Mein erstes Buch

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Es war Freitag, drei Uhr früh, ich war hellwach. Heute sollte es soweit sein. Mein erstes Buch erschien und würde die Buchgeschäfte erreichen. Mir war klar, dieser Tag kann kein gewöhnlicher sein. Noch lange wird man davon sprechen, wie der Stern eines jungen Autors aufgegangen war. Die Menschen würden sich auch zweiunddreißig Jahre später genau erinnern können, wo sie gerade waren und was sie gerade taten, als sie zum ersten Mal von meinem Buch Notiz nahmen.

Zugegeben, es war nur 80 Seiten dick, aber diese Verdichtung von schriftstellerischer Genialität hatte noch keine Leserschaft je gesehen. Es würde in die Annalen der Literaturgeschichte eingehen als leuchtender Stern im trüben Buchstabennebel, die diese Schreibamateure aus ihren verdorrten Hirnen saugten und zu veröffentlichen trauten.

Meines. Mein Witzbuch. Geschmackvoll arrangiert räkelten sich darin Witze, Anekdoten und Bonmots von köstlichstem Humor und feinstem Genie. Eine Zierde jeder Bibliothek, ein Wegbereiter der modernen Humorliteratur. Alles was bis zu diesem Zeitpunkt als spaßig gegolten hatte, würde nun zu recht in der Rumpelkammer der Lustigkeiten den müden Lächlern anheim fallen.

Noch 5 Stunden und 30 Minuten bis die Geschäfte ihre Pforten aufmachen. Ich machte mir Tee, Natashas regelmäßiger Atem pfiff aus dem Schlafzimmer.
Die Zeit stand still, immer noch 4 Stunden. Ich raschelte in meinen Druckfahnen, ließ mir nochmals jede Silbe auf der Zunge zergehen. Betört ob der dichterischen Schönheit sank ich mit weichen Knien auf den Küchensessel zurück.
Die Sonne erschien am dunklen Horizont, jede meiner gelungen Phrasierungen entlockte meiner Brust Seufzer tiefster Zuneigung.

Natasha kam grantelnd aus dem Schlafzimmer. Sie würdigte mich keines Blickes und knallte die Badezimmertür hinter sich zu. Sie war wohl ebenso sauer, weil die Buchgeschäfte immer noch geschlossen hatten. Anderen würde es noch schlechter gehen. Sie werden mit Zwerchfellkrämpfen und Kicheranfällen die Krankenhäuser des Landes füllen.

Soweit war es aber noch nicht. Keine 20 Minuten später stand ich mit Natasha in der Eiseskälte vor der versperrten Tür eines bekannten Buchhändlers am Graben in der Wiener Innenstadt. Weit und breit keine Seele zu sehen, ein paar Raben krächzten von den Fensterbrettern im ersten Stock über der Buchhandlung und schauten neugierig zu uns herunter. Natasha jammerte, es fror sie bitterlich. Ich ignorierte ihre Klagen ohne mit der Wimper zu zucken. Für Kunst und Kultur sind keine Opfer groß genug, da kann uns kein lächerlicher Schneeorkan oder harmloser Eissturm davon abhalten.

Endlich! Das Licht ging im Geschäft an und die Buchhändlerin erschien verschlafen an der Tür. Natasha winkte mir schwach aus dem gegenüberliegenden Kaffeehaus, in das sie bereits vor 3 Stunden verschwunden war. Kurz wunk ich zurück und wollte vorstürmen, da krachte ich auf den Boden. Meine Schuhe waren wegen des langen Wartens angefroren. Über mich stürmten aus allen Ecken hinweg die ersten Kunden in die Buchhandlung. Zweifellos begierige Leser meines Werkes. Kein Wunder, mein Bucherstling musste sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen haben.

