ein Kostüm.“ „Haben die anderen Kinder eine Verkleidung?“, grinste ich. Tom zuckte nur mit den Achseln und warf seine Tonne in sein Chaoszimmer. „Ausgehfertig bist Du bereits, dann können wir sofort losfahren“, entschied ich. „Wir beschaffen Dir ein Kostüm, viel Geld haben wir aber nicht. Es ist Monatsende. Wenn wir keins finden, gehst Du als Mädchen! Welcher Junge außer Dir wäre in Deinem Alter schon dazu in der Lage?“ bestimmte ich, fragte ich.

Im Hannibalcenter eilten wir in einen kleinen Schreibwarenladen. Tatsächlich, ich staunte, dort gab es eine Fülle Karnevalsartikel . Indianer, Prinzessinnen, Lilaweißkühe einer bekannten Schokoladenfirma, Feuerwehrmänner, Polizisten und eine Puppenprinzessin hingen dort in vielfacher Ausführung an den improvisierten Ständern. Viel interessanter aber waren diese zwei Lang- sowie Falschhaarperücken für 9 und 12 Euro. Sie ähnelten sich zwar in ihren Frisuren, dennoch nicht in ihren Farben Lila und Braun. Als das Kind schon wie eine kleine Lady vor dem Spiegel poussierte und posierte, ergriff ich beim Wühlen „das“ Accessoire zur perfekten Kombination mit der braunen Kunsthaarpracht. Dieses Ding würde zu einem unübertrefflichen Karnevalserfolgskostüm verhelfen: eine kleine häßliche Monstermaske, den Orkfratzen aus einem „Herr-der-Ringe-Film-Teil verdächtig ähnlich seiend, sehend.

Nach zweistündigem Hin und Her stand es nun endlich fest, mein Süßer wird am Freitag in seiner Schule als Orkmonster mit Haaren bis in die Kniekehlen auflaufen. Um sehr, sehr böse auszusehen, erklärte er sich sogar bereit, sich selbst um den Rest des Kostüms zu kümmern, schließlich fehlte noch ein muskelbetonendes Kleidungsensemble aus Oberteil und Hose.

An der Kasse stehend, bangte ich. Hatte ich denn genug Geld für gleich zwei Perücken und eine Maske dabei? Die Lilalocken musste ich neben den nötigen Utensilien fürs Kind schließlich unbedingt für mich ergattern. Insgesamt lagen wir mit allem, was wir brauchten bei 35,02 Euro. Ich trug 20 Euro im Portemonnaie, Tom lieh mir 15 Euro, es fehlten? Zwei Cent!
So kramte ich wild in allen Taschen, die meine Kleidung hergab, nach Münzen. Ich konnte nichts, aber auch gar nichts Kreisförmiges ertasten. Die Kassiererin glotzte geistig abwesend in die Ferne. Nein, sie machte keinerlei Anstalten, mit einer großzügigen Handbewegung einen Zweicenterlass zu signalisieren. Der Schweiß perlte schon auf meiner Stirn, besonders aber unter meiner Brust. „Sie!“, die Kassendame, riss mich mit schriller Stimme aus dem Kramen: „Wenn sie es nicht passend klein haben, dann müssen sie mir Scheine geben!“

„Ach nee!“, dachte ich, wusste aber genau, dass wenn ich ihr meinen Hundert-Euro-Schein für absolute Notfälle und Reserven, versteckt in der unscheinbarsten Ecke meiner Geldbörse und bis hierher sogar dem zukünftigen Karnevalsmonster wie auch der Leserschaft verschwiegen, geben würde, würde sie ihn in kleine Scheine zerhackstückeln und er wäre schneller zerronnen als ich „Stopp“ sagen könnte, nämlich für Nippes, das an jeder Ecke meine Kaufbedürfnisse befriedigen könnte. Sie kennen das ja, meine Damen und Herren? Nicht wahr?

Die Warteschlange hinter mir wurde immer länger. Ich ertastete eine Münze. Hoffentlich ein ist es ein Zweicentstück. Mist! Das Eincentstück klebte in meiner Jackeninnentasche am kürzlich ausgelutschten Kaugummi, das aus seiner, eigenhändig von mir übergezogenen Schutzhülle (gefundene Zigarettenschachtelfolie) hinausquillte und winzige Fäden zog, fest. Jetzt war mir selbst das egal, die da wollte schließlich das Geld einkassieren.

