Man ärgert sich

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zarah

Mitglied
Man ärgert sich

Er ärgerte sich wieder einmal und wie so oft, wollte er seine Mitmenschen ohne groß Worte zu verlieren, daran Anteil haben lassen.

Sie stand, eine Brotdose abtrocknend, in einiger Entfernung an der Spüle und betrachtete ihn, wie er da am Küchentisch saß und so vehement Brote mit Margarine bestrich, dass es schien, als wolle er diese dafür bestrafen, dass der Morgen nicht so angefangen hatte, wie es ihm genehm gewesen wäre.

Nach jahrelanger liebevoller Fürsorge mit morgendlichem Schonpro­gramm für ihren Gatten, hatte sie doch vor einiger Zeit einfach aufge­hört, ihm morgens das Frühstück an´s Bett zu bringen, sich darauf beschränkt, den Kaffee für ihn aufzusetzen, und zwar - das war vielleicht das ärgerlichste - ohne ihn vorher zu fragen, ob es ihm auch recht so sei.
Neuerdings verlangte sie sogar, dass er früher aufstehen solle, um mitzuhelfen, das Frühstück für die Kinder zu bereiten; und auch hier wieder, ohne dass sie bereit gewesen war, ihm irgendein Mitbestimmungs­recht einzuräumen. Sie hatte nur gesagt, dass sie das nicht mehr alleine erledigen würde. Punkt.
Seinen Einwand, er könne sich mit der allmorgendlich auftretenden Beule in seiner Schlafhose unmöglich in der Küche zeigen, hatte sie unsensibel mit der Bemerkung beiseite gewischt, er solle die Aufsehen erregende Schwellung dann eben beizeiten behandeln – irgendwie - oder sich halt eine Jeans anziehen.

An diesem Tag hatte sie ihn nicht ordnungsgemäß geweckt; vergessen, den Kaffee für ihn aufzusetzen; die bevorzugte Sorte Wurst war nicht vorrätig; das Brot war vom Vortag; und dann war ihm auch noch auf dem Weg zum Kühlschrank unvorsichtiger­weise ein Kind in den Weg gelaufen. Genug gute Gründe also, sich zu ärgern.

Weiber und Kinder: das braucht natürlich jeder ernstzunehmende Patriarch – aber doch nicht schon um diese Uhrzeit! Und erst recht nicht gezwungenermaßen.

Mit jeder weiteren Person, die in die Küche eintrat, verfinsterte sich sein Gesicht um einen Grad. Es schien ihr fast, als wollten sich seine Augen bis zum Anschlag in die Höhlen zurückziehen – sie musste plötzlich an Katapulte denken; seine Lider verengten sich zu Schlitzen und wirkten wie Schießscharten in steinernem Gemäuer; die beiden Falten, die rechts und links von der Nase zu den heruntergezogenen Mundwinkeln hin verliefen, könnten Schützengräben sein, die Bartstoppeln Stacheldraht, fiel ihr noch dazu ein.

Jetzt senkte er den Kopf, ließ eine Zornfalte auf seiner Stirn erscheinen, zog so die Luft durch die Nase, als wolle er ein Vakuum im Raum erzeugen, hielt sie für zwei Sekunden in seinen Lungen an und ließ sie dann, ohne den Mund dabei zu öffenen, mit einem Geräusch entweichen, welches sich nur schwer beschreiben lässt, irgendwie ein Gemisch aus knurrend, rumpelnd, brodelnd und blubbernd, als wolle er einen Vulkan kurz vor dem Ausbruch darstellen.

Wenn er könnte, würde er seinen Ärger sicher gerne materialisieren und als Warnung an alle über seinem Haupt schweben lassen, vielleicht als Feuersäule oder mindestens mal schwarze Rauchwolke, dachte sich sich, während sie dem Schauspiel folgte; wenn er Hufe hätte, würde er vermutlich gleich damit aufstampfen und schnaubend den Küchenboden aufkratzen.

