Mehr alsnur Abenteuer / Teil 4

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Kelly Cloud

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Geoffrey schaute zu den hohen Wellen des tasmanischen Meeres hinaus. Der heftige Westwind trieb die gigantischen Wellen auf die neuseeländische Westküste zu. Weit draussen sah Geoffrey zwei Surfer über die hohen Wellen ins offene Meer hinauspaddeln. Wahrscheinlich ähnlich Verrückte wie er. Er hatte die Arbeit im Büro hingeschmissen. Hielt es einfach nicht mehr aus. Der Schmerz im Kopf hatte nachgelassen, aber die Gedanken an Martina blieben. Jetzt, im Neoprenanzug und Surfbrett unter dem Arm, konzentrierte er sich auf die Wellen. Wann kam die richtige Welle, die ihn dann ins Meer hinaustrieb und welche Welle würde die Beste sein, um auf ihr zu reiten und vielleicht während ihres gigantischen Überschlags durch die Pipe zu sausen?
Die besten Surfer zeichneten sich dadurch aus, dass sie eine sehr gute Beobachtungsgabe hatten und sich auch noch auf dem offenen Meer so gut orientieren konnten, dass sie die richtige Welle im richtigen Zeitpunkt erwischten. Die Wellen walzen sich immer in einer erstaunlich gleichmässigen Symmetrie auf die Küsten zu. Das war der eigentlich Reiz des Wellenreitens. Der Surfer konnte sich immer darauf verlassen, dass die fünfte Welle (oder die Sechste, oder die Siebente, je nach Ort und Witterung) ihn ins offene Meer hinaustrieb und die achte Welle (oder die Sechste, oder die Siebente, je nach Ort und Witterung) ihn in einer perfekten, sich überschlagenden Pipeline zurück zum Strand brachte.
Geoffrey rannte durch das heranrauschende Wasser zu den Wellen hinaus, schwang sich elegant auf sein Brett und kraulte wie ein Verrückter über die erste Welle, um sich sogleich in die nächste, sich überschlagende Welle zu stürzen. Hinten wieder aufgetaucht musste er sich sofort über die nächste Welle kämpfen, um jene Welle zu schaffen, die ihn mit viel weniger Kraftaufwand ins offene Meer hinaustrieb. Er wusste genau auf welcher Welle er sich aufs Brett stellen musste, um in berauschender Geschwindigkeit zu surfen und mit ein bisschen Glück durch die finale Pipeline an den Strand zu flitzen.
Und hopp…Geoffrey stand in brillanter Balance auf seinem Brett und liess nun Natur und routinierte Technik auf sich wirken. Er flitzte mit der Welle dem Strand entgegen. Er fühlte sich leicht und sexy, einfach unbesiegbar. Dann spürte er, wie sich die Welle hinter ihm zu brechen begann. Er duckte sich, wurde noch schneller. Durch die perfekte Pipeline zu flitzen war der genialste Moment eines jeden Surfers. Plötzlich stürzte die gebogene Wasserwand über Geoffrey unerwartet ein und drückte ihn mit enormer Wucht in die Tiefe. Es passierte so unerwartet, dass ihm keine Zeit mehr blieb, Luft zu holen. Er hatte sich verrechnet. Der Meeresgrund war nicht mehr tief genug und leider an dieser Stelle auch nicht mehr sandig, sondern felsig…
Geoffrey spürte den heftigen Aufprall. Dann wurde es dunkel und schliesslich schwarz um ihn.


