Mein Freund , der Baum - Folge 13 - Grabreden

Mein Freund, der Baum

Man rotzte auch noch die letzten Meter Acker- und Grünflächen mit Beton zu. Der Bedarf an Wohnungen war zwar groß, aber wat sich bei uns im Ruhrpott inne 60er Jahre mit die Bauwut inne Städte tat, dat war übertrieben.
Baumlose, schnurgerade Asphaltstraßen, fiese viereckige Hochhäuser und stillose Siedlungsreihen entstanden wie Unkraut. Obwohl die Bürger gegen die übertriebene Bauwut und raffgierigen Halunken von Bauspekulanten protestierten, wurde rücksichtslos weitergeklotzt. Die Bürger waren hilflos gegen die roten Scheuklappenpolitikers. Wir starrten angewidert auf die leblosen, kalten Betonburgen.

Im Zuge der kommunalen Straßenplanung sollten auch ne Kirche abgerissen und drei uralte Eichen gefällt werden. Die Eichen hatten Umfänge zwischen 5,70 bis 6,80 Metern und waren ca. 800 Jahre alt. Aber da bissen die roten Genossen bei die schwatten Brüder und Denkmalschützer auf Granit.
Ein Aufschrei ging auch von den Bürgern und Naturschutzverbänden durch die Lande. Allesamt hatten se die Schnauze vom Raubbau an unsere unwiederbringlichen Natur voll.
Wegen der alten Kirche und der historischen Stieleichen wurde die Stadtverwaltung vom Ministerpräsidenten zurückgepfiffen, obwohl der Kerl auch ne rote Socke war. So viel Volkszorn konnte er bei der anstehenden Landtagswahl nich gebrauchen.
Über diese politische Schlappe ließ man ungefähr n halbet Jahr Gras wachsen. Dann fing dat Spielchen von vorne an, nur viel raffinierter.

Man bläute den parteiabhängigen Pressefritzen ein, dat wegen der unvernünftigen Einflussnahme der Kirche und ein paar irrer Naturschützer die Kosten für die Straße um 2,5 Millionen DM steigen würden. Ließ man auch noch die Eichen stehen, kämen noch mal ca. 250 000 DM hinzu.

Die rote Presse fraß gierig die vergifteten Happen und schoss aus allen Rohren gegen Kirche und Naturschutz. Et ging schon längst nich mehr um die Sache, nee, ne zünftige politische Schlammschlacht war hier wochenlang im Gange. Gleichzeitig entstand eine starke Gegenbewegung.
Folkloregruppen aus halb Europa tanzten jeden Abend demonstrativ um die Eichen herum. Alle möglichen Chöre sangen wat vom Lindenbaum, der am Brunnen vor dem Tor stand, oder dat bergische Lied „Wo die Eichen noch rauschen“. Vor allem aber wurden dat wunderbare Niedersachsen- und Westfalenlied geschmettert.
Auch dat Gedicht von einem Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, wo man son Birnbaum im Garten fand, wurde gebetsmühlenartig vonne Schulklassen aufgesacht.
Pfarrer beider Konfusionen hielten bei die drei Eichen Gottesdienste ab, obwohl der Standort vonne Eichen ma wirklich keine heilige Stätte war. Im Gegenteil. Im Mittelalter wurden hier reihenweise Verbrecher verurteilt und zur allgemeinen Volksbelustigung aufgeknüppt.
Auch die Heilige Kirche hielt dort ständig ihre schrecklichen Scheiterhaufen am Qualmen. Hier jagten die heiligen Männer den Ketzern und Hexen bei lebendigem Leib voll gläubiger Hingabe den Teufel aussem Balg.

Sogar der olle Napoleon oder son Bruder von dem richtigen Bonapartus soll hier anne Eichen inne Verschnaufpause n paar leckere Pumpernickelkniften mit westfälischem Knochenschinken verdrückt haben, natürlich mit ner Pulle Roten von zu Hause.