Obwohl das grün-gelb karierte Geschirrtuch in ihrer Hand nicht die geringste Ähnlichkeit mit einer Muleta hatte, kam ihr doch unweigerlich in den Sinn, es sich eben mal neben die Hüfte zu halten, ein wenig damit zu wedeln und “Toro!” in die Richtung ihres Mannes zu rufen.
Doch sie drehte sich nur für einige Sekunden zur Spüle um, damit er das Grinsen nicht sehen konnte, welches sich bei diesem Gedanken in ihr Gesicht geschlichen hatte.

So ein dramaturgisch wertvoller Auftritt und dann wird gelacht? Nein, das wäre eine ungeheuerliche Provokation gewesen! Also lieber nicht.

Stattdessen nett lächelnd die Kinder verabschiedet, dann ganz schnell in die Jacke geschlüpft, die Autoschlüssel gegriffen und nichts wie weg zur Arbeit. Doch halt! Ein kleiner Abschiedskuss der formhalber schien ihr angebracht, sonst würde die Szene womöglich am Abend ihre Fortsetzung finden. Also einen kurzen Abstecher zu dem Mann am Ende des Küchentisches gemacht, ein schnelles Küsschen auf die Wange, ein “Tschüß bis heute abend”, kurzes Lächeln und Abgang.

“Toro!” wäre sowieso viel zu schmeichelhaft gewesen, fand sie.

Hornochse. Mit diesem Wort im Kopf verließ sie das Haus und als die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, atmete sie erleichtert auf.
 

zarah

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Man ärgert sich

Er ärgerte sich wieder einmal und wie so oft, wollte er seine Mitmenschen ohne groß Worte zu verlieren, daran Anteil haben lassen.

Sie stand, eine Brotdose abtrocknend, in einiger Entfernung an der Spüle und betrachtete ihn, wie er da am Küchentisch saß und so vehement Brote mit Margarine bestrich, dass es schien, als wolle er diese dafür bestrafen, dass der Morgen nicht so angefangen hatte, wie es ihm genehm gewesen wäre.

Nach jahrelanger liebevoller Fürsorge mit morgendlichem Schonpro­gramm für ihren Gatten, hatte sie doch vor einiger Zeit einfach aufge­hört, ihm morgens das Frühstück an´s Bett zu bringen, sich darauf beschränkt, den Kaffee für ihn aufzusetzen, und zwar - das war vielleicht das ärgerlichste - ohne ihn vorher zu fragen, ob es ihm auch recht so sei.
Neuerdings verlangte sie sogar, dass er früher aufstehen solle, um mitzuhelfen, das Frühstück für die Kinder zu bereiten; und auch hier wieder, ohne dass sie bereit gewesen war, ihm irgendein Mitbestimmungs­recht einzuräumen. Sie hatte nur gesagt, dass sie das nicht mehr alleine erledigen würde. Punkt.
Seinen Einwand, er könne sich mit der allmorgendlich auftretenden Beule in seiner Schlafhose unmöglich in der Küche zeigen, hatte sie unsensibel mit der Bemerkung beiseite gewischt, er solle die Aufsehen erregende Schwellung dann eben beizeiten behandeln – irgendwie - oder sich halt eine Jeans anziehen.

An diesem Tag hatte sie ihn nicht ordnungsgemäß geweckt; vergessen, den Kaffee für ihn aufzusetzen; die bevorzugte Sorte Wurst war nicht vorrätig; das Brot war vom Vortag; und dann war ihm auch noch auf dem Weg zum Kühlschrank unvorsichtiger­weise ein Kind in den Weg gelaufen. Genug gute Gründe also, sich zu ärgern.

Weiber und Kinder: das braucht natürlich jeder ernstzunehmende Patriarch – aber doch nicht schon um diese Uhrzeit! Und erst recht nicht gezwungenermaßen.

Mit jeder weiteren Person, die in die Küche eintrat, verfinsterte sich sein Gesicht um einen Grad. Es schien ihr fast, als wollten sich seine Augen bis zum Anschlag in die Höhlen zurückziehen – sie musste plötzlich an Katapulte denken; seine Lider verengten sich zu Schlitzen und wirkten wie Schießscharten in steinernem Gemäuer; die beiden Falten, die rechts und links von der Nase zu den heruntergezogenen Mundwinkeln hin verliefen, könnten Schützengräben sein, die Bartstoppeln Stacheldraht, fiel ihr noch dazu ein.

