Löwe aus Stein

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Harmonika

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Hallo liebe Mitschreiber!
Ich heiße Harmonika, bin fünfzehn Jahre alt und neu hier in der Leselupe. Ich habe auch gleich eine Geschichte reingestellt, schreibt mir doch bitte, was ihr davon haltet.
Viel Spaß beim Lesen!



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Löwe aus Stein



Als er aufsah, merkte er, dass über dem Gebirgsrand schon ein Schimmern und Strahlen zu sehen war. Die Sonne ging auf. Augenblicklich hatte er wieder dieses Gefühl, als würde er unter einem eisigen Wasserfall stehen. Er blickte seine Hände an. Sie wurden dunkler und dunkler, bekamen die Farbe von Kohle und Erde. Er spürte, dass er sie nicht mehr bewegen konnte. Dann, als der große Feuerball ganz am Himmel stand, war an der Stelle, an der er gesessen hatte, nur noch Erde....

Nele blickte auf ihre Uhr. Zehn Minuten vor zwölf. Ihr Bus würde erst um zwanzig nach zwölf hier sein. Sie veränderte ihre Haltung. Auf den kalten Treppenstufen war es unbequem. Ihr gefiel es hier nicht. Der Bahnhof wirkte heute kalt und unheimlich. Außer ihrem Nahverkehrszug hielt hier nur noch jeden Morgen um acht ein alter, graublauer Zug, in den nur wenige Leute einstiegen. Deshalb war es hier auch so still. Der Bahnhof lag von dem Ort abgetrennt. Hier gab es keine Geschäfte mehr, nur diesen alten Keramikladen. Ein leichter Wind blies alte Zeitungsfetzen über den Bahnhofsvorplatz.
Nele hatte den Inhaber des Ladens nie gesehen. Sie wunderte sich, dass jemand in dieser Gegend Keramikgegenstände verkaufen wollte. Hierher kam doch nie ein Kunde. Wahrscheinlich hatte sich seit Wochen niemand um den Laden gekümmert, denn die Steinfiguren vor dem Geschäft waren mit Moos überwachsen. Der ebenerdige Flachbau, in dem das Geschäft untergebracht war, erhob sich in einem umzäunten Hof mit einem großen, schwarzen Tor, das immer offen stand. Vor dem Gebäude waren viele Steinfiguren ausgestellt: Tiere, Menschen und Springbrunnen oder reich verzierte Bänke. Neben den rotbraunen Treppenstufen, auf denen sie saß, stand ein einzelner, steinerner Löwe.
Nele brauchte eine Weile, bevor sie die richtige Zeile wiedergefunden hatte.

Sheia hatte ihm den Rücken zugedreht. Sie wollte seine Verwandlung nicht mit ansehen. Nachdem die Sonne ganz am Himmel stand, drehte sie sich um. Aeva war verschwunden. Wie jeden Tag. Es gehörte zu seinem Leben, dass er sich jeden Tag in Erde verwandelte. Sheia wusste genau, sie würde das nie überleben können. Aeva konnte nie die Schönheit des Tages kennenlernen. Aber er war es auch gewohnt.
„Ich hoffe, wir sehen uns wieder, Aeva,“ sagte sie leise. Dann....




Ein heftiger Windstoß verblätterte ihr die Seite. Nele klappte das Buch schnell zu. Die Seiten waren schon halb zerfleddert und sie wollte nicht, dass das ganze Buch zerriss. Sie hasste das herbstliche Wetter. Vor ein paar Tagen hatte es ununterbrochen geregnet. Dann wurde es ein wenig besser, falls man das so nennen konnte. Es war immer noch bewölkt, aber zumindest regnete es nicht schon wieder. Das Buch durfte nicht nass werden. Nele las gerne, am liebsten Phantasiebücher. Diese Vorliebe ging sogar schon so weit, dass sie ihre Bücher mit ihn die Schule nahm. In den Pausen und während der Zugfahrt hatte sie immer Gelegenheit zum Lesen.

Dann lief sie in den Wald.
Der Mond stand schon hoch am Himmel, als Aeva erwachte. Die Wärme durchfloss ihn und schenkte ihm neue Kraft. Er fühlte sich wie neugeboren. Und das war er ja auch. Seine Haut wurde heller und heller. Als die Verwandlung beendet war, breitete er seine Schwingen aus und flog davon.....


Nele drehte sich um. Hatte sich nicht eben hinter ihr etwas bewegt? Ihr Blick fiel auf einen großen, majestätischen Steinlöwen. Es gehörte zu seinem Leben, dass er sich jeden Tag in Erde verwandelte... Gab es wirklich solche Wesen? Nele berührte den Steinlöwen vorsichtig an der Tatze. Sie war kalt. Der Löwe bewegte sich nicht. Was hatte sie denn erwartet? Dass er aufstehen und laut brüllen würde? Sie glaubte doch nicht etwa an diese Geschichte? Sie war sich nicht sicher.
Angenommen, der Löwe war tatsächlich lebendig und nur tagsüber eine Steinfigur, so würde das in dieser menschenleeren Gegend niemand bemerken. Und wo würde ein steinerner Löwe weniger auffallen, als in einem Keramikladen? Sie dachte darüber nach, was Sheia gedacht hatte. Er kann nie die Schönheiten der Welt erleben.... Langsam begann sie, das Moos von der Mähne des Löwen zu kratzen...
Ihre Uhr zeigte zwanzig nach zwölf. Sie richtete sich auf und kramte die Fahrkarte aus ihrer Tasche. Genau in diesem Augenblick fuhr ihr Bus vor. Nele steckte das Buch ein, hob ihre Schultasche auf und stand auf. Als sie in den Bus einstieg, hörte sie hinter sich ein lautes Grollen.

Der nächste Morgen war windig und kalt. Nele wartete auf ihren Bus. Er erschien pünktlich. Froh über seine Ankunft stieg Nele ein. Was wäre nur, wenn sie bei dem Wind zum Bahnhof laufen müsste? Sie suchte sich einen freien Platz und setzte sich. Der Bus fuhr weiter zum Bahnhof.
Nele packte ihr Buch aus. Sie kam gerade dazu, eine Seite zu lesen, bevor der Bus hielt. Immer noch lesend stieg Nele aus. Ein plötzlicher Windstoß wehte ihr das lange Haar ins Gesicht. Nele hob den Kopf und strich es sich zurück. Dabei fiel ihr Blick auf den Keramikladen.
Sie konnte den Löwen nicht mehr entdecken.

©Harmonika
 
Die Geschichte gefällt mir ausgesprochen gut, sehr märchenhaft.
Einziger Verbesserungsvorschlag wäre, das ganze weiter auszuführen, aber wenn ich es mir recht überlege, gefällt es mir gerade in dieser Länge gut.
Es hat auf jeden Fall sehr viel Spaß gemacht, den Löwen aus Stein zu lesen.

Bis bald,
Michael
 

Harmonika

Mitglied
Vielen Dank für euer Feedback und für das Lob! Ich habe mich besonders gefreut, weil diese Geschichte schon etwas älter ist. Ich habe sie ungefähr vor zwei Jahren geschrieben, als ich dreizehn war. Ich werde auch noch diesen Wochenende einen neuen Text posten. Er wird "Das Fresstierchen" heißen. :D

Viele liebe Grüße,
eure Harmonika :)
 



 
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