Dat Hickhack mit die Eichen ging um die ganze Welt. Etliche Heimatfreunde und Naturschützer protestierten gegen die Plünderung der Rezurzen, oder wie dat heißen tut, also gegen die Ausrottung vonne grünen Lungen.
„Willi, dat iss hundert Prozent richtig, dat man gegen die Zerstörung der einheimischen Lungen vorgehen tut. Im Revier haben doch schon genug Kumpels Silikose.“
„Berta, du hass Recht. Unternimm auch wat mit deine Kegelschwestern und mit die Frauenhilfe, protestiert gegen die Schweinebacken, ich kuck ma, wat ich bei die roten Kacker vom Rathaus bewerkstelligen kann.

Auch die Blagen sollen sich wat einfallen lassen, solln ma mit die Lehrer quatschen.“

Ich ab zum Bürgermeister in dat Herner Rathaus. Die Vorzimmerdame, son ollen Drachen mit nem strengen Dutt hinten am Kopp, wollte mich nich vorlassen. Da war se bei mir anne richtigen Adresse. Ich hab die widerspenstige Glucke samt ihrem Bürostuhl aus dem Zimmer gerollt und mit Schmackes über den langen Flur geschubst. Dann stürmte ich zum Bürgermeister Muckeblock rein.
„Glück auf, Bürgermeister, Sie sind mir noch wat für die Grabrede beim Gorilla schuldig. Ich hab damals ohne Honorar den Bürgerkrieg in Herne verhindert. Den Vorschlag für dat Bundesverdienstkreuz können Se inne Tonne kloppen, ich will jetz ehrlich von Ihnen wissen, wat mit die Eichen und die Kirche passieren tut.“

Muckeblock war die Ruhe selbst. Er musterte mich mit seinen listigen Augen und grinste.
„Herr Püttmann, oder sollen wir nich ‚du’ füreinander sagen, wir kennen uns ja schon recht lange, ich bin der …“
„Ich weiß, wie du heißen tus, du biss der Robert.“
„Willi, wenn et nach mir ging, würde ich dat beschissene Bauprojekt stoppen, aber die meisten meiner Mitarbeiter, vor allem die vom Bauamt, sind bereits mit dicken Geldbeträgen bestochen, die ganze Verwaltung iss korrupt. Ich steh leider mit dem Rücken anne Wand.“
„Mensch, Robert, so weit sind wir schon gesunken? Du biss ja wirklich n ganz armet Schwein. Hass du denn nix vonne Baulöwen gekriegt?“
„Willi, hundert Mal haben die verdammten Aasgeier dat versucht, ich bin sauber geblieben. Lass uns gemeinsam überlegen, wie wir dat Problem mit der Saubande lösen können.“

