Mein Olymp - Deisterspaziergang

3,00 Stern(e) 1 Stimme
E

Epiklord

Gast
Der kühle Ostwind hatte eine Woche zuvor riesige Schneemassen in den Deister transportiert, und schon tauten sie wieder ab. Es war ein Geräusch im Wald, als wenn tausende Wasserhähne tropften. Vereinzelt lagen Schneeplacken herum wie eine versprengte Schafherde. Und mit der aufkommenden Dämmerung schlichen graue Dunstschwaden umher.

Über einen verwilderten Pfad quälte ich mich hinauf ins Gebirge. Nur mein Mischlingshund Greif begleitete mich. Die Bergschuhe pappten immer wieder fest an dem schlammigen Lehmboden. Durch den düsteren Fichtenbestand, den ich nun durchquerte, dampfte der Muff von fauligem Humus. Dann wieder mit einer frischen Brise Luft den steilen Anstieg hinauf zum Steinbruch. Auf dessen Aussichtsplattform würde man sich endlich verlieren im Panorama und in der Tiefe unseres Seins.

Meine Sorgen, die ich aus dem Tal mitschleppte, aus dieser Provinzstadt im Weserbergland, waren zum Glück bald fortgewischt. Als hätte man Sand in ein Glas Wasser gemixt. Hier, drei Schritte von der Abbruchkante eines Felsens, setzte sich das Trübe, fielen all meine Probleme, senkten sich ab wie der Sand in dem stiller werdenden Wasser.

Im Schneidersitz hockte ich gegen den gedrungenen Stamm einer Eiche gelehnt, dem felsigen Abgrund nahe. Ein Streifen dichten Unterholzes wucherte da unten, ein trotzender Wall. Und die Menschen in der Stadt waren nur noch Striche, die Dicken unter ihnen fette Punkte, die Kursiven waren wohl die Buckligen.

Der blaue Himmel über den skelettierten Buchenwipfeln färbte sich violett; im Erdgeschoss des Fichtenbestandes musste es bereits dunkeln. Nur die Kronen der Nadelbäume schimmerten mattgrün, ein auffrischender Wind entfachte in ihnen ein Rauschen. Nun der Abstieg.

In der Feuchtwiese am Waldrand war es still. Zarte Nebelgespinnste krochen den Boden entlang, und etwas später hinter einer Anhöhe tauchten in der Ferne verschwommen die Lichter von einem Bauernhof auf. Ruhig und verschlafen lag er da, wohlig an den Süllberg hingeschmiegt.

Über eine Wiese schlenderte ich gleich hinter dem Hausbrunnen, die abschüssig an einem Bachlauf endete. Inzwischen verzauberte der Halbmond mit seinem gedimmtem Licht die Landschaft. Bauchhoch versank die Flur in silbernen Nebelschleiern. Wie durch ein Getreidefeld watete ich darin herum, blickte staunend über die dunstende Fläche weit hinauf in einen gigantischen klaren Himmel. Die Sterne schienen der Erde sehr nahe; so tauchte ich ein in die Unbegreiflichkeit dieses endlosen Raumes.

Dann verlor sich mein Blick im Grau des Horizonts, während Greif unruhig knurrte und fiepste, mich kurz fragend anschaute. Mit meinem Nachtglas erspähte ich einen Sprung Rehe auf der gegenüberliegenden Seite des Baches, auf einem dieser liederlich abgeernteten Stoppelrübenfelder. Ab und zu schnellte eins ihrer Häupter mit langem Hals und gespitzten Lauschern empor, verharrte eine Weile wie versteinert und tunkte ruckartig wieder in die Nebelschicht hinein. Mein Hund beruhigte sich wieder.

Wie Geisterfiguren nun die dumpfen Silhouetten der Zaunpfähle, die verschleierten Weidenstümpfe und bizarren Baumskelette am Bach. Begann es jetzt zu spuken? Ein verdorrter Ast erschien mir plötzlich wie der drohende Arm eines Elfen. Unheimliche Stille. Durch meinen Körper schauderte der Ruf eines Kauzes aus einem nahen Buchenhain. Das lichte Wäldchen hatte sich nun in eine schwarze Festung verwandelt. Und ins Gestrüpp davor sah ich gerade noch durch meinen Feldstecher einen Fuchs davon schnüren.

Die kühle Luft wurde zunehmend feuchter, der Atem schwer. Greif stellte urplötzlich einem Hasen nach, hetzte einen Moment hinter ihm her, vorbei an einer jämmerlichen Esche, ließ aber genauso schnell wieder ab von seiner Jagd, als Meister Lampe sich in der Dämmerung aufzulösen schien. Aus Greifs hechelnder Schnauze stoben wie aus einer Dampfpfeife winzige Wolken hervor und über uns plötzlich die klagenden Schreie verspäteter Wildgänse, die rasch am Halbmond vorbeiflogen, unwirklich, aneinandergebundene Papierdrachen, die magisch davongezogen wurden.

Irgendwann drängte Greif nach Hause, ich folgte müden Schrittes. Das letzte einsame Gehöft vor unserem Wohnort erschien von weitem wie ein riesiger Scherenschnitt. Eine Schleiereule schwebte dicht über uns hinweg, wir schreckten auf, denn ihr leichter Luftzug und ihr Schatten überraschten uns wie ein Schlag aus dem Nichts; geräuschlos glitt sie weiter um den Giebel des Hauses. Schließlich kehrten wir in den Ort ein. Fröstelnd öffnete ich die Eichentür zu meiner Diele; eine heimelige Wärme strömte uns entgegen.

*
 

Haremsdame

Mitglied
Hallo Epiklord,
schöne Bilder hast Du da gemalt. Manchmal noch etwas zu überfrachtet mit Adjektiven, aber das wird sich mit der Zeit schon noch abschleifen. Da es ein Tagebucheintrag ist, möchte ich mich nicht an eine Überarbeitung machen, sondern nur meine spontane Meinung dazu kund tun. Nur beim flgenden Satz kann ich nicht anders, hier muss ich meinen Senf dazu geben:
Der blaue Himmel über den skelettierten Buchenwipfeln färbte sich violett;
Wenn Du das Blau des Himmels wegließest, fände ich den Satz besser. Vielleicht nur Geschmackssache? Ich meine aber, Du könntest mit Kürzungen das Ganze sehr verdichten und verbessern ...
Gruß von der Haremsdame
 
E

Epiklord

Gast
Ja, stimmt dass mit dem Himmel. Ist mir gar nicht aufgefallen. Danke!

LG E.
 



 
Oben Unten