Gerührt knirschte ich mit meinem aus dem Eis los gehackten Schuhen durch die Regalreihen. Ich wollte keinen großen Menschenauflauf verursachen, Popularität als Erfolgsautor hat ja nicht immer ihre Vorteile. Ich hielt mich vornehm bescheiden im Hintergrund zurück. Meine vor Rührung tränenden Augen haschten nach dem Buchdeckel meines Meisterwerkes. Wo konnte es bloß eingeordnet sein? „Humor, Satire, Spaß“. Nichts. Klar, es war nicht einfach ein Witzbuch, es würde wohl bei den Neuerscheinungen oder den persönlichen Leseempfehlungen des Personals liegen. Ich sah dort nach. Wieder nichts.

Auch meine Fans schienen verwirrt. Sie irrten ziellos im Buchgeschäft herum, eine große Unruhe schien sich bereit zu machen. Ich musste einschreiten, ihnen helfen mein Buch zu finden. Wo sonst, wenn nicht in der Abteilung für Nobelpreis-, Pulitzerpreis- oder Oscarkandidaten kann es eingeordnet sein? Auf meinem Antlitz zeichnete sich ein freudiges Grinsen ab. Diese Buchhändler, was für Schelme. Sie erkennen bereits von weitem wahres Genie und ordnen es richtig ein.

Ich stöberte flink durch diese Abteilung. Ich zitterte. Ich ging sie nochmals durch. Flog mit meinen Augen über die geistlosen Werke dieser Analphabeten, huschte über die künstlerisch peinlichen Buchdeckel. Auch hier nichts. Wie kann das sein? Einer der Kunden schleppte sich waidwund zu Kassa.

„Wo ist es?“ röchelte er der Kassierin zu.
„Name?“, fragte sie abgebrüht.
„Ernst Müller, aber mit scharfem N.“
„Ihr Buch bekommen wir erst am Nachmittag geliefert.“
Er krampfte schmerzerfüllt zusammen. „Erst am Nachmittag? Wieso erst am Nachmittag?“, kreischte er hysterisch. „Ich habe so lange daran geschrieben und jetzt kommt es erst am Nachmittag?“
Diese Nachricht hatte ihn offensichtlich aus dem Gleichgewicht geworfen.

Ein weiterer Kunden nutzte die Gelegenheit und drängt sich an den Kassentisch.
„Und meines? Wo ist meines?“ Er quiekte hemmungslos vor sich hin.
„Name?“, warf die Kassierin ihm gelangweilt zu.
„Alessandro Kreuzgruber!“ In seine Augen spiegelte sich die nackte Panik.
„Führen wir nicht, ich kann es aber gern bestellen.“ Er taumelte mit vor Schreck geweiteten Augen nach hinten.
„Sie führen es nicht? Mein Buch? Sie haben es nicht einmal auf Lager?“

Ich schob ihn zur Seite. Das Schauspiel wurde unwürdig. Diese armseligen Tintenkleckser hatten nicht den geringsten Hauch von Verstand sich einzugestehen, dass niemanden ihr Geschmiere interessieren würde. Anstatt wahre schriftstellerische Größe anzuerkennen und mein Buch zu kaufen, hatte diese Brut an vergammelten Buchstabenklaubern nichts anders zu tun, als wie die Geier in die nächste Buchhandlung einzufallen, um ihre jämmerlichen Druckwerke neben meinem Geniestreich liegen zu sehen.

Apropos: wo war denn meines nun eigentlich? Ich warf mich in Positur, räusperte vornehm und…
„Name?“ Die Kassierin trommelte genervt mit den Fingernägeln am Pult. Ich gab ihr noch eine Chance, es war immerhin früh am Morgen, da wollte ich verzeihen, dass man mich noch nicht gleich erkannte.

„Gnädiges Fräulein“, raunte ich freundlich lächelnd, „sie kennen mich doch sicherlich. Immerhin ist dieser gelungene Schnappschuss von mir auf dem Umschlag meines…“, ich hielt kurz und dramaturgisch perfekt gesetzt inne, „…meines genialen Meisterwerkes.“
Mit einer eleganten Geste wandte ich ihr das markante Profil des Genies zu.