Ich wusste im Moment nich wie.
„Robert, ich komm nachher noch ma rein. Ich frag ma meine Berta, die iss Diplomatikerin. Die hat bei so kniffeligen Sachen meist n guten Rat in petto.“
„Jau, Willi, frag deine Frau, ich frag meine auch ma. Komm, sauf noch schnell n Schnaps mit mir, et gibt zu wenig Bürger, die auch ma für mich denken tun.“
Ich kam in dat Vorzimmer, da raunzte mich dat Vorzimmerweib an:
„Dat machen Se nich noch ma mit mir. Sie sind doch der Grabredner Püttmann. Iss et bald so weit mit dem da drin? Dann könnte die Straße endlich gebaut werden.“
Ich hab kein Wort dazu gesacht, nahm wieder den Stuhl und rollte die blöde Nuss auf den Rathausflur. „Du alter Drachen, noch einen Ton, dann stoß ich dich mit dem Stuhl die Treppe runter!“ Sie schrie wie am Spieß.
Zu Hause erzählte ich allet meiner Berta. Sie hörte sich dat ruhig an, überlegte kurz und warf ihr Haupt auf:
„Ha, Willi“, sachte se, „ich hab ne Idee! Ihr müsst dat Eisen schmieden, solange dat noch heiß iss. Durch die Beerdigung vom Gorilla Bongo seid ihr noch bei die Fernseh- und Radioheinis bekannt. Du weiss doch, wie die Bande auf Ökogedöns abfährt. Ihr ruft alle Sendeanstalten an, die sollen für Samstag den größten Herner Volksaufstand inne Geschichte der Menschheit ankündigen und schnellstens mit ihren Übertragungswagen anrauschen.
Sagt den Gipsköppen auch, dat wahrscheinlich Blut fließen tut. In Herne wäre zum zweiten Mal innerhalb von nem halben Jahr der Teufel los, ein Bürgerkrieg stünde unmittelbar bevor und wäre nich mehr abzuwenden.“
Ich war platt. Meine Berta hatte echt dat Zeug fürn ganz ausgebufften Politiker!
„Berta, dat klingt großartig! Erzähl weiter, du hass im Moment tolle Eingebungen, die könnten sogar von mir sein. Also los, raus damit.“
„Ja, Willi, dann organisier ich mit die Herner Frauenbewegung n Protestmarsch. Von Bongos Denkmal im Gysenberg marschieren wir durch die Bahnhofstraße bis zu die drei Eichen. Ich schmück morgen mit die Kegelweiber die Eichen mit bunten Flatterbändern. Alle Schulen wollen kommen, wir haben die Schulleiter voll im Griff. Chöre, Schützen-, Sport-, Schrebergarten- und Veteranenvereine, Kreisjägerschaften aussem gesamten Ruhrpott, die Kirchen mit ihren Anhängern, allet wird aufmarschieren, dafür sorge ich und meine Vereinsweiber. Wir haben die besten Verbindungen durch unsere Kegelausflüge.“
Dat mit die Verbindungen aufe Kegelausflüge hab ich nich ganz verstanden, war auch im Moment nich so wichtig. Höhere Aufgaben erforderten großzügiget Denken.

Um vierzehn Uhr war ich schon wieder im Büro von unserem verzweifelten Bürgermeister. Die Vorzimmeralte sagte keinen Mucks.
„Hömma, Robert, schmeiß ma zuerst deine Empfangstussi raus, die wünscht dir den Tod. Dafür bisse noch zu jung. Wir brauchen dich noch.“
Er runzelte die Stirn: „Ich ahnte dat, Willi, ich schmeiß die Furie auffe Stelle raus. Die kann im Keller arbeiten, bei mir nich mehr.“
Ich erzählte ihm von Bertas strategischem Konzept. Er kicherte, seine Frau hatte ihm ähnliche Vorschläge gemacht.
Muckeblock rief fünf vertraute Mitarbeiter in sein Büro, weihte sie mit strahlenden Augen in unseren Plan ein, und dann ging et rund.
Die Telefone liefen heiß. Die Medien bissen an. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich unsere Aktion. Die Nachrichtensprecher beschrieben dat Ereignis höchst dramatisch.
Unter diesem Druck knickten plötzlich auch die rot gefärbten Zeitungen ein. Gegen so viel Solidarität konnten se nich mehr anstinken.
Et lief allet bestens. Dachten wir.