Jetzt senkte er den Kopf, ließ eine Zornfalte auf seiner Stirn erscheinen, zog so die Luft durch die Nase, als wolle er ein Vakuum im Raum erzeugen, hielt sie für zwei Sekunden in seinen Lungen an und ließ sie dann, ohne den Mund dabei zu öffenen, mit einem Geräusch entweichen, welches sich nur schwer beschreiben lässt, irgendwie ein Gemisch aus knurrend, rumpelnd, brodelnd und blubbernd, als wolle er einen Vulkan kurz vor dem Ausbruch darstellen.

Wenn er könnte, würde er seinen Ärger sicher gerne materialisieren und als Warnung an alle über seinem Haupt schweben lassen, vielleicht als Feuersäule oder mindestens mal schwarze Rauchwolke, dachte sich sich, während sie dem Schauspiel folgte; wenn er Hufe hätte, würde er vermutlich gleich damit aufstampfen und schnaubend den ökologisch wertvollen Korkbelag vom Küchenboden kratzen.

Obwohl das grün-gelb karierte Geschirrtuch in ihrer Hand nicht die geringste Ähnlichkeit mit einer Muleta hatte, kam ihr doch unweigerlich in den Sinn, es sich eben mal neben die Hüfte zu halten, ein wenig damit zu wedeln und “Toro!” in die Richtung ihres Mannes zu rufen.
Doch sie drehte sich nur für einige Sekunden zur Spüle um, damit er das Grinsen nicht sehen konnte, welches sich bei diesem Gedanken in ihr Gesicht geschlichen hatte.

So ein dramaturgisch wertvoller Auftritt und dann wird gelacht? Nein, das wäre eine ungeheuerliche Provokation gewesen! Also lieber nicht.

Stattdessen nett lächelnd die Kinder verabschiedet, dann ganz schnell in die Jacke geschlüpft, die Autoschlüssel gegriffen und nichts wie weg zur Arbeit. Doch halt! Ein kleiner Abschiedskuss der formhalber schien ihr angebracht, sonst würde die Szene womöglich am Abend ihre Fortsetzung finden. Also einen kurzen Abstecher zu dem Mann am Ende des Küchentisches gemacht, ein schnelles Küsschen auf die Wange, ein “Tschüß bis heute abend”, kurzes Lächeln und Abgang.

“Toro!” wäre sowieso viel zu schmeichelhaft gewesen, fand sie.

Hornochse. Mit diesem Wort im Kopf verließ sie das Haus und als die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, atmete sie erleichtert auf.
 

zarah

Mitglied
Man ärgert sich

Er ärgerte sich wieder einmal und wie so oft, wollte er seine Mitmenschen ohne groß Worte zu verlieren, daran Anteil haben lassen.

Sie stand, eine Brotdose abtrocknend, in einiger Entfernung an der Spüle und betrachtete ihn, wie er da am Küchentisch saß und so vehement Brote mit Margarine bestrich, dass es schien, als wolle er diese dafür bestrafen, dass der Morgen nicht so angefangen hatte, wie es ihm genehm gewesen wäre.

Nach jahrelanger liebevoller Fürsorge mit morgendlichem Schonpro­gramm für ihren Gatten, hatte sie doch vor einiger Zeit einfach aufge­hört, ihm morgens das Frühstück an´s Bett zu bringen, sich darauf beschränkt, den Kaffee für ihn aufzusetzen, und zwar - das war vielleicht das ärgerlichste - ohne ihn vorher zu fragen, ob es ihm auch recht so sei.
Neuerdings verlangte sie sogar, dass er früher aufstehen solle, um mitzuhelfen, das Frühstück für die Kinder zu bereiten; und auch hier wieder, ohne dass sie bereit gewesen war, ihm irgendein Mitbestimmungs­recht einzuräumen. Sie hatte nur gesagt, dass sie das nicht mehr alleine erledigen würde. Punkt.
Seinen Einwand, er könne sich mit der allmorgendlich auftretenden Beule in seiner Schlafhose unmöglich in der Küche zeigen, hatte sie unsensibel mit der Bemerkung beiseite gewischt, er solle die Aufsehen erregende Schwellung dann eben beizeiten behandeln – irgendwie - oder sich halt eine Jeans anziehen.

