Mein Goldschatz

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Heidi

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Mein Goldschatz

Ich hege einen besonderen Schatz, einen Goldschatz. Er ist in mir, in einem Schatzkästchen aus meiner Kindheit, einem blechernen, leicht verbeulten Schatzkästchen, goldlackiert mit blauen Blättern.

Seit 45 Jahren lebt dieser Goldschatz mit mir, in mir.

Mitte der fünfziger Jahre zog meine Familie um. Wir zogen in ein kleines Dorf. Ich hatte gar keine Lust, umzuziehen. Alles war fremd. Auf unserem neuen Grundstück stand der riesige Möbelwagen. Meine Eltern und andere Helfer hatten alle Hände voll zu tun. Ich stand daneben, 5 Jahre alt, fühlte mich allein, fremd. Nach einiger Zeit sah ich, ein paar Meter entfernt, ein kleines Mädchen stehen, so klein wie ich, mit blonden Haaren. Sie kam auf mich zu, lächelte und fragte: „Wollen wir spielen?“. Sofort war meine Einsamkeit verflogen.

Wir verbrachten unsere Kindheit zusammen.

Wir spielten auf unserem Heuboden, spielten mit Puppen; wir zogen der Katzenmama und den Katzenbabys Puppenkleider an. Wir lachten, wenn die Katzen, schick angezogen mit Rüschenkleidchen, davonliefen.

In den heißen Sommermonaten besorgten wir uns Proviant; mein Vater war Bäckermeister; hier bekamen wir Streuselschnecken. Von der Mutter meines Goldschatzes bekamen wir Quarkspeise, Quarkspeise mit Erdbeergeschmack, selbstgemacht. Dann machten wir uns auf den Weg mit unseren Puppenwagen, mit einer Decke, auf unsere Weide, etwa 2 km entfernt. Wir legten uns auf die Wiese, packten unsere Puppen aus, verspeisten die Leckereien. Dann ging´s wieder nach Hause.

Wir zankten und vertrugen uns.

Wir beide übten Tänze ein, selbst ausgedachte Tänze. Wir legten ein Brett über den Graben und stellten uns vor, über eine tiefe Schlucht zu gehen, stellten uns vor, unten flösse ein rauschender Bach.

Wir verbrachten unsere Jugendjahre zusammen. Wir schminkten uns, gingen im Dunkeln durchs Dorf.

Wir gingen zum Tanzen, lernten Freunde kennen, hatten Liebeskummer, weinten uns gegenseitig aus.

Wir lernten unsere Lebenspartner kennen, verloren uns für ein paar Jahre aus den Augen.

Seit einigen Jahren wohnen wir beide wieder im gleichen Ort, etwa 100 km entfernt von unserem Heimatort.

Wir bekamen unsere Kinder, waren füreinander da, sind füreinander da.
Für die Freude, für die Tränen.

Mein Goldschatz wurde krank, lebensbedrohlich krank. Ich habe Angst um ihn, ich sehe ihn wegschweben in eine andere Welt.

Ich werde dich ein Stück begleiten auf diesem Weg in diese andere Welt, wenn du dazu bereit bist. Ich bin es jetzt schon. Ich werde deine Hand halten.

Du wirst nicht mehr auf dieser Welt sein, aber du bleibst in mir, wie immer, in diesem besonderen Schatzkästchen diesem Schatzkästchen, welches mir meine Oma vor vielen Jahren geschenkt hatte.

Deine Tochter, dein Sohn, ein Teil von dir, werden mich an dich erinnern.

Du mein Goldschatz, Elke, meine beste Freundin.
 



 
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