In der Nacht von Freitag auf Samstag wurde halb Herne von zwei gewaltigen Detonationen aussem Schlaf gerissen. Die Außenfenster und Gläser im Schrank schepperten. Ich glaubte fest an eine Schlagwetterexplosion
oder n Erdbeben. Überall gingen die Lichter an. Bei Polizei und Feuerwehr war telefonisch kein Durchkommen. Et musste wat Schrecklichet passiert sein. Im Radio war aber nix zu hören, et ging keine Sirene, man hörte auch keine Krankenwagen, nur inne Ferne dat St. Martinshorn vonne Polizei.
Morgens erfuhren wir ausse Zeitung, wat sich nachts bei uns abgespielt hatte. Dat war ja wirklich unglaublich, et war einfach nich zu fassen!
Die Baumafia hatte von der Protestaktion erfahren und wollte vollendete Tatsachen schaffen. Die Verbrecher brachten an den berühmten Eichen Dynamitgürtel an und sprengten zwei von den drei Bäumen einfach so inne Luft. Ein Sprengsatz zündete nich, sodass uns der dritte, der älteste Baum, die Napoleoneiche, erhalten blieb. Ich radelte sofort zum Tatort.
Brr …, ich kriegte ne Gänsehaut. Ich dachte: Dat iss doch nich möglich, wat du da sehen tus.

Rings um mich herum – ein Meer von zerrissenem Holz. Zwei geborstene Baumstümpfe und riesige zersplitterte Äste waren stumme Zeugen der gewaltigen Sprengkraft. Hier hatten Profis die Hände im Spiel! Die Napoleoneiche stand noch stolz in ihrem mächtigen Ast- und Blätterkleid. Die Polizei sperrte dat Attentatsgelände kreisförmig ab.
Nationale und internationale Medien hatten ihre Schlagzeilen. Der Globus konnte sehen, wat die verdammten Scheißkerle bei uns angerichtet hatten. Die Welt nahm Anteil an unserem schmerzlichen Verlust. Die Bürger starrten wie hypnotisiert auf dat angerichtete Chaos. Sie weinten hemmungslos in die Kameras.
Der Bürgermeister rief mich an: „Willi, wir müssen uns schnell wat zu der Katastrophe einfallen lassen. Frag ma deine Berta, wat wir jetz wieder machen solln.“
„Iss in Ordnung, Robert, ich ruf gleich zurück.“
„Berta, mein Mauseschwänzchen, der Bürgermeister erwartet, dat du dir für die neue Lage wat einfallen lässt. Ich bin geistig leider völlig ausgebrannt und steh noch unter schwerem Schock.“ Ich stand vor meiner Berta und zuckte resigniert mit die Achseln. Mein gutet Bertaken wusste wieder Rat.
„Willi“, fragte se, „bisse Spezialist für schwierige Fälle oder nich?“ Sie wiederholte die Frage, nur etwat lauter: „Bisse dat oder nich?“
„Wat meinze damit, Berta? Sicher bin ich dat, steht doch schwarz auf weiß auf dat Schild am Haus. Erklär ma genauer, wat du meinen tus.“ Ich war gespannt.
„Willi, ob du nen Mensch, n Köter, Gorilla oder zwei Bäume beerdigen tus, dat iss doch völlig schnurz. Kuck ma, Williken, son Baum iss doch auch n lebendet Wesen, oder nich?“
Kerl, ich war platt. Meine Berta hatte echt wat auffem Kasten. Ein Normalsterblicher hatte bestimmt nich so viel Glück mit seiner Frau.
„Mensch, Berta, komm, kriss Küsschen, du biss ja nich zu bezahlen! Dat muss ich gleich dem Bürgermeister erzählen. Ich ruf sofort an, höchste Eile iss geboten.“
„Ey, Robert, bisse selbst am Apparat, iss da auch kein Verräter inne Leitung drin?“
„Willi, quatsch dich aus, die Leitung iss sauber.“
Ich erklärte ihm Bertas genialen Vorschlag mit der Grabrede für die Eichen – er war begeistert.
„Willi, wenn allet hinhaut, iss Berta erste Anwärterin für den Naturschutzorden erster Klasse am langen Bande und wird Ehrenbürgerin.“