Damals im März, irgendwo zwischen Neuseeland und Jordanien

Der Katamaran flog mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die hohen Wellen des indischen Ozeans. Mit dem voll aufgeblasenen Spinnaker flogen sie exakt west-nordwestlicher Richtung. Es war die perfekte Windrichtung und Windstärke um zur Meeresenge des roten Meeres zu gelangen. Aber Andrui wusste sehr wohl, dass sich der Wind bald wieder verändern würde. Also hiess es für Martina, Gouder und ihn die Situation solange wie möglich zu nutzen und zu geniessen. Andrui fixierte das Lenkruder in der optimalen Position, um die Himmelsrichtung zu halten. Zu dritt sassen sie auf der in der Luft schwebenden Boje und lehnten sich rücklings, an der niedrigen Reeling haltend, über den Bootsrand hinaus, um den Katamaran vor dem Kippen zu bewahren.
„Danke für deine hundert Kilo!“ rief Andrui durch das laute Rauschen von Gischt und Fahrtwind Gouder zu. Das Gefühl war so fantastisch, dass es ihn überhaupt nicht störte, dass die kleine, zierliche Martina sich beim gewichtgebenden Hinauslehnen an Gouder drückte und scheinbar ununterbrochen auf ihn einquasselte. Er genoss einfach alles Schöne, was die Natur zu bieten hatte: Wind und Wasser und wunderschöne Frauen! Und er hoffte, dass keiner das Gleichgewicht verlor und über Bord segelte.
Und wieder schossen sie hinunter ins Wellental. 1, 2, 3, 4 und an der anderen Talseite wieder hoch. 1, 2, 3, 4 und wieder hinunter ins Wellental. 1, 2, 3, 4...
„Ich musste einfach weg... weg von ihm. Aber ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte. Schliesslich wohnt er in meiner Wohnung. Alles gehört mittlerweile uns gemeinsam. Die Wohnung, das Auto, die Freunde. Auch du...“ sie hielt wieder die Luft an, denn der Katamaran schoss wieder in die Tiefe. 1, 2, 3, 4 und trieb sich mühelos das Wellental hoch. 1, 2, 3, 4... Sie atmete tief ein. Sie wusste nicht recht, ob sie diese Etappe geniessen oder hassen sollte. Es war alles total verrückt.

Damals, im Januar, begegneten Sie und Geoffrey der schweizerischen Segelcrew in einem Pub. Die Schweizer feierten ihren zweiten Sieg dieser Regatta und hatten am nächsten Tag ihren Ruhetag bevor sie dann auch noch den Italienern davonsegeln wollten.
Weil das neuseeländische Team nur auf die Endrunde warten musste und die Schweizer nebst dem einheimischen Skipper auch viele Kiwis rekrutiert hatten, fieberten die meisten Neuseeländer in den Vorrunden mit den Schweizern mit. Ein Crewmitglied war auch Andrui, ein alter Bekannter aus Martinas Schulzeit. Andrui war schon immer ein begeisterter Segler. Eben ein echter Auckländer. Martina und Geoffrey fachsimpelten mit Andrui, während eine Hobbyband ihr Repertoire zum Besten gab. Irgendwann erwähnte Andrui, dass der Schlagzeuger auch der Konditionstrainer der schweizerischen Crew war. Der Hüne war nicht nur ein Multitalent holländischer Abstammung, sondern auch ein sympathischer, bescheidener Zeitgenosse mit enormem Allgemeinwissen. Er hatte mit Andrui zusammen schon einiges in die Wege geleitet, um nach der Regatta mit einem Katamaran durch die Südsee nach China zu segeln und sich dann in den Tibet zu begeben, um für die Besteigung des Mount Everest zu trainieren. Wahrlich zwei verrückte Zeitgenossen, hatte Martina damals gedacht.

1, 2, 3, 4... Der Achterbahnrhythmus dauerte an. Martina stiess den Atem aus. Sie bereute es nicht, dass sie sich damals zum Mitgehen entschieden hatte, als Gouder und Andrui ihre Pläne änderten, nämlich durch den indischen Ozean in den mittleren Osten zu segeln und dort mit dem IKRK Hilfe zu leisten. Das war die Chance gewesen, ihrem alten Leben den Rücken zu kehren. And here we are. Segeltörn, Klettertraining und im Irak Aufbauhilfe leisten.


Geoffrey´s Traum

Zügig zieht das Wasser des relativ breiten Bachlaufes leicht schäumend zu tale. Die beiden Froschmänner stehen mit ihren Bodyboards unter den Arm geklemmt, am Ufer. Mit Flossen, Helm, Handschuhen und das Board durch eine Nylonschnur mit dem rechten Unterarm verbunden, sind die beiden sportlichen Männer bereit, sich in die wilden Fluten dieses Bergbaches zu stürzen.
Beim Hochfahren mit dem Geländewagen hatten sie verschiedene Stellen des Baches begutachtet. Weiter talwärts wird’s dann ein paar brisante Stromschnellen, kleinere Wasserfälle und kräftige Strudelbildungen geben. Aber gut vorbereitet und wissend welche Schwierigkeiten auf sie zukommen, wird wohl alles gut gehen. Sie waten durch das Kiesbett ins knietiefe Wasser und lassen sich dann auf ihren Bodyboards durch das reissende Wasser talwärts treiben.
Geoffrey schweifte mit den Gedanken ab. Vor seinem geistigen Auge sah er Martinas Augen. Dieser Blick...

Es geht weiter...
 



 
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