In meiner Verzweiflung fragte ich den Herren hinter mir, ob er mir nicht mit einem Cent aushelfen könne. Der antwortete so schnell, als hätte er schon an eine Hilfestellung seinerseits gedacht: „Ich hätte da fünf Cent.“ Dankend drückte ich ihm den Klebecent in die Hand. Die Angestellte an der Kasse bekam den Fünfer und legte zum Tausch einen Zweier auf die Ladentheke. Den schob ich sodann zum Helferlein weiter. Die Kassendame fragte, ob sie mir schon eine Tüte gegeben habe. Ich sagte: „Ja, da liegt sie doch. Ich bekomme aber noch einen Cent von ihnen.“ Sie schabte in der Kasse und zahlte den letzten Cent aus, den ich wiederum zum Hintermann weiterreichte. Endlich war die Angelegenheit geregelt.
Hastig packte ich die Karnevalsklamotten ein und wollte nur noch schnell den Laden verlassen, damit ich nicht länger die ungeduldigen Blicke der tausendaugigen, aber mindestens hundertaugigen Kassenschlange auf mir lasten spüren musste. Draußen schob ich die Wechselgeldscheine in meine Geldbörse und gab dem Knaben die Einkaufstüte. Er fragte: „Hast Du gar nicht bezahlt?“ und zeigte auf die Hand in meinem Portmariechen. Ich schaute nun genauer hin, sah, was Tom sah, und ich dachte nach, und ich rechnete, und ich antwortete dann: „Doch, ich zahlte einen Cent, stimmt das denn,- das stimmt doch gar nicht. Staunte: „Ich bekam einen Cent zum Geschenk!“ Flüsterte: “Hier fahren wir jetzt immer für 35 Euro „Eink(l)aufen“. Komm schnell ins Auto!“
 
Zuerst mal herzlich willkommen im Forum und dass Du Dich hereinwagst in die Höhle der Löwen.

Der Text und das Setup gefallen, allerdings ist das Ende "sperrig". Ich musste ihn zweimal lesen, damit ich erkannte, wie er *nicht* bezahlte. Irgendwie "verschluckt" sich die Pointe in der Camouflage.

Servus

Marius
 

Aspartam

Mitglied
Ja, ich dachte auch lange über das Ende nach. Es stellt sich mir die Frage, ab wann Leser und Leserin denn verstehen, dass nicht bezahlt wurde. Wie kann ich es besser machen?
 
Ich glaube, dass man das im Text gar nicht "retten" kann. Die Geschichte funktioniert vermutlich nur als gespielte Sketchnummer.

Dann allerdings würde ich den Teil sogar ausbauen, dass es noch komplizierter wird und dass die Geldscheine & Münzen mit grosen Gesten deutlich sichtbar herumgereicht werden. Totale Konfusion ist angesagt, aber doch so, dass das Publikum folgen kann.

Marius
 
K

KaGeb

Gast
Stimmt, Aspartam, da gebe ich Marius recht. Zuerst verstand ich gar nichts, erst später.

Ich würde das Setting mit dem Geld mathematischer formulieren.
Ein Hin-und her, schön untereinander schreiben für die Nachvollziehbarkeit. Vielleicht Papi, der alles mit Absicht "verwuselt", konfzus macht, um die Kassiererin (mit Erfolg) zu linken.
Dann könnte Dein Prot. lächelnd aus dem Laden gehen. Vielleicht ruft der Sohnemann, eigentlich nicht der Hellste, kurz vor dem Ausgang dann: Du hast wohl gar nichts bezahlt?

Nur so eine Idee ...

Gruß, KaGeb
 

Aspartam

Mitglied
Stimmt, Aspartam, da gebe ich Marius recht. Zuerst verstand ich gar nichts, erst später.
Mist! Ich hatte es mir doch fast gedacht! Es ist total unverständlich.

Ich würde das Setting mit dem Geld mathematischer formulieren.
Ein Hin-und her, schön untereinander schreiben für die Nachvollziehbarkeit.
Gute Idee.

Vielleicht Papi, der alles mit Absicht "verwuselt", konfzus macht, um die Kassiererin (mit Erfolg) zu linken.
Dann könnte Dein Prot. lächelnd aus dem Laden gehen. Vielleicht ruft der Sohnemann, eigentlich nicht der Hellste, kurz vor dem Ausgang dann: Du hast wohl gar nichts bezahlt?


Auch das ist eine gute Idee. Ich denke darüber nach.

Leider würde dann allerdings auch aus einer wahren Geschichte eine teilerfundene. Der Protagonist ist übrigens eine Mutter. Ich finde es lustig, dass sie von den Herren hier nicht erkannt wird. Geht beim Lesen jeder von seinem eigenen Geschlecht aus?


Vielen Dank, Kaleb, Deine Vorschläge ersehe ich als konstruktiv.
 



 
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