Sonntagmorgen strömten zigtausend Menschen bei schönstem Wetter zur Napoleoneiche. Die Bundesbahn hatte Sonderzüge für die Protestler eingesetzt, die Straßen im Ruhrpott waren vom Ansturm der Autokolonnen restlos verstoppt. Allet, wat Rang und Namen hatte, war auf den Läufen. Wir hatten extra ne Ehrenloge für die hohen Herrschaften gebaut, weil die bei so Ereignissen immer gerne gebauchpinselt werden wollen.
Heerscharen von Mediengedöns rissen sich um die besten Plätze. Sie filmten dat angerichtete Chaos, berichteten über den ausufernden Raubbau anne herrliche Natur im Kohlenpott und natürlich über dat Auslöschen von zwei Sauerstoffspendern für die Silikose-Lungen der armen Ruhrpöttler.

Für meine historische Rede zog ich meinen feinen Trauerzwirn an, sogar n frischet weißet Oberhemd und n Paar neue Socken. Den Schappoklack wienerte ich mit ner Wildschweinborstenbürste, setzte dat feine Dingen aufn Kopp und bin dann ab zum Protestmarsch.
Wir marschierten mit dem Bürgermeister und son paar Politikers, die et nötig hatten, inne vordersten Reihe. Wir trugen n riesiget Transparent:
„Heute die Herner Lunge, morgen der Regenwald“
Als Erster sprach der Bürgermeister. Er war innerlich schwer erregt. Mit einem kräftigen „Glück auf “ begrüßte er „die Menschheit in aller Welt“.
Dann schimpfte er wie ein Rohrspatz über die Lumpen, die großet Unglück über die Stadt gebracht hatten.
Die Bürger wüssten jetz hoffentlich, wen se demnächst wieder in dat Rathaus wählen müssten, damit sich so wat nich mehr wiederholen könnte.
Simulierungsübersetzer, also, dat waren so Kerle, die direkt in mehrere Sprachen übersetzen taten, überschlugen sich mit der Schnauze.
Dann sagte der Bürgermeister den besten Grabredner zwischen Rhein-Herne-Kanal und Ruhr an: „Willi Püttmann! Den tapferen Beschützer der Stadt vor dem Bürgerkrieg.“
Donnernder Applaus, Willi-Rufe, Frauen fielen reihenweise in Ohnmacht. Wie beim Auftritt von Elvis.

Ich ließ erst ma zum Einstimmen die Platte vonne Alexandra abspielen. „Mein Freund der Baum iss tot, er fiel im frühen Morgenrot …“
Die Zuschauer heulten. Ich schritt nervös an dat Mikrofon, ausgerechnet heute hatte ich nich meinen besten Tag.