An diesem Tag hatte sie ihn nicht ordnungsgemäß geweckt; vergessen, den Kaffee für ihn aufzusetzen; die bevorzugte Sorte Wurst war nicht vorrätig; das Brot war vom Vortag; und dann war ihm auch noch auf dem Weg zum Kühlschrank unvorsichtiger­weise ein Kind in den Weg gelaufen. Genug gute Gründe also, sich zu ärgern.

Weiber und Kinder: das braucht natürlich jeder ernstzunehmende Patriarch – aber doch nicht schon um diese Uhrzeit! Und erst recht nicht gezwungenermaßen.

Mit jeder weiteren Person, die in die Küche eintrat, verfinsterte sich sein Gesicht um einen Grad. Es schien ihr fast, als wollten sich seine Augen bis zum Anschlag in die Höhlen zurückziehen – sie musste plötzlich an Katapulte denken; seine Lider verengten sich zu Schlitzen und wirkten wie Schießscharten in steinernem Gemäuer; die beiden Falten, die rechts und links von der Nase zu den heruntergezogenen Mundwinkeln hin verliefen, könnten Schützengräben sein, die Bartstoppeln Stacheldraht, fiel ihr noch dazu ein.

Jetzt senkte er den Kopf, ließ eine Zornfalte auf seiner Stirn erscheinen, zog so die Luft durch die Nase, als wolle er ein Vakuum im Raum erzeugen, hielt sie für zwei Sekunden in seinen Lungen an und ließ sie dann, ohne den Mund dabei zu öffenen, mit einem Geräusch entweichen, welches sich nur schwer beschreiben lässt, irgendwie ein Gemisch aus knurrend, rumpelnd, brodelnd und blubbernd, als wolle er einen Vulkan kurz vor dem Ausbruch darstellen.

Wenn er könnte, würde er seinen Ärger sicher gerne materialisieren und als Warnung an alle über seinem Haupt schweben lassen, vielleicht als Feuersäule oder mindestens mal schwarze Rauchwolke, dachte sie sich, während sie dem Schauspiel folgte; wenn er Hufe hätte, würde er vermutlich gleich damit aufstampfen und schnaubend den ökologisch wertvollen Korkbelag vom Küchenboden kratzen.

Obwohl das grün-gelb karierte Geschirrtuch in ihrer Hand nicht die geringste Ähnlichkeit mit einer Muleta hatte, kam ihr doch unweigerlich in den Sinn, es sich eben mal neben die Hüfte zu halten, ein wenig damit zu wedeln und “Toro!” in die Richtung ihres Mannes zu rufen.
Doch sie drehte sich nur für einige Sekunden zur Spüle um, damit er das Grinsen nicht sehen konnte, welches sich bei diesem Gedanken in ihr Gesicht geschlichen hatte.

So ein dramaturgisch wertvoller Auftritt und dann wird gelacht? Nein, das wäre eine ungeheuerliche Provokation gewesen! Also lieber nicht.

Stattdessen nett lächelnd die Kinder verabschiedet, dann ganz schnell in die Jacke geschlüpft, die Autoschlüssel gegriffen und nichts wie weg zur Arbeit. Doch halt! Ein kleiner Abschiedskuss der formhalber schien ihr angebracht, sonst würde die Szene womöglich am Abend ihre Fortsetzung finden. Also einen kurzen Abstecher zu dem Mann am Ende des Küchentisches gemacht, ein schnelles Küsschen auf die Wange, ein “Tschüß bis heute abend”, kleines Lächeln und Abgang.

“Toro!” wäre sowieso viel zu schmeichelhaft gewesen, fand sie.

Hornochse. Mit diesem Wort im Kopf verließ sie das Haus und als die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, atmete sie erleichtert auf.
 



 
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