Sie gähnte herzhaft, kniff dann die Augen zusammen, musterte mich kurz und sagte im Ton der Erkenntnis: „Ach ja, ich erinnere mich. Der Komiker mit den Glubschaugen und Deppenblick. Markus Spritzmann oder so.“

Ich konnte nicht umhin, in ihrer Stimme einen gewissen Mangel an Wertschätzung zu erkennen. Zur weiteren Analyse blieb keine Zeit, von hinten bedrängten mich diese lästigen Schriftstellernullen.

„Was ist denn da vorn?“ schallte es hinter mir. „Geht endlich was weiter? Ich bin ja nicht zum Lesen hergekommen!“

„Wo kann ich es denn nun finden?“ stieß ich gepresst zwischen den Zähnen hervor. Die ungeduldige Menge drückte mich an den Kassentisch.
„Wir packen es erst heute Mittag aus den Schachteln aus und dann kommt es sogleich in die Auslage.“
„Wirklich? In die Auslage?“ Ich drehte mich zu den anderen um und wiederholte laut und freudig: „Hört ihr? Es kommt in die Auslage! In die Auslage! Wahre Kunst wird eben gewürdigt!“ Ich hielt meine Arme triumphierend in die Höhe.

„Ja“, sagte die Buchhändlerin und setzte unbeirrt fort, „in die Auslage im ersten Stock. Dort sitzen immer die Raben und scheißen uns alles voll. Mit ihrem abschreckenden Autorenbild können wir sie mühelos verscheuchen.“ Noch bevor ich antworten konnte, hatte mich das Autorenpack bereits nach hinten gezogen und auf die Strasse geschubst.

Einige Monate später bekam ich ein Dankschreiben vom Direktor des österreichischen Bauernbundes. Es hätten sich die Saatgutverluste in der Landwirtschaft seit der Verwendung meines Autorenbildes auf Vogelscheuchen auf die Hälfte verringert. Zum Dank um die Errungenschaften für die österreichische Bauernschaft würde mir nun in einer feierlichen Zeremonie unter Anwesenheit des Bundespräsidenten die goldene Mistgabel der Republik auf gesticktem Band verliehen.

Im Briefkuvert befand sich beigelegt ein Foto. Vor einer Vogelscheuche mit meinem ausgeschnittenen Autorenbild lagen mehrere Raben auf dem Boden. Sie hatten sich zu Tode gelacht.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
klasse.

nur den letzten satz würde ich entweder weglassen oder umformulieren, denn die raben kennen ja nur das foto, nicht den inhalt des buches.
lg
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja,

denn ein paar zeilen höher wird das bild als abschreckend bezeichnet. darüber lacht man sich nicht tot, sondern erschrickt vielleicht zu tode.
lg
 
M

Minotaurus

Gast
Hallo Marius,

ich habe schon eine ähnliche Geschichte zu diesem Thema von Raniero gelesen, aber diese hier finde ich um Längen besser!
Eine gute "Schreibe" habt ihr ja beide, aber während man bei ihm immer das Gefühl hat, um die Pointe betrogen worden zu sein, kommt diese bei Deinen Geschichten meistens gut raus.
Diese Geschichte finde ich persönlich als eine Deiner besten! :D
(Das mußte einfach mal gesagt werden)

amüsierte Grüße vom Minotaurus.
 
Lieber Minotaurus,

Danke für Dein Feedback (und Deinen ausgezeichneten Geschmack), aber ich glaube man darf nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Ich glaube, dass Raniero sicherlich seinen Kreis an Fans hat und sie gut bedient. Es gibt auch etliche, die mit meinem Humor nichts anfangen können.

Es ist für mich interessant zu analysieren, warum ich selber Raniero's Texte nicht so mag und meine schrecklich komisch fände, wenn sie mir nicht selbst durch die Beschäftigung mit ihnen schon zum Hals raushángen ;-).

Da ich mich gerade durch eine handvoll an Theorien zu Humor durchackere, ist das interessantes Anschauungsmaterial.

Marius
 



 
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