Ich sprach die Eingangsworte andächtiger als sonst: „Glück auf, liebe Trauergäste aus aller Welt, liebe Freunde unserer Eichen, liebe Wald- und Flurnutzer. Vielen Dank für den herzlichen Applaus.“ Dann ging et rund:
„Der Blitz soll euch beim Sch... treffen, euch dreckiget, korruptet Pack von Bauspekulateuren!“
Der Applaus wollte nicht enden. Ich hatte die Sprache getroffen, die unsere Bürger verstanden. Vornehmet Rumgesülze war hier nich erwünscht, hier musste man Tacheles reden. Hoffentlich konnten die Dolmetscher den Satz auch richtig übersetzen.
„Wie konntet ihr miesen Galgenvögel uns dat nur antun, zwei der ältesten grünen Lungen so aussem Haushalt der Natur zu knallen, einfach so mir nix, dir nix 800 Jahre Baum-Geschichte mit Dynamit wegzusprengen?
Ihr habt die Friedenseiche zerstört, klar, ihr wollt keinen Frieden. Ihr habt die Heldeneiche weggesprengt, Helden seid ihr deshalb nicht, nee, gewiss nich. Ihr seid verdammte Mörder, ihr habt zwei Dinos der Natur, Gottes Geschöpfe, sinnlos dat Lebenslicht ausgeblasen.
Die Eichen hatten Saft inne Äste drin, dat war ihr Blut. Ihr habt euch mit diesem Blut besudelt, ihr feigen Mörder! Ihr habt den Bäumen die Leiber zerrissen und Gliedmaßen zerfetzt. Nie wieder wird der Blutsaft durch die Äste plätschern. Kein Blatt wird jemals mehr anne Äste sprießen, die Bäume werden niemals wieder Früchte tragen.
Hunderte von Insektenarten lebten inne Baumkronen, unzählig viele Tiere konnten sich vonne Eicheln ernähren, Vögel ihre Nester bauen. Generationen von Liebespärkes schnitzten Herzen in ihre Rinde. Verantwortung uns Bürgern gegenüber, geschweige denn vor den wunderbaren Gewächsen der Natur kennt ihr Drecksäcke ja nich! Den deutschen Nationalbaum zu ehren fiel euch nich ein, ihr denkt nur an euren verdammten Reibach, allet andere iss euch scheißegal!“
Ich hörte aus dem Publikum Rufe: „Nieder mit die Ausbeuters. Rübe ab, Kapitalistenschweine!“
Ich schrie: „Ihr habt Recht, die Bande gehört aufgeknüppt, am obersten Ast vonne Napoleoneiche, die im mittleren Alter, also im Mittelalter, ne femische Gerichtseiche war. Zusammen mit euren Helfershelfern, dem korrupten Beamtengelumpe, möchte ich euch im Wind baumeln sehen.
Die Rabenkrähen sollen euch da oben schön langsam zerpflücken. Schon für die Kelten war die Eiche n heiliger Baum. Wer ihn fällte, war des Todes. So soll et auch heute sein.
Herr Polizeipräsident, können Se ma auffe Schnelle die Gesetze ändern?“
Mir kamen vor Wut die Tränen, ich konnte nich weitersprechen. Berta reichte mir n Taschentuch und nahm mich in den Arm.
Diese bewegende Geste erzeugte bei die Trauergäste aus aller Welt ne kolossale Wirkung. Ich hörte im Kopp die ganze Welt schluchzen.
Ich schrie in dat Mikrofon: „Wir verlangen, dat dieset beschissene Bauprojekt sofort gestoppt wird, sonst siegen am Ende diese Verbrecher!

Die Aufregung machte mich ganz schön fertig. Irgendwat stimmte mit mir nich.
Der Applaus wollte nich verstummen. Meine Rede ging um den Globus. Als ich mir dat vorstellte, hörte ich meine letzten Worte nur noch wie Musik im Kopp, mir wurde schwindelig, ich kippte um.

Im Krankenhaus wachte ich auf und dachte, jetz bisse tot. War ich aber nich, denn Berta saß heulend mit die Blagen an meinem Bett. Der leitende Arzt, Professor Dr. Unblutig, stand auch dabei und wiegte bedenklich den Kopp.
„Kreislaufschwäche durch Überarbeitung, Herr Püttmann. Tolle Rede gehalten, aber das ist nun der Preis dafür. Sie müssen kürzer treten.“
Der Mann hatte Recht, ich hatte die letzten zwei Jahre zu viel Trauerarbeit geleistet. Jeden Tach mit die Toten sprechen, dat selbstlose Aufopfern beim Fellversaufen, dat war echt stressig. Aber dat verdammte Sterben hat nun ma Konjunktur, dat iss leider so. Kannze nix machen.
Ich beschloss, n bissken weniger zu malochen, sonst könnte ich bald meine eigene Grabrede schreiben. Ich kam mir dafür noch zu lebendig vor.
Während ich so grübelte, rauschte die süße, dralle Krankenschwester Babette in dat Krankenzimmer rein, schmiss alle Besucher raus und knallte mir ne Ladung Librium in den Hintern.
Ich schlief nach dieser herrlichen Dröhnung ruck, zuck ein und träumte ungehemmt von Babettes ungeheuren Mollis.
 



 
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